Österreich: Covid und Krieg

Screenshot aus dem Video der Stadt Wien

 

In der Stadt Wien kollidieren gerade die Krisen. Aus der nur vier Autostunden entfernten Ukraine strömen die Flüchtlinge herbei, gleichzeitig erreichen die Neuinfektionen Höchstzahlen und auch die covidbedingten Krankenhausbelegungen sind sehr hoch.

Von Tag zu Tag parken mehr PKWs mit ukrainischen Kennzeichen in der Stadt Wien. Teilweise stehen die Autos im Parkverbot, werden aber anscheinend nicht abgeschleppt. Gelebte Solidarität somit von Stellen, wo sie nur wenige erwartet hätten. Staksig steigen die Insassen aus den Fahrzeugen. Ist es die lange Fahrt oder haben sie in den Autos schlafen müssen? Es ist immer noch recht kalt in der Stadt, dennoch sind die öffentlichen Räume rund um gewissen Hotspots stark gefüllt. Es wird ukrainisch gesprochen in den kleinen Parks der Stadt, wo Familien mit ihren Kindern stundenlang unter freiem Himmel kampieren.

Möglicherweise ist der Strom der vor dem Krieg Fliehenden der größte in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Menschen, die Wien erreichen, müssen irgendwo bleiben. Ihnen ist der Zutritt in die sogenannte „Grundversorgung“ in Österreich sofort erlaubt. Für Unterbringungen und allgemeine Sozialberatung müssen die zehntausenden Ukrainerinnen und Ukrainer aber zunächst behördlich erfasst werden. Die Stadt muss jetzt zeigen, dass sie funktionieren kann, auch unter dem doppelten Stress aus Flucht und Pandemie.

Ein sehr symbolisches Setting

Die Situation am Hauptbahnhof ist noch immer chaotisch. Wenn ein Zug aus der Ukraine eintrifft müssen bis zu 600 Menschen versorgt werden. Teilweise kommen die Züge erst spät, weshalb die österreichischen Bundesbahnen Bahnhofsareale für die Flüchtlinge bereitstellen. In der „ÖBB-Lounge“ kann jetzt übernachtet werden.

Der eigentliche Anlaufpunkt ist allerdings das „Ukrainezentrum“ im Austria Center Vienna. Das ungeschickt brutalistisch designte Austria Center wurde in den 1980er Jahren errichtet und zuletzt von einer Riege Hochhäuser umsäumt, vielleicht damit man es nicht mehr sehen muss. Das Center schließt unmittelbar an den Sitz der Vereinten Nationen in Wien an. Seine verkorkste Messearchitektur erweist sich als sehr adäquat in der Katastrophen-Nutzung. Zuerst bei Covid und jetzt für die Flüchtlinge, die nun als „Nachmieter“ kommen.

Als die ersten Massentestungen wegen Covid begannen, wurde man über eine Autorampe in den Bauch des Gebäudes geleitet. Mit Flatterband abgesperrte Kanäle leiteten zu Gruppen vollverhüllter Sanitäter in Schutzanzügen, die die Testungen vornahmen. Die Atmosphäre eines Endzeit-Filmsets passte hervorragend zur Kulisse der Hochhaustürme der UN.

Die Stimmung war damals eigentümlich gut. Viele fanden Beschäftigung im Covid-Business, die Arbeit war sinnvoll und es ließ sich helfen. Die Massentestungen und später das Impfen waren hervorragend organisiert. Die Millionenmetropole Wien schaffte es tausende Menschen am Tag im Austria Center und den verschiedenen angeschlossenen Messehallen zu impfen, meist ohne dass nennenswerte Wartezeiten entstanden wären.

Im Frühling 2022 ist das Impfen beinahe vollständig zum Erliegen gekommen und die noch im Austria Center befindliche Infrastruktur ist verwaist. Trotz zahlreicher Plakatkampanien geht einfach niemand mehr hin. Die Impfpflicht wurde auf ruhend gestellt, wer sich schützen will, hat seine drei Stiche bereits und die Skeptiker blieben offenbar skeptisch. So stolpert Österreich in einen vermutlich harmlosen Sommer, um dann in einen möglicherweise heißen Herbst zu landen – im dritten Jahr hintereinander. Lerneffekte sind in der „Emokratie“ Austria kaum auszumachen. Es entscheidet immer die jeweilige Emotion und es waren einfach alle so wahnsinnig froh, als vor knapp zwei Wochen die Maßnahmen aufgehoben wurden.

Jetzt explodieren die Zahlen wieder, mit über 60.000 Neuinfektionen an einem einzigen Tag. Ein europäischer Spitzenwert, auf die nur knapp neun Millionen Einwohner Österreichs gerechnet. Die Krankenhausbetten haben ebenso die höchste Belegung seit Weihnachten 2020 erreicht, wenn auch die Intensivbettenbelegung noch am unteren Ende der Wahnstufe „Gelb“ liegt.

Dabei sind die Zahlen in Wien noch vergleichsweise besser, wohl weil man nicht alle Eindämmungsmaßnahmen aufgehoben hat. In den Bundesländern heißt die Covid-Strategie einfach weniger testen und die Quarantäne aufheben, weil längst die Betriebe nicht mehr arbeiten können, aufgrund der zahlreichen Absonderungsbescheide für die positiv getesteten (und teilweise symptomfreien) Mitarbeiter.

Generalmajor Rudolf Striedinger, Mitglied der die Bundesregierung beratenden GECKO-Kommission, findet die Lage „extrem stabil“. Der General arbeitet selbst mittlerweile im Homeoffice, weil er positiv getestet wurde. Jetzt wieder zusperren, nachdem kurz zuvor aufgesperrt wurde, erschiene dem Kommissionsmitglied fatal.

Die Kooperation Bundesregierung und Kommission darf so zusammengefasst werden: Die Regierung hört nicht auf die Empfehlungen der Kommission (deren Experten vor zu früher Öffnung warnten), um dann der Kommission die Schuld an den Entscheidungen der Regierung zu geben. Weil die Kommission zudem paritätisch besetzt ist, findet sich immer ein „braver Soldat“ in ihren Reihen der Kommission, der genau das sagt, was die Regierung hören will. Nun steht das Land wieder vor der Ungewissheit, wie es mit Covid weitergehen soll. Vielleicht hat man ja diesmal Glück und das Frühlingswetter bläst das Virus davon.

Es wäre der richtige Zeitpunkt für tiefgreifenden Wandel

Ins weitgehend leere Austria Center kommen nun also die Flüchtlinge. Zwischen den in der Messehalle herumstehenden Containern spielen die Kinder Ball. Manche von ihnen weinen bitterlich. Es ist von außen schwer einzuschätzen. Weinen sie, weil sie sich mit einem Geschwisterkind gestritten haben, oder brechen die kleinen Seelen unter der Last der erlebten Ereignisse zusammen?

Hilfsorganisationen tun das Mögliche um den Menschen beizustehen und sie zu beraten. Die Erwachsenen sind ausgepumpt, teilweise wohl auch gereizt. Es lässt sich unmöglich absehen, ob der Aufenthalt in Wien nur eine kurze, beklemmende Episode sein wird und die Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine fruchten werden, oder ob dies jetzt der Beginn eines langen und zermürbenden Krieges ist. Im schlimmsten Fall werden einige von ihnen nie mehr in ihre frühere Heimat zurückkehren können.

Gedanken dieser Art werden im Kunstlicht der Messehalle gewälzt, während die allgemeine Sozialberatung Plätze zum weiteren Aufenthalt in Wien vermittelt. Die Menschen aus der Ukraine haben zunächst ein Bleiberecht für ein Jahr in Österreich. Mit den Neuankömmlingen wird die Stadt Wien wohl erstmals seit dem Zusammenbruch des K&K-Imperiums wieder die Einwohnerzahl von zwei Millionen überschreiten.

Es ist ein beruhigendes und schönes Zeichen, dass Wien die Menschen willkommen heißt und ihnen Unterschlupf gewährt. Den Verantwortlichen in Bund und Kommune gebührt Dank für die Hilfe und die Flüchtlingsaufnahme in Wien. Nur leider mischt sich in das Lob ein gewisser Beigeschmack, denn der Umgang mit dem Ukrainekrieg ist in Österreich nicht ganz frei von Rassismus.

Dieser zeigt sich in zwei Dimension. Es ist fraglos zu begrüßen, dass jetzt gegen die Oligarchen vorgegangen wird, die teils auf illegalem Wege enorme Reichtümer anhäufen konnten, nicht zuletzt auch mit Hilfe österreichischer Banken. Aber warum werden nur die russischen Oligarchen belangt? Die Kosten der verschiedenen Krisen, sei es Pandemie, Krieg und bitte den Klimawandel nicht vergessen (in Österreich hat es katastrophal wenig geregnet, in Tirol brechen immer wieder Waldbrände aus), dürften hinlänglich bekannt sein. Auch dürfte Konsens herrschen über die damit verbundenen, hohen Kosten.

