Markus Lanz: Mariupol und die Bulldogge

Screenshot aus dem ZDF-Video der Sendung vom 12. April

EU-Expertin für Sicherheit und interkulturelle Sensibilität offenbart, weshalb die russische Armee so lange braucht, um Mariupol einzunehmen. Ein Kommentar

 

Man muss kein Kind oder Narr sein, um die Wahrheit zu sagen. Selbst Menschen, die geübt darin sind, ihre Worte in der Öffentlichkeit sorgfältig abzuwägen, plaudern manchmal in einem unbedachten Moment etwas aus, ohne zu merken, welche Bedeutung das Gesagte hat. Genau so einen Moment konnte man am Dienstag bei Markus Lanz erleben, während Florence Gaub vom Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien über den Ukraine-Krieg sprach.

Die Politikwissenschaftlerin, die mehrere Jahre als Dozentin am Nato Defense College gearbeitet hat, kassiert gerade auf Twitter einen Shitstorm, sie ist nämlich nicht nur Expertin für Sicherheitsfragen, sondern auch Expertin dafür, die Dinge, sagen wir, in großen Schritten hochzueskalieren. Und in dieser Eigenschaft riet sie am Montagabend zu mehr Drohgebärden gegen über Russland, statt „die Bulldogge nur ruhig zu halten“. Und sie erklärte, weshalb Russland trotz hoher Kosten den Krieg fortführen werde:

„Ich glaube, wir dürfen nicht vergessen, dass, auch wenn die Russen europäisch aussehen, dass es keine Europäer sind, jetzt im kulturellen Sinne, einen anderen Bezug zu Gewalt, einen anderen Bezug zu Tod haben“ und nicht „diesen liberalen postmodernen Zugang zum Leben … da kann halt auch mal das Leben früh enden.“

In Thomas Manns „Zauberberg“ werden die russischen Patienten im Speisesaal des Sanatoriums abgesondert von den anderen an sog. Russentische gesetzt, an den „Guten Russentisch“ die feinen Russen und an den „Schlechten Russentisch“ diejenigen, die „keine Europäer sind, jetzt im kulturellen Sinne“, wie Gaub formulieren würde. Ungefähr 100 Jahre später wissen wir, dass die Russen einen Platz am „Guten Russentisch“ endgültig verwirkt haben.

Überraschend sind die Aussagen Gaubs, die auf Twitter noch einmal belehrend darauf hinweist, dass Russland zu 77 Prozent in Asien liegt, nicht, schließlich ist sie auch Expertin für interkulturelle Kompetenz und Sensibilität. Überraschend ist eher, dass sie sich die Mühe gemacht hat, die Worte „Barbaren“ oder „ewige Wilde aus Asien“ auszusparen. Damit hätte sie viel mehr Menschen abholen können. Gut wäre auch irgendetwas mit „Dschinghis Khan“ und „mongolische Horden“ gewesen. In Manns „Zauberberg“ wird wenigstens noch darauf verwiesen, dass die Barbaren vom „Schlechten Russentisch“ hemmungslosen Sex haben.

Titelbild des WSJ von 2018

Da sage keiner, der Mensch lerne nichts aus der Geschichte. Gut, dass wir die Reichskriegspropaganda aus dem Ersten Weltkrieg noch nicht aus den Geschichtsbüchern verbannt haben. Und dass das Leben für Asiaten nicht viel wert sei, konnte man schon 1974 von General William Westmoreland in der Dokumentation „Hearts and Minds“ über den Vietnamkrieg erfahren, gut möglich, dass das alles auch auf dem Lehrplan des Nato Defence College steht:

„The Orient doesn’t put the same high price on life as does a Westerner. Life is plentiful. Life is cheap in the Orient.“

General William Westmoreland in der Dokumentation „Hearts and Minds“

Die wirkliche Überraschung des Abends aber war, was man bei Lanz zur Militärtaktik der Asow-Kämpfer in Mariupol erfahren konnte. Eine Militäranalyse muss schon auch den Grund dafür erfassen, warum die russische Armee so lange benötigt, die Stadt einzunehmen.

Das liegt am heldenhaften Widerstand des Asow-Regiments, sagt der Westen. Putin sagt dagegen seit Wochen, die rechtsradikalen Asow-Kämpfer würden Zivilisten daran hindern, die Stadt zu verlassen, um sie als Schutzschilde zu gebrauchen. Aber „der Typ lügt ja eigentlich schon seit acht Jahren“, hatte die Sicherheitsexpertin gerade noch bei Lanz gesagt, als sie nur wenig später ihre eigene Aussage konterkarierte:

„Man muss über die Bilder [der Zerstörung Mariupols] hinaus sehen, was die Ukrainer selber gemacht haben – dass sie die Russen absichtlich in Mariupol festhalten, solange wie möglich, damit sie nicht woanders hingehen können … Das heißt, da haben auch die Ukrainer die Zivilbevölkerung absichtlich in Gefahr gebracht…“

