Auf russischer und ukrainischer Seite verweigern Soldaten den Kriegsdienst

 

Mobilisierte der Volksrepublik Donezk wollen nicht mehr kämpfen, weil sie schlecht ausgerüstet und versorgt werden.

Die Verluste auf beiden Seiten sind hoch, die Soldaten gehen aus, es werden schlecht ausgebildete und schlecht ausgerüstete Kräfte als Kanonenfutter eingesetzt, was zunehmend zur Verweigerung führt.

 

Besteht vielleicht Hoffnung, dass der Krieg in der Ukraine nicht endet, weil eine der beiden Seiten über mehr und bessere Waffen verfügt, sondern weil die Soldaten sich weigern, im Artilleriehagel zu sterben? Sogar öffentlich in Videos treten russische und ukrainische Einheiten auf, um zu bekunden, dass sie schlecht ausgerüstet und versorgt sich weigern, weiter zu kämpfen.

Auf beiden Seiten hat es große Menschen- und Materialverluste gegeben. Jetzt werden von der Ukraine zunehmend Einheiten der Territorialverteidigung, die kurz ausgebildet und schlecht bewaffnet an die Front geschickt werden, obgleich sich die Mitglieder freiwillig nur zur Verteidigung ihrer Stadt gemeldet hatten. Der ukrainische Präsident Selenskij sagte, es würden im Osten jeden Tag 60-100 Soldaten getötet und 500 verletzt. Schon mit diesen sicher untertriebenen Zahlen würden jeden Tag 500-600 Soldaten ausfallen.

Der kanadische Journalist Neil Hauer, der vom Krieg berichtet und am 1. Juni die Ukraine verlassen hatte, schrieb, dass die ukrainischen Truppen um jeden Zentimeter entschlossen kämpfen würden: „Aber sie sterben. Zu Hunderten und Tausenden sterben sie und werden von Russlands Kriegsmaschinerie niedergemahlen. Die Auswirkungen sind deutlich: Viele haben noch den Willen zu kämpfen, aber sie sind erschöpft und waffenmäßig unterlegen.“

Ob Gerüchte zutreffen, dass Freiwilligenverbände kampfunwillige ukrainische Soldaten mit dem Tod bedrohen, lässt sich nicht überprüfen. Tass berichtet etwa aktuell, Apti Alaudinov von den tschetschenischen Kadyrow-Einheiten würde behaupten, dass nach ukrainischen Kriegsgefangene in der noch umkämpften, von russischen Truppen fast eingenommenen Stadt Severodonetsk eine Gruppe von 150-200 Soldaten, die den Kampf aufgeben wollten, durch Androhung des Todes wieder in das Industriegebiet der Stadt zurückgezwungen hatten. Sie dürften sich nicht zurückziehen. Man habe die Wohngebiete der Stadt eingenommen, aber nur 5 Prozent des großen Industriegebiets. Aber das kann alles strategische Kommunikation sein. Es wurde aber in der Rada ein Gesetzesvorschlag eingereicht, dass Kommandanten Soldaten, die Befehle verweigern, erschießen können. Das wurde allerdings vom Parlament abgelehnt.

Anfang Mai, als die Verluste zu groß wurden, wurde schnell ein Gesetz beschlossen, nach dem es möglich bzw. legal wurde, die Einheiten der Territorialverteidigung auch militärisch irgendwo an der Front einzusetzen. Und es sind vor allem diese Einheiten, in denen die Bereitschaft sinkt, von den Militärs oft sinnlos verheizt zu werden.

Auch Russland gehen die Soldaten aus

Militärtheoretisch geht man allgemein davon aus, dass der Angreifer dem Verteidiger um das Dreifache überlegen muss. Beim Angriff setzte Russland 100.000 Soldaten ein, jetzt dürften es deutlich weniger sein, die Ukraine verfügte über 170.000 Soldaten und 100.000 Reservisten. Den Territorialeinheiten  haben sich etwa eine Million Ukrainer angeschlossen. Russland hat sich vermutlich auf eine geringe Verteidigungsbereitschaft und die waffenmäßige Überlegenheit verlassen, stieß aber schnell beim großflächigen Angriff auf logistische Probleme und schwere personelle und technische Verluste.

In Russland scheint es einen wachsenden Widerstand bei den Soldaten zu geben, an die Front in der Ukraine versetzt zu werden. Der Kreml traut sich offenbar nicht, gegen diese Verweigerer hart vorzugehen, weil das auf die Probleme der Kriegsführung hinweisen und die Stimmung kippen lassen könnte. Die Verweigerer werden unter Druck gesetzt, es werden Anklagen angedroht, aber man will es wohl nicht hochkochen lassen. In einem Fall wurde ein Vertragssoldat, der nicht wieder in den Krieg zurückwollte, entlassen, er musste eine Strafe zahlen und drei Monate als Wehrpflichtiger antreten. Anwälte berichteten, dass Verweigerer nach Unterzeichnung einer Geheimhaltungsvereinbarung entlassen werden.

Obwohl zu Beginn des Kriegs bekannt wurde, dass einige Wehrpflichtige unter den Soldaten waren, hat Präsident Putin deren Einsatz verboten. Es wird auch eine Mobilmachung vermieden, um Aufruhr zu vermeiden. obgleich von vorneherein das Zahlenverhältnis zwischen russischen  und ukrainischen Truppen nicht stimmte. Mit der durch den Krieg schwindenden Truppenstärke und den Schwierigkeiten, dieser wieder aufzustocken, werden angeblich Soldaten aus Syrien abgezogen, Wagner-Söldner eingesetzt und Männer aus Abchasien und Südossetien zum Kampf in die Ukraine geschickt. Schon vor dem Krieg wurde am 19. Februar in den beiden Volksrepubliken eine Mobilmachung mit einem Reiseverbot für Männer im Alter von 18 bis 55 Jahren ausgerufen. Ähnlich wie die ukrainischen Territorialverteidiger sind die Eingezogenen kaum militärisch ausgebildet, die wenigsten haben Kriegserfahrung, ihre Ausrüstung ist meist spärlich: keine Schusswesten, alte Helme und Gewehre.

Dazu werden ehemalige Vertragssoldaten für kurzzeitige Kampfeinsätze von drei Monaten mit für Russland hohen Gehältern angeworben: In Tula werden 170.000 Rubel (2900 US-Dollar) pro Monat angeboten, das Vierfache des lokalen Durchschnittsgewinns. In Tschetschenien wurde ein Journalisten, der sich als Interessent ausgab, 300.000 Rubel geboten. Moscow Times berichtet, dass mobile Rekrutierungsbüros auch bei einem Marathonlauf in Nowosibirsk und in vielen Teilen des Landes  gesehen wurden.

Wenn es bei einem Abnutzungskrieg und kleineren Landgewinnen bzw. -verlusten bleibt, könnten die Streitkräfte auf beiden Seiten schrumpfen. Sie werden ersetzt durch Fernwaffen. Die russischen Truppen haben entsprechend im Donbass auf Artillerie umgeschaltet, um die eigenen Truppen zu schonen. Wenn nun die USA und auch Großbritannien Mehrfachraketenwerfer mit großer Reichweite liefern, könnte dies eine entscheidende Entlastung für die ukrainische Armee darstellen. Die Folge wird sein, dass die Zerstörung der zivilen Infrastruktur noch zunehmen wird, aber auch, dass Russland vermehrt Kurzstreckenraketen und Luftbombardements und zuletzt womöglich auch taktische Atomwaffen einsetzen könnte.

Ukrainische Geschäftsidee: Freikaufen füßr 5000 Dollar

Selenskij hat kürzlich kategorisch abgelehnt, das Ausreiserverbot für Männer im wehrfähigen Alter aufzuheben, während die allgemeine Mobilisierung um weitere 90 Tage verlängert wurde. Angeblich werden mehr Vorladungen ausgeteilt, auch in der U-Bahn und in Supermärkten. 24 Stunden nach Erhalt der Vorladung müssen sich die Männer zur Musterung melden, berichtet Strana. Verteidigungsminister Aleksey Reznikov will die Zahl der Soldaten auf eine Million erhöhen. Aleksey Arestovich, Berater des Leiters des Büros des Präsidenten, meinte, man könne die Zahl auf 5 Millionen erhöhen. Die Frage würde dann aber sein, wie man sie bewaffnen, ob also der Westen genügend Waffen liefern könnte. In Lwiw wurden bislang 40.000 Männer eingezogen, es könnten weitere 70.000 Wehrpflichtige rekrutiert werden.

Viele Männer haben durch Bestechung der Grenzschutzes oder durch Schleuser das Land verlassen, um nicht kämpfen zu müssen. Da werden dann schon mal 10.000 Dollar gezahlt. Bevorteilt sind vor allem die reicheren Schichten, die sich Bestechung und Schleuser leisten können. Wer erwischt wird, muss mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren rechnen, wenn er sich nicht freikaufen kann.

Diese Geschäftsidee für die Mittel- und Oberschicht hat Viktor Andrusiv, Berater des ukrainischen Innenministers, ausgebaut. Er schlug vor, Männern die Ausreise für eine bestimmte Zeit zu erlauben, wenn sie 5000 US-Dollar als Versicherung hinterlegen. Kommen sie in der festgelegten Frist nicht zurück, wird das Geld einbehalten. Das könne dann dem Militär zugute kommen. Zwar werde der Krieg sich hinziehen, man müsse weitere 100.000 Männer mobilisieren, aber ohne die Männer, die im Ausland arbeiten und Geld in die Heimat schicken, werde die Wirtschaft zusammenbrechen. 5000 Dollar seien ein Betrag, den die meisten nicht verlieren wollen, zudem komme er dem nahe, was Schleuser verlangen. Man würde also die Ausreise legalisieren. Es wäre allerdings nur ein Anreiz für weniger Begüterte, in die Ukraine und in den Krieg zurückzukehren, Reichere könnten sich einfach freikaufen.

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6 Kommentare

  1. Das Video mit den russischen Verweigern stammt von einem ukrainischen Account. Muss nichts heißen, aber warum sollten russische Verweigerer ausgerechnet einen ukrainischen Account zur Verbreitung ihrer Botschaft benutzen? Eine Originalquelle wird nicht angeboten. Ich bin skeptisch.

  2. Viele Spekulationen …
    Überlegen wir mal die Motivationslage.
    Die Russen wollen einen Auftrag ausführen. Dafür werden sie ausgebildet und bezahlt.
    Die Ukrainer außerhalb der Ost-Ecke habe einen spärlichen Alltag und sollen nun noch zusätzlich ihr Leben riskieren. Wer Geld hat, kann sich freikaufen.
    Von den Russ-Ukrainern haben sich viele an den Beschuss-Alltag gewöhnt. Dennoch haben sie nun die Chance, das abzustellen.
    Und die Asow-Einheiten werden jäh aus dem bequemen Alltag im ‚Feindesland‘ geschreckt. Aus dem ruhigen auf Zivilisten schießen wird plötzlich Lebensgefahr.
    Es ist einfach ungemütlich und lebensgefährlich

  3. In den Strategie Lehrsätzen des chinesischen Generals Sun-Tzu, der im. 6. Jahrhundert vor Chr. lebte, steht u.a. geschrieben: „Derjenige gewinnt, dessen Armee in allen Rängen von demselben Geist durchdrungen ist.“
    Und weiter heißt es da: „Der Krieg liebt den Sieg, aber nicht die Dauer.“

    Inzwischen nimmt der Konflikt aber allgemein die Form eines zähen Stillstandes an, und mit der Gewöhnung daran kommen auch die Zweifel auf, ob das alles überhaupt notwendig war.
    Soldaten, die lagebedingt anfangen über die Sinnhaftigkeit ihres Treibens nachzudenken, kommen leicht auf Gedanken, die nicht im Sinne der Führung sein kann.

  4. Einige Äußerungen in diesem Artikel kann ich nicht nachvollziehen. „Der Kreml traut sich offenbar nicht, gegen diese Verweigerer hart vorzugehen“ „Es wird auch eine Mobilmachung vermieden, um Aufruhr zu vermeiden.“ M. E. geben diese Äußerungen nur Sinn, wenn man dem Kreml irgendwelche total unpopuläre und undemokratische Absichten unterstellt. Ich glaube nicht, dass man sich nicht traut und Angst vor Aufruhr hat.
    Dass sich manche „drücken“ wollen, ist für mich als Kriegsdienstverweigerer absolut verständlich. Die meisten Russen unterstützen den Krieg. Ich finde es gut, dass man diesen Krieg wenigstens als militärischen Sondereinsatz durchziehen und zeigen möchte, dass man dazu in der Lage ist. Bis jetzt sieht es auch so aus, als ob das klappt. Die Ukraine scheint allmählich zu kollabieren, und in Deutschland befürchtet Kriegstreiber Habeck im Herbst Unruhen. Man kann doch auch verstehen, dass Soldaten aus Syrien abgezogen, Wagner-Söldner eingesetzt und Männer aus Abchasien und Südossetien zum Kampf in die Ukraine geschickt werden, weil sie da eben gebraucht werden, während sie an den jetzigen Standorten nicht benötigt werden.

  5. Ich lese die russischen Blogs und Messenger, soweit es meine Sprachkenntnisse (oder der Yandex Translator 🙂 ) zulassen. Und da gibt es ständig Klagen patriotischer oder nationalistischer (wie man mag) Blogger und Kommentatoren, dass zu wenig Freiwillige mobilisiert oder zugelassen werden, darunter auch „Gediente“ mit Erfahrung. In der Ukraine werden die Leute zur Armee gepresst. Die Junge Welt veröffentlichte jüngst einen Artikel über einen mittelalten Übersetzer ohne jede militärische Erfahrung, der auch einfach so seinen Bescheid erhielt, und als stark Kurzsichtiger als Schütze eingeteilt wurde. Kanonenfutter halt.

    Die Gefangenen, die von russischen Journalisten interviewt werden, erzählen das Gleiche. Man mag das als Propaganda abtun, aber bei Anatoli Scharij liest man das auch.

    Ein russischer Berufssoldat, der den Einsatz in der Ukraine verweigert, muss in der Tat mit Entlassung rechnen. Eine Gruppe, die das gemacht hat, verlor gerade einen Prozess auf Weiterbeschäftigung. Von Strafen war da aber nichts zu lesen.

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