Meinungsbildung wird immer schwieriger

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Wie Medien die Demokratie behindern.

 

Weltweit ist die Demokratie auf dem Rückzug. Immer mehr Länder werden undemokratischer. Das muss nicht daran liegen, dass die Menschen auf einmal einen Hang zur Diktatur haben.

Mal ehrlich: Wollen wir Gemeinsinn oder mehr Hierarchie? Mehr praktische Vernunft oder Größenwahn? Wollen wir mehr Demokratie oder die Herrschaft derjenigen, die das stärkste Ego oder das meiste Geld haben?

Wenn Sie mich fragen oder einfach nur weiter lesen, hier meine Präferenz: Mehr Demokratie, echte Demokratie, mit allen Mitteln der Kommunikation.

Genau das wird durch die offiziellen Medien aber nicht gefördert, sondern behindert, obwohl die technischen Bedingungen für Kommunikation noch nie so günstig waren wie heute.

Wie fallen Entscheidungen?

Damit eine Gemeinschaft, die demokratisch sein will, gemeinsam Entscheidungen treffen kann, ist die wichtigste Voraussetzung, dass man sich offen verständigt. Eine gemeinsame Entscheidung ist nur dann möglich, wenn Meinungsbildung stattgefunden hat. Erst dann können Entscheidungen auf vielfältige Weise realisiert werden, durch Wahlen, Abstimmungen und persönliche Einflussnahme.

Eine Person denkt nach und entscheidet sich dann. Zwei Personen können sich wie ein Paar verständigen. Bei drei und mehr Personen wird es kompliziert. Schon immer gab es kleine Gruppen oder Teams, die gemeinsam agieren. In der Blütezeit der Rock- und Popmusik waren es die britischen Musikgruppen.

Bei zehn und mehr Personen wird es schwierig. Es gibt meistens einen Teamleiter, einen Chef, Trainer, Wortführer oder eine Vorsitzende. Die nächste Stufe ist die Konferenz, bei der die Information aller Teilnehmer und deren persönliche Beiträge durch eine Verfahrensordnung geregelt sind.

Aber dann, wenn es gemeinsame Entscheidungen von tausenden oder Millionen Menschen geben soll, werden Meinungsbildung und Kommunikation entweder einseitig oder sehr kompliziert. Es wird umso schwieriger, je mehr Entscheidungsträger es sind. Das ist das Problem der Massendemokratie, ein Problem, das auch die Direkte Demokratie in der Schweiz noch nicht gelöst hat.

Die Technik der Medien ist entscheidend

Weil Herrschaft einzelner Führer oder kleiner Gruppen zu Despotie, Ungerechtigkeit und Gewalt neigt, ist vor 2500 Jahren in Griechenland Demokratie entstanden, realisiert durch echte Versammlungen aller Bürger. (Was dort Bürger waren, entsprach nicht unseren heutigen Vorstellungen. Frauen, Besitzlose und Sklaven waren ausgeschlossen.)

Das Positive an der Organisation im alten Griechenland war, dass es sich um Direkte Demokratie gehandelt hat. Man kam an einem Ort zusammen, es gab offene Diskussionen und dann wurde gleichberechtigt und anonym abgestimmt. Auch damals gab es ein technisches Problem: die Reichweite der menschlichen Stimme. Demosthenes spielt eine entscheidende Rolle. Er hatte seine Stimme jahrelang trainiert.

Alle Versammlungen stoßen bei der Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer schnell an eine Grenze. Es klappt bei einigen hundert Leuten, aber tausend sind für eine demokratische Versammlung schon zu viel.

Das Problem der Meinungsbildung von hunderttausenden und Millionen Menschen ist bis heute nicht vernünftig gelöst. Die technischen Möglichkeiten wären im Prinzip vorhanden, sie werden aber nur dazu genutzt, dass besondere Personen oder Gruppen die anderen von erhöhter Position aus übertönen und dominieren. Diese Taktik wird von politischen Parteien und ihren Vorsitzenden auf der ganzen Welt praktiziert.

Hundert Jahre Einflussnahme

Die technischen Fortschritte der letzten hundert Jahre auf dem Gebiet der Kommunikation durch Tontechnik, Elektronik und Digitalisierung sind gewaltig. Das hat bis heute aber keinen Fortschritt in der demokratischen Kommunikation gebracht. Das Gegenteil ist der Fall: Die technische Entwicklungen von Film, Rundfunk, Drucktechnik, Lautsprecheranlagen und Fernsehen haben die Demokratie immer wieder ausgehebelt und Diktaturen aufkommen lassen.

Je größer die Zahl der Menschen, die ein technisches Medium erreicht, desto krasser wird das Missverhältnis zwischen den Möglichkeiten des Publikums und dem Einfluss derjenigen, die das Medium beherrschen.

  •     Im Rundfunk reden diejenigen, die am Mikrofon sitzen.
  •     Dem Fernsehen gegenüber bleiben alle unsichtbar, die nicht auf dem Bildschirm erscheinen.
  •     In der Zeitung steht, was die Herausgeber, Eigentümer und Redaktionen drucken wollen.
  •     Auf Plakaten erscheint das, was die Auftraggeber bezahlen.

Zuschauer, Leserinnen, Zuhörer und Straßenpassanten sind den Medien total ausgeliefert, sie haben keine Möglichkeit sich zu äußern oder ihre Meinung kund zu tun. Selbst Kommunikation untereinander, auf gleicher Ebene, ist kaum in größerem Stil möglich. Ein Austausch von Gedanken findet in der Breite nicht statt, sondern Beeinflussung von oben durch die Regierenden, die Parteien und die Macht des Geldes.

Möglichkeiten ungenutzt

Es gäbe Möglichkeiten, die Medien zu demokratisieren. Am nächsten kommt dem die Idee der Öffentlich-Rechtlichen Anstalten. Man müsste sie demokratisch kontrollieren und in besonderen Formaten viel mehr Bürgerinnen und Bürger zu Wort kommen lassen.

Die Entwicklung läuft seit vielen Jahren in die umgekehrte Richtung; denn die Öffentlich-Rechtlichen Anstalten werden im Rundfunkrat von denjenigen kontrolliert, die sowieso das Sagen haben, und sie nähern sich immer mehr der Linie der Regierenden und der Finanzmacht an.

Gelegentlich gibt es zwar eine Beteiligung des Publikums, nach Ermessen der Redaktionen, welche die Einspielungen oder Texte auswählen. Das bringt uns der Demokratie nicht näher, es täuscht eine aktive Beteiligung vor, die aber nicht wirklich stattfindet. Hier könnte man einiges verbessern, den Zugang zu Sendungen offener und transparenter gestalten oder bei Gesprächsformaten wesentlich mehr normale Menschen zu Wort kommen lassen, Leute, die nicht vorsortiert und durchleuchtet worden sind.

Der vernünftigste Ansatz zur Demokratisierung der Öffentlich-Rechtlichen Anstalten wäre die Kontrolle durch ein vom Publikum legitimiertes Gremium.

Der Politikverdruss, den alle beklagen, entsteht durch Unzufriedenheit mit dem Verhältnis von Politik, Medien und Publikum. Politiker, Wirtschaft und Medien kooperieren miteinander, um zur Wahl von Parteien und Kauf von Produkten zu bewegen. Freie Meinungsbildung wird nicht gefördert. Dieses Ungleichgewicht spüren sehr viele, doch es gibt kaum Möglichkeiten, sich bemerkbar zu machen.

Erst das Internet hat neue Wege der Kommunikation für alle geschaffen; denn es ist dezentral, interaktiv und es funktioniert auch mit wenig Geld. Das Internet könnte eine demokratische Revolution in Gang bringen. Davon hat die Avantgarde im Netz vor 30 Jahren schon geträumt.

Die verpatzte Revolution durch das Internet

Jeder kann im weltweiten Netz mitmachen, die Schwelle ist niedrig. Interaktivität ist der größte Fortschritt in der Kommunikationstechnik seit Erfindung des Buchdrucks. Die neuen Möglichkeiten sind fast unendlich.

Es beginnt damit, dass man seine Meinung überall hin senden und veröffentlichen kann. Wer will, baut eine eigene Webseite, die auf der ganzen Welt zugänglich ist. Man beteiligt sich an Chats und Foren und jeder, der will, produziert einen Beitrag zur öffentlichen Meinung.

