Der amerikanische Informationskrieg

Außenminister Blinken vor dem UN-Sicherheitsausschuss, die strategische Kommunikation überdrehend: „the attack is planned to begin. Russian missiles and bombs will drop across Ukraine. Communications will be jammed. Cyberattacks will shut down key Ukrainian institutions. After that, Russian tanks and soldiers will advance on key targets that have already been identified and mapped out in detailed plans. We believe these targets include Russia’s capital –Ukraine’s capital, Kyiv, a city of 2.8 million people.“

Unermüdlich kommt aus Washington die Warnung, dass Russland gleich oder demnächst die Ukraine angreift, auch wenn Vorhersagen nicht zutreffen. Was soll das?

 

Die USA praktizieren wieder wie schon zum Irakkrieg einen hybriden Krieg mit der Verlegung von Truppen und schwerem Gerät, der Lieferung von Waffen und ausgeprägten Informationsoffensiven, die mit einem Dauerfeuer vor einem jederzeit anstehenden Krieg warnen. Dies auch ungeachtet dessen, dass aus der Ukraine, die man angeblich schützen will, ganz andere Töne kommen.

So sagte der ukrainische Verteidigungsminister Alexei Reznikov in einem Interview, die westlichen Medien würden ihre eigenen Ziele verfolgen, wenn sie angebliche Zeitpunkte für einen russischen Angriff veröffentlichten. Die Informationen kommen allerdings auch direkt aus dem Weißen Haus. Reznikov sagte, die ukrainischen Sicherheitskräfte würden die Lage an der Grenze genau überwachen und sich mit anderen Partnern abstimmen. Die Fakten seien dieselben: „Aber Einschätzungen, Annahmen, Hypothesen und Versionen werden sehr unterschiedlich zusammengestellt. Und sie hängen sehr stark von der Agenda des Landes ab, aus dem diese Informationsveröffentlichung tatsächlich stammt. Es gibt keine einheitliche Erklärung, jeder hat seine eigene Agenda und seine Ziele.“

Das ist eigentlich eine ziemlich deutliche Absage der praktizierten amerikanischen Informationskampagne, die auch dann, wenn eine Vorhersage nicht erfüllt, gleich die nächsten nachschiebt, um die Gefährdungslage hochzuhalten, aber gleichzeitig so zu tun, als würde man dialogbereit sein, was Russland nur annehmen müsste. Tatsächlich sind die bislang vorgebrachten Verhandlungsangebote an Russland zwar wichtige Bausteine einer Konfliktvermeidung, aber auf die Kernforderungen Russlands nach einer neuen Sicherheitsarchitektur wurde schlicht nicht eingegangen.

Das sind natürlich wie beim Feilschen auf dem Markt Maximalforderungen, aber auf sie gar nicht einzugehen, ist eigentlich eine Gesprächsverweigerung. In der Antwort auf die Antwort der USA auf den russischen Entwurf eines Abkommens heißt es lapidar: „Wir stellen fest, dass die US-Seite keinen konstruktiven Beitrag zur Antwort auf die grundlegenden Elemente des von der russischen Seite ausgearbeiteten Entwurfs eines Vertrags über Sicherheitsgarantien mit den Vereinigten Staaten gemacht hat.“ Der „Paketcharakter“ der Sicherheitsforderungen  werde ignoriert, vorgeschlagen würden Themen, die letztlich „Vorteile für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten“ schaffen sollen und zu einer neuen Nato-Russland-Grundakte. Russland droht wie schon länger mit „militärisch-technischen Maßnehmen“, aber ausdrücklich nicht mit einem Angriff auf die Ukraine. In der Hinterhand hat man allerdings den Beschluss der Duma, die zwei separatistischen „Volksrepubliken“ anzuerkennen, in denen mittlerweile hunderttausende Ukrainer wohnen, die sich einen russischen Pass gesichert haben und daher auch russische Bürger sind, denen man, wenn ein „Genozid“ droht, wie Putin shcon mehrmals sagte, auch zu Hilfe eilen müsste.

Man wird sehen, ob sich das verändert, wenn Moskau die militärische Kooperation mit Venezueala ausbaut – zur „Verteidigung des Friedens, der Souveränität und der territorialen Integrität“, wie Präsident Nicolas Maduro am Mittwoch sagte. Man  hört heraus, dass hier spiegelbildlich zur Rhetorik der USA/Nato gearbeitet wird.

Präsident Biden sagte gestern, Russland plane, in den nächsten Tagen in die Ukraine einzumarschieren, und suche, einen Vorwand dafür zu schaffen: „Sie haben keine ihrer Truppen abgezogen.  Sie haben mehr Truppen verlegt, Nummer eins.  Zweitens haben wir Grund zu der Annahme, dass sie an einer Operation unter falscher Flagge beteiligt sind, um einen Vorwand zu haben, in die Ukraine einzudringen.  Alles deutet darauf hin, dass sie bereit sind, in die Ukraine einzumarschieren und die Ukraine anzugreifen.“ Die Pressesprecherin Jen Psaki hatte gleiches verlautbaren lassen: „Wir befinden uns in einem Zeitfenster, in dem wir glauben, dass es jederzeit zu einem Angriff kommen könnte, dem ein erfundener Vorwand vorausgehen würde, den die Russen als Vorwand für eine Invasion nutzen.“

Ein Sprecher des Weißen Hauses hatte am Tag zuvor während einer Telepressekonferenz  erklärt, dass Russland keine Truppen abgezogen habe, die Truppenstärke sei mit 7000 Soldaten erhöht worden:

„Die Russen haben in den letzten Tagen auch erklärt, dass sie zu diplomatischen Gesprächen bereit sind, wie wir und unsere Verbündeten sie wiederholt angeboten haben.  Aber alles deutet darauf hin, dass sie nur öffentlich Gespräche anbieten und eine Deeskalation ankündigen, während sie im Geheimen für einen Krieg mobil machen.  Wir erhalten weiterhin Hinweise darauf, dass sie jederzeit einen falschen Vorwand vorbringen könnten, um eine Invasion in der Ukraine zu rechtfertigen.  Dieser falsche Vorwand könnte verschiedene Formen annehmen: eine Provokation im Donbass; eine Behauptung über Nato-Aktivitäten zu Lande, zu Wasser oder in der Luft; ein Eindringen in russisches Gebiet. „

Betont wird, dass die Sprecher des Weißen Hauses nicht namentlich genannt werden dürfen, sie müssen als „senior administration officials“ bezeichnet werden. Klar wird, dass der Besuch der amerikanischen Delegation unter Leitung der Vizepräsidentin Kamala Harris den Zweck hat, die antirussische Koalition der „transatlantischen Gemeinschaft“ zu stärken. Es gehe um Einheit gegen die russische Aggressivität, eine Einheit, die selbstverständlich den Interessen der USA dient.

Man muss nicht alle Behauptungen der amerikanischen Informationskampagne zitieren, sie gleichen einander, weil sie natürlich koordiniert sind. Mittlerweile kommt man ohne Verweise auf Geheimdienstberichte aus und stellt nur noch Behauptung in den Raum. Das wird als schlaue Strategie bezeichnet, um die russische Desinformationskampagne auflaufen zu lassen, gegen die man bislang nichts in der Hand hatte.

Außenminister Blinken führte gestern ebenfalls einige Möglichkeiten aus, wie Russland etwas inszenieren könnte: „Es könnte sich um einen fingierten sogenannten terroristischen Bombenanschlag innerhalb Russlands, die erfundene Entdeckung eines Massengrabs, einen inszenierten Drohnenangriff auf Zivilisten oder einen gefälschten – oder sogar echten – Angriff mit chemischen Waffen handeln. Russland könnte dieses Ereignis als ethnische Säuberung oder als Völkermord bezeichnen.“

Und weiter in seiner Rede vor dem UN-Sicherheitsrat:

„In den vergangenen Monaten hat Russland ohne Provokation oder Rechtfertigung mehr als 150.000 Soldaten an den Grenzen der Ukraine, in Russland, Weißrussland und auf der besetzten Krim zusammengezogen. Russland sagt, es ziehe diese Truppen zurück. Wir sehen nicht, dass dies vor Ort geschieht. Unsere Informationen deuten eindeutig darauf hin, dass diese Kräfte – einschließlich Bodentruppen, Flugzeugen und Schiffen – sich darauf vorbereiten, in den kommenden Tagen einen Angriff auf die Ukraine zu starten. Wir wissen nicht genau, wie sich die Dinge entwickeln werden, aber das ist es, was die Welt erwarten kann. In der Tat, es entfaltet sich gerade jetzt, heute, da Russland Schritte auf dem Weg zum Krieg unternimmt und erneut mit militärischen Maßnahmen droht.“

