Die Bundesanwaltschaft wagt den NSU-Schlussstrich

Demo zum NSU-Prozess 2013 in München. Bild: Fraktion Die Linke/CC BY-2.0

Die Verfahren gegen fünf der neun Beschuldigten wurden eingestellt, während in mehreren Untersuchungsausschüssen der Terrorkomplex weiter aufgeklärt werden soll – Ein Kommentar

 

Zwei Monate ist es her, dass Bundesanwalt Jochen Weingarten, der jahrelang für die Ermittlungen zum NSU verantwortlich war, vor dem Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtags unter anderem folgende Sätze sagte: „Nach wie vor können wir Vieles nicht beantworten. – In den 14 Jahren gibt es viel mehr Lücken und blinde Flecken, als das, was bekannt ist. – Man kann nicht sagen, die Geschichte des NSU sei vollständig zuende geschrieben.“

Jetzt, Mitte September, stellte seine Behörde, die Bundesanwaltschaft, die Ermittlungsverfahren gegen fünf der insgesamt neun Personen, die wegen Unterstützung des NSU beschuldigt wurden, ein. Man könnte auch sagen, der Generalbundesanwalt selber räumt die Hindernisse aus dem Weg, die der offiziellen Böhnhardt-Mundlos-Alleintäter-These entgegenstehen. Kritische Beobachter gehen davon aus, dass es Helfer, Mitwisser und mehr Täter gab.

Die juristische Formel für die Verfahrenseinstellungen lautet: „Kein hinreichender Tatverdacht.“ Was man über die Beschuldigten wisse, reiche für eine Anklageerhebung nicht aus.

Der Schluss, den die oberste deutsche Strafverfolgungsbehörde zieht, die Verfahren folgenlos zu beenden, ist aber nicht zwingend. Denn wenn die Erkenntnislage bei den Angeklagten des Münchner NSU-Prozesses für eine Anklage ausgereicht haben soll, warum dann nicht bei diesen Beschuldigten? Unfreiwillig zieht die Anklagebehörde damit die Qualität ihrer damaligen Anklage vor dem Oberlandesgericht in München in Frage.

Das Eingeständnis von Bundesanwalt Weingarten, dass viele Fragen offenbleiben, und die Einstellungsverfügung jetzt könnte man zugespitzt sogar als die zwei Seiten derselben Medaille bezeichnen. Doch damit würde die mächtige zentrale Ermittlungsbehörde ihre Möglichkeiten verleugnen. Denn einer mangelhaften Erkenntnislage kann abgeholfen werden. Die BAW muss nur diejenigen Stellen befragen, die mehr wissen als sie. Das sind vor allem die Landeskriminalämter und die Verfassungsschutzämter.

In der Täter-Festlegungsfalle

So, wie es der zweite NSU-Untersuchungsausschuss in Bayern vorhat, bzw. wie es zumindest in seinem Auftrag steht – und zwar begründeterweise, denn eine ganze Reihe von Figuren aus dem NSU-Umfeld arbeitete für den Staatsschutz oder den Verfassungsschutz. Hinzu kommt: Wenn man davon ausgeht, dass Böhnhardt und Mundlos nicht die (alleinigen) Täter waren oder dass sie nicht die Haupttäter waren, dann sucht man, wenn man nur nach ihnen sucht, nicht immer an der richtigen Stelle.

Bestes Beispiel für diese tendenziöse Herangehensweise der Ermittler ist die Tat von Heilbronn, der Polizistenmord. Mehrere Zeugen haben kurz nach den Schüssen auf die Polizeistreife drei verschiedene flüchtende und blutverschmierte Männer gesehen. Weil die keinerlei Ähnlichkeit mit Böhnhardt und Mundlos hatten, wie sich aus den Phantombildern ergibt, sind diese blutverschmierten Männer für die BAW auch nicht die Täter gewesen. Auf die naheliegende Idee, dass dann Böhnhardt und Mundlos eben nicht die Täter waren, will die BAW nicht kommen. Die Ermittler sitzen in der Täter-Festlegungsfalle. Ein logischer Fehlschluss, der sich beim LKW-Anschlag von Berlin mit dem angeblichen Täter Amri wiederholte. Da die Spezialisten der Bundesanwaltschaft aber alles andere als naiv sind, ein „Fehlschluss“, der beabsichtigt ist.

Wenn man davon ausgeht, dass die Zeugen von Heilbronn tatsächlich die Mörder der Polizeibeamtin Kiesewetter gesehen haben, dann waren es andere als Böhnhardt und Mundlos. Dann müsste man nach jenen Personen fahnden. Doch genau dem verweigert sich die BAW. Dass dadurch ihre „Erkenntnislage“ hinsichtlich der neun Beschuldigten nicht besser wird, ist also keine Überraschung.

Eingestellt wurden die Verfahren von Thomas St. (heute Thomas M.), Jan W., Max-Florian B., Matthias D. und Mandy St.

