Ein Letztes zum Documenta-Eklat

Bild: Taring Padi, Seni Membongkar Tirani, Lumbung Press 2011/ CC BY-SA-3.0

 

Wie ist zu erklären, dass die Entrüstung über das Documenta-Exponat in Deutschland in Israel fast spurlos vorbeigegangen ist? Es geht doch um Antisemitismus, oder?

 

In Israel, Weltmeister in der Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs zu fremdbestimmten Zwecken, hat der in Deutschland fröhliche Urständ feiernde Documenta-Eklat kaum eine Rezeption erfahren. Kurze Erwähnung in 2-3 Tageszeitungen, mehr oder minder kommentarlos – das war’s. Wie kommt das?

Die israelische Propaganda lässt doch kaum je eine Gelegenheit aus, einen noch so minderen “antisemitischen” Vorfall in der Welt aufzubauschen und eigenen Interessen heteronom unterzuordnen. Da es in Israel keine ernstzunehmende Antisemitismus-Forschung gibt, begnügt man sich für gewöhnlich mit der Jahresbilanz registrierter Vorfälle in der Welt, die dann als statistischer “Beweis” für den Anstieg des weltweiten Judenhasses dient. Der Documenta-Eklat wäre doch ein gefundenes Fressen, ja ein besonders fetter Brocken für diese Beweisliste gewesen.

Der Grund für die israelische Apathie gegenüber dem Kasseler Skandal liegt darin, dass sich die Antisemitismus-Wächter Israels gar nicht anzustrengen brauchten. Die Deutschen haben selbst ganze Arbeit geleistet. Nicht weniger als der deutsche Bundespräsident, der Bundeskanzler und das Parlament haben sich entrüstet zu Wort gemeldet, die Publizistik und die sozialen Medien haben sich entsprechend wortreich echauffiert, Vertreter der jüdischen Institutionen in Deutschland haben ihrem obligatorischen scharfen Protest Ausdruck verliehen; selbst in Deutschland lebende Israelis wurden rekrutiert, um ihrerseits einen Beitrag zur Anfachung der orchestrierten Hysterie zu leisten („Ein typisch deutscher Eklat“).

Was war der Anlass zum Entrüstungsfestival? Zwei Motive auf einem riesengroßen politischen Gemälde (im Ganzen derart plakativ gestaltet, dass man ihm hohe künstlerische Qualität abzusprechen geneigt ist): Die Figur eines Mossad-Schergen, der in die Reihe anderer Schergen, etwa die der sowjetischen KGB, des britischen MI5 und selbst der fiktiven Romanfigur 007 und anderer nicht identifizierter Organisationen eingegliedert ist. Dass die Mossad-Gestalt angedeuteterweise als Schwein dargestellt ist, hat wohl mehr mit dem Wort “pig” zu tun, mit dem man bereits in den 1960er Jahren Polizisten und Schergen der Staatsgewalt in den USA schmähend zu bezeichnen pflegte, als mit der Affiliation von “Jude” mit unkoscherem “Schwein”. Und sollte doch Letzteres damit gemeint sein, dann ist das vor allem kindisch; man mag das ernstnehmen oder aber auch geflissentlich übergehen. Es ist so, als würde einem ein Kind die Zunge rausstrecken und Bäh rufen.

Bild: Taring Padi, Seni Membongkar Tirani, Lumbung Press 2011/ CC BY-SA-3.0

Das andere Motiv zeigt die Gestalt eines Mannes mit Bowler-Hut, er trägt Schläfenlocken, was ihn andeutungsweise als Juden ausweist, weist aber ansonsten keine “jüdischen” Merkmale auf. Seine gezackten Zähne (wohl Sinnbild des tierisch Bösen) scheinen eher einem Comicstrip entnommen zu sein, so wie auch die ihn umgebenden Fabelwesen auf dem Gemälde. Dass auf seinem Hut das SS-Zeichen zu erkennen ist, mutet völlig absurd an und zeugt von stümperhafter Ignoranz: Niemand würde einen orthodoxen Juden mit einem SS-Schergen in Verbindung bringen wollen. Man erinnert sich eher an orthodoxe Juden, die in Israel bei Demonstrationen Polizisten als Nazis zu beschimpfen pflegen.

Und die Zigarre im Mund der “Juden”-Gestalt? Nun, man kennt sie als Zeichen des Wohllebens aus der Kunstgeschichte, nicht zuletzt auf Gemälden von Max Beckmann und George Grosz in der Weimarer Zeit: Der Kapitalist, der es sich wohlergehen lässt, während die Armut auf den Straßen tobt. Zur Zeit wird der ehemalige Premierminister Israels, Benjamin Netanjahu, wegen Korruption juristisch belangt, unter anderem spielen dabei kubanische Zigarren (freilich in unvorstellbaren Mengen) eine gravierende Rolle. Man kann weder das eine noch das andere Motiv auf dem Gemälde allzu ernstnehmen.

Ist das nun aber Antisemitismus? Ja, vielleicht; der vermeintliche “Jude” suggeriert das, wenn auch nur indirekt und nicht sonderlich sophisticated. Gezackte Zähne? Nun ja … Es ist, wenn überhaupt ein infantiler Leichtgewicht-Antisemitismus. Und der Mossad-Scherge? Er ist, wie gesagt, nicht die einzige Geheimdienst-Gestalt auf dem Bild. Aber verkörpert er vielleicht einen “israelbezogenen Antisemitismus”? Wer sich auf diese Kategorie einlassen möchte (sie ist in diesem Blog vor einigen Wochen analysiert worden), muss sich fragen lassen, woher die wie immer harsche Kritik an Israels Politik stammt, und wie sie mit der Praxis realer israelischer Militärschergen im okkupierten Westjordanland und mit der brutalen Schikanierung und gewaltgetriebenen Unterdrückung eines gesamten Kollektivs unter den völkerrechtswidrigen Bedingungen einer jahrzehntelangen israelischen Besatzung in Verbindung steht.

