Der Krieg in der Ukraine stürzt Bulgarien in ein Dilemma

Ministerpräsident Kiril Petkov am 25. 2. in Brüssel schloss sich der europäischen Einheit an, dass Russland nicht ungestraft bleiben kann. Bild: gob.bg

Störfeuer des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine erfassen Bulgarien und kosten Verteidigungsminister Stefan Janev den Kopf

„Am Schipka ist alles ruhig”, so lautete während des Russisch-Türkischen Kriegs 1877/78 die abendliche Routinemeldung des diensthabenden Wachsoldaten an Tagen, an denen es am Schipka-Pass im bulgarischen Balkangebirge zu keinen Kampfhandlungen gekommen war. Als Bulgarien am 3. März 2022 nun den 144. Jahrestag der Befreiung des Landes von fast fünfhundert Jahren währender Osmanischer Fremdherrschaft gedachte, ging es beim Freiheitsdenkmal auf dem Schipka-Gipfel alles andere als ruhig und feierlich zu. Aktivisten der nationalistischen Parlamentspartei Vazrazhdane (Wiedergeburt) skandierten „Russland, Russland!“ und deckten Bulgariens Ministerpräsidenten Kiril Petkov bei seiner Rede mit einem Hagel aus Schneebällen ein.

Es war dies Störfeuer unter anderen, das seit Beginn des Ukrainekriegs das Balkanland Bulgarien erfasst hat. Am Vorabend des Nationalfeiertags stürmten Autofahrer plötzlich Tankstellen zu Hamsterkäufen von Treibstoff. Das erst seit zweieinhalb Monaten amtierende Kabinett Kiril Petkov beschuldigte die größte Oppositionspartei „Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens” (GERB) der Sabotage. Sie habe gezielt Fehlinformationen über Spritmangel aufgrund ausbleibender russischer Öllieferungen gestreut, um in der Bevölkerung Panik zu erzeugen. „Die Aussage, wir hätten Warteschlangen an Tankstellen verursacht, ist lächerlich und hilflos“, wies die frühere Außenministerin Ekaterina Sacharieva den Vorwurf zurück.

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der gegenseitigen Schuldzuweisungen ist das Thema Energie für die kaufkraftschwachen Bulgaren ein heikles. Die Energiewirtschaft des Balkanlandes ist stark abhängig von russischen Lieferungen von Nuklearbrennstäben, Gas und Öl. Auch aufgrund der historisch bedingten freundschaftlichen Beziehungen zu Russland haben es alle bulgarischen Regierungen in den vergangenen drei Jahrzehnten unterlassen, diese Abhängigkeit zu mindern. In der neuen geopolitischen Situation könnte sich dies nun rächen. Russland hat Bulgarien bereits auf seine Liste unfreundlicher Staaten gesetzt. Zuvor schmähte die russische Botschaft in Sofia ihr Gastgeberland als „euro-atlantischen Handlanger Washingtons“.

Gegenüber dem russischen Staatssender Rossiya24 differenzierte Russlands Botschafterin in Sofia Eleonora Mitrofanova, „das bulgarische Volk behandelt Russland  im allgemeinen sehr gut.  Wir haben hier viel Unterstützung, aber die Regierung ist absolut pro-amerikanisch“. Für Empörung sorgte sie mit ihrer über Facebook verbreiteten Videoansprache zum 3. März, in der sie die militärische Aggression ihres Landes gegen die Ukraine mit der Befreiung Bulgariens durch den Russisch-Türkischen Krieg verglich.

Bulgariens traditionelle Russland-Kritiker zumeist aus dem konservativen politischen Spektrum, in ihrer radikalen Ausprägung auch als Russophobe bezeichnet, werteten Mitrofanovas Aussagen als unvereinbar mit dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen und forderten ihre sofortige Ausweisung als persona non grata. Das bulgarische Außenministerium beließ es indes bei einer diplomatischen Note, in der es die russische Gesandte und ihre Botschaft aufforderte, „beleidigende Qualifikationen und Unterstellungen gegen die Republik Bulgarien und ihre Verbündeten“ zu unterlassen und sich für die „eindeutige Beleidigung” zu entschuldigen. Dies tat Eleonora Mitrofanova am vergangenen Sonntag bei einem Treffen mit Regierungschef Petkov.

