Bundesregierung: Sozialistische Gesellschaftsordnung schließt „freiheitliche Demokratie“ aus

Plakat zur BUndestagswahl 1976. Bild: Konrad Adenauer Stiftung/CC BY-SA-3.0

Wenn Verfassungsschutz und Bundesregierung den Marxismus als verfassungsfeindlich einstufen, wird aus dem Menschenrecht „Jeder Mensch ist gleich“ eine Ideologie zur Zementierung der Chancenungleichheit.

 

Die linke Tageszeitung junge Welt wird mitsamt einigen Autoren und Redaktionsmitgliedern vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuft. Die junge Welt wolle „nicht nur informieren, sondern auch für Aktionen mobilisieren und den Widerstand formieren“, sie wird deswegen mitunter auch als „extremistische Gruppierung“ eingeordnet. Das hat für die Zeitung auch wirtschaftliche Folgen, ähnlich wie wenn eine Publikation in Russland oder den USA als ausländischer Agent eingestuft wird.

Für die Bundesregierung rechtfertigte das Bundesinnenministerium durch den Staatssekretär Prof. Dr. Günter Krings diese Einstufung in einer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken. Der Professor gibt dabei fast in Wortlaut die Ausführungen des Verfassungsschutzes wieder (Journalismus im Visier des Verfassungsschutzes).  Das ist übel, zumal wenn man andere Entwicklungen betrachtet, z.B. Journalisten und Whistleblower werden zu Spionen gemacht, Wie kann man mit Faktenchecks “lügen”? oder Orbanisierung Österreichs, um nur einiges zu nennen.

Nach dem Bundesinnenministerium gefährde die Zeitung die freiheitlich demokratische Grundordnung, sie sei „eindeutig kommunistisch ausgerichtet“, ihre „marxistische Grundüberzeugung enthält als wesentliches Ziel, die freiheitliche Demokratie durch eine sozialistische / kommunistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen“, sie ist „Multiplikator linksextremistischer Positionen“ und bezieht sich mitunter auf  „Klassiker des Marxismus-Leninismus“ wie Marx und Engels.

Beiträge von „Linksextremisten“ und Interviews mit solchen, erweckten „den Eindruck, eine mögliche Gewaltanwendung durch solche Personen oder Gruppierungen zu tolerieren“. Vorwurf ist auch eine „unkritische Solidarität mit sozialistischen Ländern autoritärer bzw. diktatorischer Prägung“ wie Kuba. Eine Nennung der linksextremistischen Autoren oder Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz verweigert Krings allerdings: „Eine Beantwortung zu etwaigen dem linksextremistisch oder linksextremistisch beeinflussten Spektrum zugeordneten Personen – wie gemäß Fragestellung erbeten – aus Gründen des Staatswohls nicht erfolgen, da Arbeitsmethoden, Vorgehensweisen und Aufklärungsprofile der Sicherheitsbehörden des Bundes, hier des BfV, im Hinblick auf deren künftige Aufgabenerfüllung besonders schutzbedürftig sind.“

Das ist so geheim, dass es verdächtig ist, da die Nennung von Namen vielleicht die Möglichkeit bieten könnte, gerichtlich einzuschreiten: „Auch eine Auskunft nach Maßgabe der Geheimschutzordnung und damit einhergehende Einsichtnahme über die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages (scheidet aus), da auch die geringe Wahrscheinlichkeit des Bekanntwerdens aus Staatswohlgründen nicht hingenommen werden kann.“

Nebenbei wird hier von der Bundesregierung letztlich verordnet, dass der Marxismus, auch als wissenschaftliche Theorie,  und eine Beschäftigung mit den marxistischen Klassikern verfassungsfeindlich sein kann. Zugrundegelegt wird ohne jede Begründung, dass Marxismus und auch eine „sozialistische Gesellschaftsordnung“ die „freiheitliche Demokratie“ ausschließen. Da wird wieder der alte Krampf „Freiheit oder Sozialismus“ gepredigt – und das von einer Regierungskoalition mit Beteiligung der SPD.

Auch sonst ist die Argumentation des Professors dürftig. So schreibt er: „Beispielsweise widerspricht die Aufteilung einer Gesellschaft nach dem Merkmal der produktionsorientierten Klassenzugehörigkeit der Garantie der Menschenwürde. Menschen dürfen nicht zum ‚bloßen Objekt‘ degradiert oder einem Kollektiv untergeordnet werden, sondern der Einzelne ist stets als grundsätzlich frei zu behandeln. … Die Menschenwürde ist egalitär, d. h. sie gründet ausschließlich in der Zugehörigkeit zur menschlichen Gattung, unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Rasse, Lebensalter oder Geschlecht.“

So ließe sich auch nicht mehr von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sprechen, die Benennung von Armut, Chancenungleichheit oder Diskriminierung würde der Menschenwürde widersprechen. Und der scheint es nach Lesart des Professors auch egal zu sein, ob gesellschaftliche oder wirtschaftliche Strukturen zur Ungleichheit und Ausbeutung führen. Jeder Mensch ist gleich, wird so zur Ideologie zur Zementierung der Chancenungleichheit. Sie macht auch wissenschaftlich begründete, wenn auch falsifizierbare Kritik und Überlegungen zu einer gerechteren Gesellschaft letztlich verfassungswidrig.

Wollen die Konservativen – mit der Unterstützung der SPD – damit die seit Jahren wichtiger werdende Ungleichheitsforschung diskreditieren. Während Krings die Rede von Klassen von der Verfassung verpönt sehen will, sagt der Soziologe Andreas Reckwitz (Das Ende der Illusionen, Frankfurt a.M. 2021): „Etwas ist in den letzten Jahren in Bewegung geraten in der intellektuellen Debatte der westlichen Länder: Man redet wieder von sozialen Klassen.“ Das stehe im Gegensatz, dass man Klasse ganz im Sinne von Krings abgeschrieben habe, weil sich soziale Großgruppen auflösen: „Die Individuen, so dachte man, würden ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und sich gemäß eigener Entscheidung mobilen Lebensstilen zuordnen. Die Frage der Polarisierung zwischen sozialen Gruppen stellte sich nicht mehr.“

Das ist eigentlich angesichts einer Regierung verrückt, in der die SPD Koalitionspartner ist, die zumindest früher auch eine sozialistische Politik, basierend auf dem Marxismus, verfolgt hat. Und selbst die CDU hatte nach dem Krieg in ihrem Ahlener Programm festgestellt, dass „die Zeit der unumschränkten Herrschaft des privaten Kapitalismus vorbei ist“.

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Ein Kommentar

  1. Ja übel, aber was wird erwartet von so einer Behörde. Sie muss gute Geschichten erfinden und wo es nicht passt bleibt es geheim. Bei den Leuten ist auch die Hälfte des Salärs Bestechung, wie beim TV. Was soll das Geschwätz von freiheitlicher Demokratie? Was ist das, ist durch Corona das freiheitliche in Rente?
    Das ist alles nicht was mich stört, was mich stört ist das nicht wirklich vorbereitet wird was zu erwarten ist.
    Es muss in der Ökonomie gesucht werden, egal was der Kasper sagt.
    Wenn jetzt die Inflation, die Zinsen steigen lässt. Was machen die Leute deren Zinsbindung ausläuft und sie frei Zinsmässig sind?
    Wenn die Corona Schulden beigetrieben werden, wer wird es zahlen? Was ist mit den Arbeitsplätzen die auch ohne Sanktionen nicht mehr zurück kommen? Was ist mit den Leuten die durch den Tendenziellen Fall der Profitrate ohne Lohnarbeit da stehen.
    Marx/Engels haben sich auch schon mit Profs. herumschlagen müssen. Herr Düring oder Senor sind echt tot.
    Alleine wenn diese Seite mit den Widersprüchen zu den Lebensbedingungen von Menschen betrachtet wird, hat der Verfassungsschutz keine Bedeutung.
    „Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt.“ Karl Marx 1859, MEW 13, S. 9

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