„Die verletzlichsten Opfer der Klimakrise werden allein gelassen“

Bild: Cop26

Der international tätige Finanzexperte und Klima-Aktivist David Ryfisch (Germanwatch) im Interview über die Konsequenzen aus der COP26 von Glasgow.

Der Volkswirt David Ryfisch war als offizieller Delegierter von Germanwatch vor Ort und ist Teamleiter für globale Politik der NGO, die mit Fridays for Future kooperiert. Erstudierte unter anderem in Brasilien und arbeitete für verschiedene internationale Organisationen sowie die UN und Inter-Amerikanische Entwicklungsbank (IDP). Seine Spezialgebiete sind klimapolitische Finanzfragen, globale Finanzpolitik, Entwicklungsbanken und sozialverträgliche Infrastrukturen. Bevor er 2019 Teamleiter für Internationale Klimapolitik bei Germanwatch wurde, war er Berater für Finanzpolitik bei der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die auch für die Bundesregierung u.a. in Afghanistan tätig war.

Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch hat globale soziale und finanzielle Gerechtigkeit zum Ziel, also die Verbindung von Sozial- und Klimapolitik, und bekämpft die Ausbeutung des globalen Südens. Sie gilt mittlerweile zudem als einflussreicher Thinktank, berät Regierungen, Parteien und Unternehmen und kooperiert unter anderem mit Gewerkschaften, der Friedrich-Ebert-Stiftung, Transparency International und Fridays for Future. Germanwatch ist international tätig und setzt Projekte vor allem in arabischen Ländern, in Indien und in Afrika um.

Wie bewerten Sie denn die Ergebnisse von Glasgow?

David Ryfisch: Die Ergebnisse von Klimaverhandlungen stellen stets Kompromisslösungen dar. Entsprechend bringt das Ergebnis kleine, jedoch in ihrer Summe unzureichende Schritte nach vorne. Für ein Fazit muss man sich jedes Verhandlungsthema einzeln ansehen. Der Anspruch der britischen COP-Präsidentschaft war es, das 1,5°C-Temperaturlimit in Reichweite zu bringen. Dies ist noch nicht gelungen, aber es gibt dazu weiterhin die Chance. Gleichzeitig könnte dieser Klimagipfel eines Tages als Wendepunkt zum Ausstieg aus der Kohle weltweit gesehen werden.

Der Klimagipfel trägt zu einer deutlich zunehmenden Dynamik bei Klimaschutz und Kohleausstieg bei. Es gilt nun, diese national wie international zu nutzen, um das 1,5°C-Limit doch noch in Reichweite zu bringen. Enttäuschend ist, dass die verletzlichsten Opfer der Klimakrise weiterhin allein gelassen werden. Eine Mehrzahl von Industrieländern führt die Blockadehaltung bei der Finanzierung von nicht mehr vermeidbaren Schäden und Verlusten fort. Die Aufwertung und Aufstockung von Klimaanpassungsfinanzierung kann dies nur sehr bedingt kompensieren.

„Ein geeignetes Ausstiegsdatum für Verbrennermotoren wäre spätestens 2030“

Kritiker*innen unter anderem von Fridays for Future, mittlerweile von einigen als zu radikal gescholten, meinten aber nach der Konferenz, vieles wurde verwässert. Stimmt das nicht?

David Ryfisch: Die ersten Textentwürfe – zum Beispiel für die politische Abschlussentscheidung, die sogenannte Cover Decision – waren ehrgeiziger formuliert, als sie schließlich beschlossen wurden. Einzelne Elemente wie die Sprache zum Kohleausstieg und Subventionsabbau wurden in der Tat über die verschiedenen Iterationen des Präsidentschaftstexts sowie in den letzten Verhandlungsstunden verwässert. Über das Gesamtpaket trifft eine solche Aussage aber nicht zu. So wurden bei wichtigen Entscheidungen zur Vervollständigung des Regelbuchs zum Pariser Abkommen, zum Beispiel beim Transparenzrahmen, ein Aufweichen verhindert und eine ambitionierte Lösung bei den Zeitrahmen für nationale Klimabeiträge gefunden.

Ist es nicht ein Armutszeugnis, dass das Bundesverkehrsministerium unter Minister Scheuer Veto gegen Teile der Beschlüsse einlegte?

David Ryfisch: Es ist bekannt, dass sich das Bundesverkehrsministerium unter Minister Scheuer für die Nutzung von synthetischen Kraftstoffen eingesetzt hat. Auch die FDP trägt diese Position mit. Diese Position war nicht vereinbar mit dem Text der Initiative zu Nullemissions-Fahrzeugen. Einige Fahrzeughersteller sind hier schon weiter und haben sich selbst Ausstiegsdaten aus dem Verbrennermotor gesetzt. Die neue Bundesregierung sollte dies durch Investitionssicherheit weiter stärken. Ein geeignetes Ausstiegsdatum für den Verkauf von Neufahrzeugen mit Verbrennermotoren wäre spätestens 2030. Wenn dies nicht durchsetzbar ist, sollte die neue Bundesregierung größere Investitionssicherheit durch eine Anpassung der Anreizstrukturen, den Ausbau der Ladeinfrastruktur und einer ambitionierten Position auf EU-Ebene im Rahmen des Fit-for-55 Pakets schaffen.

