Der Neue vom Planeten Magrathea

Angelobung von Bundesminister Martin Kocher (l.) durch den Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen. Bild: Dragan Tatic/BKA

Österreich hat einen neuen Arbeitsminister, der das Land wohl auf einen streng neoliberalen Kurs nach der Corona-Krise einschwören wird. Ins Amt kam er plötzlich, nach dem Rücktritt der ÖVP-Ministerin Christine Aschbacher. Die hatte einen Skandal ausgelöst, der seinesgleichen sucht.

Die Grenzen zwischen Politik und Kabarett sind in Österreich längst verschwommen und das Gebaren der Arbeits- und Familienministerin Aschbacher und ihrer Partei der ÖVP kann schnell zu nervösem Lachen reizen.

Die Ministerin hatte ihre Diplomarbeit bei der Universität Wiener Neustadt und ihre Promotion bei der Universität Bratislava eingereicht. Den Doktorratsstudiengang schloss sie erst im August 2020 ab, während sie bereits im Ministeramt war.

Diese Amtsauffassung der “Halbtagsminister” ist in Österreich üblich. Der österreichische Finanzminister Gernot Blümel war im Herbst zugleich ÖVP-Spitzenkandidat bei der Wiener Gemeinderatswahl – allzu viel scheint in den Ministerien wohl nicht zu tun zu sein. Man darf sich folglich ganz auf  die weiteren Karriereschritte konzentrieren.

 So entsteht ein “Flow”

 Der als “Plagiatsjäger” bekannte Medienwissenschaftler Stefan Weber hatte sich die aufopferungsvolle Mühe gemacht und die wissenschaftlichen Arbeiten der Frau Ministerin gelesen. Er musste feststellen, dass diese es in sich haben. Offenbar bestanden die Texte aus zusammengeschusterten, weitgehend sinnlosen Sätzen: “Jede Führungskraft muss sein, der positiv denkt Nehmen Sie Smart-Risiken und schnellen Ausfall an und geben Sie nicht auf – dranbleiben.” Der Satz “Annahmen sind wie Seepocken an der Seite eines Bootes; sie verlangsamen uns”  ist längst eine häufig gebrauchte Redewendung in Österreich. Sinn ergibt auch sie keinen.

Offenbar hatte nie jemand diese wissenschaftlichen Arbeiten gelesen, ein “sehr gut” gab es trotzdem dafür. Manches mag aus Übersetzungsprogrammen stammen, vieles (bis zu 21% des Textes) konnte Stefan Weber als nicht ausgewiesene Zitate belegen und damit als Plagiate.

Bezeichnenderweise gab es aber innerhalb der ÖVP keinerlei Entrüstung über den Betrug der Ministerin, sondern eher wohlmeinendes Verständnis. Bildungsminister Heinz Faßmann beispielsweise erinnerte sich an den bayrischen Karl-Theodor zu Guttenberg, den habe es laut Faßmann “auch hart erwischt”. Der Bildungsminister verortete das Problem also im “erwischen” und formulierte keine grundsätzliche Verurteilung wissenschaftlicher Fälschungen. Auch der steirische Landeshauptmann Herbert Schützenhöfer, der die Steirerin Aschbacher angeblich ins Kabinett reklamiert hatte, erkannte und verurteilte nicht den offensichtlichen Betrug. Schützenhofer meinte lediglich, der “Schutz der Familie” ginge vor, denn schließlich hätten die medialen Anfeindungen der Ministerin Aschbacher auch deren Familie zugesetzt.

Die enge Verquickung von Politik und Wirtschaft lässt sich hier gut ausmalen. Keiner der Beteiligten wäre so dumm und würde Christine Aschbachers wissenschaftliche Arbeiten lesen und daran ihre Kompetenz ermessen. Es geht vielmehr darum, dass Aschbacher gut vernetzt ist in der ÖVP. Seit Jahren betreibt sie die Agentur “Aschbacher Advisory” und kann hier ihren privilegierten Zugang zur großen Politik vermarkten.

Bundeskanzler Kurz kennt sie aus Zeiten der Schülerunion und sie arbeitete zuvor bereits bei verschiedenen ÖVP-Ministern. Das inhaltsleere Managementsprech mit dem Aschbacher einen “Flow” erzeugen will, war somit für ihren Erfolg sicherlich weniger relevant, als die guten Kontakte, die sie Wirtschaftstreibenden zur Bundesregierung herstellen kann.

Schnelle Lösungen

 Für Kanzler Sebastian Kurz kam diese hochnotpeinliche und äußerst lächerliche Affäre zur  Unzeit. Innerhalb von wenigen Stunden war die Ministerin, zu ihrem eigenen Schrecken, entlassen und ihre Ressorts wurden neu aufgeteilt. Weil Österreich mittlerweile über 500.000 Arbeitslose hat und sich 400.000 Menschen in Kurzarbeit befinden, kam der Aufgabe des Arbeitsministers das größte Augenmerk zu. Aschbachers Familien- und Jugendagenden wanderten kurzerhand ins Kanzleramtsministerium zu Susanne Raab und das nun isolierte Arbeitsministerium wurde dem Ökonomen Martin Kocher übergeben. Der ist übrigens kein Steirer, was sicherlich ein Affront gegen die starke steirische ÖVP darstellt – und er ist überraschenderweise kein ÖVP-Mitglied.