Davon will aber der deutsche Diskurs nichts wissen. Auf das, was das (nicht sonderlich gelungene) Documenta-Gemälde zur Debattendisposition stellt –  die Geschichte des westlichen Kolonialismus und die Auswirkungen des Imperialismus und des ihm verschwisterten globalen Kapitalismus –, wollte man sich ohnehin nicht einlassen, schon gar nicht, wenn die Kritik an diesen Geschichtsstrukturen von einem Künstlerkollektiv aus einem entlegenen Land stammt.

Man war generös genug, die Protagonisten einzuladen, ihnen gar eine Bühne für ihre künstlerisch-politischen Intentionen anzubieten, sich aber nicht dem, was sie zu sagen haben, auszusetzen. Der “Antisemitismus” macht’s möglich. Und so, wie man ganz bewusst die Augen vor den israelischen Untaten in den besetzten Gebieten verschließen kann, darf man sich getrost von dem abwenden, was man in der Documenta zur Diskussion stellen wollte.

Auch das Niveau der künstlerischen Darstellung samt der ideologischen Problemen hätte man im Kunstdiskurs erörtern können. Stattdessen ließ man die Politik walten und deutschbefindlich wie eh und je einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Beschränkung der Meinungs- und Kunstfreiheit zu machen. In Israel musste man sich bei alledem gar nicht erst einmischen – der “Antisemitismus”-Vorwurf zeitigte in Deutschland wieder einmal seine verlässliche Wirkung.

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12 Kommentare

  1. Die kommunistische Reinigung in Indonesien ist bis zum heutigen Tage nicht aufgearbeitet und das Totschlag Argument antisemitismus hat diesen Versuch abgewürgt.

  2. Den künstlerischen Wert eines über 20 Jahre alten Agit-Prop Tableaus festzustellen halte ich für schwierig und gar nicht so notwendig. Zur Zeit der Entstehung war der US-Amerikaner Robert Crumb in aller Munde, aber kaum einer wird ihn heute noch kennen. Er hatte es nicht so mit der Staatsmacht, hat Polizisten als pigs , so wie sie im Slang heissen, dargestellt. Er war wahrscheinlich auch für das Indonesische Kollektiv stilbildend.
    Es geht meiner Meinung nicht um die Qualität der Kunst, denn schon im Vorfeld der DOCUMENTA wurden Vorwürfe über verschiedene Förderer von BDS erhoben, (Boycott, Divestment and Sanctionsdiese,) was in Deutschland als antisemitisch gelten kann. Also ging es nicht um ein konkretes Werk einen Künstler, sonder darum, die Ausstellung zu stören oder gar zu verhindern..
    Was ich mir vorstellen kann ist, dass die geheimen Verbindungen von BRD, Israel, USA zur Indonesischen Regierung, die mit Geld und Waffenlieferungen (aha!) bei der Unterdrückung der moslemischen Mehrheit kräftig mitgeholfen haben, nicht unbedingt bekannt werden sollten.
    Vielleicht hat da doch jemand ein Eigentor geschossen.

  3. Ich verstehe von beiden nichts. Von Kunst und der Geschichte Indonesiens auch nicht. Sollte Indonesien keine guten Künstler haben, so haben sie dennoch das Recht sich mittels (schlechter) Kunst auszudrücken. Ich denke, es sollte auch getrennt bearbeitet werden.
    Mich beschlich auch das Gefühl der Arroganz bei Moshe Zuckermann, was ich sonst bei seinen Einlassungen nicht habe.
    Ansonsten stimme ich Wolfgang K. zu

  4. Die Nachkommen der nazistischen Täter von einst fühlen sich eben berufen, den Nachkommen der kommunistischen Opfer andernorts beizubringen, wie man ordentlich seine Vergangenheit „bewältigt“. Schließlich war man damals Weltmeister (im Morden) und ist es heute (im Abbüßen) – mithin berechtigt, andere zu belehren.

    1. Abbüßen aber nur in eine Richtung!

      Die meisten menschlichen Opfer hatte die UdSSR zu tragen (ohne andere Opfer klein reden zu wollen – jedes sinnlos getötete Leben ist absolut schrecklich!).

      1. Oskar
        gibt es ein sinnvoll getötetes Leben?
        Bei aller moralischen Zuweisung sehe ich bei dem sterben im Krieg immer die gleiche Ursache.

      2. Ich hätte das in Anführungszeichen schreiben sollen. Nicht nur die Kontinuität beim Personal, auch die politische Praxis und die anhaltende Herrenmenschenattitüde (nicht nur) gegenüber Russland beweist ja täglich das Gegenteil.

    1. Ein erschütternder Artikel.

      Jetzt verstehe ich auch, warum mit dem Mittel des „Antisemitismus“ das Bild ganz schnell abgehängt werden musste.

      1965 waren viele „Ex-Nazi´s“ im besten Mannesalter und ihre Wepertise wurde weltweit gebraucht. Und der BND konnte eben liefern.

  5. Danke dafür, dass das Bild des Anstoßes auch mal gezeigt wird.
    Erinnert eher an die Arbeiten von George Grosz aus den 1920er Jahren. Mal gucken, ob „People’s Justice“ irgendwo günstig als Reprint zu kriegen ist…

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