Der Internationale Strafgerichtshof stellt Untersuchung über amerikanische Kriegsverbrechen in Afghanistan ein

ICC-Gebäude. Bild: OSeveno/CC BY-SA-4.0

Nach Sanktionen der Trump-Regierung wurde die Untersuchung schon einmal abgebrochen, dann wieder aufgenommen. Nach Übergabe an die afghanische Regierung hob Biden die Sanktionen auf. Jetzt nimmt der ICC die Untersuchung gegen die Taliban und den IS wieder auf, aber aus angeblichem Ressourcenmangel nicht gegen die Amerikaner.

2007 nahm der Internationale Strafgerichtshof (ICC) vorläufige Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen in Afghanistan auf, die nicht nur die Aufständischen, sondern auch die afghanischen Sicherheitskräfte und die ausländischen Truppen und Geheimdienste betrafen. Es ging um Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Folter, Beraubung der persönlichen Würde, extralegale Exekutionen, Angriffe auf Zivilisten und Tötungen von feindlichen Kämpfern.

Es dauerte 10 Jahre, bis die Staatsanwaltschaft des ICC das Gericht aufforderte, eine Ermittlung über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufzunehmen, die seit 2003 begangen wurden. Afghanistan ist 2003 dem Rom Statut und damit dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag beigetreten. Die USA hatten seinerzeit massiv versucht, den ICC zu verhindern, und Staaten unter Druck gesetzt, dem Rom Statut nicht beizutreten. Maßgeblich betrieben wurde die Kampagne gegen den ICC vom damaligen Staatssekretär John Bolton. Zudem wurde 2002 der „American Servicemembers‘ Protection Act“ verabschiedet, nach dem auch mit militärischer Gewalt gegen den ICC vorgegangen werden kann, um Amerikaner oder Bürger alliierter Staaten wie Israel zu befreien, die wegen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt wurden.

Dass Afghanistan dem Rom Statut beigetreten ist, dürfte Washington nicht gefallen haben, auch wenn man sich von der eingesetzten Übergangsregierung Straffreiheit für Soldaten und alle anderen Regierungsangehörigen zugesichert hatte. Vermutlich hat Washington hier den europäischen Partnern nachgegeben, wie man auch in anderen Fällen, wo es den eigenen Interessen entsprach, dem ICC freie Hand gewährte wie im sudanesischen Darfur, in Liberia oder in Uganda. Afrikanische Staaten wehrten sich denn auch dagegen, dass der ICC einseitig vor allem Kriegsverbrechen in Afrika verfolgte, aber nicht in Staaten auf anderen Kontinenten.

ICC-Chefanklägerin Fatou Bensouda. Bild: Stine Merethe Eid/CC BY-SA-4.0

Dass es 10 Jahre dauerte, bis die ICC-Chefanklägerin Fatou Bensouda, von 2012 bis Juni 2021 im Amt, den Antrag auf Einleitung von Ermittlungen einreichte, die auch US-Bürger betrafen, spricht dafür, dass man sich der politischen Lage klar war, aber auch eine Möglichkeit sah, damit dem Vorwurf der Einseitigkeit entgegenzutreten.  US-Soldaten und CIA-Genten wurde in Dutzenden von Fällen vorgeworfen, Festgenommene gefoltert, grausam behandelt, entwürdigt und vergewaltigt zu haben. Bei den CIA-Agenten erstreckte sich die Anklage nicht auf Afghanistan, sondern auch auf Polen, Rumänien und Litauen, wo der US-Geheimdienst Menschen in Geheimgefängnissen (black sites) verschleppt und inhaftiert hatte.

Man wartete mit dem Antrag vermutlich, bis Barack Obama abgetreten war, um dann womöglich mit dem fast allseits abgelehnten neuen US-Präsidenten Donald Trump leichteres internationales Spiel zu haben. Gleich fuhr allerdings Washington dazwischen und drohte mit Konsequenzen. 2018, inzwischen war ein Bericht über 699 Opfer vorgelegt worden, schaltete man noch einmal hoch, Bolton, die Nemesis des ICC, war zum Präsidentenberater geworden. „Die USA werden alle notwendigen Mittel einsetzen, um unsere Bürger und diejenigen unserer Alliierten vor ungerechter Verfolgung durch dieses illegitime Gericht zu schützen“, zürnte Bolton. Man werde „mit allen Mitteln“ gegen den ICC vorgehen, sollte dieser Ermittlungen aufnehmen. Auch Mike Pompeo wartete mit Drohungen auf. Die mündeten 2019 darin, dass der Chefanklägerin und ICC-Mitarbeitern das Einreisevisum entzogen wurde.