Wer hier den Willen zur Läuterung erkennen möchte, indem einmal nicht die parteiinternen Seilschaften bedient werden, übersieht, dass Kocher als Leiter des “Institut für Höhere Studien” (IHS) in Wien als sicherer Kantonist für die ÖVP gelten darf. Eine innenpolitische Pointe mag darin liegen, dass der von den eigenen Misserfolgen bedrängte österreichische Vizekanzler, der Grüne Werner Kogler, sich erst vor kurzem hinaus gewagt hatte und betonte, dass in der Krise die Neoliberalen jetzt einmal “Sendepause” haben. Weil aber Sebastian Kurz für die Programmwahl verantwortlich ist, erscheint bei Kogler nun mit Martin Kocher ein strammer Neoliberaler auf der Mattscheibe.

Als Vorstand des IHS genießt Martin Kocher große mediale Präsenz in Österreich. Er nutzt diese, um für den “schlanken Staat” zu werben, und hat sich mit dem energischen Eintreten dafür ein kantiges Profil gegeben, denn sonderlich in der Mode ist diese Sichtweise gerade nicht. Auch betont Kocher gerne, dass die Verschuldung gering gehalten werden müsse und die 80% Staatsverschuldungsquote in Österreich zu hoch sei. Allerdings kann er angesichts der durch die Pandemie verursachten Krise im Moment auch keine anderen Lösungen anbieten, als die Aufnahme weiterer Schulden.

In seinen ersten Auftritten als Minister hält er sich gerne bedeckt bei der Frage, wo er denn Einsparungspotential sähe. Vorsichtig zieht er die Karte “Föderalismus” und tatsächlich ist nicht leicht zu erklären, warum das kleine Burgenland mit seinen 290.000 Einwohnern eigene Bauverordnungsgesetze braucht. Nur, den Punkt hatten schon unzählige Minister vor ihm gemacht, Änderungen am Föderalismus gab es keine. Als Arbeitsminister holen Kocher nun seinen lobenden Worte für “Hartz IV” ein, dem er eine Beteiligung am deutschen Aufschwung zuschreibt, wenn er auch einschränkend anmerkt, dass Arbeitslosigkeit nicht nur durch Zwang zu bekämpfen seien.

 Ein Fan von Douglas Adams

 Kocher ist Verhaltensökonom und damit ein zuverlässiger Lieferant an unterhaltsamen Anekdoten. Die Verhaltensökonomie will mittels Experimenten einzelne Strategien von Wirtschaftstreibenden isolieren und damit Aussagen machen über ökonomische Prozesse. Dies erscheint zunächst sehr reizvoll und viele experimentelle Ergebnisse scheinen plausibel und gut nachvollziehbar. Die Experimente verraten aber chronisch wenig über die unausgesprochenen Voraussetzungen, die ihnen zugrunde liegen.

Grundsätzlich ist seit Pawlow bekannt, dass innerhalb eines Versuchsaufbaus nur Aussagen über Verhalten innerhalb eben dieses Versuchsaufbaus gemacht werden können. Viele Ergebnisse der experimentellen Verhaltensökonomie sind deswegen nach ihrem ersten pfiffigen Eindruck sehr enttäuschend, weil sie letztlich das spiegeln, was sich die Forscher bei der Konstruktion ihres Versuchsausbaus (reflektiert oder unreflektiert) gedacht haben. Sie ist somit immer eine Engführung menschlichen Handelns, die der Komplexität ökonomischen Verhaltens nicht gerecht wird. Zu ihrer Verteidigung darf eingewendet werden, dass dies wohl keinem ökonomischen Theoriegebäude gelingt.

Was aber sind die unausgesprochenen Grundannahmen, die Martin Kocher mit seiner experimentellen Verhaltensökonomie möglicherweise verschleiert? Einen Hinweis gibt er selbst. Auf Twitter schreibt Kocher unter dem Namen “MagratheanTimes” und verweist damit auf den Kosmos des britischen Satirikers Douglas Adams. Adams erfand den Planeten Magrathea, der einst der reichste Ort der Galaxie gewesen ist, weil die Bewohner für Reiche neue Planeten gebaut haben und dabei selbst reich wurden. Nach einem interstellaren Börsencrash verfielen die Bewohner in einen Winterschlaf, um auf die nächste Hausse zu warten. Da diese ausblieb, wurde der Planet zur Legende.

Das Programm des Ministers zeichnet sich somit klar ab. Der österreichische Immobilienmarkt wird angekurbelt und märchenhaften Reichtum über das Land bringen, nach einem sicherlich nur kurzen Winterschlaf, den Bären nun einmal halten müssen.

Zwei Dinge übersehen die Ökonomie-Experten Adams und Kocher hierbei: Erstens, der Immobilienmarkt ist längst nur mehr zur Absicherung da, das große Geld wird durch Finanzmarktprodukte gemacht und lässt sich mit diesen in weit entfernte Galaxien verfrachten. Zweitens, Österreich ist längst komplett zersiedelt, für weiteres Bauland müsste zunächst Österreich II auf einem neu gebauten Planeten errichtet werden und da sind die unüberwindlichen technischen und administrativen Probleme bereits vorprogrammiert.

Ähnliche Beiträge: