CDU-Politiker fordern nach EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung weiter Mindestspeicherfristen

Bild: energy.gov

Bei der Begründung einer Mindestspeicherfrist für schwere Verbrechen argumentiert Günter Frings, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, teils mit fragwürdigen Tatsachenbehauptungen.

Keine zwei Stunden war das Urteil gestern öffentlich, mit dem der EuGH die allgemeine anlasslose Vorratsdatenspeicherung für nicht vereinbar mit dem EU-Recht erklärte. Da hatte Dr. Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, auch schon eine Pressemitteilung auf der Seite seiner Fraktion raushauen lassen. Die es schafft, die erste Hälfte der sechzehn Zeilen mit Fake News zu bestreiten und die zweite Hälfte mit triefender Heuchelei.

Zur Person von Dr. Günter Krings

Die Anregung von der „Täteridentifizierung“ greife ich gerne auf und darf Ihnen Herrn Dr. Günter Krings kurz vorstellen, falls Sie ihn nicht noch in Erinnerung haben: Der Volljurist ist seit 2002 Mitglied der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, deren rechtspolitischer Sprecher und war von 2013 bis Dezember 2021 parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, also unter den Ministern De Maizière und Seehofer. Krings kommt aus Nordrhein-Westfalen, ist Mitglied im Vorstand des dortigen CDU-Landesverbands und führt seit 2017 die Landesgruppe der CDU in der Bundestagsfraktion.

Den Feldzug der CDU/CSU für noch mehr Befugnisse für die Polizei – hier für eine anlasslose, allgemeine Vorratsdatenspeicherung – führt Krings seit vielen Jahren. Wenn er heute erneut insinuiert, dass eine „Täteridentifizierung“ ohne Vorratsdatenspeicherung für die Polizei nicht möglich sei, ist das eine Vortäuschung falscher Tatsachen. Welche Übertreibung das ist, ergibt sich schon daraus, dass es der Polizei gelungen ist, trotz der seit Jahren ausgesetzten Vorratsdatenspeicherung Zigtausende von Tätern zu identifizieren. Der Beweis ergibt sich aus der polizeilichen Kriminalstatistik.

Schon mehrfach verwendete Fake News über tausende Fälle, die angeblich nicht aufgeklärt werden konnten …

Dass seine Forderung auf dünnem Eis steht, ist ihm wohl selbst klar. Daher greift er zu einer Fake News:

„In den letzten fünf Jahren konnten 19.150 Hinweise auf sexuellen Kindesmissbrauch, die den deutschen Behörden allein vom US-amerikanischen National Center für Missing and Exploited Children (NCMEC) übermittelt werden, nicht aufgeklärt werden, weil die Adresse bei den Providern nicht mehr vorhanden war.“

Daran ist allerdings nicht die böse Rechtsprechung schuld, die der auf Kindesschutz fokussierten Polizei in den Arm gefallen ist. Vielmehr kam es mehrfach vor im dafür zuständigen Bundeskriminalamt, dass solche Fälle monatelang einfach liegenblieben, bevor sie dort auch bearbeitet wurden. So brachten die Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Kinderpornografie gegen den SPD-Abgeordneten Edathy ans Licht, dass entsprechende Hinweise aus den USA dort lange Zeit nicht angelangt worden waren. Edathy, zur fraglichen Zeit Vorsitzender des Innenausschusses im Deutschen Bundestag und Vorsitzendes der NSU-Untersuchungsausschusses, war ein politischer Gegenspieler der Innenpolitiker von der CDU/CSU. Ein politischer Hintergrund für dann doch noch so spät begonnene Ermittlungen wurde nie vollständig entkräftet.

Zuletzt 2018, damals gehörte Herr Krings noch immer zur Leitungsebene im BMI, hatte BKA-Präsident Münch – wie des Öfteren – die Wiedereinführung der vom Verfassungsgericht ausgesetzten Vorratsdatenspeicher und verlangt. Und dies unterfüttert mit der Behauptung, dass 2017 „über 8.000 Fälle von Kinderpornografie“ nicht hätten aufgeklärt werden können, weil die Vorratsdatenspeicherung nicht angewendet werden durfte. Netzpolitik hatte damals darauf hingewiesen, dass in der Polizeilichen Kriminalstatistik überhaupt nur 6.512 Fälle von Kinderpornografie, davon 89,5% als aufgeklärt, ausgewiesen waren. Irgendwas stimmt also nicht an den Zahlen, die Herr Münch da behauptete. Umso peinlicher ist, dass Krings diese Kamelle schon wieder aus dem Hut zieht. Vermutlich, weil er erneut, wie schon damals Schützenhilfe bei Medien erwartet, die solche Behauptungen ungeprüft glauben und weiterverbreiten, wie seinerzeit die Welt Online. (Ausführlich dazu hier).

Die Polizei in Nordrhein-Westfalen ist nicht gerade berühmt geworden für polizeilichen Schutz von Kindern

Im eigenen Landesverband NRW hat Krings die besten Beispiele dafür, dass Polizei nicht durch eine fehlende Vorratsdatenspeicherung daran gehindert wird, effektiv und vor allem frühzeitig genug gegen Kindesmissbrauch vorzugehen. Das zeigt unter anderem der Missbrauchsfall Lügde (NRW), der sich, wie es bei Wikipedia heißt, „zu einem Polizeiskandal“ ausweitete. Sollte Herr Krings an partiellem Erinnerungsverlust leiden, kann ihm sein Parteikollege, der NRW-Innenminister Reul, sicher auf die Sprünge helfen.