Im April 2019 lehnte die zweite Kammer die Aufnahme von Ermittlungen mit der Begründung ab, dass eine Anklage, obgleich der Bericht von Bensouda eine solche rechtfertigen würde, keinen Sinn mache. Die Vorfälle würden schon zu lange zurückliegen, die Situation in Afghanistan habe sich verändert, die Chefanklägerin habe kaum Kooperation erfahren, was noch schlimmer würde, wenn eine Anklage erhoben würde. Der ICC müsse seine Ressourcen einteilen und sich auf Fälle konzentrieren mit größeren Erfolgsaussichten. Das Urteil glich einer Bankrotterklärung des gegenüber Washington einknickenden ICC. Bensouda legte Widerspruch ein, am 5. April 2020 wurde von der ICC-Appellationskammer diesem stattgegeben, so dass eine Vorermittlung eingeleitet werden konnte. Daraufhin erließ Donald Trump eine executive order, um das Eigentum von ICC-Mitarbeitern in den USA zu sperren und gegen diese Einreiseverbote zu verhängen. Im April 2021 hob Joe Biden die von Trump erlassene Anordnung und damit die Sanktionen gegen ICC-Mitarbeiter wieder auf.

Kriegsverbrechen der Amerikaner und der afghanischen Sicherheitskräfte werden mit fragwürdiger Begründung ausgeklammert

Dem war im März die Forderung der damaligen afghanischen Regierung zuvor gekommen, die Untersuchung der Vorgänge in den USA den afghanischen Behörden zu übertragen. Der ICC hatte daraufhin die Untersuchung aufgeschoben, um in Gespräche einzutreten, diese gemeinsam weiterzutreiben. Aber dann kam die Machtübernahme der Taliban. Am 27. September erklärte der neue Chefankläger Karim A. A. Khan, dass nun eine wirkliche Untersuchung von Kriegsverbrechen durch staatliche Behörden nicht mehr zu erwarten sei. Daher sollen zwar Ermittlungen über die in Afghanistan begangenen Kriegsverbrechen wieder aufgenommen werden, allerdings sollen die der Amerikaner und der afghanischen Sicherheitskräfte außen vorbleiben und nur die von den Taliban und dem Islamischen Staat begangenen Verbrechen untersucht werden. Man müsse, so die Begründung von Khan, der sechs Monate im Amt ist, die Klagen gegen die Amerikaner und afghanischen Sicherheitskräfte aufgrund Ressourcenmangels „depriorisieren“ und sich dafür auf die Verbrechen in der Jurisdiktion des Gerichts konzentrieren.

Laut und vage wird gesagt: „Mein Amt wird seiner Verantwortung für die Beweissicherung, soweit sie sich ergibt, weiterhin gerecht werden und die Bemühungen um Rechenschaftspflicht im Rahmen des Grundsatzes der Komplementarität fördern.“ Und zynisch wird argumentiert: „Unabhängig von den Ressourcen sollten alle Konfliktparteien und alle Akteure keinen Zweifel daran haben, dass es sowohl nach dem Römischen Statut als auch nach dem Völkergewohnheitsrecht keine Verjährungsfrist für Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit gibt.“ Man wird allerdings davon ausgehen können, dass es Ausnahmen gibt, die keine Verfolgung fürchten muss.

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Ein Kommentar

  1. Nils Melzer, was sagt der dazu?

    Afghanistan ist nur eine Facette:
    Erst neulich fand sich auf Telegram Melzer´s Bitte, dokumentierte Fälle von Polizeigewalt in Deutschland einzureichen. Diese vergammeln jetzt wohl in den Schubladen der jeweiligen Behörden.
    Wie mir vor Jahren zugetragen wurde, sind Übergriffe von GI´s im Nachkriegsdeutschland mit Zahlungen an die Opfer bis an die 10000DM kompensiert worden.
    Auch in Kolumbien wurden begangene Straftaten des US-Militärs nicht gesühnt: die Täter wurden sogleich ausgeflogen und die wütenden Eltern einer überfahrenen oder vergewaltigten Tochter blieben zurück.

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