Die Frontfrau der Ingelheimer Rotwein-Renaissance

Es ist Herbst geworden. Draußen ist es kalt und feucht. In der Hoffnung, mich ein wenig zu wärmen, habe ich mir einen Spätburgunder eingeschenkt, einen aus der früheren Rotweinhochburg Ingelheim. Doch er bewegt und berührt mehr, als dass er wärmt.

Das ist kein kraftvoller, dichter, dunkler Rotwein zum Wärmen, sondern ein schlanker, ungemein zarter Vertreter. In der Nase begegne ich dezenten Kirsch- und Kräuternoten, getrockneten Feigen, Pfeffer und Lebkuchen sowie feinen Anklängen an Speck und Weihrauch. 

Am Gaumen setzt sich dieser kühle, puristische Eindruck fort. Seidig, rein und fein geht es zu. Nur wer das Gespräch mit diesem stillen, geheimnisvollen Pinot sucht, wird hinter der zarten, grazilen und aparten Fassade seine wahre Identität entdecken. 

Mit jedem Schluck stellt sie sich ein bisschen deutlicher ein. Von Mal zu Mal wird es fordernder, temperamentvoller und leidenschaftlicher, zunehmend tiefgründiger und vielschichtiger. Und doch: Zum Wärmen ist dieser Spätburgunder nicht auf die Welt gekommen, mehr zum besinnlichen Meditieren. Vor allem Feingeister werden ihre Freude an ihm haben.

Foto von Dr. Simone Adams
Dr. Simone Adams © www.wolfgangstaudt.com

Dieser spannende Spätburgunder stammt aus den Händen einer spannenden Frau, einer Frau Doktor und Winzerin, die dem landläufigen Bild einer Powerfrau ziemlich perfekt entspricht. Was sie macht, das macht sie mit Volldampf. Zögern oder Zaudern kennt sie nicht. Auch keine Unentschlossenheit. Geduld und meditatives Innehalten zählen nicht gerade zu ihren Stärken. Leidenschaft schon. Vor allem für die Natur. Fürs Jagen ebenso wie fürs Bergsteigen und seit ein paar Jahren nun auch für die Pflege und Bewirtschaftung ihrer Ingelheimer Rebanlagen. 

Die Rede ist von Simone Adams. Seit sie die Leitung des elterlichen Weinguts vor rund zehn Jahren übernommen hat, steigert sie nicht nur mit rasantem Tempo Jahr für Jahr die Qualität ihrer Weine, sie entpuppt sich auch immer mehr als Frontfrau einer zurzeit noch kleinen, für Insider aber unübersehbaren Ingelheimer Winzerbewegung. Ihre Protagonisten haben eine glasklare Vision: die Renaissance des Gebietes als Rotweinhochburg. 

Ingelheimer Rotwein soll wieder auf den Karten der feinen Restaurants in der ganzen Welt wie selbstverständlich neben den Grands Crus aus Burgund und Bordeaux seinen Platz finden und vergleichbare Preise erzielen. So wie es vor über hundert Jahren schon einmal war. 

Simone Adams scheint sich in beiden Rollen ungemein wohl zu fühlen, als Winzern und Anführerin. Dabei interessierte sich die Winzertochter lange Zeit mehr für die Wissenschaft als den Winzerberuf. Sie studierte im nahen Geisenheim Önologie und war 2010 gerade dabei, ihre Promotion über die Alterung von Weißwein abzuschließen, als ihr Vater überraschend starb. 

Sie hatte ihm versprochen, das Weingut zu übernehmen. Nach schlaflosen Nächten mit zahlreichen Diskussionen beschließt Simone Adams dann tatsächlich, die Wissenschaft an den Nagel zu hängen. Sie beginnt, das kleine verwinkelte Weingut der Familie umzubauen. Ein größerer Keller muss her, damit sie besser arbeiten kann. Ihr eigenes Weingut entsteht. 

Simone Adams steht für schlanke, finessenreiche Weine, die zunächst unspektakulär wirken, weil sie unaufgeregt in sich ruhen. Dass viel mehr in ihnen steckt, habe ich mehrmals erfahren dürfen. Ihre Tiefgründigkeit ist tatsächlich dazu angetan, dort wieder anzuknüpfen, wo Ingelheim einst als einer der berühmtesten Weinorte seiner Zeit stand. Auf diesem Weg wird die gerade begonnene Umstellung der Pflege ihrer Rebanlagen nach den Prinzipien der Biodynamie ein weiterer Meilenstein werden. 

Wein: Spätburgunder Auf den Haun 2016, Adams Wein (Ingelheim/Rheinhessen)

Podcast-Episode zur Kolumne: www.wolfgangstaudt.com/simone_adams/

Ähnliche Beiträge: