Bulgarien: Eine Wahl wie jede und keine

Als eigentliche Sensation dieser Wahl erwies sich die neugegründete Partei „Ima takev narod“ des ebenso populären wie umstrittenen Popstars und Showmasters Slavi Trifonov. Screenshot von YouTube-Video

 

Borissov siegt sich ins politische Aus. Protestparteien verdrängen Nationalisten aus Bulgarischer Volksversammlung.

Im Oktober 2005 wählten die Sofioter den vormaligen Hauptsekretär im Innenministerium Boiko Borissov zum Bürgermeister der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Seitdem gilt in Bulgariens Demokratie das eherne Gesetz: Egal wie viele und welche Parteien und Kandidaten sich zur Wahl stellen – der Sieger heißt immer Boiko Borissov bzw. seine rechtsgerichtete Partei Bürger für eine Europäische Entwicklung Bulgariens (GERB). Die Wahl des Sozialisten Rumen Radev zum bulgarischen Staatspräsidenten im November 2016 bestätigte als Ausnahme die Regel.

Vor gut einem halben Jahr schien die Chance realistisch, das Gesetz der Serie zu brechen. Tag für Tag gingen in Sofia und anderen Städten des Landes tausende Bürger auf die Straße und forderten den sofortigen Rücktritt von Ministerpräsident Borissov und vorgezogene Neuwahlen.  Meinungsumfragen zufolge unterstützten damals zwei von drei Bulgaren die größte Protestbewegung seit sieben Jahren. Borissovs Siegerimage schien flöten gegengen zu sein, er sah sich stattdessen mit massiven Vorwürfen konfrontiert, in seiner fast zwölf Jahre währenden Regentschaft durch mafiotische Klientelpolitik überfällige Reformen bspw. im Rechtswesen und in der Wirtschafts- und Sozialpolitik verunmöglicht und das Balkanland in auswegslose Stagnation geführt zu haben.

Geleakte Fotos aus seinem Schlafzimmer, die eine Pistole auf dem Nachttischchen und Goldklumpen und dicke Bündel von 500 €-Scheine in der Schublade zeigten, schienen die Plausibilität der Anschuldigungen zu belegen.  Die bulgarische Staatsanwaltschaft vermochte die Affäre bis heute nicht hinreichend aufzuklären.

Nun hat sich Borissovs Partei GERB bei den Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag doch wieder als stärkste politische Kraft in der 45. Bulgarischen Nationalversammlung behauptet. Bei niedriger Wahlbeteiligung von knapp unter 50% kam sie auf 26,18%% der abgegebenen Stimmen.  Als eigentliche Sensation dieser Wahl erwies sich die neugegründete Partei „Ima takev narod“ (ItN/ So ein Volk gibt es) des ebenso populären wie umstrittenen Popstars und Showmasters Slavi Trifonov. Sie wurde mit einem Stimmanteil von 17,66% Zweite noch vor der post-kommunistische „Bulgarischen Sozialistischen Partei“ (BSP) mit 15,01% und der Partei der bulgarischen Türken „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS) mit 10,49%.

Außer Trifonovs ItN sind künftig zwei weitere politisch mit den Protesten vom vergangenen Jahr verbundene Wahlbündnisse im Parlament vertreten; das liberal-konservativ „Demokratitschna Bulgaria“  (DB / Demokratisches Bulgarien) von Ex-Justizminister Hristo Ivanov errang 9,45% der Stimmen und „Ispravi se – Mutri ven“ (IsMv / frei übersetzt: Rappel dich auf, Verbrecher raus) der früheren Ombudsfrau Maja Manolova 4,72%. Die von dem Glücksspielmagnaten Vasil Boschkov gegründete Partei „Bulgarsko Ljato“ (BNO / Bulgarischer Sommer) verfehlte mit 2,92% relativ knapp den Einzug ins Parlament. Boschkov, der als Reichster der Bulgaren gilt, hat sich seiner Ansicht nach ungerechtfertigter Strafverfolgung in Bulgarien durch Flucht ins Exil nach Dubai entzogen.

Eine Expertenregierung oder eine Koalition ohne Borissov?

Mit ihrem Einzug ins Parlament haben Bulgariens Kritiker des oligarchischen Status Status Quo diesen radikal verändert. Indem es ihnen gelang, die nationalistischen Parteien der Vereinigten Patrioten (VP) aus der Bulgarischen Volksversammlung zu verdrängen, haben sie Borissov jeglicher Koalitionsmöglichkeiten beraubt. Vor der Wahl konnten sich die bisher im Wahlbündnis VP zusammengeschlossenen Parteien Ataka, Nationale Front für die Rettung Bulgariens (NFSB) und Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation (VMRO) nicht auf einen gemeinsamen Wahlantritt verständigen, getrennt scheiterten sie jeweils an der Vier-Prozenthürde.

In Ermangelung möglicher Koalitionspartner schlug Regierungschef Borissov noch am Wahlabend die Bildung einer überparteilichen Expertenregierung vor, die das Land bis zum Jahresende führen solle. Dieser Vorschlag war indes von kurzer Halbwertszeit. Bereits am Mittwoch lancierte er eine andere Idee.  GERB könne „Trifonov zehn /  zwanzig Abgeordnete geben, um eine Regierungsbildung zu ermöglichen”.

