Ein sehr politischer Zoch

Screenshot von WDR-Video

Kölscher Karneval trifft seine Wurzeln.

Zoch, so wird auf der linken Rheinseite der Rosenmontagszug genannt. Der Zoch fiel dieses Jahr wieder einmal aus. Grund genug für den Kölschen Haussender, den WDR, den CoVid-19 geschädigten Jecken den „ausgefallensten Zoch“ zu zeigen. Es handelt sich um einen Karnevalszug im Miniformat, der vom Hänneschen Puppentheater aufgeführt wurde. Abrufbar ist der Beitrag in der Mediathek. Ein Fernsehtipp nicht nur für eingefleischte Karnevalisten.

CoVid-19 siegt über Karnevalsvirus

Im Rheinland aufgewachsene Menschen teilen sich in der Regel in zwei Lager, in jene, die den Karneval lieben und jene, die ihn abgrundtief hassen. Exil-Rheinländer tendieren oft dazu, sich am Rosenmontag vor einem Computer im Live-Streaming den Zug in der fernen Heimat anzusehen. Karneval vor Ort, den gibt es manchmal auch im Ausland, doch nie ist es wirklich so, wie im nostalgisch verklärten Zuhause. Es sind die Momente, wo Köln für Aachener kurzerhand zur Beinahe-Heimatstadt erklärt wird, und wo Griechen nicht verstehen können, was die „schäle Sick“, die falsche Rheinseite rechts des Rheins ist.

Bei den rheinischen Karnevalsfans zeigen sich in der nunmehr zweiten, von der Corona-Pandemie beeinträchtigten Saison, ernste Entzugserscheinungen. Schunkeln, trinken und maskiert tanzen, das geht in CoVid-19 Zeiten nicht. „Und wir feiern trotzdem“, sagen einige und schicken sich gegenseitig per eMail oder in sozialen Medien Fotos mit Narrenkappe oder Kostüm zu. Seien wir ehrlich, es ist nicht dasselbe.

Es fehlt auch an Gelegenheiten, den Nicht-Rheinländern zu erklären, dass hinter der aufgesetzten Fröhlichkeit noch mehr steckt. Dass die Phantasieuniformen der Karnevalsgarden im Rheinland den preußischen Militarismus auf die Schippe nahmen. Dass Karneval in seinen Ursprüngen auch eine hochpolitische Komponente hatte.

Karneval, das ist Live-Streaming und Sehnsucht nach dem Blick auf einen Dom – dem Aachener oder den Kölner, das ist aus der Ferne egal. Schließlich spielt der Effzeh us Kölle im Europapokalstadion (Saison 2004/05) der Alemannia aus Aachen, die gerade irgendwo im Niemandsland der vierten Liga Kräfte tankt. Lokalpatriotismus nennt sich das wohl. Und dieses Gefühl ist selbst im Fußball schwächer als im Karneval.

Screenshot von WDR-Video

Der ausgefallenste Zoch – nur zesamme!

Das Hänneschen Theater erschuf als Kulisse eine kleine Kopie von Kölle – wie Köln in der Mundart genannt wird. Dreißig kleine Karnevalswagen zogen durch das Veedel (Viertel). Von einer Wolke aus kommentierten die kölschen Originale Trude Herr und Willi Millowitsch.

Nur zesamme – nur gemeinsam – war das Motto des Zuges. Es zeigte sich auf allen dreißig Wagen, wie sehr es in der aktuellen Zeit an gemeinschaftlichem Handeln fehlt. Ein Wagen zeigte den Spargelkönig und den fußballerisch nicht mehr engagierten Schlachterei-Unternehmer. Beide hatten die Hände voller Geld, während die Arbeiter in Käfigen vor sich hin darbten. „Nur zesamme maache se sich satt.“

Ein Wagen hatte eine Schmeißfliege als zentrales Motiv. Diese, mit einem AfD-Banner versehen, flog zwischen zwei mit Pegida und Querdenker beschrifteten Kothaufen hin und her. „Nur zersamme sin si et Fähnchen im Wind.“ Kein Rassismus im Veedel, stand als Banner auf einer Hauswand, die stets im Blickfeld der Kamera war.

„Nur zesamme sin mer nit nu sauber sondern rein“ stand auf einen weiteren Wagen, der sehr niedliche Schafe zeigte. Die schwarzen Schafe wurden durch die Waschmaschine der Kirche zu weißen. Ein eindeutiger Wink mit dem Zaunpfahl auf die Kindesmissbrauchs Vorwürfe in der katholischen Kirche.

Covid kam auch nicht zu kurz. Streek, Drosten und Lauterbach sind „nur zesamme Influenza“ (sic!). Ischgl und Mallorca bekennen, „nur zesamme sin me Hotspotter“. Ein Beil mit der Aufschrift Trump 2016-2020 hat auf einem weiteren Wagen die Freiheitsstatue zerschlagen. „Nur zesamme sin se ‚united‘.“

Stichwort Lokalpatriotismus, auch der wurde charmant auf die Schippe genommen. Bei einer „Live-Schalte nach Düsseldorf“ spielte in der Welt des Hänneschen Theaters das Lied vom Tod. Gezeigt wurde eine Geisterstadt in Wild-West-Manier. Auf der verlassenen Hauptstraße waren zwei Kühe, „de Köh“ wie es auf Kölsch kommentiert wurde. Der Zoch wurde auf der Rheinbrücke von der Polizei daran gehindert, auf die „schäl Sick“, die falsche Rheinseite zu fahren.

Die Kommentatoren des WDR, die ansonsten reale Rosenmontagszüge in Originalgröße kommentierten, erklärten den uneingeweihten Zuschauern kurz, was es mit der falschen Seite auf sich hat.

„Nur zesamme sin mer Menschen“, einer der Wagen zeigt, wie sich eine beleibte EU von den Flüchtlingen im verbrennenden Lager von Moria abwendet und nicht einmal hinsehen möchte. Es ist der Wagen, der bei meiner nicht rheinländischen Gesellschaft tiefer gehende Nachfragen nach der rheinischen Kultur des Karnevals ausgelöst hatte.

Der „ausgefallenste Zoch“ gibt durchaus die Gelegenheit für Rheinländer, ihre Entzugserscheinungen abzumildern, und für nicht Rheinländer, über die gar nicht so lustig schunkelnden Ursprünge des Brauchtums nachzudenken. Es ist eine durchaus sehenswerte Sendung, nicht nur für Karnevalfans.

„Su politisch, wie dr Zoch hück vum Kölsch Hännesje im TV, hät ich dr jän nächs Johr och.“ (So politisch wie der heutige Zug vom Kölner Hännesche im TV, hätte ich es gern auch im nächsten Jahr.)

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