Jetzt wäre somit ein idealer Zeitpunkt, um über neue Formen der Besteuerung und überhaupt auch erst einmal der Erfassung der erbeuteten Reichtümer zu reden. Warum erreicht diese sinnvolle Ermittlungsarbeit nicht auch die deutschen, österreichischen und auch ukrainischen Oligarchen? Warum werden sie nicht auch sehr bestimmt dazu eingeladen, sich an der Krisenbewältigung finanziell zu beteiligen?

Gleichzeitig hinterlässt die vorbehaltlose Begrüßung vornehmlich weißer Flüchtlinge einen üblen Nachgeschmack. (Im Austria Center in Wien sind nur sehr wenige verschleierte Muslimas zu sehen.) Die Ukrainern gegenüber bewiesene Hilfsbereitschaft ist richtig und nur zu begrüßen. Es ist insbesondere erfreulich zu sehen, wie unbürokratisch diese ist. Ukrainer dürfen kostenlos die Züge der ÖBB benutzen und auch den Nahverkehr der Wiener Linien. Aber warum nur die Ukrainer?

Wer in der Flüchtlingsbetreuung arbeitet, kennt die häufige Geschichte, wie beispielsweise eine syrische Familie in der U-Bahn ohne Fahrschein erwischt wurde. Es mag durch Unachtsamkeit oder Geldmangel begründet gewesen sein. Das Bußgeld des U-Bahnbetreibers (de facto „Verwaltungskosten“, denn ein Privatunternehmen darf nicht strafen) ist nicht selten für die „Schwarzfahrer“ unbezahlbar. Die Gestraften müssen teilweise zur Begleichung ihrer Schuld hungern. Strafen, die nicht einkommensbezogen sind, sind immer ungerecht. Im Fall von völlig mittellosen Menschen mit Fluchterfahrung sind sie schlicht unmenschlich.

Nun haben die Stadt Wien und das Land Österreich anscheinend dazugelernt. Warum dürfen jetzt nicht alle Flüchtlinge gratis fahren? Politiker, die nun zur Hilfe aufrufen, müssen sich fragen lassen, warum ein Kriegsopfer aus Kiew mehr wiegt als eines aus Kabul, Damaskus oder aus dem Jemen oder Mali? Hängt das vielleicht am Ende doch mit dem unterschiedlichen Teint zusammen?

Man windet sich in den Spitzen der Politik. Bundeskanzler Karl Nehammer, der sich als Innenminister einen Namen mit Härte gegenüber Fremden gemacht hatte, will nun „eine gemeinsame europäische Familie“ erkennen. Man sei den Menschen aus der Ukraine nah, teile Kultur und Bräuche – und da geht das Helfen gleich leichter von der Hand.

Zu hoffen bleibt, dass die große Hilfsbereitschaft zu einem generellen Umdenken auch bei Konservativen führt. Noch versuchen sie sich über sehr subtile Differenzierungen aus der Affäre zu ziehen. Ukrainer sind plötzlich „Vertriebene“. Merke: Aus Kiew wird man vertrieben, aus Kabul muss man fliehen. 2015 war bereits eine fast euphorische und bewegende Freundschaft und Solidarität in der Stadt zu spüren, die dann leider später politisch verspielt wurde und im ewig gestrigen Mief des Sebastian Kurz ertrank. Hoffentlich läuft das diesmal besser.

Ähnliche Beiträge:

Ein Kommentar

  1. „. Warum dürfen jetzt nicht alle Flüchtlinge gratis fahren? “
    Ganz einfach: Weil das eine Diskrimnierung aller zahlenden Wiener wäre – und nur der erste Schritt für weitere Begünstigungen, die möglicherweise, durch geschmeidige Anwälte zweifelhafter NGO, gerichtlich erstritten werden könnten.

    Und ja, ich verstehe auch die Bestrebungen, nur UkrainerINNEN und Kinder aufzunehmen, aber bei Afghanen, Syrern und Marokkanern einen Stopp durchzuführen. Und die Begründung ist ganz einfach und pragmatisch: Ukrainerinnen, sind Flüchtlinge aus UNSEREM Kulturkreis und nicht Menschen, denen unsre Werte nicht nur fremd sind, sondern oftmals auch abgelehnt werden. Bis auf einen Punkt: Unsere Sozialleistungen.

    Das ist kein Rassimus, sondern wäre ein realistisches Gebot der Stunde. NIcht nur dass durch jede Flüchtlingskrise das Gastgeberland belastet wird: Man muss es auch bewältigen können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert