„Das ist eine grausame Grenze

Es sieht nicht so aus, als stelle der Grenzfluss Bidasoa ein Hindernis dar, doch die Strömungen sind tückisch. Bild: R. Streck

An der Grenze zwischen Frankreich und Spanien, die es eigentlich in einem „Europa ohne Grenzen“ nicht geben sollte, ist man entsetzt über drei Tote in wenigen Monaten.

Es liegt an diesem grauen Sommermontag erneut ein trauriger Schleier über der baskischen Klein- und Grenzstadt Irun, als sich auf dem Platz vor dem Rathaus hunderte Menschen versammeln, um dem 18-jährigen Abdulaye Kulibaly zu gedenken. Es fließen Tränen der Trauer über den sinnlosen Tod des jungen Mannes aus Guinea, der am Vortag im „Europa ohne Grenzen“ sein Leben an einer Grenze verloren hat, die es hier zwischen Spanien und Frankreich eigentlich gar nicht geben dürfte.

Die Grenze macht aber mit massiven Kontrollen und Absperrungen seit etwa eineinhalb Jahren wieder deutlich auf sich aufmerksam. Auch Kulibaly hatte es mehrfach vergeblich versucht, auf dem Landweg über sie kommen, die inzwischen scharf kontrolliert wird, bevor er ins Wasser ging. Letztlich ist er beim Versuch ertrunken, durch den Bidasoa zu waten. Dieser Fluss markiert hier schmerzlich auch eine Grenze für die Basken, da er das Baskenland hier in zwei Teile zerschneidet.

Grenzkontrollen zwischen Hendaye und Irun kontrolliert werden vor allem Kleinbusse

Dass man es mit dem jungen Mann aus Guinea zu tun hat, ist der versammelten Trauergemeinde an diesem 09. August auf dem Rathausplatz noch gar nicht klar. Freiwillige Helfer des Irungo Harrera Sarea (Aufnahmenetzwerk Irun) hatten mit anderen Organisationen zu der Versammlung aufgerufen, um dagegen zu protestieren, dass diese Grenze vermutlich in letzten Monaten schon drei Todesfälle zu verantworten hat. So wird hier auch Yaya Karamoko erinnert. Der 28-Jährige von der Elfenbeinküste war das erste klare Opfer Ende Mai. Auch Karamoko ist im Bidasoa beim Versuch ertrunken, auf der Höhe der Fasaneninsel die massiven Grenzkontrollen zu umgehen, um von Irun nach Hendaye zu kommen. Fast einen Monat hatte es bei ihm gedauert, um ihn identifizieren zu können.

Demo für Flüchtlingsrechte am 26-01-2019 von Irun nach Hendaye hier an der Gendarmerie. Bild: R.Streck

„Die Kontrollen richten gegen eine sehr konkrete Gruppe“

„Das ist eine grausame Grenze“, sagt auch der sozialdemokratische Bürgermeister Iruns am Rand der Kundgebung vor seinem Rathaus. „Wir sind traurig“, fügt José Antonio Santano an und spricht von einem „Drama“. Er fordert, „tiefgreifende Überlegungen“ anzustellen, denn „Verzweiflung bringt Menschen dazu, ihr Leben zu riskieren“.

Auch für den Bürgermeister der Stadt mit etwa 62.000 Einwohnern ist klar, dass hier nach rassistischen Kriterien vorgegangen wird: „Die Kontrollen richten gegen eine sehr konkrete Gruppe“, sagt er mit Blick auf die Schwarzafrikaner, die Irun auf dem Weg nach Norden erreicht haben und an der Versammlung teilnehmen. Täglich laufen hier verstärkt seit 2018 junge Menschen auf, die oft nach Frankreich oder weiter in den Norden wollen. Viele kommen aus ehemaligen französischen Kolonien. An manchen Tagen sind es nur wenige, an anderen Tagen mehre Dutzend. In den meisten Fällen sind es Schwarzafrikaner, etwa 95 Prozent Männer.

