Dass in Deutschland immer mehr festgestellte Infektionen auf Reiserückkehrer – vor allem aus Spanien – zurückzuführen sind, hat dabei eine besondere Rolle gespielt. Trotz allem wird Deutschland für die zu spät kommende Warnung vermutlich noch teuer bezahlen.
„Mit Wirkung vom 27. Juli 2021, 0 Uhr, ist Spanien als Risikogebiet mit besonders hohem Infektionsrisiko (Hochinzidenzgebiet) eingestuft“, heißt es nun auf den Webseiten des Auswärtigen Amts (AA). Mit mehr als zweiwöchiger Verspätung hält sich die Bundesregierung seit Freitag nun an ihre eigenen Vorgaben und verschärft damit Quarantänepflichten auch für Rückreisende aus Spanien. Die gelten nun auch für Rückreisende aus den Niederlanden oder Georgien, da beide Länder ebenfalls hochgestuft wurden.
Nur für Rückkehrer, die über eine Vollimpfung verfügen oder genesen sind, entfällt weiterhin die 14-tägige Quarantänepflicht. Alle anderen müssen für zehn Tage in Quarantäne. Sie können sich frühestens nach fünf Tagen über einen negativen Test „frei“-testen.
Eigentlich hätte die Einstufung spätestens vor zwei Wochen vorgenommen werden müssen, denn genau am Freitag vor zwei Wochen erreichte die 7-Tage-Inzidenz in Spanien die Hürde von 200 pro 100.000 Einwohner, an der die Bundesregierung eine Region oder ein Land als Hochinzidenzgebiet definiert. Der Schritt kam aber erst, als die Inzidenz in spanischen Urlaubsgebieten wie Mallorca mehr als doppelt so hoch liegt.
Nach neuesten Zahlen der lokalen Gesundheitsbehörde der Balearen-Inseln gehen die Inzidenzwerte dort auch offiziell durch die Decke. Sie haben auf den Balearen am Freitag mit 407 sogar schon die Schwelle von 400 überschritten. Sie ist dort nun sogar deutlich höher als im Landesdurchschnitt, den das Gesundheitsministerium mit 338 angibt. Mallorca schafft mit 681 schon fast die doppelte Inzidenz des Landesdurchschnitts.
Infektionen von Reiserückkehrern in Deutschland gehen in die Höhe
Menorca weist 895 aus und die Party-Insel Ibiza sogar 1126. Hier ist zudem auch noch die extreme Positivquote von über 20 Prozent zu nennen, also mehr als viermal so hoch, wie sie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit fünf Prozent vorgibt. Diese hohe Zahl positiver Tests macht klar, dass weiter viele Neuinfektionen nicht entdeckt und oft in andere Regionen Spaniens oder andere Länder “exportiert” werden.
Es blieb dem AA also nun schlicht keine andere Möglichkeit mehr, als die bisherige politische Fehlentscheidung verspätet zu korrigieren, Spanien gegen jede Vernunft bisher nicht zum Hochinzidenzgebiet erklärt zu haben. Bundesaußenminister Heiko Maas hatte kürzlich beim Besuch in Madrid noch davon schwadroniert, dass die Lage in Spanien „nicht besorgniserregend“ sei, obwohl die Entwicklung längst fatal war und das Land sich selbst bereits als „Extrem-Risikogebiet“ eingestuft hatte. Eine Wiedereinführung der Quarantänepflicht für rückkehrende Spanien-Urlauber stehe nicht bevor, hatte Maas dem Land versprochen, um dem Land den Tourismussommer nicht weiter zu vermiesen.
Experten wie Alexander Kekulé hatten die Bundesregierung für diesen Kurs schon vor längerer Zeit kritisiert. Auch dieser Virologe ging davon aus, dass über Reiserückkehrer wie aus Spanien die Zahl der Corona-Infizierten auch in Deutschland wieder steigen werde. Auch er hatte eine allgemeine Quarantäne gefordert, von der man sich nach fünf Tagen “frei”-testen könne. Er warnte, man dürfe, „nicht noch einmal verspielen, so wie wir es letztes Jahr gemacht haben“. Doch genau das ist inzwischen passiert.
Im Maas-Ministerium versucht man nun verspätet die Reißleine zu ziehen. Denn die Infektionen von Rückkehrern häufen sich, vor allem von Reiserückkehrern aus Spanien. Offenbar bekommt man in Berlin inzwischen kalte Füße. Von allen festgestellten Infektionen in Deutschland ließen sich in der Kalenderwoche 28 laut dem RKI-Lagebericht schon 389 auf Reiserückkehrer aus Spanien zurückführen. In der Woche zuvor waren 249 und davor 136. In der Kalenderwoche 25 sogar nur 47. Der Anstieg ist damit also mehr als eindeutig: Immer mehr Urlauber stecken sich in Spanien an und bringen das Virus mit nach Deutschland, wie es längst zu vermuten war.
