Chaotische Maßnahmen in Hellas

Regierungschef Mitsotakis: „Es gibt einen satanischen Gedanken, dass das, was in der Slowakei passiert ist, in Griechenland passieren könnte.“ Bild: primeminister.gr

Geschäfte sollten eröffnen und müssen erneut vor der Öffnung schließen, die Rede ist von einem „sadistischen Jojo der Regierung“

Die Entschuldigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel hinsichtlich des in letzter Sekunde gekippten Lockdowns für die Ostertage wurde in Griechenland eher positiv aufgenommen und auch in der Parlamentsdebatte zur Pandemie am vergangenen Freitag erwähnt. Positiv, weil die Griechen sich von ihren Politikern wünschen würden, dass sie sich einmal entschuldigen würden.

Die griechische Regierung entschuldigt sich niemals. Ihrer Ansicht nach macht sie alles richtig. Griechenland erlebt in der dritten Welle Rekordzahlen hinsichtlich der Infizierten. Erneut sind, wie im November, die öffentlichen Krankenhäuser überlastet. Patienten sterben, bevor sie einen Platz in einer Intensivstation erhalten.

Schuld sind immer die anderen

Mitsotakis Stellungnahme zur Opposition war, dass er die Parteichefin der KinAl, Fofi Genimata, des Maximalismus bezichtigte. Genimata hatte die Diskussion im Parlament mit einer Frage ausgelöst. Oppositionsführer Alexis Tsipras ist gemäß Mitsotakis ein Nihilist, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Dimitris Koutsoubas leidet, so meint Mitsotakis, unter Negativismus. Yanis Varoufakis sieht der Premier als Surrealisten und die Opposition von rechts, namentlich Kyriakos Velopoulos, setzt auf Populismus. Alle so Geschmähten waren sich einig darin, dass die Regierung mit ihren aktuellen Entscheidungen ein Chaos auslöst. Zudem machten alle Oppositionsparteien Vorschläge für ein besseres Covid-19-Management.

Die linken und sozialdemokratischen Parteien bemängeln, dass die Regierung die Privatkliniken im Land von der Regierung nicht zur Intensivversorgung der Patienten gezwungen werden. Genimata warf dem Premier vor, dass Patienten auf den Gängen der Krankenhäuser in Notbetten sterben. Es gäbe weder genügend Ärzte noch genügend Sauerstoff. Die Politikerin bemängelte die Wirtschaftspolitik der Regierung. Diese würde Reichen unbeschwerten Zugang zu Kapital ermöglichen, während die von der Pandemie betroffenen, ärmeren Unternehmer vor dem Ruin stünden. Arbeitnehmer würden nicht geschützt, meint Genimata, zudem sei, wie alle anderen auch bemängelten, hinsichtlich der Schulen und dem Schutz der Schüler seit Beginn der Pandemie nichts geschehen.

Innerhalb der Bevölkerung sind die Meinungen geteilt. Viele verzweifeln an den stetig geänderten, teilweise unsinnig erscheinenden Maßnahmen. Oppositionsführer Alexis Tsipras nutzte dies für seine Attacken auf die Regierung. „Sie sagten, dass Covid nicht im ÖPNV übertragen werden kann, dann sagten Sie, dass es doch auch dort infektiös ist und heute sagt Herr Karamanlis [Verkehrs- und Infrastrukturminister] noch einmal, dass es im ÖVPN keine Ansteckungen gibt. Sie haben uns dasselbe über die Schulen erzählt. Sie machen das gleiche mit der Wirtschaft.“ Tsipras kritisierte zudem, dass eine Öffnung des Einzelhandels auf dem Peak der Neuinfektionen der dritten Welle keine gute Idee sei, sondern vielmehr „eine tragische Unterschätzung“.