Die Vision ist ein öffentlicher Debatten-Raum. Dieser Debatten-Raum wurde bisher nicht realisiert, aber die Möglichkeit besteht weiter und wir könnten heute oder morgen damit beginnen.

Das freie Internet ist der totalen Kommerzialisierung geopfert worden. Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass es in den USA seinen Siegeszug angetreten hat, wo kommerzielle und finanzgesteuerte Medien selbstverständlich sind und die gesamte Öffentlichkeit beherrschen.

In den USA ist es selbstverständlich, dass Reklame die Medien finanziert, es ist selbstverständlich, dass Medien dazu dienen, Geld zu generieren, es ist dort auch selbstverständlich, dass der Zugang zur Politik sehr viel Geld kostet.

In der IT-Branche ist es selbstverständlich, dass jeder, der eine zündende Idee hat, als nächstes überlegt, wie man damit möglichst viel Geld verdienen kann. (Der beste Weg ist der Börsengang.) An der Kommerzialisierung sind die sogenannten sozialen Medien gescheitert, an erster Stelle Facebook. Kommerziell ist nicht gleich sozial.

Facebook hat die Teilnehmerinnen aus der Anonymität geholt, weil man anfangs, durch die Gemeinschaft, eine Kontrolle über die Identität der Personen hatte. Das war der große Unterschied zu anderen Kontaktbörsen. Man konnte reale Personen unter ihrem echten Namen suchen und alte Freunde und Bekannte finden und sich selber als reale Person vorteilhaft darstellen. Das machte den Reiz aus.

Aber heute sind bei Facebook anonyme Teilnehmer, Organisationen, Firmen, Agenturen im Vordergrund und finanzielle Interessen im Hintergrund. Facebook ist kein öffentlicher Debatten-Raum geworden, sondern eine Geldmaschine mit hohem Börsenwert.

Die Zukunft ist offen

Der Ansatz war aber richtig. Das Internet kann eine politische Öffentlichkeit generieren, aber nur dann, wenn in einem Forum ausschließlich reale Personen agieren, wenn die Teilnahme also nicht anonym ist. Politische Öffentlichkeit und Anonymität schließen einander aus.

Ein konkreter Vorschlag: Ein Öffentlich-Rechtliches Internet-Forum, das nur dem Zweck der Meinungsbildung und Demokratie dient. Am besten gleich mit der Möglichkeit, online abzustimmen (siehe dazu: Der Weg in den öffentlichen Debattenraum).

Schon mehrmals habe ich darauf hingewiesen, dass nur 1% des Geldes, das die Öffentlich-Rechtlichen Anstalten mit ihren Pflichtgebühren verschlingen, ausreichen würde, so ein Forum sehr komfortabel zu finanzieren. 1% von 8 Milliarden wären 80 Millionen Euro pro Jahr.

Auf rein kommerzieller Basis, völlig umsonst, werbefinanziert oder von Parteien und Interessen gesteuert, ist demokratische Meinungsbildung nicht zu haben.

Die Initiative, Bewegung oder Regierung, die so ein Forum auf die Beine stellt, wäre echt demokratisch und im 21. Jahrhundert angekommen. Von den Parteien ist so ein Schritt kaum zu erwarten. Sie würden ihre Macht verlieren, die teils darauf beruht, dass sie Zugang zu Medien und Öffentlichkeit haben, was normalen Bürgerinnen und Bürgern verwehrt ist.

Rob Kenius betreibt die Webseite https://kritlit.de, zuletzt sind die Bücher Geld stinkt zum Himmel: Weniger Zunder, mehr Zukunft!“ und „Neustart mit Direkter Digitaler Demokratie“.