Spanien steht mit diesen Zahlen abgeschlagen an der Spitze. Danach folgen in der Meldewoche 28: Türkei (80), Kroatien (66) und Griechenland (55). Zieht man die vier Kalenderwochen 25-28 zusammen, wird das Bild noch klarer. Aus Spanien kamen 821 registrierte Infektionen, aus Russland 171 und aus den Niederlanden 124. Somit ist klar, dass die steigenden Inzidenzen derzeit deutlich von Reiserückkehrern getragen werden, sie sind Infektionstreiber in Deutschland. Während noch am 14. Juli die Verdoppelungszeit der aktiven Corona-Fälle bei 63 Tagen lag, ist sie nun auf 12 Tage gesunken.
In Deutschland ist damit, wenn auch noch schwach, das zu beobachten, wovon spanische Regionen ein Liedchen singen können. Denn real liegt die Inzidenz vor allem auf den Balearen seit langem hoch und weit über dem spanischen Durchschnitt. Das wurde aber offiziell nicht festgestellt, da die Urlaubsregion einen erheblichen Teil seiner realen Inzidenz in andere Regionen und Länder exportiert. Die lokalen Verantwortlichen, wie die Präsidentin der Balearen-Regionalregierung schwadronierte sogar noch lange davon, dass die Balearen das „sicherste“ Urlaubsziel am Mittelmeer seien. Dabei hatten Superspreader-Ereignisse, wie bei Schüler-Abschlussfahrten, bereits zu massiven Ansteckungen geführt, die dann aber erst nach der Rückkehr in den Heimatregionen registriert wurden.
Das trieb dort zunächst die Inzidenzen und danach die Sekundärinfektionen hoch. Was in Katalonien, Navarra, Kastilien-Leon zu beobachten war, dürfte alsbald auch in Deutschland zu sehen sein, wenn die Masse der Rückkehrer mit der Delta-Variante im Gepäck die Heimreise antritt, die in Spanien inzwischen vorherrschend ist. Die Zahl der aktiven Corona-Fälle wird dann deutlich zunehmen. Da die Rückreise vom spanischen Festland mit dem Auto oder mit dem Zug sogar ohne Tests geht, dürfte das die bisherige Dynamik weiter verstärken. Ob sich diese Rückkehrer freiwillig in eine Quarantäne begeben, wird sich zeigen.
Einlieferungen in Krankenhäusern und Intensivstationen steigen in Spanien wieder deutlich an
Übrigens gibt es inzwischen auch Fälle von Rückkehrern aus Mallorca, die in Frage stellen, ob es eine gute Lösung ist, voll geimpfte Rückkehrer von der Quarantäne auszunehmen. Die Welt berichtet von einem Fall eines „Impfdurchbruchs“, der eine Massenquarantäne in Hamburg ausgelöst hat. Auch der Test am Flughafen in Spanien hatte noch ein negatives Ergebnis gezeigt, trotzdem erkrankte der Mann danach an Covid. Deshalb setzt sich inzwischen auch die Hamburger Sozialbehörde für eine fünftägige Quarantänepflicht für Reiserückkehrer aus Risikogebieten ein – auch für Geimpfte.
Und da gerne falsch verbreitet wird, dass kaum jemand an Covid erkrankt oder schwer erkrankt, nur weil die Einlieferungen in Krankenhäusern und Intensivstationen den Infektionen zwei bis vier Wochen hinterherhinken, hier ein paar neue Zahlen für Spanien. Hatte sich Zahl der Einlieferungen in Krankenhäuser in der Vorwoche auf die Zahl von gut 5000 fast verdoppelt, ist sie um gut weitere 50% auf fast 8000 angestiegen. Auf Intensivstationen kämpfen im ganzen Land nun wieder fast 1300 Menschen um ihr Leben. Vor einer Woche waren es noch 838. In der vergangenen Woche sind wieder 78 Menschen an Covid verstorben.
© Ralf Streck, den 23.07.2021
Ähnliche Beiträge:
- Wie wirksam sind die zugelassenen Covid-19-Impfstoffe?
- Gaskonflikt zwischen Spanien, Algerien und Marokko wegen der Westsahara
- „Spanien sieht zwar so aus wie ein Demokratie, es ist aber keine echte Demokratie“
- Beispiel Portugal und Spanien: Was nützt eine hohe Impfquote gegen die nächste Welle?
- Spanien liefert trotz der Versorgungsprobleme in der EU Gas an Marokko