Beispiel Portugal und Spanien: Was nützt eine hohe Impfquote gegen die nächste Welle?

Bild: Marco Verch/CC BY-2.0

Gespräch mit Ralf Streck, der aus San Sebastian über die Covid-19-Situation in Portugal und Spanien berichtet. Portugal mit der höchsten Impfrate in der EU führt erneut Einschränkungen ein und setzt nicht auf den Covidpass, sondern auf Testen.

Wir wollen zuerst über Portugal sprechen. Auffällig ist, dass in dem Land in Europa, das die höchste Impfquote von 86 Prozent hat, seit Anfang November die Inzidenz wieder ganz schön in die Höhe geht –  und zwar schneller als in Spanien. Wie erklärt sich das? Ist der Impfschutz ausgelaufen,  ist zu wenig geboostet worden?

Ralf Streck: Es gibt keine vernünftige Erklärung, nur Ansätze. Ein Ansatz der Erklärung, was man auch ein Stück weit aus Spanien sehen kann, ist der Tourismus. Wir sind im Baskenland  vermutlich deswegen Hotspot, weil hier bis vor kurzem noch sehr viele französische Touristen gewesen sind. Wir haben im Prinzip dieselbe Inzidenz wie in Frankreich. Also wurde im Prinzip hier die französische Inzidenz importiert. Ein anderes Beispiel ist Benidorm. Das ist eine Hochburg britischer Touristen, wo auch sehr hohe Inzidenz zu verzeichnen sind. In Portugal geht man davon aus, dass ein Teil dieser neuen Infektionen von deutschen oder britischen Touristen eingeschleppt wurde.  50 Prozent der Inzidenz können sie real Touristen zuschreiben.

In dem Maßnahmenpaket ist eine wichtige Regelung, die der EU nicht schmeckt, nämlich dass alle nach Portugal Einreisenden einen Test vorlegen müssen, da die Regelung, die bisher von der EU gemacht wurde, dass Geimpfte und Genesene frei reisen können, sich als der absolute Blödsinn herausgestellt hat. Auch Genesene oder Geimpfte können ansteckend sein. Und dann überträgt man das auch ins Land. Deswegen zieht Portugal da meiner Meinung nach vernünftigerweise die Reißleine und sagt Nein, das einzige, was wir jetzt machen müssen, ist, wenn die Gefahr besteht, dass die Infektion aus Ländern, die viel höhere Instanzen haben, importiert wird, dass alle getestet werden, weil wir dann einigermaßen auf der sicheren Seite sind.

Wobei das nur das eine ist, dass Infizierte nach Portugal einreisen, denn andererseits werden ja offenbar die Geimpften dort auch angesteckt. Das Impfen hilft dagegen also  nicht.

Ralf Streck: Ja, wir müssen jetzt in Portugal den Verlauf beobachten. Bisher hält sich der Verlauf der schweren Erkrankung in Portugal oder auch in Spanien noch in Grenzen. Die Menschen in den Intensivstationen sind in der Regel sehr alte Leute oder Ungeimpfte. Wir müssen im Laufe der nächsten Wochen sehen, wie die Entwicklung in den beiden Ländern mit den hohen Impfraten in den Krankenhäusern aussieht. Feststellbar ist in beiden Ländern schon, dass die Belegung der Hospitäler deutlich zunimmt. In Portugal sind mittlerweile 40 Prozent aller Betten schon wieder mit Covid-19-Patienten belegt. Deswegen hat die Regierung letzte Woche die Reißleine gezogen, weil das Gesundheitssystem schwach ist. Wenn es wieder an so eine Belastungsgrenze kommt wie letztes Jahr im Januar, dann haben die schwer zu kämpfen. Deswegen hat der António Costa vergangenes Woche gesagt, dass wir so eine Situation wie im Januar nicht wieder wollen.

„Man setzt jetzt stark auf Tests“

Welche Maßnahmen wurden denn beschlossen? Was ist mit Bars, Restaurants, Theater und ähnlichem?

Ralf Streck: Es geht jetzt los ab 1. Dezember, dann ist wieder Maskenpflicht in den Innenräumen. Man braucht für Besuche von Veranstaltungen, bei denen die Sitzplätze fest sind, also zum Beispiel Kinos, einen Covidpass. die nur eine begrenzte Zahl Leute einsetzen. Bei allen anderen Veranstaltungen muss man einen Test vorweisen. Das heißt, man setzt jetzt stark auf die Tests. Zum Beispiel kann man ab dem ersten Dezember nur noch in Krankenhäuser, in Altenheime oder in Restaurants gehen, wenn man einen negativen Test nachweisen kann. Das ist dasselbe, was Sie nach außen machen, dass nur Leute rein dürfen ins Land, die getestet sind.