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2 Kommentare

  1. Ist Meinung das, was wichtig ist? https://de.wikipedia.org/wiki/Meinung
    Dann kommt ein Sprung zu Demokratie, die von Medien behindert werden soll.
    Leider ist Demokratie nicht definiert und Medien auch nicht. Keineswegs ist die Demokratie auf dem Rückzug, es verhält sich so wie im Kapitalismus, üblich es ist auch in dem Bereich Klassenkampf und die „Oberen“ sind am Gewinnen, sie kaufen sich dafür, Personal.
    https://swprs.org/netzwerk-medien-deutschland/#foobox-1/1/netzwerk-medien-deutschland-spr-mt.png.
    Auch ist bei LeBon „Psychologie der Massen“, Walter Lippmann „Die öffentliche Meinung“ oder Edward Bernays „Propaganda“ nachlesbar. Es stellt sich mir die Frage, ob das so wichtig ist. Viel, was zum Internet gesagt wird, hilft nicht weiter. Die großen Anbieter bekommen Zulauf, weil sie kostenlos Programme anbieten, die nicht so schlecht sind. Wenn sie nicht zum Datensammeln benutzt würden, könnten sie empfohlen werden. So bleibt nichts anderes übrig, als Linux zu empfehlen. Das Programm, was am häufigsten benutzt wird. Kostenlos und verschlüssel bar.
    Es wäre gut, wenn gezeigt würde, was die Werbung alles an Manipulation entwickelt hat. Das Prinzip wird auch beim Transport von Mainstream angewendet. Bei Youtube anzuschauen. So werden in Talkshows immer mehr Leute aus dem eigenen Stall geladen, öffentlich rechtlich oder Staatssender wie Deutsche Welle.
    https://i0.wp.com/swprs.org/wp-content/uploads/2017/08/netzwerk-medien-deutschland-spr-mt.png?ssl=1
    Es gibt sich gute Seiten im Internet die Sachverhalte aufklären und soweit es geht „neutral“ berichten. Die Autoren sollten nicht neutral sein.
    Wenn ich auf die Seiten gehe und lese erwarte ich nicht das meine „Meinung“ bestätigt wird, ich halte mich für Links und lese FAZ und eine regionale Zeitung. Mir geht es darum, bewegt sich was? Das teilweise Gehetze, zu einigen Standpunkte, ist unerträglich. Was nützt das Ganze? Kann hier etwas dahingehend verändert werden, dass es demokratischer wird? Wenn ja, wozu?
    Wer ist denn „wir“ der mal ehrlich was wollen, soll? Es muss lediglich, wie geschehen, moralische Begriffe aufgezählt werden und jeder weis, wo das Kreuz hinkommt. Meinungsbildung findet immer statt und auch entsprechend dem Grundgesetz durch demokratische Legitimität. Das Kreuz alle vier Jahre.
    Das Problem mit der großen Zahl von Menschen kann leicht entgegen gewirkt werden, jeder geht mit offenen Augen durch seinen Lebensbereich und stellt fest wo es „klemmt“, das kann dann überschaubar diskutiert werden und an die städtische Administration herangebracht werden. Zu einer Ratssitzung ist es nicht weit und du kannst gleich sehen, wer nicht im Sinn der Bürger abstimmt. Wie das Kapital sich Meinung kaufen kann, ist bei den Grünen zu sehen. Von einer Bewegung zur Partei.
    Ich erinnere mich noch an die 70er Jahre, da gab es eine Bewegung, die selbstverwaltete Jugendzentren wollten, das muss heute her zu selbstverwaltete Bürgerzentren, wo sich versammelt werden kann und Aktionen zu organisieren. Oder auch zur Weiterbildung zu nutzen. Es wäre zu diskutieren, inwieweit technischer Fortschritt Demokratie aushebeln kann. Ist es nicht eher das ökonomische System, hier Kapitalismus der bestimmt, wo es langgeht? „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewusstsein“ K.Marx
    Hierzu bietet Paul Watzlawick, Erich Fromm oder Arno Grün eine Menge Ideen. Leider haben viel Leute heute schon eine Meinung dazu, bevor ein Buch gelesen wurde. https://peerconomy.org/text/peer-oekonomie.pdf
    Wenn die Menschen sich um Ihre Lebenswelt kümmern und zur Verbesserung eben dieser Welt Forderungen entwickeln, kann ihnen ein öffentlich rechtlicher Journalist, dessen Salär mehr als die Hälfte aus Bestechungsgelder besteht, nicht sagen, wie falsch sie liegen. Solche Bewegungen werden auch geflissentlich verschwiegen. https://publikumskonferenz.de/blog/2022/02/10/baerbock-im-deutsch-russischen-porzellanladen/
    Dennoch Spaß macht https://www.youtube.com/watch?v=4Spy3nhikiU&t=2464s

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