Selenskij an Israel: Vor 80 Jahren haben wir Juden gerettet

Der ukrainische Präsident Selenskij bei seiner Videoansprache an die Knesset. Bild: president.gov.ua

 

Der ukrainische Präsident hat den Bogen in Israel überzogen, als er den russischen Angriff auf die Ukraine mit der „Endlösung“ verglich. Schon länger kommt die Verehrung von „Helden“ wie Bandera nicht gut an.

Präsident Selenskij hat am vergangenen Sonntag in einer Videobotschaft an das israelische Parlament appelliert, sich eindeutig zu positionieren und Waffen an die Ukraine zu liefern.

Davor hatte bereits Alexei Reznikow, der Verteidigungsminister der Ukraine, in einer Videobotschaft Israels „Zurückhaltung“ kritisiert, sich auf eine Seite der Kriegsparteien zu stellen. Das werde einen wachsenden Vertrauensverlust für viele Jahre bewirken, warnte er.

Israel hat zwar in der UN-Vollversammlung am 2. März für die Verurteilung des russischen Krieges gestimmt, sich ansonsten aber neutral verhalten, keine Waffen geliefert, sich an keinen Sanktionen beteiligt, sondern humanitäre Hilfe geleistet und sich als Mediator angeboten. Aufgrund familiärer Verbindungen vieler israelischer Bürger zu Russland und der Ukraine pflegt Israel gute Beziehungen zu beiden Ländern. Geopolitisch entsprechen gute Beziehungen zu Russland als starker Einflussmacht im Nahen Osten und insbesondere in Syrien auch dem israelischen Sicherheitsbedürfnis. Bislang lässt Russland etwa zu, dass die israelische Luftwaffe regelmäßig iranische Ziele bombardiert.

Israels Zögern, sich klar gegen Russland zu positionieren, dürfte auch im Zusammenhang mit der von der Ukraine vorangetriebenen Erinnerungspolitik stehen, die seit dem Maidan-Machtwechsel 2014 wieder an die Geschichtspolitik des prowestlichen Präsidenten Wiktor Jutschenko (Orange Revolution) anknüpft. Die Ehrung von Nazikollaborateuren wie Stepan Bandera oder Roman Shukhevych als Kämpfer für eine unabhängige Ukraine gehört dazu.

So empfahl beispielsweise 2016 die Kiewer Namenskommission im Rahmen der staatlichen Entsowjetisierungspolitik die Umbenennung der Moskauer Allee in die Stephan Bandera Allee und die Watutin Allee in die Roman Shukhevych Allee. Verteidigungsminister Reznikow hatte – damals noch als stellvertretender Leiter der Kiewer Stadtverwaltung – den stellvertretenden Vorsitz der Kommission inne. Der Kiewer Stadtrat unter Vorsitz Vitali Klitschkos folgte dann in seiner Entscheidung dieser Empfehlung.

Unumstritten war die Entscheidung nicht: „General Watutin hat 1943 Kiew von den deutsch-faschistischen Eroberern befreit“, zitiert die taz eine Petition aus dem Jahr 2017 und schreibt weiter:

„Es ist nicht nur das Verdrängen des Kommandeurs der sowjetischen Truppen, die Kiew von den deutschen Soldaten befreit haben, aus dem Gedächtnis der Bevölkerung, was viele Menschen aufbringt. Ihnen ist vor allem unverständlich, warum der Watutin-Prospekt nun ausgerechnet den Namen des Oberbefehlshabers der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) tragen soll, der im Zweiten Weltkrieg als Offizier auf der Seite der deutschen Wehrmacht im Bataillon ‚Nachtigall‘ gekämpft, eine deutsche Uniform getragen hatte und dessen Einheiten General Watutin 1944 getötet haben.“

Nachdem ein Gericht die Entscheidung zur Umbenennung der Straßen wieder aufhob, legte Bürgermeister Vitali Klitschko Berufung gegen das Urteil ein. Schlussendlich wurde die Umbenennung im April 2021 für rechtmäßig befunden.

Im letzten Jahr protestierte Israel gegen die Entscheidung der ukrainischen Stadt Ternopil, das größte Fußballstadion der Stadt nach Roman Shukhevytch zu benennen. Der Bürgermeister der Stadt warf Israel daraufhin vor, „Geisel der russischen Geschichtsschreibung“ zu sein.

Die Partei Nationalcorps, der politische Arm des Asow-Bataillons, das die Gewalt im „heiligen Kampf“ verklärt und ästhetisiert, organisierte im Juli 2021 anlässlich des 114. Geburtstages von Shukhevych eine an Nazi-Aufmärschen mit Fackeln erinnernde Zeremonie, die teilweise auf Video festgehalten wurde. Auf der Internetseite der Partei steht dazu: „Dieser Mann ist für immer bei uns, er inspiriert uns und führt uns in den letzten russisch-ukrainischen Krieg in die Schlacht.“

Auch die Verehrung von Stepan Bandera als Nationalhelden im Kampf für eine unabhängige Ukraine dient einer historischen Identitätsbildung, die sich vom sowjetischen Erbe unmissverständlich abgrenzen will. Über Bandera schreibt der ukrainische Rechtsextremismusforscher Anton Shekovstov, er sei

„einer der berüchtigtsten ukrainischen Faschisten, Terroristen und Nazikollaborateure, der verantwortlich war für Hunderte, wenn nicht Tausende von polnischen, russischen, jüdischen und ukrainischen Toten. Er spielte eine Schlüsselrolle bei terroristischen Aktivitäten gegen Machthaber in Polen und anderen Ländern.“

Israels Botschafter Joel Lion reagierte entsetzt, als die Stadt Lwiw (Lemberg/Lwow) anlässlich des 100. Geburtstages von Stepan Bandera das Jahr 2019 zum Bandera-Jahr ausrief:

Im vergangenen Jahr verurteilte Israel auch den jährlich zum Geburtstag Banderas stattfindenden Aufmarsch in Kiew:

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba verbat sich daraufhin jede Einmischung in die Erinnerungskultur seines Landes.