Geht es da um PCR- oder um Schnelltests?

Ralf Streck: Die Einreisenden benötigen einen PCR-Test, im Inland reicht auch ein Schnelltest, weil sie davon ausgehen, dass ein guter Teil von dem, was sie jetzt erleben, von außen eingetragen ist. An Weihnachten kommen wieder, das ist die Erfahrung des letzten Jahres, viele Touristen, aber auch viele Portugiesen, die im Ausland leben und arbeiten und die ihre Freunde, Verwandten und Familien besuchen. Da will man verhindern, dass möglichst wenig eingeschleppt wird.

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Es gibt da ja auch diesen einwöchigen Lockdown im neuen Jahr. Man will die Weihnachtszeit noch mitnehmen und die Geschäfte nicht stören, aber macht dann alles zu. Das ist doch absurd.

Ralf Streck: Ja, das klingt absurd, lässt sich aber ein Stück weit aus der portugiesischen Mentalität erklären. Es wird jetzt stark auf einen Appell gesetzt. Im Unterschied zu Spanien werden kostenlose Tests angeboten. Man sagt den Menschen: Lasst euch auch testen, bevor ihr zu einem Familienfest geht. Die Portugiesen sind letztes Jahr, als der große Schlag kam, ziemlich gut durch die Pandemie gekommen, weil sie sich sehr diszipliniert verhalten.

Portugal ist natürlich kein reiches Land, das sich schlecht erlauben kann, ständig Ausfälle zu haben. Deswegen versuchen sie den Drahtseilakt, zumindest das Weihnachtsgeschäft  einigermaßen stattfinden zu lassen, aber den Menschen zu sagen: Haltet euch möglichst zurück, lasst euch testen, bevor ihr irgendwo hingeht, auch zu privaten Feiern. Das lässt man halt zu, weil man sich überall testen lassen kann. Tests, die sehr wenig kosten, gibt es auch in den Supermärkten In Spanien kostet ein Test immer noch 8 Euro, das macht dann natürlich keiner.

Vor allem ist es die Hoffnung, dass sich die Portugiesen weiterhin zurückhalten, weil sie im letzten Januar dem Wolf wirklich in den Rachen geguckt haben. In Portugal gab es 300 Tote pro Tag, das war weltweit einzigartig. Das hatte auch damit zu tun, dass es sehr wenig Genesene gab, weil sie davor sehr gut durchgekommen sind. Aber dann kam die Delta-Variante, die im Wesentlichen über die Briten eingeschleppt wurde und die massiv zugeschlagen hat. Jetzt hofft man, dass man mit dem Lerneffekt aus dem letzten Jahr und der  Angst, dass es wieder heftig werden könnte, die Situation, dass die Leute ein bisschen Geld verdienen müssen, irgendwie schaukeln zu können und dann sagt: Wir machen den Schritt im Januar. Ich bin auch nicht überzeugt, ob das eine gute Sache ist. Mal schauen, ob sie damit durchkommen. Ich bin mir sicher, in Spanien würde das nicht funktionieren.

Gibt es denn in Portugal Kritik an den erneuten Maßnahmen? Wenn so viele schon geimpft sind,  könnten die ja auch sagen:  Mir reicht es eigentlich, ich bin geimpft, und jetzt schon wieder die gleiche Scheiße.

Ralf Streck: Es gab ganz kleine Demonstrationen von Impfgegnern, aber im Allgemeinen läuft das durch. Das zeigt sich ja auch daran, dass sich die Leute sehr bereitwillig alle impfen lassen. Also fast 90 Prozent haben sich impfen lassen. Jetzt gibt es wahrscheinlich noch mal einen Schub. Das wird sicher nahe an die 100 Prozent herankommen, weil die Impfung nicht in Frage gestellt wird, weil man weiß, dass im Allgemeinen dann eine Infektion nur zu einem einfachen Verlauf führt.

Die Strategie „Impfen, Impfen, Impfen“ als Lösung für alles hat sich ebenso als Blödsinn herausgestellt wie der Covidpass

In den Krankenhäusern liegen eher die ja an sich wenigen Ungeimpften?