Ab 2018 hatte Frankreich damit begonnen, eine zunächst eher unsichtbare Grenze hochzuziehen, um diese Grenzgänger abzufangen. Doch allen hier ist klar, dass weder die unsichtbare noch die nun sichtbare und martialische Variante ihr Ziel erreichen. „Wir wissen, dass sie über die Grenze wollen und sie kommen auch rüber“, stellt der Bürgermeister fest.

Allein im vergangenen Jahr haben es mehr als 4100 geschafft, die von Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz oder dem Aufnahmenetzwerk zuvor registriert worden waren. Santano fordert gemeinsam mit dem Netzwerk und mit Kotte Ecenarro, dem Bürgermeister der Nachbargemeinde Hendaye auf französischen Boden, „wirksame Lösungen zu finden, um weitere Tote zu verhindern.“ Und während man sich auf dem Rathausplatz über die tödlichen Vorgänge an der Grenze beklagt, beginnt auch der Himmel die Tragödie zu beweinen. Aus grauen Wolken wird die Trauergemeinde mit dem berüchtigten Nieselregen bedacht, den die Basken Xirimiri nennen und der ebenfalls seit drei Monaten einen traurigen Sommer markiert.

Anders als im Fall Karamoko ging die Identifikation von Kulibaly schnell, da er vier Tage auch vom Irungo Harrera Sarea betreut wurde. Der Fotojournalist Gari Garaialde, der ebenfalls als freiwilliger Helfer hier in seiner Heimatstadt Irun in dem Netzwerk aktiv ist, war schließlich sogar dabei und machte Fotos, als die Leiche von Kulibaly einige Kilometer oberhalb Iruns aus dem Bidasoa gezogen wurde. „Das hat mich schon arg mitgenommen“, erklärte er gegenüber Krass & Konkret. Auch er warnt er bei den Versammlungen am Anlaufpunkt, den das Netzwerk täglich von 10 bis 12 Uhr für Flüchtlinge und Einwanderer auf dem Rathausplatz bietet, stets vor den Gefahren des Bidasoa. „Bloß nicht durch den Fluss“, versuche man den Leuten einzutrichtern, sagt er.

Portada Diario Vasco mit Bild von Gari Garaialde zum Tod von Abdulaye Kulibaly

Aber für den Fotojournalisten ist auch klar, „dass man diese Vorgänge dokumentieren und ans Licht der Öffentlichkeit zerren muss.“ Im Fall Karamoko hatte das Netzwerk noch keinen großen Alarm geschlagen, ist eher von einem Einzelfall ausgegangen. Das erste mutmaßliche Opfer wurde hier im April verzeichnet, aber es war ein junger Mann aus Eritrea, der sich am Flussufer erhängt hat. „Ob es Verzweiflung war, nicht über die Grenze zu kommen, oder ob es andere Gründe waren, wissen wir nicht“, sagt Garaialde, da das Netzwerk über diesen Mann nur wenige Informationen hat.

Schleuser beuten die Verzweiflung aus

Im Fall von Kulibaly hat Verzweiflung eine große Rolle gespielt, ist der Fotograf überzeugt. In den vier Tagen, in denen er sich in Irun aufgehalten hat, „hat er es vier oder fünf Mal erfolglos versucht, über die Grenze zu kommen.“ Das wissen die Helfer des Netzwerks, doch er sei immer wieder zurückgebracht worden. „Er hat auch Schleusern 100 oder 150 Euro bezahlt, wie wir von Leuten aus seinem Umfeld erfahren haben“, sagt Garaialde, dass hier auch Geld an dem Schicksal der Menschen verdient wird. Doch auch dabei sei er wieder in Hendaye aufgegriffen und zurück nach Irun gebracht worden.

Während einige Schleuser die Leute an sicheren Orten weit hinter der Grenze absetzen, gibt es auch die, die das schnelle Geld einfache Geld machen, die Menschen einfach am Bahnhof in Hendaye abwerfen. Dort laufen sie dann praktisch in die Arme der Polizei und werden zurückgebracht. Der Druck auf den jungen Kulibaly sei auch deshalb größer geworden, da er nicht erneut in den Einrichtungen des Roten Kreuz übernachten konnte. Eigentlich sind dort nur drei Nächte möglich, er hatte noch einen vierten herausschlagen können. „Die Verzweiflung wurde bei ihm immer größer, weshalb er es wohl dann durch den Fluss versucht“, trotz der vielen Warnungen.

Der Fotograf war an dem Sonntag mit seinem Fahrrad unterwegs, als er die tragische Nachricht erhalten hat, dass die Grenze erneut ein Opfer gefordert hat. Auch aus professionellen Gründen ist er schnell zum Unglücksort geradelt. Dort schoss er an diesem Tag, allerdings nur mit seinem Handy, wie er bedauert, ein paar Bilder. Eins davon war am folgenden Montag groß auf der Titelseite der Regionalzeitung „Diario Vasco“ abgebildet. „Der zweite Tote im Bidasoa spitzt das Drama der Immigration zu“, titelte die Zeitung.

Es waren auch Fahrradfahrer, die es fast noch geschafft hätten, den jungen Schwarzafrikaner zu retten. Sie waren auf dem Fahrradweg unterwegs, der sich idyllisch durch Flusstal aus Irun kommend nach Bera zieht und dann weiter in Richtung Pamplona. Gegenüber dem Diario Vasco erklärte Iñaki, dass ihn Hilferufe auf den Vorgang aufmerksam gemacht hatten. „Er ist eine halbe Minute zuvor im Wasser verschwunden“, sagte er. Andere Radfahrer hätten sich bereits ins Wasser gestürzt, um den jungen Mann zu retten. Erfolglos. Dass Kulibaly nicht schwimmen konnte, hat dessen 16-jähriger Begleiter den erfolglosen Helfern erzählt.

Der Minderjährige hat die gefährliche Aktion überlebt und hat die andere Flussseite erreicht. Dort habe er aber hilflos wie gelähmt dagestanden und ins Wasser geschaut, berichten die Zeugen. Der Minderjährige setzte vor dem Eintreffen der Polizei eilig seinen Weg auf französischem Staatsgebiet fort. Er bestätigte den Fahrradfahrern aber zuvor, dass Kulibaly nicht schwimmen konnte. Deshalb habe er ihn an der Hand geführt, ihn aber verloren. Iñaki hätten am Flussufer die Haare zu Berge gestanden, erzählt er. Auch er ist entsetzt darüber, dass Menschen hier ihr Leben aufs Spiel setzen. „Ich wusste nicht, dass das oft vorkommt und finde es unglaublich, dass das passiert“, erklärte der Augenzeuge.

Die beiden jungen Schwarzafrikaner hatten sich am falschen Tag den falschen Ort zur Grenz-Überquerung ausgesucht. An der Unglücksstelle sieht der Fluss ruhig aus und scheint nicht tief zu sein. Doch der Schein trügt, es gibt ausgespülte tiefe Zonen, verschlammte Zonen, wo ein weiterkommen praktisch unmöglich ist, bestätigen Angler, die den Fluss gut kennen. Wie fast überall im Bidasoa, sind die Strömungen zum Teil tückisch, es gibt auch Strudel. Sie ändern sich mit Ebbe und Flut an der naheliegenden Flussmündung bei Irun in den Atlantik zum Teil ständig. Erschwerend kommt in dem miesesten Sommer seit mindestens 20 Jahren hinzu, dass es nach einem sehr trockenen Winter und Frühjahr in den letzten Monaten oft geregnet hat. Der Bidasoa führt also derzeit ungewöhnlich viel Wasser.