„Russland hat Öl, Gas und Waffen und ähnelt faktisch einer Tankstelle mit Raketen“

Der Krieg in der Ukraine stürzt Bulgarien in ein Dilemma. Zum einen hegen viele Bulgaren noch immer Sympathie für Russland aus Dankbarkeit für dessen Verdienste um die Befreiung ihres Landes von den Osmanen. Andererseits leben in der Ukraine rund zweihunderttausend ethnische Bulgaren und Bulgarinnen vor allem in Bessarabien und in der Region Odessa. Eine Autofahrt von gerademal vier Stunden verbindet das nordostbulgarische Durankulak an der rumänischen Grenze mit der von Bulgaren im 19. Jahrhundert gegründeten Stadt Bolhrad im Donaudelta. Sie  ist noch heute mehrheitlich von Bulgaren besiedelt.

Sofort nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs erklärte die bulgarische Regierung ihre Bereitschaft, emigrationswillige Angehörige der bulgarischen Minderheit in der Ukraine aufzunehmen. Doch die Zahl bisher nach Bulgarien gekommener Flüchtlinge ist mit rund siebentausend im internationalen Vergleich gering.

Regierungschef Kiril Petkov sorgte mit seiner Beteuerung der bulgarischen Hilfsbereitschaft zudem für Irritationen nicht nur im eigenen Land, sondern gelangte mit ihr gar über den großen Teich in Trevor Noahs „The Daily Show“:  „Das sind nicht die Flüchtlinge, an die wir gewöhnt sind“, erklärte er und präzisierte: „Es sind Europäer, intelligente, gebildete Menschen, einige von ihnen sind Programmierer. Wir sind, wie alle anderen auch, bereit, sie aufzunehmen. Es handelt sich nicht um die übliche Flüchtlingswelle von Menschen mit unklarem Hintergrund. Keines der europäischen Länder macht sich Sorgen um sie.“ Auch arabische Medien zeigten sich verstört über die rassistischen Konnotationen seiner Erklärung.

Als der junge, in Harvard ausgebildete Betriebswirtschaftler Petkov im vergangenen Dezember das Amt des Ministerpräsidenten übernahm, hegten viele Bulgaren und Bulgarinnen die Hoffnung, er könne das Land zügig von seinen Grundübeln Korruption, Misswirtschaft und Machtmissbrauch befreien und auf den Weg funktionierender Demokratie und wirtschaftlicher Prosperität führen. Nun ist er mit seiner aus vier linken und rechten Parteien zusammengesetzten „Koalition des Wandels“ noch keine einhundert Tage im Amt, so scheint es vorschnell, bereits Bilanz zu ziehen und das Geleistete mit dem Versprochenen gegeneinander aufzuwiegen. Doch eines hat sich bereits gezeigt; galt Petkov ursprünglich als eloquenter als die meisten seiner politischen Konkurrenten, so passieren ihm häufiger als erwartet verbale Aussetzer bei Interviews und Ansprachen. Ende Februar sagte er: „Russland hat Öl, Gas und Waffen und ähnelt faktisch einer Tankstelle mit Raketen.“

Es entbehrt nicht gewisser Ironie, dass sich der rhetorisch herausgeforderte Premier veranlasst sah, seinen ersten Minister ausgerechnet wegen einer umstrittenen Äußerung zu entlassen. Unmittelbar nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine, verurteilte Verteidigungsminister Stefan Janev die „militärische Intervention der Russischen Föderation in der Ukraine”  zwar als „absolut inakzeptabel” und „eklatante Verletzung des Völkerrechts”, warnte auch vor „katastrophalen humanitären Folgen“ und dem „Verlust vieler Menschenleben”. Gleichzeitig aber wies er darauf hin, Putin vermeide das Wort „Krieg“ sorgfältig, so solle man nicht vorschnell „entscheiden, ob es sich um eine begrenzte Militäroperation oder eine Kriegssituation in der Ukraine handelt“.

