Al-Qaida ist weiterhin in Afghanistan präsent

Ayman Sawahiri in einem Video anlässlich des 20. Jahrestags der 11/9-Angriffe.

US-Präsident Biden begründete den Abzug aus Afghanistan auch damit, dass Bin Laden getötet und al-Qaida vertrieben wurde. Sawahiri, der jetzt al-Qaida-Chef ist, lebt munter weiterhin, aber der 70-Jährige, der ein 800-Seiten-Buch geschrieben hat, ist wohl schon im Ruhestand.

 

Unter US-Präsident Bill Clinton wurde 1998 bereits versucht, was Joe Biden jetzt als Zukunft des globalen Kriegs gegen den Terror sieht: ein „Over-the-horizon“- oder Fern-Angriff mit Raketen auf die Al-Shifa-Pharmafabrik im Sudan und Trainingscamps von al-Qaida in Afghanistan. Mit letzteren hoffte man Osama bin Laden ausschalten zu können. Man hatte sich angeblich auf die Signale seines Satellitentelefons verlassen, das er aber zwischenzeitlich ausgeschaltet hatte.

Bin Ladin konnte dann nach Beginn des Kriegs gegen das Taliban-Regime fliehen. Die Amerikaner veränderten mit neuer Technik das aufgetauchte Problem, einen Feind lokalisiert zu haben, aber erst mit größerer Verzögerung durch Raketen, die Tausende von Kilometern entfernt abgeschossen werden, angreifen zu können. Die Kampfdrohnen wurden zur Lösung, um Gebiete, in denen man die Lufthoheit hat, zu überwachen, Feinde zu lokalisieren und zu verfolgen bzw. sofort zu töten.

2011 exekutierten US-Spezialeinheiten in einer verdeckten Aktion Osama bin Laden in seinem Haus in Pakistan. Das wurde und wird als großer Erfolg gefeiert, allerdings war bin Laden damals schon lange ein Terror-Rentner, der nichts mehr zu sagen hatte, sondern nur noch von der Verklärung lebte, für 11/9 verantwortlich gewesen zu sein. Er war aber wohl alles andere als der große Gegenspieler, den die USA im Krieg gegen den Terror aufgebaut hatten. Die Personalisierung als Medien- und Kampfstrategie funktionierte auch im Irak-Krieg mit Hussein und seinen Söhnen, auch mit Sarkawi und später nicht, sie dürfte überhaupt nicht tragen, sondern dient nur der Unterhaltung des Publikums in Form eines personalisierten High-Noon-Spektakels.

Sawahiri, al-Qaida und die Taliban

Al-Qaida hat sich zwar verbreitet, aber es ist keine straff organisierte Organisation, sondern ein loses Netzwerk oder ein Schwarm, der letztlich vom 11/9-Ruhm von al-Qaida im Kampf gegen den Westen zehrt, aber vornehmlich aus Branchen oder Gruppen besteht, die mittlerweile wesentlich lokal oder regional orientiert sind. Mit dem Islamischen Staat ist eine radikalere Konkurrenzorganisation entstanden, die auf Grausamkeit und Rücksichtigkeitslosigkeit setzt. So hat sich beispielsweise HTS in Syrien, früher al-Nusra, von al-Qaida gelöst. Nach bin Laden, der nur noch symbolisch Führer war, wurde sein Stellvertreter Ayman Sawahiri, heute 70 Jahre alt, der Nachfolger, der aber wohl auch nur pro forma der Chef ist und in einem unbekannten Versteck lebt, wahrscheinlich ebenfalls in Pakistan. Vor einigen Jahren gelobte er gegenüber dem Taliban-Anührer Mullah Haibatullah Akhundzada die Treue, was auf einen Deal zwischen al-Qaida und den Taliban hindeutet.

Sawahiri ist Ägypter, Arzt, schon in Ägypten in den 1970er Jahren Führer der islamistischen Gruppe  al-Dschihad, Ende der 1980er schloss er sich Bin Laden an, mit dem er schließlich in den Sudan ging, und dann wieder nach Afghanistan zurückkehrte. Unter seiner Führung verübte al-Dschihad in den 1990er Jahren eine Reihe von Anschlägen in Ägypten, auch die Anschläge auf die US-Botschaften in Afrika wurden von al-Dschihad ausgeführt, 2001 kam es mit Bin Laden zur Gründung von al-Qaida.