Nur ein kurzes Stück flussaufwärts, sind sich alle Ortsansässigen einig, wäre der Übergang einfacher gewesen, wo die Kajakfahrer des Iruner Clubs „Santiagotarrak“ trainieren. Sie hätten Kulibaly vielleicht retten können, doch am Sonntag trainieren sie nicht. An ihrem Übungsplatz ist die Strömung zwar offensichtlich stärker, aber hier ist der Fluss bisweilen nur wenige Meter breit. Zum Verhängnis wurde dem jungen Mann ein scheinbar unbedeutender Grenzfluss, der zuvor mehr als 5000 Kilometer zurückgelegt, eine Wüste und den Atlantik von der Westsahara auf die Kanarischen Inseln überquert hat. Der Fluss, das ist Garaialde klar, stellt für viele auf den ersten Blick kein Hindernis dar. Doch 500 Kilometer entfernt von seinem Ziel, verlor der 18-Jährige sein Leben. Zwei Jahre zuvor hatte er sich mit 16 Jahren auf den langen Weg zu seinem Onkel Mohamed Lamine gemacht, der in Nantes lebt.

Der war 2018 ebenfalls über Irun gekommen, als der Weg allerdings noch einfacher war. Dorthin kehrte er nun zurück, um seinen Neffen zu identifizieren. Das Waisenkind habe unbedingt zu ihm nach Frankreich gewollt, um ein neues Leben zu beginnen, sagt der Onkel. „Es war sehr schwer für ihn, er hatte viele Probleme zu bewältigen, hatte auch Marokko hinter sich gebracht und als er fast angekommen war, ist ihm das passiert”, sagt der 31-Jährige, bevor er einen Blumenstrauß an dem Unglücksort ablegte. Er hofft nun auf Hilfe, um die Leiche in die Heimat zurückbringen zu können. Aber vor allem hofft er, dass anderen Familien nicht das erleben müssen, was seiner nun widerfahren ist.

Auch Minderjährige werden abgeschoben

Auch er wurde damals vom Aufnahmenetzwerk in Irun betreut, das sich damals gerade erst gebildet hat. „Ab Mitte 2018 wurden in einigen Städten oder Aufnahmezentren des Roten Kreuz im spanischen Staat Leute verstärkt mit dem Bus in andere Regionen geschickt“, erklärt der Fotojournalist, dass plötzlich dutzende Menschen auf der Straße übernachtet haben. Plötzlich strandeten immer mehr Menschen in Irun. Man habe sich organisiert, sagt Garaialde, um ihnen praktisch unter die Arme zu greifen, Schlaf- und Aufenthaltsmöglichkeiten wurden im selbstverwalteten Jugendhaus „LaKaxita“ geschaffen. Das war damals der Anlaufpunkt, wo es ein gemeinsames Frühstück und Sprachkurse gab, wo rechtliche und praktische Hinweise gegeben und Kontakt zu Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz hergestellt wurden.

Gari Garaialde. Bild: R. Streck

Immer mehr Menschen hingen plötzlich in Irun fest, da Frankreich einen zunächst unsichtbaren Schutzwall errichtet hatte. Vor allem Schwarzafrikaner wurden damals meist erst hinter der Grenze abgefangen, am Bahnhof in Hendaye, in Bussen oder Zügen auf dem Weg zu einem Anlaufpunkt in Bayonne. Sogar aus Bordeaux, 200 Kilometer entfernt, wurden sie in einem rechtlich sehr fragwürdigen Vorgang einfach mit Autos ohne jede Kennzeichnung über die Grenze gefahren und wieder in Irun abgesetzt. Das wurde nicht nur von den Betroffenen erzählt, sondern das wurde auch von Journalisten dokumentiert.  Es waren oft Minderjährige, bei denen das auch in Frankreich schlicht illegal ist, sie ohne Rechtsberatung zu belassen, keine Möglichkeit zu lassen, eventuell einen Asylantrag zu stellen.

Ex-Polizist hat die Seiten gewechselt

Bestätigt werden die Vorgänge auch von Tom Dubois, der selbst daran beteiligt war, weil er selbst eines dieser Autos fuhr. Der 28-jährige Ex-Polizist hat sprichwörtlich die Seiten gewechselt, weil er das Vorgehen Frankreichs und das seiner Kollegen „inhuman“ nennt. Fünf Jahre war er in der sogenannten Grenzbrigade der Nationalpolizei tätig. Er weiß wovon er spricht, hat selbst vielen den Zugang zu Frankreich versperrt. Er hat inzwischen seinen Dienst quittiert und setzt sich nun für die ein, die er selbst einst wieder zurückgebracht hat.