Herr Krings setzt dagegen auf Heuchelei

„Kinderschutz bedeutet, dass der Staat gerade die jungen Menschen besser schützt, die in besonderer Weise seine Hilfe brauchen. Mit feierlichen Sonntagsreden ist ihnen nicht geholfen.“

Dem zweiten Satz ist zuzustimmen. Zum ersten Satz fällt ein Ereignis von vor wenigen Wochen ein: Die Erschießung eines 16-jährigen, psychisch auffälligen und suizidgefährdeten Jugendlichen durch die Polizei in Dortmund. Natürlich ist Herr Krings dafür nicht persönlich haftbar zu machen. Wohl aber dafür, dass er und seinesgleichen ein Klima schaffen, das solche Tötungen im Amt nicht nur nicht unterbunden bzw. konsequent geahndet werden.

Gerade im Kringsschen Landesverband NRW kann ein Polizeibeamter, der in solchen Fällen zum „Täter“ wird, darauf setzen, dass auch das Innenministerium des Landes, das Landeskriminalamt und andere Landesbehörden (weisungsgemäß?) alles unternehmen, um eine Aufklärung zu verhindern. Und den beteiligten Polizeibeamten nicht mehr passiert als ein disziplinarisches Verfahren. Beispiele dafür reichen vom Fall des jungen Syrers Amad A., der ohne Rechtsgrundlage in Haft gesteckt wurde und an den Folgen eines Zellenbrandes ums Leben kam. Bis hin zu dem 16-Jährigen, der vor wenigen Wochen in Dortmund von Polizisten mit einer Maschinenpistole erschossen wurde.

Es geht nicht um „Kinderschutz“, sondern um noch mehr Überwachungsbefugnisse

Diese seit Jahren geübte Praxis demonstriert, dass die Forderung nach Kinderschutz praktisch nicht gelebt wird, sondern nur vorgeschoben ist. Krings & Co. benutzen sie zur Stimmungsmache und Durchsetzung ihrer politischen Agenda. Bei der es darum geht, nur noch mehr Befugnisse für die Sicherheitsbehörden gesetzlich zu verankern. Die – siehe Lügde – den Kindern und Jugendlichen nicht helfen, wohl aber den Werkzeugkasten an Überwachungsbefugnissen im Sinne einer „rechten“ Politik der Inneren Sicherheit weiter vervollständigen sollen.

Ähnliche Beiträge:

4 Kommentare

  1. Jedes Unterfangen die Freiheitsrechte einzuschränken ist kontraproduktiv. Zwar meint inzwischen auch der oberste Verfassungsrichter Stephan Harbarth, dass dies durchaus legitim sein kann, doch damit outet er sich als außerhalb des Gesetzes zu stehen – dessen Einhaltung er eigentlich zu beschützen hat.
    Allein daran kann man erkennen, dass wir in einem Staat leben, wo das Prinzip „Management by Champignon“ gilt.
    https://www.wirtschafts-abc.com/management-champignon

  2. die Erfahrung nach rund zwanzig Jahren SPD/Otto-Katalog und drei Legislaturperioden mit CSU/CDU-geführtem Bundesinnenministerium zeigt (leider), dass dieses Unterfangen gerade nicht „kontraproduktiv ist, sondern ganz im Gegenteil sehr erfolgreich, siehe (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Verschärfungen in der StPO (rund um §100) , im StGB (z.B. Gewalt gegen Vollstreckungsbeamte, Wohnungseinbruchdiebstahl etc.), Staatstrojaner, Mobilitätskontrolle (Fluggastdaten, PKW-Maut), Finanztransaktionskontrolle, biometrische Ausweisfunktionen, die so genannte Registermodernisierung und Einführung der Steuer-ID als Identifikationskennzeichen, die von der aktuellen Diskussionen um Wirtschaftskrise, Gasumlage und Ukraine-Krieg ganz wunderbar verdeckt wird.

    Harbarth (früher CDU-MdB) ist genau an die Position gehievt worden, wo er die beste Wirkung im Sinne der „rechten“ Politik der Inneren Sicherheit entwickeln kann.

    1. Zur Begriffsklärung. – Im Sinne der bei uns herrschenden Parteiendiktatur ist die Einschränkung der Freiheitsrechte sehr produktiv – aber im Sinne eines Rechtsstaates eben doch verwerflich , unmoralisch und damit kontraproduktiv. –

  3. Liest man Artikel wie etwa die von Matthias Monroy ist da schon laenger der
    Eindruck, dass es eher um Aufstands- als um Verbrechensbekaempfung (1) geht.
    Gerade seit der Finanzkrise 2009, verschaerfter Verarmung und Militarisierung (Drohnenmorde, Krieg gegen Russland/China, …).
    Und ‚Kind oder aelter‘ ist dabei egal (2). – Ueberwachungskapitalismus in der Megakrise eben.

    1. https://netzpolitik.org/2017/eu-und-nato-starten-cyberuebungen-an-der-schwelle-zum-bewaffneten-angriff/
    2. https://www.zdf.de/funk/reporter-11853/funk-hausdurchsuchung-bei-15-jaehriger-fridays-for-future-aktivistin—warum—reporter-102.html

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert