
100.000 Veteranen will Amazon in den USA die nächsten Jahre einstellen, weil die “einzigartige Fähigkeiten und Erfahrungen” mit sich bringen. Der Angestellte mit militärischen Tugenden?
Nicht selten fassen US-Soldaten nach Kampfeinsätzen nicht mehr Fuß im zivilen Leben, bleiben arbeitslos, werden krank, obdachlos oder kriminell, haben Alkohol- oder Drogenprobleme oder begehen Suizid. Auf der anderen Seite sagen viele, der Militärdienst habe sie gut auf das zivile Leben vorbereitet. Genannt werden vor allem die erlernte Disziplin und die Bereitschaft, hart zu arbeiten. Amazon hat schon immer gerne Veteranen eingestellt und will nun bis 2024 100.000 Veteranen und Ehepartner anstellen.
Jetzt schon würden 40.000 Veteranen und Ehepartner von SoldatInnen bei Amazon in den USA in vielen Bereichen arbeiten. Das ist nicht viel, da der Konzern 2020 fast 1,3 Millionen Angestellte hatte. Wer als Veteran anfängt, erhält einen Lohn von mindestens 15 US-Dollar pro Stunde. 2020 wuchs dank der Pandemie der Konzern – und das Vermögen von Jeff Bezos – und stellte mehr Leute ein, meist über eine Entscheidung durch Computerprogramme, mit denen auch die Leistung der Angestellten bewertet wird. Entsprechend hoch ist der Anteil derjenigen, die schnell wieder gefeuert werden oder sich einen anderen Job suchen. Die Arbeitsleistung wird genau überwacht (Amazon baut Überwachung der Fahrer aus). Die Veränderung der Personalstruktur findet schnell statt, der Druck auf Produktivität bei geringer Entlohnung ist enorm, es entsteht oft keine Bindung an den Konzern.
Was motiviert den Konzern von Jeff Bezos, der an Profit, nicht an Patriotismus orientiert ist, mehr Ex-Soldaten einzustellen? Der für globale Militärangelegenheiten zuständige Direktor John Quintas sagt wenig erhellend, man schätze die “einzigartigen Fähigkeiten und Erfahrungen, die die Militärgemeinschaft mit sich bringt”. Angeboten wird ein Programm zum Übergang vom Militärdienst, geworben wird Aufstiegsmöglichkeiten, mit bezahlten Fortbildungskursen und Stipendien, es gibt auch einen neunmonatige Ausbildung, um als Software-Ingenieur zu arbeiten. Alles soll möglich sein von der Arbeit in den Verteilzentren bis hin zu führenden Positionen oder zum Cloud Computing.
Jeff Bezos wird ein wenig genauer, was die für seinen Konzern positiven Eigenschaften der gedrillten und disziplinierten Soldaten und Offiziere sind. Wer in den Streitkräften gedient hat, “kann erfinden, groß denken, eine Neigung zur Aktion haben und Ergebnisse zugunsten unserer Kunden liefern”. Soldaten und Offiziere sind oft technisch gut ausgebildet und bringen Berufserfahrung mit, auch natürlich in Logistik und in der Personalführung. Überdies sei ihre “Erfahrung, Menschen zu führen, in unserer schnell getakteten Arbeitsumgebung unschätzbar.” Man darf davon ausgehen, dass gefällt, wenn Anweisungen gegeben und umgesetzt werden, aber natürlich müssen sich Soldaten im Kampfeinsatz und beim Training an schnell wechselnde und nicht optimale Situationen anpassen. Der Betrieb also als Fortsetzung des Kasernenhofs, Übungsgeländes, Katastropheneinsatzes und Schlachtfelds in einer hierarchischen Organisation? Die Verwendung des Begriffs “Amazon Warriors” suggeriert, dass Angestellten sich im Kampf für den Konzern um den Kunden und gegen die Konkurrenz befinden.