Gelegentlich meldet sich Sawahiri zu Wort, ob er allerdings mehr als eine Art Ehrenvorsitzender ist, lässt sich kaum sagen. Er galt vielen bereits als tot oder schwer krank, aber das scheint nicht zuzutreffen. Anlässlich 9/11 veröffentlichte er ein Video, ermüdend für junge Menschen 60 Minuten lang. Er sieht wie ein gealteter Zwerg aus, wie eine Art Hobbit. Darin verwies er auf einen Angriff im Januar auf einen russischen Stützpunkt. Er forderte zum Kampf gegen den Westen auf, die USA würden Afghanistan geschlagen verlassen, Jerusalem würde nicht jüdisch. Und er pries viele al-Qaida-Mitglieder an, die in letzter Zeit im Jemen, in Idlib und in Ägypten als „Märtyrer“ ums Leben kamen. ums Leben kamen. Auf die Machtübernahme der Taliban ging er nicht ein, vermutlich wurde das Video früher gemacht, auf 9/11 ging er nur kurz ein, die 19 Attentäter hätten den USA einen Schlag ins Herz versetzt, einen solchen hätten sie auch nach 20 Jahren erlitten, wenn sie sich aus Afghanistan zurückziehen. Am Feind Amerika hält er fest und will auch weiterhin eine transnationale Organisation: „Wir müssen den Kampf an verschiedenen Fronten führen, vereint jedoch als eine Ummah. Palästina ist so Kaschmir, Kaschmir ist Grosny, Grosny ist Idlib, Idlib ist Kaschgar und Kaschgar ist Wasiristan.“

Dass Sawahiri vermutlich Anfang des Jahres noch am Leben war, ist schon ein Affront gegen die von Joe Biden im Kontext des Truppenabzugs aus Afghanistan sowieso absurde Siegesmeldung, al-Qaida geschlagen zu haben. Man hat Bin Laden eliminiert, aber zu Nummer 2 hat es nicht gereicht.

Der 70jährige Sawahiri veröffentlichte im April ein Buch, 852 lange Seiten stark, über Korruption bei islamischen Führern: „Das Buch und der Sultan: Zustimmung und Abgrenzung – Gedanken über politische Korruption und ihre Folgen in der Geschichte der Muslime“. Er hat offensichtlich Zeit und beschäftigt sich eher mit moralischen und historischen Themen als mit praktischen. Es ist angeblich auch nur Teil 1, es soll also mindestens ein weiteres Buch folgen. Zawahiri entschuldigt sich, so lange nichts von sich hören zu lassen, weil er mit Schreiben beschäftigt war, und dankte seinen Anhängern für die Geduld. Über 800 Seiten zu schreiben, zeugt davon, nicht in alltägliche Geschäfte eingebunden zu sein.

Es scheint auch keine programmatische Schrift zu sein, Zawahiri will offenbar weniger als Terrorist, denn als irgendwie Intellektueller der muslimischen Welt  in die Geschichte eingehen. Das viel Zeit verlangende Schreiben von dicken Büchern, die kaum jemand lesen wird, anstatt der Planung und Organisation von Terroranschlägen, die weltweit Aufmerksamkeit erregen, ist eine Entscheidung, vielleicht auch aus der Not, nicht mehr gefragt zu sein.

Man darf vermuten, Zawahiri ist im Ruhestand und das al-Qaida-Netzwerk, das auf ihn hört, weitgehend eingeschlafen. In Afghanistan dürfte al-Qaida mit Taliban-Strömungen verschmolzen sein, der Islamische Staat ist der Nachfolger, der sich mit den Taliban derzeit Kämpfe liefert. Zawahiri hat zwar lange al-Dschihad angeführt, verblasste aber dann neben Bin Laden. Eine charismatische Führungsfigur war er in den letzten 20 Jahren nicht mehr, er galt vielmehr als Langweiler. Und nachdem Hamza Bin Laden, der Sohn von Osama bin Laden, der als Nachfolger aufgebaut wurde, getötet wurde, vermutlich irgendwann zwischen 2017 und 2019, ist die Luft bei al-Qaida raus, zumindest soweit sie globalistisch orientiert ist und nicht lokal.

Wenn das zutrifft, wäre dies eine schlechte Nachricht für die US-Regierung. Noch führen die USA, auch unter Biden, den globalen Krieg gegen den Terror trotz des Abzugs aus Afghanistan, nach Biden auch als „over-the-horizon“-Krieg, also als Fernkrieg. Dazu ist weiterhin die 2001 vom Kongress gebilligte Kriegsermächtigung (AUMF) die legale Grundlage, die aber nur einen weltweiten Krieg gegen all jene rechtfertigt, die mit an den 9/11-Anschlägen mitgewirkt oder diese unterstützt haben. Barack Obama hatte vergeblich versucht, für die Intervention in Syrien die alte AUMF durch eine neue zu ersetzen. Der Kongress spielte aber nicht mit, ist immer noch nicht bereit, Biden scheint kein Interesse daran zu haben, die Kriegsermächtigung für ihn, die sich gehörig zurechtbiegen lässt, auslaufen zu lassen. Die USA werden in absehbarer Zeit weiter im jetzt schon zwei Jahrzehnte langen langen Krieg gegen den Terror sein (Die USA sind weiter im endlosen Krieg gegen den Terror).

Taliban Delegation in Doha. Bild: Zabihullah

Taliban: Wir brauchen die Hilfe der USA zur Bekämpfung des IS nicht

Beim Treffen der Taliban-Delegation mit Vertretern der US-Regierung lobten sich beide Seiten gegenseitig. Es sei „offen und professionell“ gesprochen worden, so die US-Seite, die Taliban bezeichneten die zweitägigen Gespräche als „offen“ und „gut“. Aber sie hoben hervor, dass Lösungen nur für humanitäre Hilfen gefunden wurden, man kooperiere auch bei Evakuierungen, aber in der Erklärung wird auch herausgestellt, dass humanitäre Unterstützung nicht mit politischen Themen verknüpft werden dürfen. Das US-Außenministerium hob hingegen hervor, die US-Delegation habe sich auf Sicherheits- und Terrorismusfragen, die sichere Ausreise von Amerikanern und afghanischen Partner, sowie auf Menschenrechte konzentriert, auf die „sinnvolle Teilnahme der Frauen und Mädchen in allen Bereichen der afghanischen Gesellschaft“. Da fährt man die Rhetorik schon runter.

Die Taliban gingen darauf gar nicht ein, die USA wiederum nicht auf die finanziellen Forderungen oder Bitten der Taliban, die Sanktionen zu beenden und 10 Milliarden US-Dollar freizugeben. Die Taliban haben kein Geld, um die Staatsangestellten zu bezahlen, aber es fehlt auch Geld, um die Stromrechnungen an das Ausland zu begleichen. Es droht die Stromabschaltung. Neben den Angriffen des Islamischen Staats würde vor allem das die Autorität des Taliban-Regimes schwächen.

Ebenso wie die USA scheuen sie eine schnelle Verständigung. Man kann nicht, auch wenn die Not zwingt, schnell mit denjenigen kooperieren, gegen die man 20 Jahre erbittert Krieg geführt hat. Vor allem würde das Taliban-Emirat dadurch Rückhalt bei den Islamisten in den eigenen Reihen und bei den Konkurrenten wie dem Islamischen Staatverlieren, die weiter in den USA und im Westen den Feind sehen. Nach der unter Trump verhandelten US-Taliban-Vereinbarung sollten die Taliban die Verbindungen zu terroristischen Gruppen beenden und sicherstellen, dass Terroristen nicht wieder von Afghanistan die USA und ihre Alliierten angreifen, die Taliban verlangen, dass ihre Führer von der Terrorliste genommen werden.

Ein Knackpunkt stellte sich schon heraus. Die Taliban erklärten, sie bräuchten keine Hilfe seitens der USA bei der Bekämpfung des IS, das könnten sie alleine. So sagte Zabihullah Mujahid, der stellvertretende Minister für Information und Kommunikation, das in einigen Teilen des Landes gegen den IS vorgegnagen werde, man habe bereits 19 IS-Kämpfer getötet. Als die Taliban noch im Widerstand waren, waren ihre Mitteilungen notorisch übertrieben, wie viele ausländische und afghanische Soldaten sie getötet haben. Nach Mujahid jedenfalls sei der IS sowieso nur ein Kopfweh, keine ernsthafte Bedrohung: „Die meisten IS-Mitglieder sind unterdrückt, ihre wichtigen Verstecke wurden entdeckt und wir jagen sie.“ Von al-Qaida ist auffällig nicht die Rede.

Nach einem UN-Bericht von Juni sollen al-Qaida-Mitglieder in 15 Provinten. Es sollen zwar nur wenige Mitglieder sein, maximal 500. Aber die Taliban hätten nicht die Beziehungen mit der Organisation abgebrochen, die etwa Taliban-Kämpfer ausbilde, wie ein Pentagon-Bericht vom Juni berichtete. Am 20. August hatte Joe Biden gesagt: „What interest do we have in #Afghanistan at this point with Al Qaeda gone. We went to Afghanistan for the express purpose of getting rid of al Qaeda in Afghanistan as well as — as well as — getting Osama bin Laden. And we did.“

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