Ralf Streck: Es sind auch Geimpfte dabei und man muss jetzt beobachten, was die nächsten Tage und Wochen passiert. Wie viele Impfdurchbrüche es gibt und ob auch vollständig Geimpfte mit harten Folgen zu kämpfen haben und auf die Intensivstation müssen. Man muss sich aber jetzt auch die Frage stellen, ob die Menschen mit oder wegen Covid auf die Intensivstation kommen. Man müsste in der Situation aber auch mal die Frage stellen, die am Anfang eher Coronaleuger oder Negationisten gestellt haben, ob die Menschen mit Covid oder wegen Covid auf die Intensivstationen kommen? Es gibt sicher Menschen, die auf der Intensivstation wegen ihres Alters oder Krankheiten gelandet sind, bei denen auch noch Covid nachgewiesen wurde. Aber ob Covid sie auf die Intensivstation gebracht hat, das weiß man nicht.

Das wird auch nicht in Stichproben in Portugal oder in Spanien erfasst?

Ralf Streck: Ich wüsste nicht genau, wie man das statistisch machen soll.

Man müsste wahrscheinlich Autopsien machen.

Ralf Streck: Man weiß dann trotzdem nicht, ob der Mensch tatsächlich an Covid oder an der Lungenentzündung, die er auch hatte,  gestorben ist. Man sollte sich trotzdem die Frage stellen, wie weit jetzt das eine Rolle spielt. Man sieht aber, dass es in einer vergleichbaren Situation im Januar nicht 12 Tote wie gestern gab, sondern 200 oder 300. So lässt sich sagen, wenn man jeden Tag zwischen 200 und 300 Tote verhindert, ist das schon sinnvoll. Aber man muss erst mal abwarten, weil es immer den Nachlauf  gibt und man erst in zwei oder vier Wochen sagen kann, wie sich die gestiegene Inzidenz auswirkt.

Klar ist aber natürlich, dass sich die Strategie „Impfen, Impfen, Impfen“ als Lösung für alles ebenso als Blödsinn herausgestellt hat wie der Covidpass, weil Impfen nicht verhindert, dass man sich ansteckt, weswegen man auch ansteckend ist. Der Covid-Pass mit Reisefreiheit war als Anreiz gedacht, sich impfen zu lassen, weil sie danach durch die Weltgeschichte reisen können. Aber das macht keinen Sinn. Die portugiesische Variante scheint viel sinnvoller zu seinzu sagen zu sagen: Okay, ihr dürft reisen, aber es ist mir egal, ob du geimpft bist oder nicht, du brauchst einen negativen Test. Mit dem negativen Test kannst du kommen und musst auch nicht geimpft sein.

Kann natürlich dann auch passieren, dass die Impfablehnung steigt, weil der Eindruck entsteht, dass es ja nicht hilft. Schließlich gibt es auch schon nach der Booster-Impfung Durchbrüche, was zeigt, dass der Schutz doch sehr viel geringer ist, als man das ursprünglich erhofft hat.

Ralf Streck: Genau, da muss man eben noch abwarten. Wenn jetzt die Todeszahlen wirklich auch in Portugal oder Spanien extrem hochgehen würden, dann müsste man sich wirklich fragen, was das für einen Sinn gehabt hat.  Bis jetzt sind die Todeszahlen noch unten, aber wir haben eben den Nachlaufeffekt, weswegen man noch keine vernünftige Aussage treffen kann.

In Spanien fehlt eine zentrale Regelung, bislang ist man immer in die nächste Welle hineingerannt

In Spanien fing ungefähr in derselben Zeit wie in Portugal die Inzidenz um den 8. November herum zu steigen. Spanien hat eine 7-Tage-Inzidenz von 108, also die Hälfte von Portugal. In Spanien sind 74 Prozent vollständig bzw. zweimal geimpft, in Portugal 81 Prozent. Wenn man nach Schweden schaut, dann gibt es dort eine 7-Tage-Inzidenz von 108, ähnlich wie in Spanien, aber nur eine Impfquote von 67 Prozent. Da  kommt man doch auch schon ein bisschen ins Grübeln. In Schweden gibt es wohl jetzt auch keinen Tourismus.

Ralf Streck: Tourismus spielt sicher eine Rolle. Das kann man in Portugal an der Algarve, in Benidorm oder bei uns im Baskenland beobachten.

Nach den Erfahrungen in Portugal gibt es aber in Spanien noch keine Reisebeschränkungen oder andere Maßnahmen?

