Das verzerrte Menschenbild im Kapitalismus

Bild: Asterion/CC BY-SA-2.5

Ein Fundament des Kapitalismus ist die weit verbreitete und selten hinterfragte Überzeugung, der Mensch sei von Natur aus egoistisch, konkurrenzorientiert, materialistisch und faul. Zahlreiche wissenschaftliche Studien kommen aber zu einem anderen Ergebnis über die Natur des Menschen.

 

„Was ist der Mensch?“ So lautet eine der zentralen philosophischen Fragen. Vieles deutet darauf hin, dass heute die meisten Menschen davon überzeugt sind, der Mensch sei von Natur aus egoistisch, konkurrenzorientiert, materialistisch und faul. So sind beispielsweise in Deutschland knapp 70 Prozent überzeugt, die junge Generation sei egoistisch, und mehr als drei Viertel sehen den Grund für den schwindenden Zusammenhalt in der Gesellschaft in dem grassierenden Egoismus. Diese Vorstellung nenne ich der Einfachheit halber das „kapitalistische Menschenbild“. Denn aufgrund dieser Annahme erscheint der Kapitalismus als die Wirtschaftsform, die der menschlichen Natur am besten entspricht. Aus dieser Überzeugung heraus betont beispielsweise der US-amerikanische Sachbuchautor Dinesh D’Souza: „Einige Kritiker werfen dem Kapitalismus vor, ein egoistisches System zu sein. Aber der Egoismus ist nicht im Kapitalismus – er ist in der Natur des Menschen.“

Tatsächlich durchzieht die Überzeugung, der Mensch sei von seinem Wesen aus egoistisch und müsste erst zum Guten erzogen und zivilisiert werden, die westliche Ideengeschichte seit Jahrhunderten. So verschiedene Denker und Wissenschaftler wie Thomas Hobbes, Niccolo Machiavelli, Sigmund Freud, James M. Buchanan, Richard Dawkins, Ayn Rand und Milton Friedman, um nur einige zu nennen, waren vom naturgegebenen Egoismus des Menschen überzeugt. Und so verschiedene Wissenschaftszweige wie Evolutionsbiologie, Psychologie, Pädagogik und nicht zuletzt die Wirtschaftswissenschaft sind zum Teil von der Vorstellung des egoistischen Menschen bestimmt.

„Wenn der Glaube vorherrscht, dass die anderen kooperieren, dann ist die Kooperation jedes Einzelnen hoch; wenn der Glaube vorherrscht, dass die anderen nicht kooperieren, dann kooperiert tatsächlich keiner“, fasst der Wirtschaftswissenschaftler Erich Fehr eine wichtige Erkenntnis der Forschung zusammen. Sie belegt ganz im Sinne des sogenannten Thomas-Theorems („Wenn die Menschen Situationen als wirklich definieren, sind sie es in ihren Konsequenzen wirklich“), welche praktischen Konsequenzen sich aus dem jeweiligen Menschenbild ergeben.

Untersucht man aber, auf welches wissenschaftliche Fundament sich eigentlich die Überzeugung des kapitalistischen Menschenbildes stützt, so erstaunt, dass die Belege hierfür eher dünn sind. Hingegen weisen die jüngsten Erkenntnisse von Psychologie, Biologie, Archäologie, Anthropologie, Soziologie und Geschichtswissenschaft sowie insbesondere zahlreiche Experimente mit Kleinkindern tatsächlich in eine andere Richtung.

Die Motivationsfrage

Aufschlussreich für die gefundenen Ergebnisse ist die Untersuchung der menschlichen Motivation. Gemeinhin wird zwischen zwei Formen der Motivation unterschieden: intrinsischer und extrinsischer. So sind Menschen aus eigenem Antrieb (also intrinsisch) motiviert, weil sie beispielsweise Lust haben, ein Buch zu lesen und unbedingt das Ende der Geschichte erfahren wollen. Die extrinsische Motivation bildet hingegen eine Belohnung oder Strafe, die zur Lektüre eines Buches motivieren soll.

Es kann kaum Zweifel darüber bestehen, dass in Gesellschaft und Wirtschaft, basierend auf dem kapitalistischen Menschenbild, die Überzeugung vorherrscht, der Mensch werde am besten extrinsisch motiviert. So lernen wir in der Schule extrinsisch für Noten und arbeiten später insbesondere extrinsisch motiviert für Geld. Dass 40 Prozent der Schüler mit Geld für gute Schulnoten belohnt werden und ein knappes Viertel der Kinder für Mithilfe im Haushalt verdient, passt in das Bild.

Ein beeindruckendes Experiment von Felix Warneken und Michael Tomasello von der Universität Harvard und dem Max-Planck-Institut, Leipzig, untersuchte, welche Auswirkung der wiederholte Einsatz extrinsischer Motivation auf die Hilfsbereitschaft von 20-Monate alten Kindern hat. Nachdem sich in der ersten Runde eine sehr hohe Hilfsbereitschaft der Kinder offenbart hatte, teilte man anschließend diese in drei Gruppen auf. Die Kinder der ersten Gruppe erhielten weiterhin keinerlei Reaktion auf geleistete Hilfe, den Kindern der zweiten Gruppe wurde hierfür nun jedes Mal ein Dank ausgesprochen und die Kinder der dritten Gruppe erhielten schließlich jeweils eine Belohnung. Nach mehrfacher Wiederholung des Tests wurde dann eine letzte Runde durchgeführt: Genauso wie in der ersten Testrunde erhielt nun kein Kind für die geleistete Hilfe eine Belohnung oder auch nur ein Lob.

Die erste Gruppe zeigte weiterhin eine unverändert sehr hohe Hilfsbereitschaft. Die zweite Gruppe hatte eine minimal verringerte Hilfsbereitschaft. Die dritte Gruppe jedoch, die zuvor jedes Mal eine Belohnung erhalten hatte, offenbarte einen fast vollständigen Zusammenbruch ihrer Hilfsbereitschaft.