Schade, dass keiner in der Lanz-Runde das Interesse dafür aufzubringen bereit war, wenigstens mal nachzufragen, was sie damit genau meinte, dass auch „die Ukrainer die Zivilbevölkerung absichtlich in Gefahr gebracht“ haben. Im griechischen TV war man da schon Ende Februar weiter und hatte kurz nach Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine einen Einwohner Mariupols griechischer Herkunft interviewt. Der antwortete auf die Frage des Journalisten, ob er fliehen wolle:

„Wie kann ich fliehen, wenn du versuchst zu fliehen, gehst du das Risiko ein, in eine Patrouille ukrainischer Faschisten zu rennen, des Asow-Bataillons, sie würden mich töten.“

Es gibt noch mehr Augenzeugenberichte, aber die meisten eben aus den von der russischen Armee eingenommenen Gebieten, und da könnte man ja sagen, die haben Angst vor den Russen und können nicht frei sprechen. Nur bei diesem griechischen Einwohner Mariupols ist das anders. Ohne die Aussage Gaubs hätte man das auch für einen Einzelfall halten können. Jetzt aber spricht doch einiges dafür, dass es sich tatsächlich um eine bewusste Militärtaktik der Asow-Kämpfer handelt und dass der Westen darüber Bescheid weiß.

Ob man im Hintergrund wenigstens Druck ausübt auf die Asow-Kämpfer, Zivilisten nicht absichtlich in Gefahr zu bringen, auch um den Preis, dass Mariupol schneller an die russische Armee fallen würde? Oder hatte das Ziel, die „Russen absichtlich in Mariupol festzuhalten, solange wie möglich“, oberste Priorität und man geht davon aus, dass auch den Einwohnern von Mariupol der „liberale postmoderne Zugang zum Leben“ fehlt und sie deswegen einen anderen Bezug zum Tod haben?

Der ukrainische Präsidentenberater Arestovytsch verkündet gerade, das Schicksal von Mariupol hänge von der Lieferung deutscher Waffen ab.

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13 Kommentare

  1. Ich bin kein Jurist, aber Scott Ritter äußerte sich dahin gehend, dass es ein Kriegsverbrechen sei, eine Stadt zum Schlachtfeld zu machen und so zivile Opfer in Kauf zu nehmen. Und ja, ich glaube, dass es mindestens das Kollateral dieser Strategie.

    Dass ausgerechnet die Freiwilligenverbände hier ihr Unwesen treiben dürfen. liegt lt. Herr Baud auch daran, dass sie nur leichte und keine Gefechtswaffen besitzen. Wer trägt die Veranwortung für diese Konstellation?

    1. Das hat die Frau natürlich nicht gesagt. Sie ist ja keine Rassistin – sondern Kulturalistin. In der Konsequenz dasselbe, aber nach heutigen Massstäben akzeptabel. So argumentieren übrigens auch die Identitären, wenn sie gegen Geflüchtete z. B. aus dem Irak oder Syrien hetzen.

  2. Ich weiß nicht, wer „Recht“ hat, es lügen alle. Ich versuche immer herauszufinden, wer bei bestimmten Handlungen den größten Nutzen hat.
    Es scheint bei den Asow Leuten eine Befürchtung herrschen, wenn, Ransam Kadyrov seine Soldaten schickt, geht es, Asow an den Kragen.
    Erstaunlich ist immer wieder, dass, Journalisten wissen, wie Putin denkt und handelt. Ich gehe davon aus das der am wenigsten macht, dafür hat einen Generalstab.
    Was mich immer wieder stutzen lässt das es keine Kritik dazugibt wie mit Juden in der Ukrainer umgegangen wird.

        1. Wer das Propagandaportal Psiram als Beleg für irgendwas nimmt, hat entweder die Kontrolle über sein Leben verloren, oder eine Agenda

        2. Die von Ihnen verlinkte Webseite ist komplett anonym: Betreiber anonym, Redaktion anonym, Autoren anonym. – Wie vertrauenswürdig ist das, Ihrer Meinung nach?
          Aber es kommt noch besser:
          Die anonymen Autoren dieser anonymen Plattform bemängeln an Thomas Röper unter anderem, dass es von ihm weder eine Kontaktadresse noch ein „Impressum“ gebe („nur eMail-Adresse“).
          Dieser Vorwurf ist angesichts der eigenen Anonymität dieser Kritiker kurios. Damit steht fest, dass dieses dubiose „Psiram“ ein Haufen dämlicher Clowns ist.
          Was die sonstigen Ausführungen zu Röper betrifft:
          Was ist von Leuten zu halten, die nicht bereit sind unter solche Texte den eigenen Namen zu setzen und die es vorziehen die jeweils anvisierten Personen anonym zu beschmieren? – Eben.

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