Bonner Wissenschaftler vom LIMES-Institut wollen herausgefunden haben, warum uns Essen schmeckt – und warum manche einfach nicht mit dem Essen aufhören wollen. Das Hauptvergnügen soll nicht daran liegen, dass etwas lecker aussieht, schmackhaft riecht oder einen guten Geschmack hat oder dass wir Hunger verspüren, das triggert nur die Nahrungsaufnahme, sondern schlicht an der Mechanik des Zerkauens und dann Schluckens: Schlucken macht glücklich! Oder wie es in der Pressemitteilung der Uni heißt: „Nach dem Schlucken kommt das Hochgefühl.“
Das sagen die Wissenschaftler natürlich nicht so, heben aber die Bedeutung des Schluckens gebührend hervor: „Der scheinbar einfache Akt des Schluckens ist wohl die wichtigste Entscheidung, die ein Tier zu treffen hat. Das motorische System, das dem Schlucken zugrunde liegt, ist der ultimative ‚letzte gemeinsame Weg‘ für das Fressverhalten, da dies die irreversible Handlung ist, bei der die Nahrung in den Körper aufgenommen wird.“
Für ihre Studie “Serotonergic modulation of swallowing in a complete fly vagus nerve connectome”, die in Current Biology erschienen ist, haben die Wissenschaftler freilich nicht Menschen untersucht, sondern Fliegenlarven. Sie vermuten also nur, dass beim Menschen ein ähnlicher Vorgang abläuft. Bei Fruchtfliegen wurde gerade das gesamte, allerdings nur stecknadelgroße Gehirn mit allen 140.000 Neuronen und ihren Verbindungen, das sogenannte Connectom, kartiert.
Drosophila-Fliegenlarven sind leichter zu durchschauen, sie haben nur 10.000 – 15.000 Neuronen in ihrem Gehirn – also deutlich weniger als 100 Milliarden in einem menschlichen Gehirn. Um alle Neuronen und ihre Verbindungen zu kartieren, haben sie die Larven in hauchdünne Scheiben geschnitten, unter dem Elektronenmikroskop fotografiert und dann mit Computern zu dreidimensionalen Bildern auf der Ebene von einzelnen Zellen und Synapsen zusammengesetzt.
Was das Fressen angeht, weist ihre Speiseröhre besondere Sensoren auf, die die Dehnung erfassen. Wenn etwas durch die Speiseröhre geschluckt wird, gehen diese offenbar wohligen Dehnungs-Signale über den Vagusnerv an nur 6 Neuronen im Gehirn, die daraufhin Serotonin ausschütten. Der Neuromodulator dient als Belohnungsmechanismus, der etwa dafür sorgt, dass Aktivitäten verstärkt und fortgesetzt werden. In dem Fall werden die motorischen Neuronen, die die Ringmuskeln der Speiseröhre steuern, aktiviert.
„Wir haben eine Rückkopplungsschleife zwischen Darm und Gehirn identifiziert“, schreiben die Wissenschaftler, “in der mechanosensorische Neuronen mit Piezo-Expression in der Speiseröhre Informationen über die Nahrungspassage an eine Gruppe von sechs serotonergen Neuronen im Gehirn weiterleiten. Zusammen mit der Information über den Wert der Nahrung verstärken diese zentralen serotonergen Neuronen die Aktivität der den Serotoninrezeptor-7 exprimierenden motorischen Neuronen, die das Schlucken steuern.“
Die sensorischen Neuronen an der Speiserühre sind mit anderen Neuronen verbinden, die aktuelle und gespeicherte Informationen über die Beschaffenheit des Futters liefern. Dabei spielen vermutlich Geschmack, Aussehen, Nahrhaftigkeit, Konsistenz etc. eine Rolle. Wenn alles passt, werden die Muskeln zum Schlucken aktiviert und wird Serotonin im Gehirn ausgeschüttet. Das ist alles nicht unkompliziert: „In dem Schluckkreislauf der Fliege ist der motorische Kreislauf direkt mit einem mechanosensorischen System verbunden, das an ein serotonerges Belohnungssystem gekoppelt ist, das das motorische Muster des Schluckens verstärkt.“
Die Wissenschaftler vermuten – oder müssen vermuten -, dass der Schluckkreislauf beim Menschen ähnlich abläuft. Das ist freilich noch nicht bekannt. Unterschieden wurde aber auch nicht, ob feste oder flüssige Nahrung zu sich genommen wird. Und sind diejenigen, die zu viel essen, besonders schlucksensibel, weil mehr Serotonin dabei ausgeschüttet wird? Auf jeden Fall: Erst beim Schlucken wird alles gut, wenn es nicht um eine Kröte oder eine bittere Pille handelt. Dann ist man kein genussvoller, sondern ein armer Schlucker.
