EU will Atomkraft auf Druck aus Frankreich als „nachhaltig“ einstufen

AKW Flammanville. Screenshot von EDF-YouTube-Video

Die EU will Atomkraft auf Druck aus Frankreich als „nachhaltig“ einstufen. Im Deal zwischen Macron und Merkel soll zudem Erdgas als nachhaltige Energiequelle gelten, womit nach Ansicht von Umweltorganisationen der sogenannte „Green Deal“ unbrauchbar würde.

„Wir brauchen mehr erneuerbare Energien. Sie sind billiger, kohlenstofffrei und heimisch“, hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich nach einem EU-Gipfel getwittert, auf dem die Staats- und Regierungschefs über die Antwort der EU auf die steigenden Energiepreise diskutiert haben. Das hörte sich noch ganz gut und im Einklang mit dem „Green Deal“ an, den die EU angeblich anstrebt. Von der Leyen schrieb aber auch etwas, was damit kaum vereinbar ist: „Wir brauchen auch eine stabile Quelle, Atomenergie, und im Übergang natürlich Erdgas.“

Damit bezog sie sich offensichtlich auf einen Deal zwischen Paris und Berlin, auf dem sich der französische Präsident Emanuel Macron und Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem EU-Gipfel Ende Oktober geeinigt haben. Der soll nun ganz offensichtlich über den „Vorschlag zur Taxonomie“ festgeklopft werden, den die Kommission alsbald vorlegen will. Bis zum Ende dieses Jahres werde eine Einstufung vorliegen, versprach jüngst Energiekommissarin Kadri Simson.

Dahinter steckt nicht mehr und nicht weniger, dass Merkel, die Deutschland den Atomausstieg gebracht hat, bei den Nachbarn für Jahrzehnte die gefährliche Stromerzeugung dulden und als nachhaltige Energiequelle subventionieren will. Im Gegenzug soll damit auch Erdgas als Übergangstechnologie als angeblich „nachhaltige“ und subventionierbare Art der Stromerzeugung gelten, sogar noch länger als bisher angedacht, wie aus einem geleakten Papier hervorgeht.

Es soll nach Angaben von Diplomaten aus Frankreich stammen und wird von weiteren Ländern unterstützt, in der großen Mehrzahl aus Osteuropa. Auf Initiative von Paris hätten sich Vertreter gleichgesinnter EU-Länder am 18. Oktober getroffen, um über Atomkraft und Erdgas im Zusammenhang mit der Taxonomie zu diskutieren. An dem Treffen sollen Bulgarien, Zypern, die Tschechische Republik, Finnland, Frankreich, Griechenland, Ungarn, Malta, Polen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien teilgenommen haben.

Das „Non-Paper“, also so etwas wie ein inoffizielles Diskussionspapier, zirkuliert seit dem EU-Gipfel in Brüssel. In ihm wird darauf gedrängt, Gas und Atomkraft in die grüne Finanztaxonomie der EU aufzunehmen und als nachhaltige Energiequellen zu klassifizieren. Gemäß dem Papier würde die komplette Atomenergie ohne Schwellenwerte schlicht als „grün“ klassifiziert werden, inklusive dem Abbau von Uran.

Es geht unter anderem also nun um die Frage, wohin Milliarden aus EU-Fördertöpfen sollen und wohin eben nicht. Aber es geht auch um ein Siegel dafür, wohin private Investitionen fließen sollen. Investitionen in Atomkraftwerke oder Gaskraftwerke würden als umweltfreundliche und nachhaltige Anlagemöglichkeiten nach der Taxonomie-Verordnung gelten, kämen die Vorstellungen durch. In der Verordnung definiert die EU ihre Vorgaben für nachhaltige Investitionen und dort werden Kriterien zur Bestimmung angeführt, wie ökologisch nachhaltig eine Investition ist.

Um ökologisch nachhaltig im Sinne der EU‑Taxonomie zu sein, müssen Technologien nicht nur „einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz“ leisten, sondern dürfen auch die weiteren EU‑Umweltziele nicht erheblich beeinträchtigen. „Eine Wirtschaftstätigkeit sollte nicht als ökologisch nachhaltig gelten, wenn die von ihr verursachten Umweltschäden ihren Nutzen für die Umwelt übersteigen“, heißt es in der Verordnung.  Neben Klimaschutz wird auch der Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, und Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme genannt.  Demnach dürfte die Atomkraft natürlich, schon wegen der aus Tschernobyl oder Fukushima bekannten Gefahren und der ungelösten Entsorgungsfrage für hunderttausende Jahre, kein grünes Siegel erhalten.