Dubois wirft seinem Präsidenten Emmanuel Macron vor, die Politik der rechtsextremen Marine Le Pen zu exekutieren. „Wir sind zwar in Europa, aber Frankreich hat seine Grenzen wieder geschlossen.“ Dass man dafür eine angebliche Terrorismusgefahr oder das Coronavirus zur Begründung anführt, hält auch der Ex-Polizist für einen Vorwand: „Wir wissen, dass es um Einwanderung geht.“ Man treibe die Menschen durch diese Politik ins Ertrinken, eine „Tragödie“, meint er. Wenn es keine andere Lösung für sie gäbe, „müssen sie es einmal, zweimal, dreimal versuchen.“

Er fragt, welchen Sinn es mache, sie nicht über eine der drei Brücken hier zu lassen, wenn sie ohnehin schon in Europa seien. Er selbst habe schon einigen in Hendaye geholfen, aus dem Wasser zu kommen. Da der Bidasoa nun eine Alternative ist, fahre die Polizei verstärkt den Fluss ab, berichtet er. „Als ich zur Polizei ging, dachte ich, ich würde Menschen helfen, aber das stimmt nicht.“ Ihm sei klar geworden, dass er vor allem zum Schutz des Staates eingesetzt wurde. „Fängt man bei der Polizei an zu denken, fängt man an, nicht mehr zu gehorchen.“

Anlaufstelle auf dem Rathausplatz in Irun. Bild: R. Streck

Derweil kommen in Irun weiter vor allem junge Männer an, und auch professionelle Schleuser machen weiter ihren Schnitt über die Tatsache, dass Frankreich einigen Menschen die Ein- oder Durchreise verweigert. Dass es Schleusern oft nur ums Geld ging, die selbst keine Ahnung von der Region haben, bestätigte am Anlaufpunkt Krass & Konkret ein junger Senegalese. „100 Euro habe ich an Leute gezahlt, die sich dann völlig verfahren haben“, sagt er. Auch Daka wurde schließlich „von zwei Marokkanern“ an einem schlechten Ort abgesetzt und aufgegriffen. Auch sein vierter Versuch, über diese Grenze zu kommen, endete wieder in Irun, wo er sich an diesem Morgen erneut am Anlaufpunkt des Netzwerks meldet. „Dabei will ich doch gar nicht nach Frankreich, sondern wieder nach Italien“, sagt der junge Mann, der die Franzosen nicht ausstehen könne. Er wolle lieber in Spanien bleiben, als nach Frankreich zu gehen. „Allerdings spreche ich besser Französisch, dass ich in der Schule gelernt habe.“

In Italien hat er einen Bruder. Anders als die Mehrzahl der Ankömmlinge hier, die aus Mauretanien oder der von Marokko besetzten Westsahara wie Kulibaly über die Kanaren kamen, ist Daka über Libyen nach Italien eingereist. „Du redest wie ein Wasserfall“, weist ihn die freiwillige Helferin Garbiñe Imaz zurecht. „Höre besser zu, das ist wichtig für dich“, sagt sie ihm. Sie erklärt an diesem Morgen am Anlaufpunkt den acht jungen Männern die geographische Lage, damit sie von Schleusern nicht übers Ohr gehauen werden können. Sie verweist darauf, welche Möglichkeiten es grundsätzlich gibt, mit dem Bus, der Bahn oder zu Fuß über die Grenze zu gehen, und erklärt, dass in es in Baiona (Bayonne) eine sichere Anlaufstation gibt, den lokale Helfer mit der Stadtverwaltung geschaffen haben. Sie klärt die meist französischsprachigen Ankömmlinge auch über ihre Rechte auf, was die französische Polizei darf und was nicht. Sie hatte auch Kulibaly empfangen und gewarnt. Imaz ist von seinem Tod noch stark mitgenommen, will sich zu ihm nicht äußern. „Was ich mit ihm gesprochen habe, ist eine Angelegenheit zwischen ihm und mir“, erklärt sie Krass & Konkret.