Globaler Süden: „Ein schneller Kohle-Ausstieg hätte dort erhebliche Auswirkungen“

Vor allem Indien, Indonesien und der Iran insistierten ja energisch mit sozialpolitischen Argumenten gegen einen schnellen Kohleausstieg.  Können Sie deren Position aus deren Binnensicht nachvollziehen?

David Ryfisch: Der Wunsch nach günstigem und verbessertem Zugang zu Energie ist verständlich. In Ländern wie Indien und Indonesien hätte ein schnellerer Ausstieg regional auch erhebliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Gleichzeitig sind es vor allem etablierte Interessenstrukturen, die nicht an einem schnelleren Kohleausstieg interessiert sind. Denn tatsächlich sind schon jetzt vielerorts Erneuerbare Energien im Wettbewerb günstiger als neue Kohlekraftwerke und teilweise sogar als bestehende Kohlekraftwerke. Des Weiteren hätte dies durch die Verringerung von Luftverschmutzung stark positive Auswirkungen auf die Gesundheitslage in diesen Ländern.

Um Ländern wie Indonesien und Indien den Ausstieg aus der Kohle zu vereinfachen, sollten Partnerschaften zum sozial gerechten Kohleausstieg ausgeweitet werden. Mit Südafrika gibt es dies ja nun bereits. Diese Partnerschaften sollten fester Bestandteil einer künftigen deutschen Klimaaußenpolitik sein. Und trotz der Abschwächung der Formulierung bleibt das Signal bestehen, dass der Ausstieg aus der Kohle weltweit kommen wird.

Wurde der globale Süden denn überhaupt berücksichtigt?

David Ryfisch: Eine Vielzahl der Länder des globalen Südens, insbesondere der Verletzlichsten von Inselstaaten und der am wenigsten entwickelten Länder, haben sich laut und eindeutig für besseren Klimaschutz eingesetzt. Auch wenn die 1,5°C noch nicht in Reichweite sind, hat es hier wichtige Fortschritte gegeben. Unzureichend ist jedoch weiterhin die internationale Klimafinanzierung. Zwar wurde die Anpassungsfinanzierung aufgewertet und der Anpassungsfonds hat eine Verdreifachung der verfügbaren Gelder erfahren, aber dies ist unzureichend in Anbetracht des Bedarfs. Insbesondere die USA haben verhindert, dass sich die Industrieländer dazu verpflichteten, im Durchschnitt bis 2025  100 Milliarden US-Dollar jährlich bereitzustellen. Dies wäre im Grunde nur eine Bestätigung ihrer bestehenden Verpflichtungen aus dem Pariser Abkommen gewesen. Auch mit dem Umgang von Schäden und Verlusten wird der Globale Süden weiterhin komplett alleingelassen. Dies muss bis zur COP27 weiter vorangebracht werden.

„Die sozial gerechte Transformation erhält zunehmend mehr Aufmerksamkeit“

Sehen Sie denn die Beschlüsse von Glasgow insgesamt sozial abgefedert?

David Ryfisch: Die sozial gerechte Transformation erhält zunehmend mehr Aufmerksamkeit, so ist sie beispielsweise in der Cover Decision genannt. Eine genaue Definition und vor allem die Umsetzung mit den relevanten Akteuren in den jeweiligen Ländern muss nun ausgestaltet werden. Besonderes Augenmerk lag zudem auf den Ergebnissen der Verhandlungen zu Marktmechanismen unter Artikel 6, da der Vorgänger – der Clean Development Mechanism – hier erhebliche Mängel aufwies. Die Ergebnisse zu Artikel 6 haben dabei nur Mindeststandards in Bezug auf Menschenrechte erfüllt. Positiv hervorzuheben ist, dass es einen unabhängigen Beschwerdemechanismus geben wird.

Müssten nicht die reichen Teile der Welt, vor allem im Westen und im Norden, als Verursacher einen größeren Preis bezahlen? Es gibt aber auch reiche Eliten und Schichten im Süden …

David Ryfisch: Die versprochenen 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr ab 2020 sind in der Tat eindeutig zu gering, damit sich die Ärmsten und Verletzlichsten an die Auswirkungen des Klimawandels anpassen können. Zudem berücksichtigen die 100 Milliarden den Bedarf an Finanzierung von Schäden und Verlusten noch nicht. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel bei der internationalen Klimafinanzierung. Diese muss sich an dem 1,5°C-Temperaturziel sowie am tatsächlichen Bedarf der Länder des globalen Südens orientieren. Dies wird gezwungenermaßen zu völlig neuen Dimensionen in der internationalen Klimafinanzierung führen. Gleichzeitig bedeutet dies auch, dass neue Akteure wie China, Südkorea oder die Golfstaaten ihren Beitrag leisten müssen.

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