Ich mag Herrn Rötzer. Schön, dass er hier mal Grundsätzliches für unser Überleben darlegt, etwas welches nicht mit der bevorstehenden Komplettzerstörung, mindestens der Demokratie, im Zusammenhang steht. Vielleicht entgeht mir aufgrund meines IQ’s auch der nähere Sinn, oder es soll die Pointe am Ende sein. Schlucken tue ich täglich, auch ohne Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr, und, es macht nicht glücklich. Aber ich mag ihn trotzdem, er jongliert sich durch Kurven.
Ich lassen mich gerne mit Erkenntnissen über winzigster Organismen, die dann womöglich noch fliegen können, wie die Minierfliege, überraschen und staune gerne über die hochgradige Effektivität auf kleinstem Raum.
Schon Einzeller haben Regel-Automatismen eingebaut, damit sie sich in Bewegung setzen um zu fressen oder vor Gefahren zu flüchten.
Verglichen mit beispielsweise der Verpuppung von Insektenlarven, deren grundlegenden Umformung des Erscheinungsbilds und dann dem Schlüpfen als fortpflanzungsfähiges Lebewesen wie Schmetterling oder Libelle sieht das kontinuierliche Wachsen einer Eizelle bis zum Embryos und schließlich seine Geburt vergleichsweise läppisch aus. Ist es aber natürlich nicht.
Sehr interessant, was Wissenschaft mit Geldern bahnbrechendes leistet. Direkt eines “Nobelpreises” würdig.
Passt perfekt zu:
“In der ausgezeichneten Studie aus dem Jahr 2021 konnten Ryo Okabe und sein Team zeigen, dass auch Säugetiere – der Mensch eingeschlossen – unter bestimmten Voraussetzungen zur Darmatmung fähig sind.”
https://www.nationalgeographic.de/photography/2024/09/galerie-der-ig-nobelpreis-2024?image=freestocks-nss2erzqwgw-unsplash
OT hebt den Feuilleton auf ein ganz neues Niveau. 👍
“In der ausgezeichneten Studie aus dem Jahr 2021 konnten Ryo Okabe und sein Team zeigen, dass auch Säugetiere – der Mensch eingeschlossen – unter bestimmten Voraussetzungen zur Darmatmung fähig sind.”
Man spricht dabei auch vom Morbus Monika Gruberus…
🙂
👍👍
eine gewisse Alice W. * soll sogar sogenannte Analatmung unter Wasser beherrschen.
(*Name von der Red. geändert)
Sachen gibts ?!?!? 😱😱
Kann man das Üben? Wäre beim Tauchen doch eine wunderbare Sache.
Wundern würde es mich nicht. Bei der anderen essentiell überlebensnotwendigen “Tätigkeit” gibt es ja auch einen biologischen Belohnungsmechanismus – beim Sex nämlich.
Wobei beim Sex der überlebensnotwendige Teil leicht auszutricksen ist.
Wenn man das beim Essen auch so einfach ging, würde das Durchschnittsgewicht schnell drastisch sinken.
Das fällt einem am ehesten dann auf, wenn man Schluckweh hat und sich vor den in Piezo-Expressionen exprimierten Glücksgefühlen kaum mehr retten kann.
Con·te·nance
/kõtəˈnãːs/
Substantiv, feminin [die]bildungssprachlich
Fassung, Haltung (in einer schwierigen Lage)
“die Contenance wahren”
Genau diese musste ich beim Lesen wahren, um keine unangemessenen Beiträge zu hinterlassen, die mir vom Großteil der Foristen hier eine handfeste Lynchjustiz einbringen würde……..🤣🤣🤣🤣🤣
An den Autor
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. 👍👍
Tu dir keinen Zwang an, du bist Anonym.
Ohne Meute mit Fackeln und Mistgabeln im Rücken macht es auch keinen Spaß…..🤣🤣🤣🤣🤣
Was sehr dafür spricht ist, dass man Essen runterschlingen kann und trotzdem das Gefühl hat, es hat geschmeckt.
eine Fliege macht noch keinen Schluckauf.
Gibt es auch einen rektalen Schluckauf?
Wissenschaftlich hat jetzt auch der folgende Satz einen Sinn:
Die Darmatmung funktioniert genau dann, wenn die Lunge im Arsch ist.
Es wird vielleicht bald einen Ernährungswissenschaftler geben, der Freiwillige sucht für ein Experiment unter der Fragestellung: Müssen Serotoningaben durch Brot und Fett ergänzt werden?
Seit ich vor kurzem damit konfrontiert wurde, dass meine Entscheidung, mich nicht gegen einen winterlichen viralen Infekt impfen zu lassen, der Ausdruck einer rechten, wissenschaftsfeindlichen Gesinnung sei, halte ich in Bälde die Ersetzung von Essen durch Serotoningaben durchaus für möglich, wenn nicht sogar wahrscheinlich. Glücklich “weniger” zu werden wäre doch eine menschenfreundliche Lösung für mindestens 3 Menschengruppen. Die “Alles für die Gesundheit”-Fraktion, für Malthusianer und Rassisten. Aber wehe einer kifft!