Wichtig könnte auch ein weiterer Aspekt sein, nämlich sich als patriotisches Unternehmen zu zeigen, das dem Land hilft, seine auf das Militär beruhende Geopolitik fortsetzen zu können, indem den entlassenen Soldaten geholfen wird, was das nationale Ansehen steigen lässt, aber auch der Rekrutierung hilft, wenn nicht Bilder von obdachlosen, kranken, behinderten, traumatisierten und arbeitslosen Veteranen als Ergebnis der Militärpolitik zirkulieren. So würden kleine Geschäfte unterstützt, die Veteranen gehören. Mit dem Project Honor helfe man Veteranen und ihren Familien, insbesondere Verletzten, Kranken und Behinderten und Pflegebetreuern. Geholfen werden auch Obdachlosen und armen Veteranen. Zur Anstellung arbeitet man u.a. mit Hire Heroes USA oder Hiring Our Heroes zusammen. Wenn Soldaten und Offiziere in der Privatwirtschaft Karriere aufgrund der Ausbildung und der Erfahrungen im Militärdienst machen, steigt auch die Bereitschaft, sich als Berufssoldat anwerben zu lassen.
Auch in Deutschland oder Österreich werden seit 2019 gerne ehemalige Bundeswehrsoldaten von Amazon eingestellt. Das Wording ist ähnlich: “Wir machen sehr gute Erfahrungen mit Mitarbeitern, die von der Bundeswehr kommen. Sie sind top ausgebildet und haben schon in jungen Jahren Verantwortung übernommen und Führungserfahrung gesammelt”, sagt Konstantin Runkel, Military Recruiter bei Amazon. Der Trend, ehemalige Soldaten anzuwerben, komme aus den USA. Eine Soldatin wird zitiert, die jetzt als Area Managerin arbeitet: “Klare Kommunikation und Mut zu Entscheidungen auch in Stresssituationen. Das ist sicher etwas, was auch bei der Bundeswehr gefragt war.”
Viele Zeitsoldatinnen und -soldaten hätten “die Fähigkeit ein Team zu führen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu motivieren und zu inspirieren, sich und dem Team ambitionierte und erreichbare Ziele zu setzen und diese Ziele dann zusammen umzusetzen”. Ist eine militärische Einheit ein “Team”? Für die Offiziere geht es darum, eine funktionierende Einheit zu organisieren, die vermutlich aber dem Einzelnen wenig kreativen oder abweichenden Spielraum gibt. Das dürfte eben bei Amazon erwünscht sein, wo alles möglichst störungslos und zeitoptimiert ineinandergreifen muss. Daher werden dann doch mitunter soldatische Fähigkeiten angesprochen, wie in einer Stellenanzeige 2019: “Im Zweifel: handeln! Wir benötigen hoch qualifizierte Führungskräfte, die mit uns die Grenzen des Möglichen überwinden. Wir suchen insbesondere Personal aus dem Militär.” Da fallen die Worte “Entschlossenheit und Hartnäckigkeit”, man könnte auch von Durchsetzungsfähigkeit sprechen.
Vielleicht ist es ja ein Vorurteil, aber mir fällt dabei der Spruch von Adolf Hitler ein, der den neuen Menschen charakterisierte, wie ihn die Nazis schaffen wollten: “Flink wie Windhunde, zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl.” Dabei fehlen freilich die technischen Kenntnisse, die Führungs- und damit auch Unterordnungs”fähigkeiten” oder der Drang zur Optimierung, die Amazon verlangt. Auch viele andere Unternehmen versuchen deswegen Ex-Soldaten anzuwerben. Im Hintergrund steht die Frage, ob Soldaten die besseren Angestellten und Führungskräfte sind. Man kann zweifeln, schließlich schreckt neben den Verdienstmöglichkeiten gerade die beim Militär verlangte Disziplin viele junge Menschen ab, Soldat zu werden.