Thomas St. war nicht nur Blood-and-Honour-Aktivist, sondern von November 2000 bis Ende 2011 V-Person des LKA Berlin. Möglicherweise stand er schon davor mit einer Sicherheitsbehörde in Kontakt. Er lieferte dem Jenaer Trio Sprengstoff und besorgte dessen ersten Unterschlupf in Chemnitz. Jan W. war eine zentrale Neonazi-Figur in Chemnitz, war in Waffenbeschaffungen involviert, wohnte auch in Baden-Württemberg und hielt sich zum Beispiel in Oberstenfeld auf, wohin das von Böhnhardt und Mundlos angemietete Wohnmobil nach dem Polizistenmord in Heilbronn fuhr. W. war möglicherweise Kontaktperson einer Sicherheitsbehörde. Die BAW vernichtete Unterlagen zu ihm. Den Namen Max-Florian B. benutzte Uwe Mundlos, um seine Identität zu verschleiern.

Matthias D. hatte die Wohnung in der Frühlingstraße in Zwickau angemietet, wo das Trio von April 2008 bis November 2011 unterkam, zu der D. einen Schlüssel hatte und wo er auch das Trio traf. Mandy S. lieh Beate Zschäpe ihren AOK-Ausweis, damit die zum Arzt gehen konnte. Eine ausgeraubte Postfiliale in Chemnitz lag direkt neben einem Friseurladen, in dem S. arbeitete. Sie wohnte auch in Nürnberg und sorgte mit für die Vernetzung der Neonazi-Szenen der beiden Städte. In Nürnberg begann die Mordserie nicht nur, sondern in der Stadt wurden auch drei der zehn Morde verübt.

Mandy S. ist deshalb eine der Personen, für die sich der neue Untersuchungsausschuss in Bayern interessiert. Er will unter anderem wissen, was die bayerischen Polizei- und Strafverfolgungsbehörden bzw. der bayerische Verfassungsschutz über sie und ihre Kontakte wusste. Ein Interesse, das die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ganz offensichtlich nicht teilt.

Offen sind noch die Ermittlungsverfahren gegen André K., eine führende Neonazi-Figur in Jena, gegen Hermann S. und Pierre J. sowie gegen Susann E., die Ehefrau von André E., jenem Angeklagten von München, der die geringste Strafe erhielt. Dass das Verfahren gegen die Frau trotzdem noch läuft, ist deshalb überraschend.

Auch das allgemeine Verfahren gegen „Unbekannt“ betreibt die BAW weiterhin. Bei ihm ist aber keine strafrechtliche Relevanz zu erkennen. Es scheint angelegt worden zu sein, um alle möglichen Hinweise oder Spuren im Zusammenhang mit „NSU“ endlagern zu können. Möglicherweise auch Hinweise auf Täter oder Mittäter, die aber nicht zu Böhnhardt oder Mundlos führen.

Dass die Bundesanwaltschaft die Verfahren über kurz oder lang einstellen wird, damit war schon lange gerechnet worden. Ein Prozess „NSU II“ sollte nach der wenig überzeugenden Vorstellung des ersten Prozesses vermieden werden. Es war eine Frage des Zeitpunkts. Während des Münchner Zschäpe-Prozesses ging das nicht, ebenso wenig während der Revisionsphase vor dem Bundesgerichtshof. Doch seit Dezember 2021 sind alle Münchner Urteile rechtskräftig.

Allerdings steht der NSU-Skandal in mehreren Parlamenten weiter auf der Tagesordnung. So in Mecklenburg-Vorpommern, wo der Untersuchungsausschuss 2022 fortgesetzt wurde. Im selben Jahr wurde – zu allem „Unglück“ – dann auch noch in Bayern nach fast zehn Jahren ein neuer NSU-Ausschuss eingerichtet. Deutlicher kann eigentlich nicht demonstriert werden, wie unaufgeklärt die Mordserie ist. Und selbst den Lübcke-U-Ausschuss in Hessen kann man in gewisser Weise in diese Reihe stellen. Denn vom Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten führen Spuren auch ins NSU-Biotop.

Dem zum Trotz hat sich die Bundesanwaltschaft nun getraut und mit dem Schlussstrich unter das so leidige NSU-Kapitel begonnen.

Aufklärung des NSU-Komplexes ist letztlich an der Politik gescheitert

Und zwar mit freundlicher Unterstützung eines ARD-Kollegen, der der erste Überbringer der Nachricht war und sie teilt. „Wer sich intensiver mit dem NSU und der Rolle dieser Personen befasst hat, mag das bedauerlich finden. Rechtlich überraschend ist es nicht, denn eine Anklage braucht nicht nur Vermutungen, so plausibel sie auch erscheinen. Sie braucht gerichtsfeste Beweise. Die haben BKA und Bundesanwaltschaft nicht gefunden“ – schreibt auf der Tagesschau-Webseite der SWR-„Terrorismusexperte“ Holger Schmidt.

Seine „intensive Befassung“ mit dem NSU bestand unter anderem einmal darin, dem LKA in Stuttgart zu verraten, dass ein SWR-Team einen Neonazi, der Kontakt zum NSU-Trio gehabt hatte und zugleich V-Mann des Verfassungsschutzes war, aufsuchen und befragen wollte. Der Mann verschwand daraufhin, die Befragung konnte nicht stattfinden. Wenn der SWR-Redakteur nun außerdem schreibt, dass es „nur noch eine Frage der Zeit“ sei, „bis auch die vier weiteren Beschuldigten ihre Einstellungsverfügung bekommen“, kann man das als Ermunterung für die BAW interpretieren, genau so zu handeln. Die Botschaft: Die ARD wird es nicht kritisieren.