Viel Kritik und Häme gab es seitens der gesamten Opposition für das Impfchaos, bei dem die Hauptschuld der Europäischen Union und persönlich der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zugeschoben wurde. Rufe nach weiteren Impfstoffen, wie dem Vakzin Sputnik V aus Russland wurden laut. Mitsotakis konterte dies mit der Behauptung, dass Sputnik V nur in der Dritten Welt Abnehmer finden würde.

Eine Steilvorlage für Tsipras, der auf den österreichischen Bundeskanzler Kurz und die Diskussionen in Deutschland verwies. Vom Erfolg der europäischen Impfkampagne hängt das wirtschaftliche Überleben der griechischen Tourismusindustrie ab. In Griechenland können aufgrund einer bilateralen Vereinbarung geimpfte Touristen aus Israel ohne Quarantäne einreisen, während ein gleiches Recht für EU-Bürger noch nicht beschlossen wurde.

Dimitris Koutsoubas verlas Lageberichte aus Krankenhäusern und prangerte an, dass es in staatlichen Krankenhäusern nunmehr wegen der Überlastung keinerlei Möglichkeiten für Operationen von Krebspatienten, keine Versorgung von Dialysepatienten und auch keine Behandlung von Thrombosepatienten geben würde. Koutsoubas verlangt von der Regierung, dass sie die privaten Kliniken im Land für die Dauer der Pandemie unter die Verwaltung der öffentlichen Gesundheitsversorgung stellt. Nur so könne, so Koutsoubas, ein kompletter Zusammenbruch des Gesundheitssystems abgewandt werden. Hinsichtlich der Bediensteten im Gesundheitswesen und auf den Intensivstationen fanden es alle Oppositionspolitiker unverständlich, dass es für diese keine Einstufung als „Tätige in einem gesundheitsgefährdenden, schweren Beruf gibt“.

Yanis Varoufakis von MeRA25 stellte dagegen einen detaillierten Plan vor. Er rechnete vor, mit welchen Maßnahmen die Wirtschaftskraft erhalten bleiben würde. Zudem sezierte er Mitsotakis wirtschaftlichen Aufbauplan und demonstrierte anhand der offiziellen Regierungsangaben, dass fast die gesamten Corona-Hilfen der EU, und in der Folge diejenigen des Staats für die Wirtschaft, aus Krediten bestünde. Dies fand er insbesondere für das immer noch unter der Pleite leidende Griechenland unsinnig. Zudem zeigte Varoufakis auf, dass die Finanzhilfen in die falschen Hände, nämlich an jene, welche genügend eigenes Kapital zur Überwindung der Krise haben würden, gehen. Der rechtsnationale Kyriakos Velopoulos nutzte die Gelegenheit, um Mitsotakis gleichzeitig von der Rechten, aber auch von der bürgerlichen Seite zu attackieren.

Mitsotakis Aufbauplan

Erst Mitte der Woche, am Mittwoch, hatte der Premierminister seinen Aufbauplan vorgestellt. Dazu gab es die Ankündigung, dass, unabhängig von den steigenden Infektionszahlen, ab Montag dem 5. April der Einzelhandel wieder öffnen soll. Eigens dafür wurde ein neuer SMS-Dienst unter der Nummer 13032 eingerichtet. Mit einer SMS an diese Nummer dürfen die Griechen nun bis zu drei Stunden im Einzelhandel einkaufen. Am 1. April veröffentlichten griechische Medien den detaillierten Plan.

Der Einzelhandel im gesamten Land bereitete sich daraufhin fieberhaft auf die Neueröffnung vor. So mussten Modegeschäfte, die seit November geschlossen sind, flugs eine neue Kollektion fürs Frühjahr finden. Im Beschluss zur Neueröffnung gibt es zahlreiche Paradoxa. So sind Fahrten in eine andere Stadt außer dem Wohnsitz fürs Einkaufen erlaubt, während sie für einen Spaziergang nur am Wochenende gestattet sind.