„Greenwashing für Gas und Atom“

„Würde der Inhalt umgesetzt, wird die EU-Taxonomie von einem Gold-Standard, um Greenwashing zu verhindern, zu einem Instrument, das Greenwashing ermöglicht“, sagt Sebastian Godinot, Ökonom beim WWF, zu dem geleakten Dokument.  Nach den im „Non-Paper“ vorgeschlagenen Kriterien würden die Hälfte der bereits existierenden Gaswerke in der EU als „grün“ gelten, sagte Godinot. Es könnten auch neue Gaskraftwerke finanziert werden, die bis 2065 laufen könnten, was nicht mit den EU‑Zielen zum Klimaschutz vereinbar sei, fügte er an. Zudem wird in dem Papier auch für Gaskraftwerke ein hoher Grenzwert von 340 Gramm CO2‑Äquivalente pro Kilowattstunde für direkte Emissionen vorgeschlagen, obwohl moderne Kraftwerke diese Schwelle bereits heute unterschreiten. Zudem soll Gas bis 2030 als nachhaltig eingestuft werden und nicht bis 2025, wie ursprünglich von der EU geplant.

So ist es kein Wunder, wenn auch andere Umweltschutzorganisationen das Vorhaben hart kritisieren. Greenpeace spricht vom „Greenwashing für Gas und Atom“, worüber „Umweltschützer:innen aus ganz Europa“ entsetzt seien und diesen Entwurf als energiepolitische Sackgasse bezeichneten. „Atomenergie und Gas dürfen nicht in die EU-Taxonomie aufgenommen werden, sie sind nicht nachhaltig”, erklärte Heinz Smital, Greenpeace-Experte für Atomenergie. „Das würde die Kriterien für umweltfreundliche Investitionen vergiften und einer echten Energiewende großen Schaden zufügen“, fügte er an.

Sven Giegold, finanzpolitische Sprecher der Grünen im Europaparlament, wendet sich in einer Petition gegen diese Pläne. „Super-GAU für Europas Energiewende: Stoppt das Greenwashing von Atomkraft und Gas!“ ist der Titel der Petition.  In der Petition an die EU-Kommissionspräsidentin und den EU-Kommissar Frans Timmermans weist Giegold auf die immensen Folgen hin, die eine Einstufung als nachhaltige Investition hätte.

So würden sich nicht nur Banken, Versicherungen und andere Finanzmarktakteure sowie Anleger bei ihren Investitionsentscheidungen nach diesem EU-Standard richten, sondern auch Fördergelder, europäische und nationale Beihilfen und Steuergelder in Atomenergie und Gas fließen: „Investitionen in Atomkraft und Gas bekämen also fast das gleiche Nachhaltigkeitslabel wie der Bau von Windrädern und Solaranlagen.“ Er geht davon aus, dass nun „noch schnell Fakten“ geschaffen werden sollen. „Und zwar noch bevor eine neue Bundesregierung ihre Arbeit aufnimmt und diese Pläne stoppen könnte.“ Der Vorschlag dürfe deshalb nicht vorgelegt werden, „bevor die neue Bundesregierung im Amt ist“, so Giegold.

Sollen vollendete Tatsachen für die neue deutsche Bundesregierung geschaffen werden?

Doch es sind nicht nur grüne Politiker oder Umweltschutzorganisationen, die Sturm gegen den Deal von Merkel und Macron laufen. Besonders harter Widerstand kommt aus Österreich, an dessen Grenze in der Slowakei gerade zwei Uraltmeiler sowjetischer Bauart ans Netz gehen sollen. An denen wird schon seit 1985 gebastelt, sie verfügen über keinen Sicherheitsbehälter und die Nachrüstungen gegen Flugzeugabstürze oder Flugzeugangriffe sind geradezu lächerlich, wie Krass & Konkret gerade berichtet hatte. Dass ein Projekt, das auch nach Ansicht der EU-Kommission nicht dem Stand der Technik entspricht, aber aus Brüssel nicht gestoppt wird, zeigt, dass dort stets Atomfreude das Sagen hatten.

In Österreich ist auch sogar die konservative ÖVP gegen den Deal. „Wenn die EU-Kommission Investitionen in Kernkraft als nachhaltig erklärt, macht sie einen gewaltigen Fehler“, erklärt der österreichische Finanzminister Gernot Blümel zu WELT.  „Grüne Anleihen, mit denen Atomkraftwerke finanziert werden, wird niemand auf den Finanzmärkten ernst nehmen“, sagt der ÖVP-Politiker. „Eine Taxonomie mit Atomkraft wäre ein klassischer EU-Kompromiss, wo alle Beteiligten wissen, dass der Beschluss nichts wert ist. Europa würde so eine Taxonomie bekommen, die niemand ernst nimmt.“

Die WELT ist wie der grüne Giegold der Ansicht, dass es darum gehe „in Sachen Atomkraft und Erdgas bereits in diesen Wochen vollendete Tatsachen“ zu schaffen. „Es geht darum zu entscheiden, bevor in Deutschland eine neue Bundesregierung eingeschworen wird, der die Grünen angehören – mit denen ein Nachhaltigkeitslabel für Kernkraft nicht zu machen sein wird.“ Die Zeitung geht davon aus, dass Macron und Merkel „das derzeitige machtpolitische Interregnum in Berlin“ nutzen, um auf EU-Ebene die Weichen dafür zu stellen, dass in den kommenden Jahren Milliarden in Infrastruktur für Atomkraft und Erdgas fließen können. „Es ist wohl Merkels letzter großer EU-Coup.“

Der Focus meint dagegen in einem umfassenden Artikel: „Merkel schwach, keiner stark: Macron nutzt Deutschlands Stillstand für Atom-Coup.“  Die Bundesregierung habe offenbar ihren Widerstand gegen die Atomkraft aufgegeben. „Auf europäischer Ebene hat sich Deutschland daher immer wieder gegen eine Förderung der Kernkraft gestellt, doch unter einer nur noch geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ der Widerstand zuletzt spürbar nach.“

Dass allerdings nun schnell Fakten geschaffen werden sollen, bevor eine neue Bundesregierung steht, spricht nicht für eine schwache Merkel, sondern für ein geplantes Vorgehen. Denn die neue Bundesregierung könnte Druck machen, um die Verordnung noch zu verhindern, die mit einfacher Mehrheit angenommen werden muss.

Es passiert hier in der Energiefrage ganz offensichtlich genau das gleiche, was auch in der Agrarreform zu sehen ist und von Krass & Konkret schon herausgearbeitet wurde. Aufgezeigt wurde, „dass am Ende vom „Green Deal“ der EU-Kommission im Bereich Landwirtschaft wohl nichts übrig bleiben wird“. Auch die Landwirtschaft sollte ein gewichtiger Teil des Green Deals der EU-Kommission werden und vom Klimatäter zum Klimaretter werden, die Biodiversität nicht vernichten, sondern vermehren. Doch statt die Agrarwende einzuläuten, ist hier massiv verwässert worden. So wurden schon die Regeln des Greenings ausgehebelt und damit bereits die „Agrarreform“ der Vergangenheit zunichtegemacht.

Hinter der französischen Atompolitik stecken auch militärische Interessen

Klar ist aber, dass in der Energiefrage Atom-Frankreich der große Sieger wäre, der damit ganz Europa noch tiefer in eine Sackgasse ziehen würde. Erst kürzlich hat Krass & Konkret ausführlich über die Atompläne von Frankreich informiert, wo im rechten Lager ein Überbietungswettlauf im Vorwahlkampf vor den Präsidentschaftswahlen im April läuft, wer mehr neue Atommeiler bauen will. Dabei zeigt sich „neue“ sogenannte „European Pressurized Reactors” (EPR) bisher nur als Milliardengrab. Auch mit zehnjähriger Verspätung ist es bisher nicht gelungen, den Reaktor in Flamanville ans Netz zu bringen. Die Kosten haben sich derweil auf knapp 20 Milliarden versechsfacht.

Macron wartet deshalb nun mit einer „Neuerfindung“ der Atomenergie auf. Man müsse sich auf „bahnbrechende Technologien und tiefgreifende Veränderungen in der Kernenergie vorbereiten“, sagte er in Bezug auf sogenannte „Small Modular Reactors“ (SMR) kürzlich. Diese „kleinen modularen Reaktoren“ sollen nur eine Leistung von bis zu 300 Megawatt (MW) haben, das Problem ist dabei aber, dass es noch keinen funktionsfähigen SMR gibt, frühestens könnte 2028 in Russland der erste Meiler ans Netz gehen, das kürzlich eine Baugenehmigung erhalten hat. Dass damit, wie vorgegaukelt, der Klimawandel verhindert werden könnte, ist hanebüchen, da Genehmigungen und Bau in der EU noch viel länger dauern würden und man mit dem EPR in Frankreich und Finnland eigentlich ausreichende Erfahrung haben müsste, dass mindestens 15 Jahre ins Land gehen.

Doch aus der Sicht von Atom-Frankreich ist es verständlich, dass Macron für die extrem teure Atomtechnik an die EU-Subventionen heranwill, um die Atomindustrie weiter unterstützen zu können. Deshalb soll die Atomkraft als „grüne Investition“ anerkannt werden.

Klar ist aber längst auch, dass dahinter militärische Interessen stehen. „Ohne zivile Kernkraft gibt es keine militärische Kernkraft“, hatte der französische Präsident schon im vergangenen Winter ausgeplaudert. Es sei unsinnig, diese beiden Bereiche zu trennen, beschreibt er eine „strategische Zukunft“, die er sowohl im Bereich der Energieunabhängigkeit und der Verteidigung sieht.  Deshalb wird auch an der Dualität zwischen militärischer und ziviler Nutzung der Atomenergie festgehalten, um Milliarden zu verstecken, die letztlich in Militärprojekte fließen.

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