All das und vieles mehr könnten russische Geheimdienstagenten oder solche der „Volksrepubliken“ natürlich inszenieren, aber dies immer wieder zu betonen, lässt auch den Verdacht entstehen, dass Washington eine solche False-Flag-Aktion inszenieren könnte, um Russland in die Falle zu locken und dann mit großer transatlantischer Einheit endlich die weiteren Sanktionen verhängen zu können. Benutzen könnte man ukrainische Geheimdienstagenten, Soldaten oder Nationalgardisten, um Provokationen auszuführen, die zu einer Eskalation führen, während natürlich auch die „Volksrepubliken“ Aktionen ausführen könnten, um einen ukrainischen Angriff auszulösen, der wiederum Russland unter Druck setzen würde, militärisch einzugreifen. Der Schlagabtausch gestern zwischen ukrainischen Truppen und Milizen der „Volksrepublik Lugansk“ könnte so eine Versuch gewesen sein. Man beschuldigte jeweils die andere Seite, angefangen zu haben, Wohngebiete zu beschießen.

Der ukrainische Präsident Selenskij gestern an der Front. Bild: president.gov.ua

Es wird gerne im Westen argumentiert, dass der Kreml bzw. Putin aus innenpolitischen Gründen den Konflikt eskalieren würde.  Das könnte aber auch sehr viel stärker für Washington zutreffen. Die Zustimmung zu  Joe Biden ist auf 41% abgesackt. Nur 15% sehen seine Arbeit als Präsident sehr gut, 41% sehen sie sehr negativ. Viele Amerikaner sagen, Biden habe bislang nichts erreicht. Die Inflation macht Lohnzuwächse  zunichte und führt dazu, dass fast zwei Drittel der Amerikaner von Tag zu Tag leben. Das Weiße Haus sucht den alten Präsidenten zu stützen, weil offenbar Vizepräsidentin Kamala Harris Probleme hat, indem ein hartes Auftreten und eine Bedrohungslage inszeniert wird, die nationale Einheit erfordert.

Das dürfte vor allem auch deswegen notwendig sein, um das Afghanistan-Debakel hinter sich zu lassen. Hier hatten die amerikanischen Geheimdienste offenbar keine Ahnung, wie schnell die Taliban Kabul einnehmen und die Marionettenregierung zerfallen könnte. Biden zeigte Führung, indem er ohne große Konsultation der Alliierten den Rückzug der Truppen anordnete. Jetzt muss er Führung durch Stärke zeigen und Einheit unter seiner Führung gegen einen Feind schmieden, der nicht nur angeblich die Ukraine und die Nato-Staaten, sondern auch gleich die internationale Ordnung bedroht (die natürlich eine amerikanische sein soll).

Und gleichzeitig müssen US-Regierung und US-Geheimdienste demonstrieren, um das Afghanistan-Debakel zu kompensieren, dass sie sehr wohl vorhersehen können, was geschehen wird. Die neue Informationskampagne besteht also darin, fortwährend Konflikte, einen Kriegsbeginn oder False-Flag-Aktionen vorherzusagen. Sollte etwas eintreten, hat man es ja gewusst, sollte es nicht eintreten, hat die Verkündung des Gegner abgehalten, den Plan in die Tat umzusetzen. Das scheint eine gute Immunisierungsstrategie zu sein, die aber den Nachteil hat, dass sie nicht lange durchgehalten werden kann, es sei denn man provoziert den Gegner.

Eine andere, damit vielleicht zusammenhängende Strategie könnte sein, den Konflikt mit Russland aufzubauschen, um eine Einigung als Kriegsabwendung zum Erfolg werden zu lassen: Biden als Friedensstifter. Die USA und Russland könnten einen Kompromiss für eine europäische Sicherheitsarchitektur finden, der für beide Seiten gesichtswahrend ist. Denn das eigentliche strategische Interesse der USA ist seit über 20 Jahren der Versuch, China als Hauptkonkurrent für die Position als politische, wirtschaftliche, technische und militärische Weltmacht zu schwächen. Dazu wäre es hilfreich, die Annäherung von Russland an China zu untergraben. Könnte nur sein, dass die Strategie die Verbindung Russland und China stärkt.

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