Die Griechen sind ebenso wie die übrigen Europäer durch die seit über einem Jahr geltenden Maßnahmen frustriert. Zu Beginn der Pandemie im vergangenen Jahr sorgten sie mit ihrer Disziplin dafür, dass die erste Welle in Griechenland kaum Fuß fassen konnte. Mittlerweile haben sie ihren Glauben an einen Plan der Regierung verloren.

Zumindest die Geschäftsleute der Region um Patras, der zweitgrößten griechischen Stadt Thessaloniki und der nordgriechischen Stadt Kozani haben nun allen Grund zum Zweifel an einem Plan. Denn sie erfuhren am Freitag kurz nach 22 h aus den Medien, dass sie nicht eröffnen dürfen. Dies sei eine neue Entscheidung, die aufgrund der Fallzahlen getroffen wurde, hieß es von Seiten der Regierung. An die Presse wurden statistische Daten geliefert, welche dies belegen sollten. Für den Bezirk Achaia rund um Patras hieß es, dass am 11. Januar dort rund 113 aktive Infektionen vorgelegen hätten, während es nun 1062 seien.

Für oppositionelle Medien, wie die „Efimerida ton Syntakton“ (EfSyn) kommentieren mit Titeln wie „Das sadistische Jo-Jo der Regierung in Thessaloniki“. Lokale Medien aus Patras, wie „The Best“, verweisen darauf, dass die Regierung in Städten mit höheren Fallzahlen wie Athen sogar große Einkaufs Malls wieder öffnen lässt.

Eilig reagierte die Regierung und schickte in jede der betroffenen Regionen einen Minister, der alles erklären sollte. Mitsotakis griff zum Telefon und rief den Vorsitzenden der Einzelhandelsvereinigung in Thessaloniki an. Die Händler in den betroffenen Regionen denken nun an eine Revolte. Schließlich haben sie sich im Vertrauen auf die Regierung mit Ware eingedeckt und das Personal wieder zur Arbeit gebeten.

Bei all dem Chaos fehlt der verantwortliche Minister für Wirtschaft, Adonis Georgiadis. Der Vizevorsitzende der Nea Dimokratia verkündete über soziale Medien, dass er sich eiligst habe operieren lassen müssen. Er dankte den Ärzten des öffentlichen KAT-Unfallkrankenhauses für die perfekte Versorgung und den raschen Operationstermin. Georgiadis soll Gerüchten zufolge einen Bandscheibenvorfall erlitten haben.

In sozialen Netzwerken löste die Meldung einen Shitstorm aus. Denn gewöhnlich Sterbliche können sich nun in der Pandemie nicht in öffentlichen Krankenhäusern operieren lassen. Sie müssen entweder warten, oder aber für einen hohen Preis ein privates Krankenhaus aufsuchen. Der Minister selbst zeigt sich geschockt über die Menge der Hassbotschaften, die ihn erreichte.

Es läuft nicht glücklich für die Regierung

Selbst bei Vorzeigeobjekten, wie dem Brandgebiet von Mati bei Athen, gibt es Misstöne. In Mati starben 2018 unter der Regierung von Alexis Tsipras mehr als 100 Menschen. Mitsotakis warf Tsipras seinerzeit eine Mitschuld an der hohen Todesrate vor. Er versprach bereits 2018, dass er alles in seiner Macht Stehende tun würde, um die Bewohner der vom Feuer ruinierten Ortschaft vor weiterem Übel zu bewahren, und um sie zu entschädigen.

Am 24. März erfuhren fünfzehn Familien, deren Häuser immer noch zerstört sind, dass sie aus ihren vom Staat gestellten Unterkünften bis spätestens 30. April, also pünktlich zur orthodoxen Karwoche, ausziehen müssen. Die Familien leben im einem Hotel, welches dem griechischen Militär gehört. Sie wandten sich in einem verzweifelten Brief an Mitsotakis. Sie können nicht verstehen, dass sie inmitten der Pandemie bei geltenden Ausgangsverboten mittellos auf die Straße gesetzt werden sollen.

 

 

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