China und die Olympischen Spiele: Ein schreckliches Versehen

Eröffnungszeremonie. Bild: Kreml/CC BY-SA-4.0

Olympische Idee in falschen Händen!

 

Es geschehen wirklich schlimme Sachen in dieser Welt. Nein, nicht schon wieder, was Sie denken – Klimawandel, Welthunger, Kriege, Corona-Seuche, Plastik-Müll in den Weltmeeren und mehr. Wirklich erschreckend ist das, was wir gerade in Beijing sehen müssen: Ein „perfekt inszeniertes Sportereignis“. Denn dieses Ereignis – halten Sie sich jetzt fest und seien Sie ganz stark – wird von einem Staat (!) dazu benutzt, sein Prestige (!) aufzubessern.

Ist das zu glauben? Da will sich, wie wir Journalisten das alle vier Jahre aufs Neue begeistert formulieren, mal wieder die „Jugend der Welt“ treffen. Klar, wenn man es etwas weniger euphorisch formulieren würde, wäre es eigentlich weniger die Jugend der Welt, die sich da trifft, als eine Ansammlung von Sportsoldaten, die die nationalen Funktionäre in den Jahren davor sorgfältig aussortiert und nach allen Regeln der Kunst inklusive hoffentlich nicht nachweisbarem Doping trainiert haben. Und diese lustigen Jugendlichen begegnen sich auch nicht primär, um sich kennen zu lernen und Spaß miteinander zu haben, sondern eher, weil sie ziemliche Konkurrenzgeier sind, deren ungemein borniertes Lebensziel darin besteht, alle anderen hinter sich zu lassen in ihrer jeweils ganz speziellen Sportart. Aber wer will das eigentlich so genau nehmen – in solchen Floskeln quatschen wir Journalisten halt gerne, jedenfalls in Ländern, in denen die Meinungs- und Pressefreiheit nicht mit Füßen getreten wird.

Wir, Journalisten und deutsche Öffentlichkeit, müssen also gerade ohnmächtig zusehen, wie da hinten in Asien eine großartige Menschheitsidee zugrunde gerichtet wird. Und das nur, weil ein „autoritäres Regime“ versucht, sein mieses Image bei seinem übel unterdrückten Volk aufzupolieren. Und weil es sich gegenüber dem Rest der Welt ein weiteres Mal nach 2008 als lächelnde Macht aufspielen will, die 1-A-Sportstätten aus der Portokasse zahlen und ein solches Großereignis – diesmal auch noch unter den Bedingungen einer Zero-Covid-Politik – relativ problemlos organisieren kann. Da macht gerade die Politik den Sport kaputt, entsetzlich ist das. Das darf nicht sein – „die Spiele“ hätten nie an China vergeben werden dürfen!

Sicher – wenn man es genau nimmt, ist die ganze „olympische Idee“ von A bis Z politisch. Und zwar nicht erst seit B wie Beijing, sondern schon immer. Schließlich geht es um Wettkämpfe von Nationen. Bei der olympischen Eröffnungsfeier marschieren nicht die verschiedenen Sportarten ein, sondern Nationalmannschaften mit Flaggen; auf der Ehrentribüne hocken nicht Sportler, sondern Regierungschefs aus aller Welt. Dem Gewinner eines Wettkampfs wird auch nicht sein Lieblings-Song gespielt, sondern die Hymne seines Landes – ob er das will oder nicht, ob sie diesen Staat gut findet oder zum Kotzen. Aber das alles, nationale Identität und so, das ist ja alles so selbstverständlich, quasi so natürlich, das hat doch nichts mit Politik zu tun – das wäre ja regelrecht sophistisch! Und wir sind ja hier nicht im Politik-Seminar.

Fest steht: Olympia diesmal ist Krampf. Kein Vergleich mit den „heiteren Spiele“, wie wir Presse-Fritzen das 1972 bei uns so lange genannt haben, bis es wahr war. China kaufen wir weder sein glattes Lächeln ab noch irgendeine Form von authentischer Begeisterung seines Volks – weder für Sport noch für das Land. Das kann es dort nämlich gar nicht geben, erstens, weil Chinesen von Sport keine Ahnung haben, schon gar nicht vom Wintersport. Und zweitens, weil Chinesen von ihrem Staat ja unterdrückt werden, also nicht stolz auf ihn sein können.

Man kann sich natürlich fragen, wie ein Staat ein Volk, das gegen ihn ist, durch Olympia für sich begeistern will. Oder auch, wie Chinas Prestigegewinn funktionieren soll, wenn die Spiele das China-Bashing in medaillenverdächtige Höhen treiben. Aber egal: Diese Spiele hätten nie und nimmer nach China vergeben werden dürfen – da haben die IOC-Funktionäre voll versagt. Und das, obwohl wir da einen Deutschen an der Spitze haben, das ist schon enttäuschend. Für den Sport, versteht sich.