Der ukrainische Botschafter in Deutschland Andrei Melnyk spricht von Bandera als „unserem Helden“. 2015 legte er bereits mit dem Schwiegersohn von Bandera, Andriy Kutsan, Blumen am Grab des „Helden“ nieder, um das Grab zu „weihen“.

Als im letzten Jahr Unbekannte eine Flüssigkeit über das Grab Banderas in München gossen, äußerte sich der Diplomat empört darüber und forderte die bayerischen Behörden auf, die Verantwortlichen zu finden und zu bestrafen. Zugleich drückte er sein Bedauern darüber aus, dass „nicht nur die russische Propaganda, sondern auch angesehene deutsche Historiker“ damit beschäftigt seien, Stephan Bandera zu „dämonisieren“.

 

Während Militäreinheiten wie das seit 2014 in die ukrainische Nationalgarde eingegliederte Asow-Regiment sich zur Zeit eben in dieser Tradition von Bandera und Shukhevych im Kampf für eine unabhängige Ukraine sehen, stellt Präsident Selenskij die Ukraine in die Tradition der sowjetischen Armee und betont deren Verdienste im Kampf gegen die Faschisten.

So hatte er in dem Bestreben, die Beschuldigung des russischen Präsidenten, in Kiew regierten Rechtsradikale und Bandera-Anhänger, als Propaganda zu entlarven, bereits am 24. Februar in seiner TV-Ansprache an die Bürger Russlands auf seinen Großvater hingewiesen, der in der sowjetischen Armee gegen die Faschisten gekämpft hatte: „Man sagt Ihnen, wir [Ukrainer] seien Nazis. Aber kann ein Volk, das mehr als acht Millionen Menschen im Kampf gegen den Nationalsozialismus verloren hat, den Nationalsozialismus unterstützen?“ Und auch am Sonntag in seiner Rede an die Knesset ließ er keinen Zweifel daran, auf welcher Seite der Geschichte die Ukrainer im Zweiten Weltkrieg standen:

„Die Ukrainer haben vor 80 Jahren ihre Wahl getroffen. Wir haben Juden gerettet. Und deshalb müssen die israelischen Bürger jetzt eine ähnliche Wahl treffen.“

Von den israelischen Abgeordneten erfuhr Selenskij, der selbst jüdischen Glaubens ist, viel Solidarität. Dass er aber in seiner Rede auch davor warnte, die Ukrainer seien heute wie die Juden damals in Gefahr, Opfer einer „Endlösung“ zu werden, ging einigen dann doch zu weit:

„Wenn Selenskijs Rede […] in normalen Zeiten gehalten worden wäre“, zitiert die Jerusalem Post den Abgeordneten Yuval Steinitz, „hätten wir gesagt, dass sie an Holocaustverleugnung grenzt.“ Die historische Verzerrung gelte auch für die Behauptung, dass die Ukrainer den Juden während des Holocausts geholfen hätten. „Die historische Wahrheit ist, dass das ukrainische Volk nicht stolz sein kann auf sein Verhalten während des Holocausts.“

„Ich verstehe kein Ukrainisch“, so ein weiterer Abgeordneter, „aber wenn die Übersetzung, die ich gehört habe, zutrifft, bittet uns Selenskij die Ukrainer so zu behandeln, wie sie uns vor 80 Jahren behandelt haben. Es tut mir Leid, aber ich denke, wir müssen diese Bitte zurückweisen. Wir sind nach allem eine moralische Nation.“

Auch der Minister für Kommunikation reagierte empört. Er unterstütze die ukrainischen Menschen, aber es sei „unmöglich, die schreckliche Geschichte des Holocaust umzuschreiben. Genozid geschah auch auf ukrainischem Boden. Der Krieg ist schrecklich, aber der Vergleich mit dem Horror des Holocaust und der Endlösung ist empörend.“

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2 Kommentare

  1. Ich meine mich zu erinnern, dass Lwiw und die dortigen Pogrome gegen Juden auch in der Wehrmachtsausstellung eine Rolle spielte. Und ich glaube, dass auch von Zivilisten die Rede war.

    Im übrigen findet man das meiste hier dargestellte in diesem Artikel bestätigt:
    https://www.wsws.org/de/articles/2022/03/21/nort-m21.html

    Und wenn man das Narrativ des Westens lesen möchte, empfehle ich dies. Insbesondere die wunderbare Zusammenstellung, in der zuerst der Nazi-Vorwurf zum Asow-Regiment und dann der professorale Freispruch kommt, als stünden sie in einem Zusammenhang. Ob dieser besteht mag man bezweifeln, hier wird er aber durch die Propaganda Technik der Funke Medie insinuiert.

    https://www.derwesten.de/politik/ukraine-faschisten-nazis-krieg-russland-wladimir-putin-entnazifizieren-weltkrieg-id234783871.html

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    Пані Дебра веде дуже хорошу програму гуманітарної допомоги в Європі, і вона готова допомогти співгромадянам.

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