Das Experiment demonstriert, dass die intrinsische Motivation offenbar nicht nur der Natur des Menschen entspricht, sondern auch besser und dauerhafter motiviert als etwaige extrinsische Anreize. Es zeigt aber auch ein fundamentale Veränderung: „Aus einer unbedingten Hilfsbereitschaft war eine bedingte Hilfsbereitschaft geworden.“ So bringt es Richard David Precht auf den Punkt. Daher nennt man dieses Phänomen in der Fachsprache: Korrumpierungseffekt.

Mit anderen Worten: Die verzerrte Vorstellung über die Natur des Menschen, die Überzeugung, der Mensch müsse extrinsisch motiviert werden, kann gleichsam zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Denn sie kann erheblich dazu beitragen, einen Menschen zu schaffen, der tatsächlich nur noch extrinsisch motiviert werden kann.

Eine Meta-Analyse bestätigte das Ergebnis des Experiments. Nicht weniger als 128 Studien belegen, dass extrinsische Anreize die intrinsische Motivation insbesondere bei Kindern verringern.

Soziales Gehirn

Auch die Notfallpläne vieler Länder basieren ganz zentral auf einem bestimmten Menschenbild, also der Frage, ob Menschen sich in Katastrophen egoistisch oder altruistisch verhalten. Vielsagenderweise mussten in den letzten Jahren einige Länder ihre Notfallpläne verändern, weil Menschen sich entgegen der offiziellen Erwartung in Katastrophen als hochaltruistisch erwiesen.

Die Notfallpläne, die insbesondere auf die Unterbindung von egoistischem und kriminellem Verhalten abzielten, kosteten schlussendlich sogar Leben, weil sich viele Einsatzkräfte nicht an den erforderlichen Rettungsaktionen beteiligen sollten, sondern übertrieben befürchtete Kriminalität unterbinden.

 

Der Mensch mag den schlechten Ruf eines egoistischen Einzelkämpfers haben, aber in Wirklichkeit ist er dank seines „sozialen Gehirns“ ein Gemeinschaftswesen, dem Einsamkeit und Ausgrenzung körperlich nachweisbare Schmerzen bereiten.

Der Mensch hat von Natur aus auch ein Gefühl für Gerechtigkeit. Auch bei Erwachsenen ist eine Aversion gegen zu ausgeprägte Ungleichheit nachweisbar. Der Mensch ist überdies ein „ultrakooperatives“ Wesen (Michael Tomasello). Denn Kooperation entspricht eher seiner Natur. Und nicht zuletzt: Zahlreiche Studien belegen, dass ein Leben entlang der Maximen von Egoismus, Konkurrenz und Materialismus negative Folgen auf Körper und Seele haben. Altruismus, Kooperation und Gemeinschaft hingegen wirken sich nachweisbar positiv auf Körper und Seele aus.

Eine Utopie

An dieser Stelle lohnt die Frage, welche Bereiche in Gesellschaft und Wirtschaft sich heute am kapitalistischen Menschenbild orientieren. Es sind: Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitspolitik, aber auch Erziehung und Schule oder der Strafvollzug, um nur einige Bereiche zu nennen.

Was aber, wenn das kapitalistische Menschenbild, das für viele Entscheidungen in Gesellschaft und Wirtschaft mitverantwortlich ist, eben nicht der Natur des Menschen entspricht? Was wenn die Auflösung der Solidargemeinschaft und die permanente Betonung der Eigeninitiative und der Ruf nach dem Unternehmerischen selbst im Widerspruch zur Natur des Menschen stehen? Sollte nicht eine zentrale Leitlinie verantwortungsvoller Politik sein, eine Gesellschaft und eine Wirtschaft zu gestalten, die die Natur des Menschen nicht korrumpiert, sondern ihr möglichst entspricht?

„Es ist eine Idee, die Machthabern seit Jahrhunderten Angst einjagt, gegen die sich unzählige Religionen und Ideologien gewandt haben. Über die die Medien eher selten berichten, deren Geschichte durch eine unaufhörliche Verneinung geprägt zu sein scheint.

Gleichzeitig ist es eine Idee, die von nahezu allen Wissenschaftsbereichen untermauert, die von der Evolution erhärtet und im Alltag bestätigt wird. Eine Idee, die so eng mit der menschlichen Natur verknüpft, dass sie kaum auffällt.

Wenn wir den Mut hätten, sie ernst zu nehmen, würde sich herausstellen: Diese Idee könnte eine Revolution entfesseln. Die Gesellschaft auf den Kopf stellen. Wenn sie tatsächlich in unsere Köpfe vordränge, wäre sie vergleichbar mit einer lebensverändernden Medizin, nach deren Einnahme man nie mehr in der gleichen Art und Weise auf die Welt blickt. Worin besteht diese Idee? Dass die meisten Menschen im Grunde gut sind.“

So resümiert der Historiker Rutger Bregman. Und der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel hat sogar einen wegweisenden Traum bereit, der genau in diese Richtung weist:

„Stell dir vor, es ist Kapitalismus, aber keiner lebt nach seinen Maximen. Das wäre sein Ende. Ein wirklichkeitsferner Traum? Vielleicht. Aber wenn es nicht gelingt, die tief verinnerlichten ‚kapitalistischen‘ Denk-, Gefühls- und Handlungsmuster zu überwinden, können die Menschen noch so viel am System herumschrauben – sie werden keines ihrer Probleme lösen.“

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10 Kommentare

  1. Nette Rechthaberei.

    Es wird sehr viele andere Meinungen über Menschen und ihr Bild geben.

    In welcher Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung es, wenn überhaupt, eine verzerrtes, weniger verzerrtes oder nicht verzerrtes Menschenbild geben könnte, wird immer ein sehr weites Feld bleiben.

    Ab wann das Verhalten eines Menschen, in welchem Lebensalter auch immer, als redlich oder unredlich beurteilt werden kann, würde auf jedenfall schon mal die bessere Frage sein.