„Wir haben den fünften Sieg bei Parlamentswahlen errungen! Doch wegen der vielen Stimmen für die anderen, können wir uns nicht freuen. Ab sofort soll Politikerkollege Trifonov mit seiner halben Million Stimmen hervortreten und politische Verantwortung übernehmen”, sprach der auf der ersten Regierungssitzung zu seinen Ministern und Ministerinnen. Zuletzt stellten GERB-Vertreter die Möglichkeit in Aussicht, ihre Partei könne sich doch um die Bildung einer Koalitionsregierung bemühen, ohne Borissov als Ministerpräsident. Die Sozialisten signalisierten ihrerseits Bereitschaft, eine Anti-Borissov-Koalition aus Slavi Trifonovs ItN, Hristovs DB und Manolovas IsMv zu tolerieren.

Ob und wenn ja es zu einer der in schnellem Wechsel lancierten Varianten einer Regierung kommen wird, ist ungewiss. „Es könnte sein, dass das neue Parlament so schnell erlischt wie eine Zigarettenkippe auf nassem Asphalt“, hat DB-Parteiführer Hristo Ivanov noch vor der Wahl die Möglichkeit vorgezogener Neuwahlen antizipiert. Diese aber könnten die ein oder andere nationalistische Partei zurück ins Parlament führen und damit Borissovs GERB neue Koalitionsmöglichkeiten eröffnen.

Bulgarien hat nun mit Slavi Trifonov nun einen Akteur auf seiner politischen Bühne, der seine im Showbusiness errungene Popularität wie Beppe Grillos in Italien und Wolodymyr Selenskvy in der Ukraine in politische Macht umgemünzt hat. Trifonovs oberste Priorität ist es erklärtermaßen, durch eine Wahlrechtsreform Bulgariens sklerotisierte politische Verhältnisse zu revitalisieren. „Bei Wahlen in Bulgarien kommen immer diesselben Leute in Parlament und es ändert sich nichts“, kommentierte Trifonov Borissovs Sieg bei den Parlamentswahlen 2017.  Vier Jahre später straft sein Wahlerfolg seine eigenen Worte von damals Lügen.

Bereits im November 2016 hat Trifonov parallel zur damaligen Präsidentschaftswahl eine Volksabstimmung über die Ersetzung des repräsentativen Wahlsystems durch ein Mehrheitswahlrecht durchgeführt. Mit 2,5 Millionen abstimmende Bulgaren sprach sich damals eine deutliche Mehrheit der Abstimmenden dafür aus. Da die etablierten politischen Parteien die Einführung des Mehrheitswahlrechts aber nicht unterstützten, blieb ihr Votum folgenlos.

US-Außenministerium: Lage der Menschenrechte verheerend

Zumindest für die Bulgaren, die alles, aber nur kein weiteres Kabinett Boiko Borissov wünschen, weil sie ihn für einen Populisten oder gar Mafioten halten, ist der Wahlausgang Grund zur Genugtung. Ihre Fundamentalkritik an Borissovs autokratischer Herrschaft Borissovs findet ihren Widerhall auch im unmittelbar vor der Parlamentswahl publizierten Bericht der US-Außenministeriums zur Lage der Menschenrechte in Bulgarien. Er stellt Boiko Borissov für seine drei Legislaturperioden im Amt des Ministerpräsidenten ein verheerendes Zeugnis aus. Anders als die ebenso regelmäßigen wie unverbindlichen Evaluierungsberichte der Europäischen Kommission (EK) zum Stand Inneres, Bekämpfung von Korruption und Organisiertem Verbrechen der vergangenen Jahre prangert das us-amerikanische Außenamt in ihm politische und gesellschaftliche Missstände in Bulgarien unmissverständlich an, scheut sich auch nicht, Namen zu nennen.

Ausdrückliche Erwähnung in ihm findet der DPS-Abgeordnete und Medienunternehmer Deljan Peevski, gegen den vor dem New Yorker Bezirksgericht eine Klage nach dem Rico-Gesetz zur Organisierten Kriminalität anhängig ist.  In Bulgarien gilt Peevski als die Personifizierung der Korruption politischer Eliten, mangelnder Rechtshoheit und bedrohter Medienfreiheit. Aufgrund ihres Stimmverhaltens bei wichtigen Abstimmungen im Parlament schien seine Partei DPS in der 44. Bulgarischen Volksversammlung so etwas wie ein verdeckter Koalitionspartner der Regierungspartei GERB.

Halten viele Beobachter die politische Karriere von Boiko Borissov mit der Wahl vom Sonntag nun auch für beendet, so kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass er bei der für den September 2021 angesetzten Präsidentschaftswahl seinen bisher einzigen Wahlbezwinger Rumen Radev herausfordern könnte. Sollte Borissovs Popularität im bulgarischen Volk in diesem Falle noch ausreichen, um den sozialistischen Amtsinhaber zu bezwingen, würde der prompovierte Feuerwehrmann Borissov den letzten ihm möglichen Karrieregipfel in der nationalen Politik erklimmen und endgültig zur politischen Legende in dem Balkanland werden.

Ähnliche Beiträge:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert