15: Vermutlich stirbt alle 15 Minuten eine Art aus.

Der erste dieses Jahr war der kleine Handfisch Brachionichthys hirsutus, der letzte bislang der riesige Schwertstör Psephurus gladius. Sie markieren Arten, die 2020 ausgestorben sind … besser: als ausgestorben erklärt wurden. Wann tatsächlich das letzte Exemplar einer Art stirbt, weiß niemand, irgendwann findet man sie eben nicht mehr. Es ist ein wenig, wie bei den im Krieg oder auf See Verschollenen – nach Jahren des Wartens und Suchens gibt man die Hoffnung schlichtweg auf. So macht das auch die International Union for Conservation of Nature (IUCN). Noch vorhandene, aber vom Aussterben bedrohte Arten führt sie auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten (Red List of Threatened Species). Gestützt auf exakte Zahlen sieht es heute so aus: 1,8 Millionen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten sind wissenschaftlich beschrieben, 160.000 davon sieht die IUCN als bedroht.

Doch Hochrechnungen zeichnen ein anderes Bild: Vermutlich gibt es mindestens 8 Millionen Arten und schon 1 Million steht am Rand des Aussterbens, so der Weltbiodiversitätsrat IPBES nach einer Mammutauswertung 2019. An der Ursache für die vermutlich 1000fach über dem natürlichen Wert liegende Aussterberate gibt es keinen Zweifel – es ist der Mensch. Er vernichtet Lebensräume, fischt die Meere leer, schleppt standortfremde Arten ein, sammelt massenhaft Arten für oft fragwürdige ‚Medizin‘ oder einfach zum Vergnügen, verbreitet neue Seuchen … Auch wenn wir Populationen durch unser Tun „nur“ dezimieren, könnten sie dereinst an diesem Verlust genetischer Bandbreite scheitern. Weil wir sie ihres genetischen Reaktionsvermögens beraubt haben, könnten sie Umweltveränderungen davonfegen in einer Zukunft, in der wir – die letzte Art der Gattung Homo – schon lange verschwunden sein werden. Keine Art lebt ewig.


https://www.iucnredlist.org

https://recentlyextinctspecies.com

Andreas Schlumberger

Andreas Schlumberger, geboren 1967, hat das Studium der Biologie absolviert und in Wien, London und Berlin geforscht, bevor er sich ganz dem Umweltjournalismus zuwandte und als Berater für Kommunikationskonzepte zur nachhaltigen Entwicklung tätig wurde. Als Chefredakteur leitete er eine Fachzeitschrift über die Umweltpraxis. Ihm liegt besonders daran, komplexe ökologische Zusammenhänge anschaulich zu vermitteln und somit eine Brücke von der Theorie in die Praxis des Alltags zu schlagen.
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