Der geplünderte Süden: „Arme Länder entwickeln die reichen Länder, nicht umgekehrt“

Bild: Marco Verch/CC BY-2.0

Ungleicher Handel zugunsten der reichen Länder führt zu einem gewaltigen Abfluss an Vermögen in Form von Rohmaterialien und billiger Arbeit aus den Ländern des globalen Südens, wodurch die Ungleichheit immer größer wird

Der Wirtschaftsanthropologe Jason Hickel, der politische Ökonom Dylan Sullivan und der Datenwissenschaftler Huzaifa Zoomkawala haben in der Zeitschrift New Political Economy eine interessante Studie über die globale Ungleichheit veröffentlicht. Die Industrieländer, so ihr Ergebnis, hätten von 1960 bis 2018 insgesamt 152 Billionen US-Dollar durch ungleichen Handel abgezogen, preisbereinigt wären es 62 Billionen. Der Reichtum der Industrieländer würde damit zu einem guten Teil vom Globalen Süden finanziert und kann als Entwicklungshilfe gelten.

 

Die USA, Europa, Kanada, Australien, Neuseeland, Südkorea und Japan haben sich 2017  nach ihnen 2,2 Billionen US-Dollar von Entwicklungsländern in Afrika, Asien und Lateinamerika angeeignet – in Form von Rohmaterialien und Arbeit. Damit könnte man die extreme Armut 15-mal beenden können. Zwar ist die Kolonialzeit mit der direkten Ausbeutung zu Ende, aber die Strukturen wirken nach: „Reiche Ländern beruhen weiter auf imperialen Ausbeutungsformen, um ihre hohen Einkommens- und Konsumlevel aufrechtzuerhalten.“ Der Imperialismus habe nicht wirklich aufgehört, sondern nur die Form verändert. Der Trend habe sich in den 1980er und 1990er Jahren mit der Durchsetzung der neoliberalen Politik verstärkt. Dazu hat maßgeblich der Internationale Wahrhungsfonds (IWF) beigetragen.

Nach den Autoren wird die koloniale Ausbeutung durch ungleiche Handelsströme ersetzt. Die reichen Länder, die Rohstoffe und die durch Arbeit und Landressourcen hergestellten Produkte importieren, erzielen einen Handelsüberschuss, während die armen Länder mit einem Handelsdefizit konfrontiert sind, wenn sie ihrerseits Waren aus den reichen Ländern importieren. Das belegen auch andere Studien. Die Rechnung ist nach den Autoren ganz einfach: Die Preise sind in den armen Ländern einfach niedriger, die Löhne betragen durchschnittlich nur ein Fünftel dessen, was Menschen in den Industrieländern verdienen. Die Preise werden auch durch Patente und Abkommen wie TRIPS hoch gehalten, die Industrieländer halten 97 Prozent der Patente.

Auch wegen der höheren Löhne sind die Produkte der Industrieländer teurer. 2015 habe die Nettoaneignung der reichen Länder von Rohstoffen 10,1 Milliarden Tonnen (die Hälfte des Verbrauchs in den reichen Ländern) und von 182 Millionen Personenjahre (28% des Verbrauchs) aus den Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen. Das schließt auch Produkte wie Smartphones, Chips, Autos, Kleidung und andere Hightech-Produkte ein, die in Industrien, die in ärmere Länder verlagert wurden, mit Techniken aus den reichen Ländern hergestellt werden. Die armen Länder, die durch den ungleichen Handel abhängig sind, konkurrieren untereinander durch Preisdumping und niedrige Löhne, die reichen Länder halten diese auch niedrig, indem sie massenhafte Zuwanderung verhindern, die langfristig einen Ausgleich bewirken würde.

Die Aneignung des Reichtums aus den armen Ländern, übersteige die Entwicklungshilfe bei weitem. Für jeden Dollar an Entwicklungshilfe fließen 14 Dollar durch den ungleichen Handel ab, andere Verluste noch gar nicht eingerechnet. Und die Gewinne aus dem Globalen Süden haben in den letzten Jahrzehnten überdies die Wirtschaftswachstumsrate hinter sich gelassen: „Der Diskurs über die Entwicklungshilfe verbirgt eine dunklere Wirklichkeit der Plünderung. Arme Länder entwickeln die reichen Länder, nicht umgekehrt.“ Die Autoren sprechen von einer Monopolmacht des Nordens, der sich auch darin zeigt, dass die reichen Ländern Organisationen wie die WTO, die Weltbank oder den IWF kontrollieren. Am meisten profitiert haben die USA, gefolgt von Japan, Deutschland, Hongkong, die Niederlande, Südkorea, Großbritannien, Australien, Frankreich und Italien.

Es gäbe politische Lösungen für das Problem des ungleichen Handels, haben die Autoren in einem Beitrag für Al Jazeera vorgeschlagen. So sollten die „Institutionen der globalen ökonomischen Regulierung demokratisiert werden, um die armen Ländern fairer an der Festsetzung der Handels- und Finanzbedingungen zu beteiligen“. Man könne armen Ländern erlauben, Zölle, Subventionen und andere Schutzmaßnahmen einzuführen, um einen souveränen Wirtschaftsraum aufzubauen. Ein globaler Mindestlohn würde natürlich auch helfen, ebenso wie Umweltregulierungen mit Mindestpreisen für Arbeit und Ressourcen. Aber das erscheint gegenwärtig völlig utopisch.

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