Wahl des neuen Verteidigungsministers Dragomir Zakov. Bild: bg.gov

Indem sich Brigadegeneral Janev die euphemistische Diktion Vladimir Putins zu eigen machte, verfolgte er nach Einschätzung seines Regierungschefs Petkov eine im Ministerrat nicht abgesprochene „eigene Außenpolitik zum Krieg in der Ukraine“. Er musste zurücktreten. Die Suche nach seinem Nachfolger offenbarte, wie bedrohlich für das Kabinett Petkov das Ringen der Koalitionäre um richtige Positionen zum Krieg in der Ukraine werden kann.

So legte Vize-Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Kornelia Ninova von der postkommunistischen Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) ihr Veto gegen den vom Premier vorgeschlagenen Kandidaten für das Amt des Verteidigungsministers ein und drohte unverhohlen mit dem Ausstieg ihrer Partei aus der Regierung für den Fall, dass Petkov auf seiner Personalie beharre. In aller Eile musste ein alternativer Vorschlag gefunden und der Bulgarischen Volksversammlung zur Bestätigung vorgelegt werden.

Der neue Verteidigungsminister Dragomir Sakov war bisher Bulgariens Ständiger Vertreter bei der Nato in Brüssel. Von ihm wird erwartet, dass er sich nicht wie sein Amtsvorgänger Stefan Janev Natp-Plänen zur Stationierung zusätzlicher Streitkräfte in Bulgarien widersetzen wird. Unwahrscheinlich ist aber, dass Bulgarien unter seiner militärischen Führung dem Wunsch der Ukraine entsprechen und ihr Waffen und Kampfflugzeuge liefern wird.  Denn die Sozialisten wollen der Ukraine lediglich humanitäre, aber keine militärische Unterstützung zukommen lassen. Außerdem gilt Bulgariens Armee selber als mit veralteter Technik mangelhaft ausgerüstet.

In der Vergangenheit hat sich Bulgarien EU-Sanktionen gegen Russland wenn überhaupt oft nur widerwillig angeschlossen. Dies war im Falle des russischen Angriffs auf die Ukraine anders. Allerdings will Ministerpräsident Petkov nach dem Beispiel Deutschlands russische Lieferungen von Öl und Gas von einem von der Europäischen Kommission zu schmiedenden Sanktionspaket ausgenommen wissen. Seine Regierung werde keine für Bulgarien ungünstigen Sanktionen gegen Russland unterstützen, erklärte er Anfang der Woche im Parlament,  „Wir arbeiten mit der Europäischen Union zusammen, um die Maßnahmen so streng wie möglich zu gestalten, aber wir können es uns nicht leisten, Öl- und Gasimporte zu stoppen“, so Bulgariens Regierungschef. Für den Fall, dass Russland seine Energielieferungen nach Europa aussetze, würden „Optionen erörtert“.

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2 Kommentare

  1. da pflege ich doch meine Vorurteile und weiß dann, wen und was dieser Petkov darstellt: „der junge, in Harvard ausgebildete Betriebswirtschaftler Petkov“.

    Welcher Logik aber folgt der Autor, wenn er vermeint „Außerdem gilt Bulgariens Armee selber als mit veralteter Technik mangelhaft ausgerüstet.“ ?

    1. Wieso? Stimmt beides. Und das ein erfolgreicher Unternehmer auch ein guter Politiker sein muss, ist ja nicht automatisch. Im übrigen ist Frank Stier ein intimer Kenner der bulgarischen Verhältnisse.

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