Nicht so viel krümeln und schmatzen, ich muss arbeiten

Bild: Tim S.

Homeoffice wird zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie zum heiligen Gral erhoben, ist aber oftmals nur erzwungenes mobiles Arbeiten oder digitales Nomadentum.

 

Das Thema Homeoffice ist nicht erst seit Covid-19 aktuell, hat jedoch durch die Pandemie an Aktivität gewonnen. Von einer Seite wird ein Recht auf Homeoffice gefordert, die nächsten halten mit teilweise absurden Argumenten dagegen, wieder andere sehen sich plötzlich mit den negativen Seiten ihres digitalen Nomadentums konfrontiert.

Arbeiten, wo und wann man möchte

Bevor Covid-19 allgegenwärtig wurde, schien das „digitale Nomadentum“  für viele Menschen die ultimative Freiheit zu bedeuten. Kein Büro, keine festen Arbeitszeiten, dafür die Möglichkeit, nur mit einem Rucksack und einem Laptop, einem Handy und viel Enthusiasmus ins Berufsleben zu starten. Bilder von traumhaften Stränden  mit den digitalen Nomaden, wie sie in der Hängematte schaukelten und Cocktails tranken, machten die Runde. Tropische Paradiese und deren Hotels boten die angenehme Unterkunft für diejenigen, die so zu Hause auf traditionelles Leben mit Wohnung und Haus, Büro, fester Arbeitszeit … verzichten wollten.

Der Traum des freien Arbeitens hat sich seit Covid-19 für viele jedoch verändert, Einnahmen sind weggebrochen, manche Orte dürfen nicht mehr bereist werden, Berufsfelder wie die des Reisebloggers  können nicht ausgefüllt werden.

Dafür hat die Pandemie eine neue Sorte digitale Nomaden geschaffen: es sind diejenigen, die sich das digitale Nomadentum nicht ausgesucht haben.

Konferenz zwischen Müsli und Schulaufgaben

Was derzeit so gerne als „Homeoffice“ verbrämt wird, ist nicht das, was man unter Büroarbeit von Zuhause aus ansehen kann, es ist vielmehr der Zwang, seine Arbeit in einer Umgebung zu verrichten, die dafür größtenteils nicht geeignet ist. Es gibt zwar hilfreiche Tipps von Experten, die mitteilen, dass weder Küchen- noch Wohnzimmertisch zum ergonomisch empfehlenswerten Arbeiten geeignet sind, doch für viele Arbeitnehmer sind diese Tipps so hilfreich als würde ihnen jemanden raten, sich doch ein Hotelzimmer zu mieten, um von dort aus zu arbeiten – sie sind schlichtweg nicht umsetzbar.

Covid-19 hat einen durchaus wichtigen Effekt: Es zeigt auf, was in den letzten Jahren bzw. Jahrzehnten bereits schiefgelaufen ist. Dies reicht von der Digitalisierung in Schulen bis hin zu den Versäumnissen bei Arbeitslosengeld II  und der Zunahme der prekären Arbeitsverhältnisse. Gerade sie, aber auch schlecht bezahlte Tätigkeiten, gemeinsam mit teils horrenden Mietentwicklungen  haben dazu geführt, dass Menschen auf immer kleinerem Raum lebten. Dies lässt sich, wenn alle ihre festen Zeiten haben, in denen sie nicht zusammen sind, noch arrangieren, doch wenn plötzlich alle gezwungen sind, bis auf kurze Abwesenheitszeiten für Einkauf oder Arzttermine ihr Leben auf wenige Quadratmeter reduziert zu sehen, treten auch in Bezug auf die Arbeit Probleme auf.

Für Familien mit mehreren Kindern, aber auch für Alleinerziehende bedeutet die derzeitige Situation vor allem auch Überforderung. Die Videokonferenz morgens um 8 Uhr wird zur Belastungsprobe, wenn die Kinder quengeln, frühstücken wollen, mit der Situation unzufrieden sind. Gerade bei jungem Nachwuchs ist die Chance, konzentriert zu arbeiten, gering, das Verständnis dafür, dass die Eltern arbeiten müssen, ebenso.

Bisher war es vielen möglich, den einzigen PC gemeinsam zu benutzen, weil er etliche Stunden über nicht wirklich von einem Arbeitnehmer benötigt wurde. Banal ausgedrückt war einfach der Geldverdiener außer Haus, sodass alle anderen den PC nutzen konnten. Jetzt jedoch drängeln sich mehrere Parteien um den PC – einer will online einkaufen, der nächste muss arbeiten, wieder ein anderer will endlich mit seinen Freunden chatten und sein Lieblingsspiel starten. Dass dies letztendlich zu noch mehr Stress führt, ist logisch. Zwar bieten einige Firmen Laptops an oder beteiligen sich an den Zusatzkosten, die entstehen, doch sind dies längst nicht alle.

Mit einer Aufteilung der PC-Stunden ist es ja nicht getan, es müssen neue Benutzerkonten angelegt, Verschlüsselung eingerichtet  und über eventuelle Bandbreitenerhöhung plus die dazugehörigen Kosten nachgedacht werden. Nicht jeder kann sich, nur weil der Arbeitgeber jetzt seine Videokonferenzen abhalten will, auch besseres Internet leisten oder es bekommen. Noch immer herrscht in vielen Bereichen Deutschlands ein Mangel an schnellem Internet.

Auch sind Regelungen bezüglich Arbeitspausen, gerade bei Bildschirmarbeit, oft nicht hinreichend besprochen worden oder werden großzügig ignoriert. Wie sehr die Belastung der Menschen derzeit geradezu zynisch hinweggewischt wird, zeigte sich jüngst, als es hieß, dass jene, die mit der FFP2-Maske arbeiten müssen, regelmäßig davon Pause machen sollen – aber nicht etwa um im wahrsten Sinne des Wortes durchatmen zu können, vielmehr könnten sie ja in dieser Zeit Tätigkeiten verrichten, die ohne persönlichen Kontakt möglich sind. Banal ausgedrückt: Wer die Maske abnehmen darf, weil es ihm zu viel wird, sie den ganzen Arbeitstag lang durchgehend zu tragen, der kann ja in diesem kurzen Zeitraum wenigstens noch produktiv seine Dokumentation schreiben.

In dieselbe Kerbe schlagen Arbeitgeber, wenn sie sagen, dass eine Alleinerziehende doch dann arbeiten kann, wenn die Kinder im Bett sind. Wie stark die Belastungen zu Hause sind und was dies für Menschen auch psychisch bedeutet, ist insofern bei der Verfügungsmasse Mensch egal.

Das erzwungene mobile Arbeiten wirkt sich nicht auf die Psyche des Einzelnen aus und erhöht den Stressfaktor, es wäre verwunderlich, wenn es nicht auch zu einem Anstieg der häuslichen Gewalt führen würde. Dies ist umso tragischer als dass viele Unterstützungsangebote momentan nur noch beschränkt zur Verfügung stehen. Ein Gutes hat die Entwicklung jedoch: Nach Covid-19 werden einem Artikel, die die Tiny Houses und die geringstmögliche Quadratmeteranzahl bei Wohnungen als neue Freiheit behandeln, hoffentlich erspart bleiben.

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