Doch ob Einstellung der Verfahren mangels Beweisen oder um einen Schlussstrich zu ziehen – das ist streng genommen sowieso egal, denn inzwischen ist klar, dass die Aufklärung des NSU-Komplexes schlussendlich nicht etwa an den zuständigen Behörden gescheitert ist, die zum Beispiel ihre V-Personen schützen wollen. Tatsächlich ist sie an der Politik gescheitert. An den etablierten Parteien, die kein Interesse an schonungsloser Aufklärung haben.

Aktuell in Bayern zu beobachten, wo die Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler die Beweisanträge der Opposition für den NSU-Untersuchungsausschuss angreifen. Oder wie in Thüringen, wo eine rot-rot-grüne Koalition unter einem Linkspartei-Ministerpräsidenten den entsprechenden U-Ausschuss sabotierte und Unterlagen vorenthielt. Zum Ausgleich übt man sich dafür umso mehr in Anti-Rechtsterror-Rhetorik. Motto: Je weniger gehandelt wird, desto mehr wird geredet.

Die Politik könnte den NSU-Hintergrund aufklären. Zu welcher Macht sie fähig ist, hat sich in den letzten drei Jahren gezeigt. Die Politik verhindert die Aufklärung, weil sonst der Sicherheitsapparat ernsthaft in Frage gestellt werden könnte. Wie sehr der als Herrschaftsinstrument gebraucht wird, das haben die vergangenen drei Jahre ebenfalls gezeigt.

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3 Kommentare

  1. Und dies in Zeiten wo der Nazi- bzw. Rechtsextremismus Vorwurf generell als politische Waffe gegen Andersdenkende eingesetzt wird.

    Frei nach dem Motto der Regierungsparteien, und leider auch Teilen der Opposition: „Wer bei drei nicht auf dem Baum ist ist ein Rechtsdenker und Putinfan“

    Die echten Faschisten der AFD, NPD etc. Lachen sich ob dieser Verharmlosung ihrer menschenverachtenden Ideologie ins sprichwörtliche Faeustchen.

    Traurige Zeiten

    Gruß Bernie

  2. Nu, Herr Moser jetzt lese ich seit Jahren ihre Artikel,vorher auf TP und heuer hier.
    Ihre Arbeiten zu diesem Thema, aber auch andere Themenbereiche, sind m. E. sehr gut.
    Sie sind dem Anschein nach am Ort, im Gericht und gut vernetzt. Für mich als Leser ist solch ein Verfahren außerhalb der demokratischen Möglichkeiten und somit ein klares Indiz für Manipulationen von höherer Stelle.
    Der NSU Terror hat sehr vieles verändert, Exekutive / Legislative / Judikative und die Bürger im allgemeinen.
    Im Grunde möchte ich von einer systemischen Spaltung schreiben,was dieser Prozess auch mit beinhaltet,
    das da bloß keiner auf den Gedanken kommt man könnte ein „WIR halten Zusammen“ kommen.
    NSU und die Geopolotik, wie passt das zusammen? Eine journalistische Aufgabe!?

  3. Ach Herr Moser unermütlich auf der Suche nach Hintermännern.
    Ob bei Amri oder beim NSU.
    Die ja vielleicht mal gefunden werden wenn auch (nicht – wirklich) beim Staat.
    Da Zschäpe eine Frau ist ist auch gesichert das die Wahrheit nie rauskommt.

    Wissen sie was her Moser.
    Wenn ich mir ihre Arbeit so angucke die der Polizei der UAs
    und Gerichte als auch Staatsawaltschaften.
    Bezweifle ich auch die Anschläge
    von Mölln und Solingen.
    Vielleicht waren dies Psy-ops zum herstellen von common sense. Also Nazis auf Heroin sozusagen.
    Und auch wenn es mal wenn auch relativ selten zu Streitigkeiten in der multikulti Zionumma kommt die mit Todesopfern enden wird dies der Staat nicht unbedingt denen die schon länger hier sind auf die Nase binden wollen.

    Ja und auch wer weiss vielleicht waren die Viatnamesen die in Rostock angegriffen wurden als Spitzel in den Betrieben für die Bonzen bekannt und verhasst.

    Schönen Gruss auch an Fr. Brückner die ihr Geld tatsächlich damit verdient zu beschreiben wie abartig dieser Staat ist eventuell sogar wahrheitsgemäss.
    Soziale Marktwirtschaft in vollendung sozusagen.
    Parasitität höchsten Grades.

    In diesen Sinne
    “ In jeder Imbissbude ein Spion im ZK Agent aus Türkei “
    Und bedenken sie auch
    „“ Es wurden noch nicht alle Hintermänner aufgeleckt „“.

    Und danken sie mir das ihr Artikel auf diese Gesamtsumme vonnKommentaren kam.

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