    Das z. B. ein Kleinkind, ein Säugling, garnicht anders kann als egoistisch zu handeln, ist völlig natürlich.

    Ob und wie sich dann dieses Kleinstkind mal zu einem „redlichen“ Erwachsenen entwickeln wird, der nicht nur an sich selbst denkt („denn dann wäre ja an alle gedacht“), wird nicht unwesentlich von seinen Eltern, deren früherer Kindheit, deren Bildung und Wohlstand (auch wichtig für das Kindeswohl) und noch vielen weiteren Faktoren, die mal das Leben seiner Eltern beeinflußt haben, als sie z. B. noch keine Eltern waren, abhängen.

    Dazu kommen dann im Kindergarten die Kindergärtnerinnen, in der Schule die Lehrerinnen und Lehrer, in der Berufsausbildung der Meister oder die Meisterin, in der Hochschule der Professor oder die Professorin, und so weiter und so fort (bei den Männer haben wir die Armee und den Wehrdienst noch vergessen).

    Dazu kommt außerdem, dass man auch den Sachverhalt, was denn nun ein „redliches Verhalten“ oder „unredliches Verhalten“ ist, definieren kann, wenn man die Macht dazu hat.

    Wer die Macht, die Definitionshoheit und/oder die Deutungshoheit nicht hat, darf gerne weiter herumphilosophieren, wird aber eher nichts bewirken und nicht weiter als bis zur Rechthaberei kommen.

    Genau das wird aber keinem normalen Menschen, z. B. als abhängig Beschäftigten, weiterhelfen, auch keinem normalen Scheinselbstständigen, der Sklave seiner Geschäftsidee geworden ist.

    Dazu kommt noch, dass auch die Industrieproduktion im Sozialismus natürlich nicht ohne Hallen, Maschinen und Fertigungsstraßen verschiedener Art, Transportmittel und so weiter und sofort, ausgekommen ist. Diese vergegenständliche Arbeit nennt man Kapital. Kapital ist aber wohl doch, wenn Marx und Engels nicht alles falsch gemacht haben, ohne bestimmt Gesetzmäßigkeiten in der menschlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht denkbar. Ich denke da z. B. an das Weltbild von Prof. Dr. Heinz-Josef Bontrup (siehe notfalls in der Wikipedia), welches ich sehr schätze. Der Mann (Hochschulprofessor auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften) ist Träger des Bundesverdienstkreuzes.

    Man kann es auch „Zwänge“ in einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen nennen, die nicht unbedingt einfach dem Willen jedes einzelnen Menschen unterliegen, sondern halt auch einen gewissen objektiven Charakter haben, auch wenn es keine Naturgesetze wie in der Physik, der Chemie oder der Biologie sind.

    Wer z. B. hofft (z. B. als Linker oder Scheinlinker) die Schrift von Friedrich Engels, „Der Ursprung der Familie, des Privateigenthums und des Staats“, würde weitgehend richtige Sachverhalte wiedergeben, will einfach nicht begreifen, dass es nie ein Matriarchat in der Entwicklung der Menschheit gegeben hatte. Und selbst wenn es so gewesen wäre, ändert das nichts daran, dass die Hoffnung, nur Männer wären für den Kapitalismus und deutsche arische Männer wären alleine damals für den deutschen Faschismus verantwortlich gewesen, falsch ist.

    Wer z. B. meint, das Buch des Kinderpsychologen, Dr. Michael Winterhoff, „Warum unsere Kinder Tyrannen werden“ wäre weitestgehend Unsinn, der will die Wahrheit nicht wissen. Wenn es also um Menschenbilder geht, wird heute im Feminismus ganz klar zwischen Männlein und Weiblein unterschieden. Den linken und scheinlinken Parteien, wie z. B. der SPD, der Partei „Die Linke“, aber auch den Grünen (die heute besser dastehen), hat es praktisch das Genick gebrochen.

    Spätestens als in der Kölner Sylvesternacht männliche Flüchtlinge mit muslimischem Hintergrund deutsche Frauen belästigten, waren diese klagenden und anzeigenden Frauen plötzlich Rassistinnen geworden. So viel zur Interpretation des Menschenbildes.

    Welcher Mensch oder welche Menschin was ist oder nicht ist, kann man mit dem Thema „verzerrtes Menschenbild im Kapitalismus“ eher nicht klären, zumal 1989/90 die meisten Menschen, auch Frauen, des damals realexistierenden Sozialismus, insbesondere in der DDR (von Juguslowien und seinen religiösen Menschinnen ganz zu schweigen) sich ganz klar wieder der sogenannten kapitalistischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zugewand hatten.

    Ob das gut oder schlecht war, müsste viel eher klar erörtert werden als irgend ein „Menschenbild“.

    Karl Marx hat mal formuliert:
    „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“

    Um diese Aussage von Karl Marx aber wirklich richtig zu verstehen, müsste man schon das Buch des deutschen bürgerlichen Antifaschisten, Sebastian Haffner, „Der Teufelspakt – Fünfzig Jahre Deutsch-Russische Beziehungen“, aus dem Jahr 1968 vom Rowohlt Verlag gelesen haben.

    Schon die spätere Ausgabe dieses Buch vom „Manesse Verlag“, die wohl ab 1980 erstmals erschienen war, ist nur eine verkürzte Ausgaben, bei der die Kapitel des Orginalbuches, die nach dem 8. Mai 1945 „spielen“, nicht enthalten sind.

    Haffners Orginalbuch geht wirklich von 1917 (bolschewistische Oktoberrevolution; sehr schön und sehr wohlwollend behandelt, einschließelich der Person Lenin; unbedingt lesenswert) bis 1967 (der Mauerbau 1961 wurde nicht vergessen).

    Wer das Buch gelesen hat, hat anschließend auch richtig verstanden, was ein Menschenbild ist und was ein Menschenbild nicht sein kann. Genau das macht dann auch den Unterschied zwischen dem Ausspruch von Karl Marx, „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ und reiner Rechthaberei zum Thema „Das verzerrte Menschenbild im Kapitalismus“ aus.