Sie fragt Ibrahim aus Kamerun, der müde seinen Kopf auf dem Tisch liegen hat, ob er etwas was zum Anziehen braucht. Er zittert an diesem grauen baskischen Tag, an dem das Thermometer nicht einmal die Marke von 20 Grad erreicht hat. Er ist gerade aus dem heißen Madrid gekommen, wo die Hitzewelle zugeschlagen hat. Auch Moussa und Haima, von der Elfenbeinküste und aus Guinea stammend, fragen beschämt, ob es auch für sie vielleicht jeweils einen Pullover gäbe. Eine Helferin nimmt sie mit in die naheliegende „Nagusi Karrika“.

Moussa und Haima mit neuen warmen Pullovern und neue feste Schuhe für Moussa für den Weg über die Berge. Bild: R.Streck

In der Hauptstraße unterhält das Netzwerk ein Lokal, wo die Bevölkerung Kleiderspenden abgeben kann. Für Moussa fällt auch noch ein Paar neue Schuhe ab, der über kein festes Schuhwerk verfügt, aber den langen Fußweg über Bera in Navarra und die Berge versuchen will, wo der Bidasoa nicht mehr die Grenze markiert. Es sind nagelneue Schuhe, denn Geschäfte in Irun würden sich „sehr, sehr gut und solidarisch“ verhalten. Nach Schlussverkäufen würden sie dem Netzwerk zum Teil die gesamte Kollektion spenden, die nicht verkauft werden konnte, sagt der Fotojournalist Garaialde. Es gäbe zwar auch viel Gleichgültigkeit und auch Ablehnung: „Insgesamt würde ich aber sagen, es gibt mehr Solidarität als Ablehnung“, fasst er die Lage hier im Grenzgebiet zusammen. Das gesamte Interview mit ihm kann hier nachgelesen werden.

Getrieben von den Rechten

Wie für den Bürgermeister, den Ex-Polizisten und Garaialde ist hier allen klar, dass die Kontrollen letztlich sinnlos sind, dass praktisch alle es über die Grenze schaffen, entweder hier oder weiter oben in den Bergen: „Sie schaffen nur Leid, Verletzte, Tote, und machen nur den Weg schwerer.“ Auf die Frage, weshalb es sie dann überhaupt gibt, erklärt er: „Sie sind wohl vor allem dazu da, um zu zeigen, dass man etwas tut, vor allem gegenüber Rassisten und denen, die sich gegen Flüchtlinge und Einwanderer stellen.“ Diese Klientel, vor allem um Marine Le Pen und ihre Partei „Rassemblement National“ (Nationale Versammlung) solle damit beruhigt werden. „Die Grenze wirklich zu öffnen, würde vermutlich zu großen Problemen mit diesen Leuten führen, und das wäre wiederum Wasser auf deren Mühlen.“

Le Pen macht sich Hoffnungen darauf, die Präsidentschaftswahlen im nächsten Frühjahr zu gewinnen, Macron, der hier an der Grenze deren Politik exekutiert, will seinen Posten verteidigen. Die Ultrarechten sind aber bei den Regionalwahlen im Juni krachend gescheitert, was allerdings angesichts einer geringen Wahlbeteiligung nur bedingte Aussagekraft hat. In Iparralde, wie das französische Baskenland hier heißt, ganz besonders. Die linke EH Bai (Ja zum Baskenland) ist mit 25 Prozent zur zweitstärksten Kraft geworden. In Hendaye, dort wo die Flüchtlinge und Einwanderer über den Fluss kommen, ist die Partei, die Macrons Politik am schärfsten kritisiert und die Flüchtlinge und Einwanderer unterstützt, nun sogar stärkste Kraft. Sie hat sogar mit 52 Prozent eine klare absolute Mehrheit erhalten.

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