Gut – wo „die Spiele“ stattfinden, wird immer sport-diplomatisch ausgekungelt und ist Ergebnis ausgeklügelter Abwägungen zwischen politischen und kommerziellen Opportunitätserwägungen, ein bisschen Bestechung gehört natürlich dazu. Aber wenn in Deutschland keiner mehr diesen Scheiß haben und das finanzielle Risiko eingehen will, kann das ja wohl nicht heißen, dass man dieses Urteil der Bürger respektiert und die olympische Ehre zukünftig nur noch bei „Autokraten“ anfällt – das kann ja wohl kaum der Sinn von Demokratie sein!

Eigentlich hätten wir also diese Spiele boykottieren müssen – gerade wir Deutschen sind ja irgendwie zuständig für den Anstand in der Welt. Je mehr die Chinesen schalten und walten in ihrer olympischen Bubble, umso klarer wird das. Aber das kann man den Sportlern ja nicht antun. Die haben so viel dafür gegeben, das kann man ihnen jetzt nicht nehmen. Man kann zwar allen möglichen Menschen auf der Welt ziemlich viel antun, den Flüchtenden ihre Heimat ruinieren oder kaputt schießen, den Arbeitslosen ihre Existenzmöglichkeit nehmen, eine Menge Leute von Hartz IV leben lassen – aber nicht den Sportlern. Also müssen wir dieses Olympia jetzt durchstehen, auch wenn es hart ist und ein bisschen wie Kriegsberichterstattung. Zu Gast bei Feinden, haha.

Und siehe da: Kaum sind wir in die Wettbewerbe gestartet, kaum sind die ersten Medaillen gewonnen, ist alles schon viel normaler. Denn das wollen wir neben der ganzen Hetze auf diese schlimme Nation schon auch: Ganz sportbegeistert und ohne jeden politischen Hintergedanken über die deutschen Medaillen jubeln. Worin nochmal? Ach Scheiß drauf, drei goldene sind es schon, mit China auf Platz 3 im Medaillenspiegel.

Von Renate Dillmann ist im Verlag Die Buchmacherei das Buch erschienen: China – ein Lehrstück über alten und neuen Imperialismus, einen sozialistischen Gegenentwurf und seine Fehler, die Geburt einer kapitalistischen Gesellschaft und den Aufstieg einer neuen Großmacht.

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2 Kommentare

  1. Es wäre schon schön gewesen, wenn es eine Bezeichnung für den Artikel gegeben hätte, war es eine Polemik oder etwa eine Satire? So gehe ich einmal davon aus, dass es „ernst“ genommen werden soll.
    Ich kann mir vorstellen, dass es Werbung für das Buch von Frau Dillmann sein soll. Damit wäre der Nagel auf dem Kopf getroffen. Nichts anderes sind die Olympischen Spiele auch. Oft wird vergessen, dass die Olympischen Spiele an eine Stadt vergeben werden, die Regularien werden allerdings nicht von den Ausführenden festgelegt.
    So wie sich die Wirtschaft verändert, so verändert sich alles andere. Ich weiß noch wie Joseph Neckermann ein Pferd kostenlos bekommen sollte, es kam nicht zustande, weil das Pferd Jägermeister heißen sollte. Heute ist das alles egal. Mir ist auch vorstellbar, dass Sportler ihren Sport betreiben, weil es dort Geld zu verdienen ist. Das ist deren Sache, wenn sie es bekommen. Oft sogar von den öffentlich Rechtlichen. Hofnarren werden heute bezahlt.
    Im Grunde, ist es Werbung für den Kapitalismus, an dem wird haarscharf vorbeigeschrieben wird.
    „das kann ja wohl kaum der Sinn von Demokratie sein!“ Welche Demokratie denn? Die bürgerliche, die das Privateigentum an Produktionsmittel schützt? Die Sklavenhaltung rechtfertigt?
    Mir ist egal, was bei den „Spielen“ passiert, kann aber verstehen, dass die Chinesen so etwas feiern. Bisher war es Unterdrückung und Ausplünderung das sie von den heutigen Kritikern erfahren haben, war das der Sinn von Demokratie?
    Bis zum Biathlon im Wintersportort auf Schalke. Eine lesenswerte Rezension zu China.

    http://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/article/145.linke-kritik-an-china.html

  2. Die gleichen Leute, die verlässlich dafür sorgen, dass das „autoritäre Regime“ in China sein „mieses Image“ nicht verliert, sorgen verlässlich dafür, dass unsere miesen Demokraten, die weltweit Kriege vom Zaun brechen, hunderttausende Menschen töten und Gesellschaften zerstören, niemals ein „mieses Image“ bekommen.

    Dafür, dass sie selbst nicht vor dem Internationalen Gerichtshof landen, sorgen die Demokraten dann selbst.

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