Ralf Streck: Das ist typisch Spanien, die brauchen jetzt noch ein paar Wochen, während die Portugiesen immer recht schnell sind. Die Regierung funktioniert, obwohl sie nur noch geschäftsführend im Amt ist. In Spanien ist es jetzt die sechste Welle, die anläuft. In den fünf vorhergehenden Fällen ist man mit aller Gewalt in die Welle hineingerannt, bevor man Maßnahmen getroffen hat. Mittlerweile ist es so in Spanien, dass die verschiedenen Regionen, in denen die Inzidenzen steigen oder die ein bisschen vorausschauend agieren, Druck auf die Zentralregierung ausüben, vernünftige, einheitliche Maßnahmen zu treffen. Beispiel ist die Einführung des Covidpasses. Ich halte ihn nicht für sinnvoll, aber es gibt ihn nur in bestimmten Regionen, also zum Beispiel in Katalonien oder in Galizien, in Aragon, in Navarra. Das muss immer durch Gerichte bestätigt werden, und dann hat man die absurde Situation, dass das Oberste Gerichtshof in der einen Region sagt, ein Covidpass ist nicht gerechtfertigt, während in der Nachbarregion, die vielleicht noch niedrigere Instanzen,  die Richter sagen, das sei gerechtfertigt. Das ist natürlich Blödsinn.

Wir werden jetzt um Weihnachten die Situation haben, das man in Madrid das eine darf, im Baskenland das andere und in anderen Regionen darf man das alles nicht oder braucht man einen Covidpass.Die Leute fahren an Weihnachten durch die Gegend, besuchen ihre Familien, machen Urlaub und so weiter. Kein Mensch blickt mehr durch, was jetzt gerade wo erlaubt ist. Das sollte schon einheitlich geregelt werden wie in Portugal, wo ab 1. Dezember der Notstand verhängt ist, mit dem bestimmte Maßnahmen verhängt werden können. Wird das nicht einheitlich geregelt, ist man davon abhängig, ob der jeweilige Richter an dem Gerichtshof meint, das ist gerechtfertigt oder nicht. Das ist absurd. Hier im Baskenland ist der Covidpass nicht durchgegangen, wenn ich 10 km Richtung Navarra fahre, muss ich meinen Pass vorlegen oder muss getestet sein. Wie gesagt, ich halte nichts von dem Covidpass, weil er keine Sicherheit bietet.

Man könnte verlangen, dass ein Antigentest vorgelegt wird, aber da müsste man flächendeckend wie in Deutschland dafür sorgen, dass überall Stationen sind, in denen man sich testen lassen kann.  Hier wird praktisch gar nicht getestet. Das hat sich über die gesamte Covid-Zeit nicht verändert. Tests sind immer noch Mangelware.

Und was sagt dann überhaupt die Inzidenzzahl aus, wenn wenig getestet wird?

Ralf Streck: Na gut, die machen schon einen Test, wenn Leute Symptome zeigen, aber es wird beispielsweise nicht jeder auf der Arbeit täglich getestet, man braucht auch keinen Test, um ins Theater zu gehen. Das macht hier niemand. Das scheint eine Geldfrage zu sein oder man fühlt sich logistisch überfordert. Ich weiß es nicht. Ich kann es nicht mehr verstehen, warum man nicht sagt: „Testen, testen, testen“. Das ist immer noch der beste Schutz. Ein Covidpass ist jedenfalls nicht die Lösung.

Wie sieht die Situation denn auf den spanischen Inseln aus? Ist die Welle schon angekommen?

Ralf Streck: Ja, da ist sie auch angekommen. Deswegen gehören die Balearen zu den Gebieten, wo man den Covidpass für Kneipenbesuche braucht. Die haben vielleicht aus der letzten Geschichte ein bisschen etwas gelernt, wobei sie hat natürlich dann auch an die Grenze stoßen, dass die Leute dann mit dem Covidpass  genesen oder geimpft kommen, aber dann trotzdem das Virus einschleppen.

Die Balearen sind stark im Kommen, die Inzidenz liegt schon wieder über dem Durchschnitt. Die Kanarischen Inseln sind noch unter dem Durchschnitt.

Also kann man da noch gut hinfahren und etwas mitbringen. Viele fahren je jetzt doch gerne mal aus dem verseuchten Deutschland in das angeblich sichere Spanien. Es wird hier ja auch entsprechend angepriesen.

Ralf Streck: Obwohl es da auch gerade regnet wie verrückt. Für unsere Qualitätspresse war das wieder höchst peinlich, die vor zwei bis drei Wochen, im Focus bis letzte Woche sogar noch, Spanien und Portugal als die Wunderländer angepriesen haben. Sie haben denselben Schwachsinn wiederholt, den sie im letzten November geschrieben haben und fallen jetzt damit wieder auf die Nase. Sind nicht mal so vorsichtig und sagen, dass die Welle vielleicht verzögert kommt, da auch das Wetter noch ein bisschen besser als bei uns in Deutschland ist. Sie haben anscheinend auch nicht verstanden, was exponentielles Wachstum ist. Am Anfang steigt es halt nur wenig und irgendwann macht es dann Wumm.

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