Nach dem Tierschutzgesetz dürfen Wirbeltiere, also auch Fische, nur unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden. Was aber, wenn Wirbellose auch schmerzempfindlich sind? Und haben Pflanzen Anspruch auf Würde?
Es gibt schon immer Streit darum, ob Fische Schmerz empfinden. Wir wissen nicht, wie es ist, ein Fisch zu sein und an einem Haken aus dem Wasser gezogen zu werden, um an der Luft zu ersticken. Da sie nicht schreien können, drängt sich uns nicht der Eindruck auf, dass sie Schmerzen haben könnten, allerdings schlagen sie verzweifelt um sich.
Wissenschaftler weisen mitunter darauf hin, dass Fische zumindest nicht Schmerzen wie Menschen empfinden können, weil sie keine Großhirnrinde und oft auch nicht die bei uns schmerzleitenden Nervenfasern haben. Auf Schmerzmittel scheinen sie nicht zu reagieren. Das sagt alles noch wenig, schließlich haben Fische Hirnregionen, die Funktionen der Großhirnrinde (funktionelle Homologie) ausführen können, und es gibt auch schmerzempfindliche Nerven. In Versuchen hat man zeigen können, dass Fische komplex auf Schmerzempfindungen reagieren.
Fischen Schmerzen abzustreiten, ist nicht zuletzt interessengeleitet. Im Tierschutzgesetz ist festgelegt:
“Ein Wirbeltier darf nur unter wirksamer Schmerzausschaltung (Betäubung) in einem Zustand der Wahrnehmungs- und Empfindungslosigkeit oder sonst, soweit nach den gegebenen Umständen zumutbar, nur unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden. Ist die Tötung eines Wirbeltieres ohne Betäubung im Rahmen weidgerechter Ausübung der Jagd oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften zulässig oder erfolgt sie im Rahmen zulässiger Schädlingsbekämpfungsmaßnahmen, so darf die Tötung nur vorgenommen werden, wenn hierbei nicht mehr als unvermeidbare Schmerzen entstehen. Ein Wirbeltier töten darf nur, wer die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat.”
Und in der Tierschutzschlachterordnung heißt es: ” Wer einen Fisch schlachtet oder tötet, muss diesen unmittelbar vor dem Schlachten oder Töten betäuben.” Gestattet sind etwa Elektro- oder Kopfschlagbetäubungen oder die Verabreichung eines Stoffes mit Betäubungseffekt. Geregelt ist auch das Töten von wirbellosen Tieren wie Krebstieren, Schnecken und Muscheln. Eigentlich müsste es also verboten sein, Fische mit Haken zu angeln oder in Treibnetzen einzufangen.
Ansonsten scheinen wir Menschen aber davon auszugehen, dass nur Wirbeltiere mit einigen Ausnahmen wie Krebstiere Schmerzen empfinden, die “niedrigeren” wirbellosen Tiere können also bedenken- und mitleidslos getötet werden. Wir denken normalerweise nicht, ob Fliegen, Mücken oder Bremsen Schmerzen leiden, wenn wir sie erschlagen.
Insekten und der Schmerz
Forscher der University of Sydney haben 2019 nachgewiesen, dass auch Insekten Schmerzen erleiden. Auch das kann man nur indirekt davon ableiten, dass Insekten Reize wie Hitze, Kälte oder Verletzungen vermeiden, die wir als schmerzvoll wahrnehmen. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass zumindest auch Insekten Schmerzen spüren, weil sie solches Verhalten zeigen, und sie haben untersucht, ob sie nach einer Verletzung eine lange anhaltende Hypersensitivität für normalerweise nicht schmerzvolle Stimuli entwickeln, wie das auch bei Menschen der Fall ist.
Um das nachzuprüfen, fügten sie Fruchtfliegen Schmerzen zu, indem sie eines ihrer Beine verletzten. Nach dem Ausheilen zeigte sich, dass ihre unverletzten Beine sensibler reagierten, um neue Verletzungen zu vermeiden, was chronischen neuropathischen Schmerzen in Menschen ähnlich sei. “Die Fliege”, sagt Greg Neely, Mitautor der Studie, “erhält ‘Schmerz’-Signale von seinem Körper, die über sensorische Neuronen zum ventralen Nervenband gehen, der Version unseres Rückenmarks. In diesem Nervenband befinden sich inhibitorische Neuronen, die wie ein ‘Tor’ agieren, um je nach Kontext Scherzempfindung zuzulassen oder zu blockieren.” Durch die Verletzung wird das Tor gewissermaßen ausgeschaltet und überflutet Schmerz ohne Bremsen alles, wodurch die Fliegen übervorsichtig werden.
