„Jeder Mensch ist berechtigt, über die Preisgabe und Verwendung seiner personenbezogenen Daten selbst zu bestimmen. Die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme werden gewährleistet. Einschränkungen dieser Rechte bedürfen eines Gesetztes.“ So steht es z.B. in Artikel 12 a der hessischen Landesverfassung.
Wenn man das ernst nimmt, dann dürfte ein Unternehmen wie Amazon als verfassungsfeindlich gelten. Klar, rein juristisch ist Amazon wahrscheinlich aus dem Schneider, denn alle rund 44 Millionen deutschen Amazon-Kunden haben ja mit der Eröffnung ihres Kundenkontos auch die AGBs abgenickt – natürlich ohne sie zu lesen. Da steht nett formuliert:
„Als Teil der Amazon Services empfehlen wir Ihnen Funktionen, Produkte und Dienstleistungen, die für Sie von Interesse sein könnten, ermitteln Ihre Präferenzen und personalisieren Ihre Erfahrungen mit Amazon Services.“
Konkret bedeutet die „Personalisierung unserer Erfahrungen“ folgendes: Daten wie unseren Namen, unsere Adresse und Bankverbindung, geben wir Amazon freiwillig. Darüber hinaus registriert und speichert Amazon jeden Klick, den wir auf der Amazon-Website machen und setzt diese Daten in den Kontext mit bis zu 100 weiteren Merkmalen und Metadaten. Wann haben wir eingekauft, mit welcher Kreditkarte haben wir bezahlt, wie weit ist unser Weg bis zum nächsten Supermarkt und wie war zum Zeitpunkt unseres Einkaufs das Wetter. Mit „Amazon Echo“, dem cloudbasierten Voice-Service, der auf den Namen „Alexa“ hört und den Amazon seit 2016 auch hier in Deutschland anbietet, erreicht diese Datensammelwut nun eine neue Dimension. Mit der smarten Lautsprecherbox sollen wir in Zukunft unsere interaktive Wohnumgebung steuern und deshalb ist Alexa mit sieben Mikrofonen, Richtfunktechnologie und Geräuschunterdruckung ausgestattet. Schon jetzt können wir Alexa bitten unsere Lieblingsmusik zu spielen, den Wetterbericht oder die Verkehrslage abzufragen und unsere Einkaufsliste oder den Terminkalender zu führen. Über eine offene Schnittstelle lässt sich Alexa schon heute mit rund 50.000 Funktionen und an die 20.000 Geräte verbinden und in absehbarer Zeit können wir dann mit Alexa in unserer smarten Wohnumgebung die Waschmaschine anschalten, die Heizung regulieren oder den autonomen Staubsauger starten. Das klingt nach einem tollen Service und bequemen Komfort. Der bedenkliche Haken an der Sache ist nur: Auch jeden Befehl, den wir Alexa geben, speichert Amazon auf seinen Servern, um unsere Lebensgewohnheiten und unser Kaufverhalten zu analysieren. Wir werden zu absolut gläsernen Konsumenten, weil Amazon schon vor uns selbst wissen will, was wir als nächstes kaufen. Soviel zur in der Verfassung garantierten „Selbstbestimmtheit“ im Umgang mit unseren Daten.
Digitalisierung ist ja das große Zauberwort der Stunde. Die Kanzlerin verspricht das „schnelle Internet“ und Dorothee Bär, unsere Staatsministerin fürs Digitale träumt von Flugtaxis. Was Digitalisierung wirklich bedeutet, was das mit uns als Individuen macht, mit unserer Gesellschaft und unserer Demokratie, davon haben die wenigsten von uns auch nur den Hauch einer Ahnung. Deshalb ist Amazon ein gutes Beispiel. In marktradikaler Konsequenz hat Jeff Bezoz Amazon in knapp 25 Jahren von einer Garagenfirma zum wertvollsten Unternehmen des Planeten gemacht. Heute ist Amazon das größte Online-Kaufhaus, bei dem rund ein Viertel aller deutschen online Umsätze landen, Amazon stellt den größten Marktplatz zur Verfügung, auf dem an die zwei Millionen Händler ihre Waren anbieten und ist mit den Amazon Webservices außerdem Marktführer in Sachen digitaler Infrastruktur, also den Rechenzentren, die alle die smarten Möglichkeiten am Laufen halten. Außerdem verfügt Amazon über rund 300 Millionen ständig aktualisierter Kundenprofile. Der „Allesverkäufer“ als der sich Jeff Bözoz selbst gerne bezeichnet, ist auf dem Weg zum Allesbeherrscher und Alleswisser zu werden. Wir sollten uns deshalb mal ernsthaft fragen, ob wir uns auf eine digitale Zukunft einlassen wollen, die von wenigen Monopolunternehmen gelenkt und organisiert wird, die dabei totalitäre Überwachungsmethoden anwenden, von denen die Stasi noch nicht mal zu träumen gewagt hätte. Mit dem Unterschied, dass wir uns die formschöne Superwanze Alexa heute freiwillig installieren und dafür auch noch an die 100 Euro bezahlen.
Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo uns das hinführt, reicht ein Blick nach China. Dort hat die Regierung die Testphase für ein „Citizen Scoring“ gestartet, dass ab 2020 flächendeckend eingeführt wird. Jeder Bürger erhält dann ein Punktekonto, auf das bei Wohlverhalten Bonuspunkte auflaufen, für die man sich dann Vorteile sichern kann, wie verbilligte Flugreisen oder Aufstiegschancen im Beruf. Man kann aber auch mit Punktabzügen bestraft werden, wenn man beim Überqueren einer roten Ampel erwischt wird oder ein ähnlich regierungskritisches Verhalten an den Tag legt. In Zusammenarbeit mit Alibaba, dem chinesischen Amazon, das ebenfalls über ein ausgefeiltes Kundenprofiling verfügt sind die armen Chinesen vom Kommunismus ohne Umweg im totalen Überwachungskapitalismus gelandet. Und mit Amazon und Co sind auch bei uns die Weichen Richtung smarte Diktatur gestellt. Schon heute verfügt Amazon über eine beängstigende Markt-, Finanz- und Datenmacht und mit jedem Einkauf stärken wir ein System, das uns ein smartes und bequemes Leben verkauft, für das wir mit dem Verlust an unbeobachterer Privatheit und unserer Freiheitsrechte bezahlen.
Es wird leider nicht genügen, wenn die hessischen Wähler jetzt den Datenschutz in der Verfassung festschreiben. Wir müssen leider alle runter vom Sofa und den trägen Hintern hochkriegen. „Schnauze, Alexa!“ und raus mit der Wanze auf den Elektroschrott kann auch nur ein erster Schritt sein. Wir müssen uns dringend die Frage stellen, in welcher Gegenwart wir in Zukunft leben wollen. Edward Snowden, der den NSA-Skandal aufgedeckt hat, begründete seine Aktion mit dem Satz: „Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der alles, was ich tue und sage, aufgezeichnet wird.“ Das ist der richtige Ansatz, um über Digitalisierung nachzudenken und die smarte Welt noch einmal mal neu zu erfinden.