    Mit der „Politischen Ökonomie Kapitalismus“ von Karl Marx kann man wirklich etwas anfangen, dass Gelaber über „Das verzerrte Menschenbild im Kapitalismus“ kann man dagegen nur in die Tonne treten, zumal im neoliberalen Kapitalismus und dem dazugehörenden neoliberalen Feminismus (Frigga Haug – „Die Linke“) klar festgelegt wurde, dass der schlimmste Bösewicht der weiße deutsche arische Mann ist.

    In einem Artikel der Neuen Rheinischen Zeitung („NRhZ-Online“) vom 28.03.2007 (Online-Flyer Nr. 88 vom 28.03.2007), erklärte Frigga Haug, „Der neue Feminismus ist neoliberal“ (der Artikel ist von Katrin Steiner über den „Vortrag von Frigga Haug im Kölner DGB-Haus“). Schön, dass selbst einige wenige Frauen der Linkspartei schon 2007 begriffen hatten, dass der männerverachtende Feminismus nicht links sondern neoliberal ist.

    Trotzdem hat neben der SPD und den Grünen auch die Linkspartei mit dem Männerhass nicht aufgehört. Nun ist es heute aber sehr einfach mal im Internet nachzusehen, wer denn so in den letzten 20 Jahren in den Bundesländern bezüglich der Länderparlamente und im Bund bezüglich des Bundestages so gewählt worden war. Und man kann sich dabei z. B. auch mal ansehen, welche Partei denn so die Frauen und welche Partei denn so die Männer gewählt hatten.

    Man wird sehr bald merken, dass z. B. spätestens mit Angela Merkel, z. B. im Bund, die UNION ab 2005 die führende Partei geworden war. Sie hatte bei jeder Bundestagswahl die einfache Mehrheit gewonnen. Aber noch mehr als die Männer hatten die Frauen die CDU/CSU gewählt. Mich würde mal interessieren, Herr Andreas von Westphalen, welches Menschenbild, insbesondere welches Frauenbild sie denn nun von den Wählerinnen der UNION, den Politikerinnen der UNION, z. B. Angela Merkel, haben? Ich bin für Angela Merkel und die UNION. Ich bin ehemaliger DDR-Bürger und habe mich entschieden durch die Männer- und Väterverachtung der Grünen, der SPD und der Partei „Die Linke“ Parteimitglied der CDU zu werden. Ich finde Angela Merkel einfach großartig. Fakt ist, das diejenige oder derjenige, der das anders sieht, gerne auch weiterhin die Grünen, die SPD und die Partei „Die Linke“ wählen darf. Auch jeder Mann hat mindestens ganz einfach das Recht für sich zu entscheiden, ob er die Politikerinnen (gemeint sind wirklich Frauen und keine Männer) der Grünen, der SPD, der Partei „Die Linke“ oder der FDP bzw. der UNION (CDU/CSU) besser finden.

    Wer meint die AfD würde eine faschistische Partei sein, sollte bitte bei den zuständigen Gerichten ein Verbot dieser Partei einklagen.

    So lange die AfD zu den Wahlen zugelassen ist, darf jede wahlberechtigte Bürgerin (und natürlich auch jeder wahlberechtigte Bürger) diese Partei wählen.

    Davon ein Menschenbild der Wähler, bzw. erst recht der Wählerrinnen, der AfD abzuleiten, halte ich für sehr wage, denn wenn dabei Frauen bewertet werden ,die die AfD gewählt haben, könnte es sich z. B. ganz einfach um Frauenbashing, also Frauenverachtung handeln.

    Ganz nach dem Motto, Frauen, die AfD gewählt haben, sind zu doof die „richtige Partei“ zu wählen.

    Dumm gelaufen, dass z. B. mit Nicole Höchst eine hochgebildete Frau, die 4 Kinder alleine erzieht, für die AfD im Deutschen Bundestag sitzt.

    Als z. B. im Frühjahr 2018 die FDP ihren Antrag zum „Wechselmodell“ für Eltern, die sich getrennt haben, im Deutschen Bundestag einbrachte, war Frau Nicole Höchst, Bundestagsabgeordnete der AfD, die erste Rednerin, die sich dazu äußern durfte.

    Unter Mißbrauch des Kindeswohlbegriffes verurteilte Nicole Höchst hochpolemisch den Antrag der FDP, der von einer FDP-Bundestagsabgeordneten vorher im Bundestag vorgetragen worden war.

    Danach kamen die Rednerinnen der SPD, der Grünen, der Partei „Die Linke“ und natürlich auch die Redner und Rednerinnen der CDU und CSU zu Wort. Insbesondere die Rednerinnen der SPD, der Grünen und der Linkspartei (die Linkspartei hatte sogar einen eigenen Antrag gegen das Wechselmodell im Bundestag eingebracht, der dabei mitdebattiert worden war) verurteilten immer wieder mit Hinweis auf das Kindeswohl den Antrag der FDP.

    Inhaltliche Unterschiede zu den Ausführungen der AfD-Bundestagsabgeordneten, Nicole Höchst, waren dabei nicht feststellbar.

    Die Aussage war parktisch:
    Männer und Väter stehen dem Wohl unserer Kinder im Weg.

    So, wie im Frühjahr 2018 die AfD-Bundestagsabgeordnete Nicole Höchst praktisch den „Nationalsozialistischen Mütterkult“ in Deutschland verteidigt hatte, taten das auch die Frauen und Männer der Grünen, der SPD und der Partei „Die Linke“.

    Bei dieser Debatte waren die Rednerinnen und Redner der CDU und CSU nicht besser. Offensichtlich will die FDP, auch die Frauen der FDP, nicht mehr bei der aktuellen feministischen Männer und Väterverachtung mitspielen.

    So viel zum Menschenbild, insbesondere der SPD, der Grünen und der Partei „Die Linke“. Männer- und Väterverachtung ist nicht antikapitalistisch und damit auch nicht wirklich links, sondern eher neoliberal.

    Sehr geehrter Herr Andreas von Westphalen, könnte es sein (besteht die Möglichkeit), dass sie auf keinen Fall bei Frauen egoistisch Merkmale erkennen können (und vieleicht noch bei Kindern)? Bei Männer aber sehr wohl, insbesondere bei geschiedenen und getrenntlebenden Männern und Vätern negative Eigenschaften?

    Haben Sie schon mal etwas vom „Forum Soziale Inklusion“ gehört. Dieses Forum, dass sich auch um Männer und Väter kümmert, hatte im letzten Kalenderjahr vom Deutschen Bundestag 400.000 € bewilligt bekommen. Aber das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat sich wohl bis heute geweigert dem „Forum Soziale Inklusion“ das vom Bundestag bewilligte Geld auch zukommen zu lassen.

    Der 1. Vorsitzender des Forums Soziale Inklusion e.V., Herr Gerd Riedmeier, hat bereits mehrmals versucht, dass Geld zu bekommen. Einige Briefe wurde nicht immer vom Bundesfamilienministerium beantwortet.

    Sehr geehrter Herr Andreas von Westphalen, ich hätte da mal einen ganz praktischen Vorschlag für Sie:
    Können Sie nicht mal das Menschenbild (möglichweise auch das Männer- und Väterbild) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erkunden und mal prüfen, warum demokratische Entscheidungen des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2020, 400.000 € dem Forum Soziale Inklusion e.V. im Kalenderjahr 2021 zukommen zu lassen, vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend einfach nicht umgesetzt werden?

    Ich würde sagen, so könnte man dem Menschenbild in unserem Land ein sehr gutes Stück näher kommen.

    Mindestens könnte man zur Beantwortung der Frage kommen, warum (aus welchen Gründen) Diener bzw. Dienerinnen des Staates Bundesrepublik Deutschland möglicherweise demokratische Entscheidungen des Deutschen Bundestages rechtswidrig nicht umsetzen bzw. blockieren.

    Wenn Sie dazu einen Beitrag leisten könnten, wäre sehr vielen Menschen, insbesondere auch Kindern, in der Bundesrepublik Deutschland schon sehr viel weiter geholfen.

    Abstrakte Diskussionen über ein „verzerrtes Menschenbild im Kapitalismus“ halte ich für ähnlich überflüssig wie das Schaffen von „besserem“ Frieden durch mehr Atomwaffen.

    1. Ich denke sie hätten das Zitat von Marx nehmen sollen:
      „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ Karl Marx 1859, MEW 13, S. 9

      Was gerne weggelassen wird ist „Gesellschaftliches“ dann wäre mensch wieder beim Narzisten.

  2. Es ist aber Kapitalismus.

    Wer mit Realitätsverlust gut leben kann, darf das gerne tun, aber bitte nicht auf meine Kosten.

    Zwischen dem, was man sich verstellt oder vorstellen kann und der Realität sind schon Unterschiede möglich.

    Wer zu einer falschen Abbildung der Realität in seinem Gehirn gekommt, dürfte er nachteilig davon betroffen sein.

    Und natürlich kann man sich immer etwas einreden, leider muss es nicht stimmen bzw. richtig sein.

    Nicht jeder, der einen Artikel schreiben kann, hat auch die Deutungshoheit.

    Es bring auch nicht sehr viel, ausführliche und sachliche Kommentar einfach zu löschen, z. B. weil man einfach nicht über die bessere Argumente verfügt.

  3. Sorry, gab es bei dem Artikel eine extrinsische Belohnung für den Autor für einen möglichst sinnfreien Einsatz möglichst vieler Schrifttypen – noch dazu am besten in Grau auf weißem Grund? Oder war das eine intrinsischer Antrieb? Hat da jemand Lust daran, die Leser zu quälen…?

    Zum Thema: mindestens 98% seiner Existenz lebte der Homo sapiens NICHT in einem kapitalistischen oder anderen Klassensystem mit Privateigentum und Ausbeutung. Und? Hat es ihm geschadet? Offensichtlich nicht. Denn eine egoistische Grundhaltung, wie sie die Apologeten des Kapital(ismu)s propagieren, hätte längst zu seinem Untergang geführt. Und auch die kapitalistische Gesellschaft FUNKTIONIERT ÜBERHAUPT NUR, weil die Menschen sich die meiste Zeit und in den meisten Beziehungen eben NICHT egoistisch verhalten. Würden sie dies nämlich tun, gäbe es keine Kinder, keine Nachbarschaftshilfe und erst recht keine – wie „wir“ ja „erst jetzt“ gelernt haben – systemrelevante Arbeit bis zur Selbstopferung, ohne die eine Gesellschaft aber nicht existieren könnte. Wenn jeder erst fragen würde, ob er für seine Unterstützung anderer (Kinder, Hilfsbedürftiger, Freunde, Eltern, Partner, selbst Fremde [nicht nur] in Not…) auch eine angemessene Entlohnung bekäme und im Zweifelsfall als „Egoist“ sich eben sagte: „Na, fürs Lobbyieren im Bundestag bekomm‘ ich doch viel mehr Geld als fürs Windelnwechseln!“ – dann wäre es mit der Gesellschaft bereits nach einer Generation VORBEI.
    Um das zu verstehen, muss man nun wirklich kein Soziologe oder gar ein als Philosoph herumkaspernder Germanist sein…
    Der Egoismus ist, ebenso wie Gewalt im Miteinander, überhaupt nur möglich als kapitalistische „Schaumkrone“ auf einem Ozean von Hilfsbereitschaft und Altruismus. Trotzdem erlauben wir diesen „Schaumkronen“ nicht nur, uns selbst das Leben zu vergällen, sondern opfern ihnen sogar Menschen in Kriegen, die selbst nichts weiter als die notwendige Folge des systemischen Egoismus Einzelner sind. Und wenn wir uns nicht endlich besinnen, wird dieser Egoismus die Menschheit und den Planeten zerstören, auf dem überall Kooperation und „Symbiose“ die Grundlagen des Lebens sind, nicht der „Kampf ums Dasein“ – der ist genauso ein „Luxusphänomen“, das erst auftritt, wenn alle anderen Bedürfnisse befriedigt sind.