In einer anderen Studie wurde gezeigt, dass auch Kakerlaken Schmerzen empfinden. Schmerzsignale werden durch gesonderte Nervenstränge zum Kopfganglion geleitet. Entfernt man das Ganglion führt das zu einer dratischen Reduzierung der Schmerzreaktion.
Es ereignet sich gerade nicht nur ein großes Massenaussterben auch bei den Insekten, das Essen von Insekten, die in Farmen gezüchtet werden, soll vermeiden, weiterhin Säugetiere zu züchten und zu schlachten. Nicht nur wegen der Klimaerwärmung, sondern auch aus Tierschutzgründen, die dann für Insekten nicht gelten. Sie werden auch gerne lebendig an andere Tiere verfüttert, auch wenn sie Schmerzen haben. Wissenschaftler sagen auch, dass manche Insekten höhere kognitive Fähigkeiten wie Emotionen und Lernen haben, und dass die Möglichkeit, diese Leiden auszusetzen, etwa in Zoos, wo sie lebendig verfüttert werden, zu einer ethischen Verantwortung führt, ihr Wohlergehen in Betracht zu ziehen. Festgehalten wird, dass noch viel zu wenig bekannt ist, in welcher Weise eben auch wirbellose Tiere empfindungsfähig sind.
Würde der Pflanzen
In der Schweiz hat die am Umweltministerium angesiedelte Eidgenössische Ethikkommission für die Biotechnologie im Ausserhumanbereich (EKAH) die “Würde der Pflanzen” thematisiert. Das geht zurück auf die Bundesverfassung, die die “Achtung der Würde der Kreatur” einfordert und dies auf die Gentechnik bezieht:
“Bei Tieren und Pflanzen darf durch gentechnische Veränderungen des Erbmaterials die Würde der Kreatur nicht missachtet werden. Diese wird namentlich missachtet, wenn artspezifische Eigenschaften, Funktionen oder Lebensweisen erheblich beeinträchtigt werden und dies nicht durch überwiegende schutzwürdige Interessen gerechtfertigt ist.”
Daraus ist das Projekt entstanden, die Würde der Kreatur zu präzisieren. In diesem Sinn ist 2008 der Bericht “Die Würde der Kreatur bei Pflanzen – Moralische Berücksichtigung von Pflanzen um ihrer selbst willen” veröffentlicht worden. Das ist wohl ziemlich einmalig, auch wenn vorsorglich die Würde von Pflanzen hinter vielen anderen Interessen zurückstecken muss, beispielsweise der Sicherung einer ausreichenden Ernährung oder wenn es um einen “wesentlichen Nutzen für die Gesellschaft auf wirtschaftlicher, sozialer oder ökologischer Ebene” geht.
In der Kommission gab es Einspruch, ob denn Pflanzen überhaupt Teil der “moralischen Gemeinschaft” sein können, da ihnen die Möglichkeit einer moralischen Handlung fehle. Unklar sei eben auch, ob Pflanzen etwas empfinden können. Man einigte sich auf den Kompromiss, dass Pflanzen nicht willkürlich beschädigt werden dürfen. Was aber würde das genauer heißen? Sollten wir Bäume und Sträucher nicht beschneiden, Gras nicht mähen, Blumen nicht pflücken oder durch eine Wiese gehen? Einstimmig ist für die Kommission beispielsweise “das Köpfen von Wildblumen am Wegrand ohne vernünftigen Grund” verwerflich. Mehrheitlich war man vage auch der Meinung, dass die “vollständige Instrumentalisierung” rechtfertigungspflichtig sei und dass Pflanzen nicht vollständiges Eigentum seien, mit denen man völlig willkürlich umgehen könne. Man kann sie genetisch verändern und patentieren, aber man müsse letztlich die Verhältnismä0igkeit beachten:
“Jede Handlung mit und gegenüber Pflanzen, die der Selbsterhaltung von Menschen dient, ist für die Mehrheit moralisch gerechtfertigt, soweit sie den Prinzipien der Verhältnismässigkeit und der Vorsorge folgt.”
Was immer das genauer heißen mag. Aber wahrscheinlich war die Thematisierung dann doch zu exotisch. Die EKAH hat sich danach jedenfalls nicht mehr mit der Würde der Kreatur beschäftigt.