Lederstrumpf und die letzten Feinde

Emanuel Gottlieb Leutze – Westward the Course of Empire Takes Its Way – Google Art Project. Bild: public domain

 

Die Eroberung des Wilden Westens liegt kaum 200 Jahre zurück und die Ideologie, die diesen Raubzug rechtfertigt, ist offenbar heute noch lebendig in der amerikanischen Volksseele.

 

Als ich gerade Lesen gelernt hatte, waren die ersten Bücher, die man mir schenkte, Lederstrumpfgeschichten, zu Beispiel vom letzten Mohikaner und vom alten Trapper. Es sind die berühmten Erzählungen von John F. Cooper. In diesen Büchern wird vom Kampf der Einwanderer aus Europa gegen die Indianer erzählt. Die einzelnen Indianer sind positive Helden, sie freunden sich mit den Jägern und Siedlern aus Europa an, während ihre Stämme einen aussichtslosen Kampf gegen die besser bewaffneten und zahlenmäßig überlegenen Eindringlinge führen und dabei immer weiter zurückweichen.

Später las ich in einer Art Sachbuch: „Die Eroberung des Wilden Westens“. Dieses Buch schilderte, wie die Bleichgesichter immer weiter nach Westen vorgedrungen sind und den Widerstand der Rothäute überwunden haben, bis die Siedler und Goldsucher schließlich in Kalifornien an der Küste des Stillen Ozeans ankamen.

Das Merkwürdige an diesen Darstellungen war, sie verliefen  immer nach dem gleichen Muster: Friedliche, meist arme Siedler aus England und Irland wurden von wilden Indianer-Stämmen angegriffen. Sie verteidigten sich tapfer, schlugen die Indianer in die Flucht  und rückten dann ein Stück weiter nach Westen vor.

Indem sie sich gegen die aggressiven Wilden verteidigten, eroberten sie den ganzen Kontinent und drängten die feindlichen Indianer schließlich bis in die Reservate zurück, die ihnen der Staat großzügigerweise zur Verfügung stellte.

Verdrehung der Tatsachen durch Ideologie

Dass es sich bei diesem Vorgang darum handelte, den ursprünglichen Bewohnern, die kein Privateigentum an Land kannten, ihr Land und ihre Jagdgründe weg zu nehmen, dass also die Aggression eindeutig von den weißen Siedlern ausging, und dass die Indianer das verteidigten, was ihnen von Natur aus zustand, diese Tatsache geht in den Wildwestgeschichten völlig unter. Darüber legt sich eine Ideologie, welche die Eroberung und den Zug nach Westen moralisch rechtfertigt und die Tatsache, wer die Aggressoren und wer die Verteidiger sind, völlig ins Gegenteil verdreht.

Die Eroberung des Wilden Westens liegt kaum 200 Jahre zurück und die Ideologie, die diesen Raubzug rechtfertigt, ist offenbar heute noch lebendig in der amerikanischen Volksseele. Sogar die Blickrichtung ist teils noch dieselbe. Hinter der westlichen Küste beginnt ein Meer und hinter diesem Meer existieren zwei große Nationen, die sich den Vereinigten Staaten von Amerika noch nie unterworfen haben: Russland und China.

Die ganze Irrationalität der US-amerikanischen Militärpolitik resultiert auf diesem Drang, erst den Westen und danach die ganze Welt zu erobern und sich immer weiter zu verteidigen, bis niemand mehr Widerstand leistet. Und es gilt die gleiche Taktik wie vor 200 Jahren: Wer sich widersetzt, ist der Aggressor. Die Moral, das Recht und das Gute sind auf der Seite der Vereinigten Staaten und die sind auf Gottes Seite. „In God we trust“ steht auf jeder Münze und jedem Geldschein. Wer sich dem entgegen stellt, wird als aggressiv, hinterhältig oder fanatisch angesehen.

Wo enden Hybris und Exzeptionalismus?

Es ist kaum zu verstehen, dass ein gerade erst aus der Migration entstandenes Volk so viel Hybris und Exzeptionalismus an den Tag legt, und dass es nicht von intelligenten Frauen und Männern aus den eigenen Reihen darüber aufgeklärt wird, dass es so nicht weiter gehen kann mit Militärbasen in aller Welt und ständiger Feindschaft gegen alle möglichen eingebildeten Feinde und Aggressoren, die kaum etwas anderes verbrochen haben, als dass sie sich nicht freiwillig unterwerfen.

Aktuell ist dieser nie enden wollende Konflikt zwischen den USA und dem Rest der Welt in der sogenannten Ukraine-Krise zu beobachten. Wer fragt ernsthaft, was die USA oder die Nato dort zu suchen haben? Wollen die Amerikaner, die erst seit wenigen Generationen in ihrem großen westlichen Land leben, das riesige Russland bedrängen oder sich von Putin angreifen lassen, um dann im Gegenschlag den Russen das Land und seine Bodenschätze zu nehmen und nach Sibirien zu ziehen? Warum sind ihre Vorfahren dann nach Westen ausgewandert, wo Sibirien doch so riesig und verlockend ist? Gold gibt es doch nicht nur in Kalifornien, sondern auch in Jakutien.

Im Osten nichts Neues

Das ist so absurd wie vieles in der westlichen Wertegemeinschaft, deren oberster Wert der US-Dollar ist. Mit Sicherheit würde kein Kreml zivilisierte Menschen daran hindern, nach Russland einzuwandern, egal ob sie aus Deutschland, Frankreich oder Kalifornien kommen. Sie müssten sich an bestimmte Regeln halten, die das Einwanderungsland bestimmt.

Wenn sie aber mit der Absicht kommen, Raketen in der Ukraine gegen Moskau aufzustellen, dann ist niemand an den Grenzen Russlands willkommen, genau so wenig wie Napoleon und Hitler, die versucht haben, von Westen mit Waffengewalt einzudringen. Ist an dieser Einstellung irgendetwas feindselig, autoritär oder schwer verständlich?

Die Ansichten, die ausgerechnet viele Grüne und ihre Annalena verkünden, sind so kindlich wie die der Leserinnen von Lederstrumpfgeschichten. Man wäre gern die kleine Schwester oder der kleine Bruder der Vereinigten Staaten von Amerika, dann fühlt man sich stark an ihrer Seite, moralisch überlegen und mächtig, ohne viel nachzudenken.

Aber die USA sind ein Land, das sich selbst nicht im Griff hat und manchmal sogar von Idioten regiert wird, wie W. Bush und Donald Trump. Und auch Joe Biden hat die Finanzmacht der USA und den militärisch-industriellen Komplex nicht voll im Griff. Das ist kein Vorbild für Europa und die Nachfahren derjenigen, die hier geblieben sind.

Wer nach Osten in die Weite Sibiriens will, kann ja den Russen helfen, ihr Land zu modernisieren. Und wenn endlich über Frieden, Sicherheit aller und Abrüstung verhandelt wird, wie der Kreml seit Jahren vorschlägt, geht es vielleicht wieder aufwärts.

 

Der Autor Rob Kenius betreibt die systemkritische Webseite kritlit.de

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4 Kommentare

  1. Eine nette Geschichte. Mir ging es als Kind mit Lederstrumpf genauso. Leider wird durch den Autor nicht geschildert, dass die Franzosen und Engländer jeweilige Indianer für sich gewonnen haben und die aufeinander gehetzt haben. Später haben die Engländer für jeden getöteten Indianer bezahlt, zum Beweis musste der Skalp der Indianer vorgelegt werden.
    Was der Autor außer Acht lässt, das ist für heute noch dieselbe Linie, die Entwicklung des Kapitalismus. In Europa starben viel Menschen an Hunger, von daher, wie heute, flüchteten Menschen um nicht zu verhungern. Die deutschen Fürsten verkauften Soldaten nach Amerika.
    Einen Schritt zurück, als Kolumbus, der nach Indien wollte, in „West Indien“ ankam, waren die Seeleute dem Hungertod nahe, die Ureinwohner (durch Kolumbus Indianer genannt) päppelten die Seeleute wieder auf und pflegten sie gesund.
    Es ist nicht die Ideologie, es ist ganz simple Profitinteressen, die allerdings wie heute mit allerlei moralischen Geschichten verbrämt werden.
    Es werden auch Wildwest Geschichten erzählt, in dem die Rinderzüchter sich gegen Siedler wehrten. Dann ging die Geschichte mit den Sklaven los. https://klartext-info.de/?p=729
    Wo dem Autor zuzustimmen ist, bei Vergleichen zu heute. Nur auch da ist auch zu sagen, was der Antrieb der „traditionell“ ökonomisch Staaten ist. Sonst bleibt es ein moralisches Gejammer. Vor allem auch, weil es im Lager des Westens erheblich Widersprüche gibt.
    Bei Arte zeigt eine Doku ziemlich gut, wie Mächtige mit Menschen umgehen kann und wie Menschen aus dem Volk das umsetzen. https://www.arte.tv/de/videos/095727-001-A/rottet-die-bestien-aus-1-4/

  2. Da hat der Autor leider die falschen Bücher gelesen. Genial die sechsbändige Reihe „die Söhne der Großen Bärin“ oder die Tecumseh- Bücher von Fritz Steuben. Da sind die Rollen von Gut und Böse ganz anders verteilt. Diese Bücher haben mich als Kind geprägt. Und dann noch von Dee Brown „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“ über den Völkermord an den Indianern…

  3. Vor einigen Jahren gab das belgische Verteidigungsministerium eine Studie in Auftrag über die größten Völkermorde in der Geschichte der Menschheit. Ergebnis: an 1. Stelle steht die USA (bzw. auch schon vor deren Gründung) mit 14 Millionen ermordeten Ureinwohnern. Dieses Ergebnis hat den USA natürlich gar nicht gefallen.

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