  4. Sehr schöner Artikel mit vielen interessanten Verweisen auf aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse. Ich bin leider skeptisch ob der Hoffnung, dass die Menscheit allein aufgrund dieser Erkenntnisse wieder zu einem stärker am Gemeinwohl orientierten Miteinander zurück finden kann. Denn nachdem der Neoliberalismus erst mal die prägende und in Gesellschaft und Wirtschaft vorherrschende Doktrin geworden ist, ist es auch schwerer geworden, ohne das Ausfahren der Ellenbogen noch ein gutes Leben zu führen. Ja, man kann sich z.B. aus Altruismus als Pflegekraft ausbeuten lassen, aber man sieht doch, dass auf der anderen Seite das Gerechtigkeitsempfinden (es ist ungerecht, wenn ich so schlecht verdiene, obwohl ich so eine kräftezehrende und gesellschaftlich wichtige Tätigkeit ausübe) viele davon wieder abbringt. Nur mit einem Wandel des Menschenbildes wird es also eher nicht gehen, es müssen auch die gesellschaftlichen Spielregeln verändert werden. Zum Beispiel darf Eigentum nicht mehr so absolut gesetzt werden wie es das momentan wird. Es muss auch in der Gesetzgebung klar werden, dass der Gebrauch des Eigentums zugleich auch dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll, wie es im Grundgesetz so schön formuliert ist. Das gilt dann auch für Betriebsvermögen und Immobilien, d.h. hier muss die demokratische Gesellschaft viel stärker mitentscheiden, was damit gemacht werden darf und was nicht. Man könnte z.B. ohne weiteres festlegen, dass jeder Betrieb ab einer bestimmten Größe einen Betriebsrat haben muss und zugleich auch verhindern, dass Betriebsräte geschmiert werden.

    Noch eine Anmerkung: Richard Dawkins in der Liste derjenigen aufzuführen, die den Egoismus zur wahren Natur des Menschen erklären, ist falsch. Ich habe seinen Klassiker „Das egoistische Gen“ gelesen und darin betont er ausdrücklich, dass man sich eben nur die Gene (nicht nur die des Menschen, sondern aller Lebewesen) als die egoistischen Einheiten vorstellen kann, denn dort setzen sich auf lange Sicht diejenigen durch, die sich angesichts bestimmter Umweltbedingungen am besten replizieren können. Das heißt ausdrücklich *nicht*, dass auch die Träger der Gene egoistisch sein müssen. Im Gegenteil können egoistische Gene soziale Tiere (zu denen auch die Menschen zählen) hervor bringen, und für diese kann altruistisches Verhalten völlig normal sein. Das muss auch kein versteckter Egoismus sein, bei dem man sich selbst einen Vorteil davon verspricht, wenn man anderen hilft. Man denke z.B. an die Arbeiterbienen, die die Königin und die Brut pflegen, sich aber selbst nie fortpflanzen. Ihre Gene tun es dennoch, denn die stecken auch in der sich fortpflanzenden Königin.

  5. Ich möchte unterstützen, was Hugo D. in seinem Kommentar schreibt:
    Wer Richard Dawkins, ein Evolutionsbiologe der konsequenterweise die Erkenntnisse von Charles Darwin weiter entwickelt, mit Milton Friedman in einen Topf wirft, hat wenig Ahnung von der Materie, mit der sich die Evolutionsbiologie beschäftigt.
    Wenn jemand die Erkenntnisse der Evolutionsbiologie ignoriert, läuft er die Gefahr, einen ähnlichen Weg zu gehen, wie all die anderen Zeitgenossen, die ebenfalls die Erkenntnisse von Charles Darwin glauben ignorieren zu müssen. Nämlich den Weg in Richtung der fundamentalistischen Religionen.
    Das einzige, was jemanden verführen könnte, Dawkins auzugreifen, ist die Tatsache, das er möglicherweise „gehört“ hat, Dawkins habe das Buch „Das egoiststiche Gen“ geschrieben. Dass Gene in ihrer Komplexität aber etwas anderes sind, als ideologische Einstellungen, weiss jeder, der im Biologieunterricht gut aufgepasst hat.
    Offenbar hat der Verfasser Andreas von Westphalen das Buch von Dawkins nicht gelesen. Nun ist es natürlich mühsam, Bücher von Autoren, von denen man aufgrund eines Buchtitels von vorne herein meint, dass sie in eine Schublade zu stecken seien, auch noch lesen zu müssen.
    Allerdings denke ich, dass man da nicht drum kommt, wenn man sein Dasein als guter Autor oder Journalist fristen möchte.

  6. @P. Rohleder: Zur Ehrenrettung von Andreas von Westphalen sei gesagt, dass er wohl nicht der Urheber des „Mems“ (diesen Begriff hat übrigens auch Richard Dawkins geprägt) ist, wonach Dawkins ein neoliberales Bild vom Menschen vertritt. Ich hatte das schon mal woanders gelesen, wenn mich nicht alles täuscht sogar bei Richard David Precht. In jedem Fall bei einem Autor, der viele Bücher verkauft und von dem man erwarten würde, dass er so eine Aussage nicht trifft, ohne eines von Dawkins Werken selbst gelesen zu haben. Wer sich also nicht allzu sehr für Evolutionsbiologie interessiert (wer es tut, muss Dawkins eigentlich lesen) und in als seriös angesehener Literatur diesem Mem begegnet, kann es wohl ohne böse Absicht übernehmen und weiterverbreiten.

    Es tut jedenfalls der Grundaussage des Artikels keinen Abbruch, dass die neoliberale Ideologie auf unbegründeten Annahmen (unter anderem eben dem „homo oeconomicus“) fusst, diese dann aber als selbsterfüllende Prophezeiung zum Teil Realität werden lässt.

  7. Herzlichen Dank für die Kommentare. Da wiederholt die Frage aufgeworfen – oder schlicht unterstellt wurde – ich hätte, Richards Dawkins nie gelesen und würde sein Buch nur vom Hörensagen kenne, möchte ich mich doch melden. Richard Dawkins Buch ist definitiv ein sehr lesenswertes und komplexes Buch. Dawkins spricht darin explizit davon, dass die Grundtendenz menschlichen Verhaltens der Egoismus ist. Beispielsweise schreibt er zum kindlichen Verhalten: „Eigennützige Gier scheint für einen Großteil des kindlichen Verhaltens kennzeichnend zu sein. “ (p. 226) Einzig bei der Blutspende schwankt Dawkins und schreibt: „Mag sein, das ich naiv bin, aber ich fühle mich versucht, Blutspenden als einen echten Fall von reinem, uneigennützigen Altruismus anzusehen.“ (379) Ich glaube, man darf daher durchaus Dawkins so zusammenfassen, dass er von einer egoistsichen Natur des Menschen ausgeht: „Wenn er (der Leser) – wie ich – eine Gesellschaft aufbauen möchte, in der die einzelnen großzügig und selbstlos zugunsten eines gemeinsamen Wohlergehens zusammenarbeiten, kann er wenig Hilfe von der biologischen Natur erwarten.“ (p. 38) Hoffnung sieht Dawkins daher nur in der Erziehung: „Wir haben die Macht, den egoistischen Genen unserer Geburt und, wenn nötig auch den egoistischen Memen unserer Erziehung zu trotzen. Wir können sogar erörtern, auf welche Weise sich bewußt ein reiner, selbstloser Altruismus kultivieren und pflegen läßt – etwas, für das es in der Natur keinen Raum gibt.“ (334)
    Was die Vermengung von Dawkins und Friedman anbetrifft. Der Neoliberaismus beruft sich explizit auf die Erkenntnis der Evolutionsbiologie. Was nicht heißen soll, dass es da keine wichtigen Unterschiede gibt, aber die Betonung der Maximierung des Eigennutzes im Homo Oeconomicus wird gerne durch die Evolutionsbiologie untermauert. Dies ist gut bei Barry Schwartz: The Battle for Human Nature zusammengefasst.

  8. @Andreas von Westphalen:
    Ich denke, die notwendige Diskussion über die angesprochenen Fragen bezogen auf die Evolutionsbiologie kann in diesem Rahmen nicht ausführlich geführt werden. Nur noch so viel:
    Genauso wie die Erkenntnisse von Darwin und Wallace handelt sich bei den sich daran anschließenden Erkenntnissen der Evolutionsbiologie um Naturwissenschaften. Außer von religiösen Fundamentalisten werden diese Erkenntnisse heute von kaum jemanden mehr bestritten.
    Aber in der Tat ist es natürlich so, dass Wirtschaftsliberale schon immer versucht haben, sich unzulässigerweise gewisse Erkenntnisse auf ihre Fahnen zu schreiben: Stichwort: Darwinismus versus Sozialdarwinismus.
    Dass das aber nicht so ohne weiteres zulässig ist, dafür mag das angeführte Zitat von Dawkins ein sinnvoller Hinweis zu sein. Aber wenn man sich eingesteht und eingestehen muss, dass auch der Mensch durch und durch Natur ist und wir teilweise aus der gleichen DNA und entsprechenden Genen bestehen, die es überhaupt erst möglich gemacht haben, dass wir als menschliche Spezies unsere Existenz hier auf Erden fristen können, scheint mir die Relativierung von Dawkins im genannten Zitat genau passend zu sein.
    Danke für den Hinweis auf das Buch „The Battle for Human Nature“.

  9. Lieber Andreas von Westphalen,
    natürlich darf man sehr wohl über die von ihnen aufgeworfene Frage nachdenken.

    Ich würde allerdings ihre Überlegung gerne um einen sehr interessante ebensolche ergänzen.
    Nämlich die grassierende, obwohl naheliegend nie korrigierte und daher perfide Missinterpretation Darwins als Ausdruck der Ideologisierung des Neoliberalismus!

    Sowenig wie der Mensch gut oder böse ist, so wenig ist er nur egoistisch oder nur altruistisch.
    (Auf diesem Standpunkt zu bestehen wäre bereits im Kern Herrschaftslegitimation.)

    Menschen haben einfach nur (wie alle Lebewesen) Interessen.
    Unterschiedliche. Ja, auch.
    Aber vor allem: GEMEINSAME!

    Und DIE (!), man kann es nicht häufig genug betonen (und es wird ja eben vor allem in der Kleinkindforschung und insbesondere bei Matriarchats-geprägten Bonobo-Gruppen aktuell immer wieder beschrieben), haben die hominide Entwicklung voran getrieben. Trotz Ausreißer!

    Darwin wurde von den Protagonisten kapitalistischer Ökonomie zu deren Selbst-Legitimiation schon immer missinterpretiert!
    Sie können nämlich entweder nicht VERSTEHEND lesen oder sie lesen das, was sie lesen wollen.

    Allerdings: Darwin wusste es (schon damals) besser
    Er sagte nämlich ”Survival of the FITTEST“.
    Er sagte nie: ”Survival of the STRONGEST bzw. the MOST POWERFULLST”

    Und Darwin kann man nun wirklich nicht verantwortlich machen für die defizitär eindimensionalen Assoziationsfähigkeiten neoliberal verkorkster Sozialdarwinisten, die bei dem Begriff ”fit“ automatisch an ”Fit“ness-Studios denken und sich dann Muskelpaket-bepackte anabole Steroid-Maschinen vorstellen, die nicht in der Lage sind, ihr Hirn zu nutzen und alles platt walzen. Eben wie der sozial-hirntote, kapitalistische Einzeltäter!

    Nein, die Bedeutung von ”to be fit” ist mitnichten semantisch gleichbedeutend mit stark bzw. ”der Stärkste” zu sein.
    Wer so übersetz, belegt lediglich, dass er der Sprache nicht mächtig ist.
    Also, setzen! Sechs!
    (Armer Charles. Endlich wirst Du rehabilitiert 😉

    Für ”fit“ gibt es in der Übersetzung im Deutschen hingegen gleich mehrere Bedeutungsmöglichkeiten:
    Siehe die nachstehenden:

    ”fit sein” kann bedeuten, einer Sache adäquat zu sein, ihr angepasst zu sein, ihr gewachsen zu sein, geschickt zu sein, ihren Anforderungen gegenüber zu taugen, ihnen zu entsprechen.

    Der ”Fitteste” im Überlebens-Willen (eben nicht -Kampf!) zu sein bedeutet also in diesem Zusammenhang nicht der stärkste, rücksichtsloseste oder aggressivste zu sein, sondern die passendste Antwort, die geeignetste Rückkoppelung für die Umwelt-Anforderung bereit zu halten.

    Ein Lebewesen aber, das Fressfeinde fürchten muss, in Sekundenbruchteilen vom Jäger selbst zum Gejagten werden kann, durch keine Panzerung bewehrt ist, und in der Eiszeit-Nacht ein wärmendes Lagerfeuer finden will oder am Morgen auf einen Jagdpartner angewiesen ist um SELBST zu überleben, ist just in dem Moment ”Fit” im Überlebens-Sinne, wenn es in der Lage ist, dem anderen gleichermaßen konditionierten Gattungspartner die Sinnhaftigkeit des GEMEINSAMEN Verfolgens GEMEINSAMER Interessen zu BEIDERseitigem Vorteil zu KOMMUNIZIEREN.

    Hier also entsteht – zunächst tatsächlich nur EIGENEM biologischem Überlebenswillen geschuldet – gepaart mit Intelligenz, Antizipations- und Kommunikationsfähigkeit (allesamt überragende Attribute gerade des Homo Sapiens) das Überlebens-sichernde Verhaltens-Amalgam des Individuums, das wir ”Tugend” nennen.
    Alle später entwickelten sozialen Fähigkeiten lassen sich auf diesen Ursprung des (teils spezialisierten) Koopertationsbedarfs in der (übrigens nicht nur!) hominiden Entwicklung zurück führen.
    (Schon die Zelle in den Ur-Meeren begann damit, als sie sich mit der reinen Vervielfältigung nicht mehr begnügte, ihre Autonomie aufgab und vielmehr Zellgruppen mit Spezialaufgaben ausbildete, die nur in der Symbiose ALLER (!) funktionieren konnten.)

    Die Hominiden, die es in der Frühzeit anders versucht haben, fielen der evolutionären Auslese anheim.
    Sie scheiterten in ihrem Egoismus *), den es als mehr oder minder entwickelte persönliche Ausrichtung natürlich immer schon gegeben hat, sich allerdings in der Frühzeit kaum behaupten konnte.
    Gewiss hat es zu allen Zeiten opportunistische ”Bediener“ sozialer Erwünschtheiten oder kollektiver Anforderungen gegeben, aber der moderne Mensch ist in toto Nachfahre der ”intelligenten Kooperateure”.

    Antikapitalismus ist also nicht nur eine politische Haltung von vielen.
    Antikapitalismus ist die Erkenntnis, dass trotz vorübergehender Steigerung von Teilhabe am Ende des Systems IMMER Vernichtung steht:
    Vernichtung von Werten,
    Vernichtung von Umwelt,
    Vernichtung von gesellschaftlichem Zusammenhalt.
    Vernichtung von Leben.

    Aber wir Menschen lieben das Geboren-werden, nicht das Sterben.

    Und hier GENAU sind wir dann gewissermassen da angelangt, wo wir des ”heiligen Geistes“ als Pfingstereignis und keiner Aufforderung, keiner Gebote oder Paradiesversprechen bei Wohlgefallen irgendeines Gottes mehr bedürfen um ”GUT“ zu sein.

    Dort angelangt sind wir schon am Ziel aller Suche.
    Wir entdecken SINN in der Gemeinsamkeit als Wurzel unseres Daseins.
    Stringent naturwissenschaftlich hergeleitet, selbst wenn es anders klingt: Ganz ohne Spiritualität.

    SINN, der uns Struktur und Lebenshilfe gibt.
    Der uns vergewissert, dass all dem zwar eher kein deterministischer Plan vorausgeht, sich aber sehr wohl eine historisch gewachsene Gesetzmäßigkeit herleiten lässt.

    Und in der emanzipierenden Abkehr von jeglichen despotisch reglementierenden Vaterfiguren findet der Mensch zu Gemeinschafts-Verantwortung in autonomer Selbstbestimmung in Freiheit und ohne Zwang.

    Es ist eben einfach SINNVOLL und individuell Lebens-erhaltend ”GUT” zu sein.
    (Genau dieses pragmatische Interesse verfolgen Primaten im Nahrungsorganisations-Experiment oder Kleinkinder, wenn sie teilen…. )

    ”Gut sein” ist also keine Frage von Moral.
    Es ist eine Frage der sozialen Intelligenz!
    Oder unter Beteiligung des Mitgefühls: des Einfühlungsvermögens.
    Traditionell: Altruismus.
    Neudeutsch: EQ

    *)
    Pervertiert konnte diese Grundmaxime symbiontischen Verhaltens nur werden, weil im Kapitalismus (als Endstufe (!) des Landraubs, privatisierter Aneignung aller Ressourcen und der schamanisch/religiösen Herrschaft durch Angst und Verderbensbedrohung) ein System installiert wurde, das die Wenigen in die Lage versetzte, der Vielen nicht mehr zu bedürfen.

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