Große Unabhängigkeitskundgebung in Katalonien vor dem Beginn eines „Dialogs“

Riesige Proteste wie 2019 am Nationalfeiertag wird es 2021 noch nicht wieder geben. Bild: R. Streck

Nach dem Covid-Jahr in Spanien sieht man sich in der Phase der Neubelebung, absehbar ist, dass der Dialog zu keiner Lösung des Katalonien Konflikts führen wird.

Seit vielen Jahren sind die riesigen Demonstrationen in Katalonien am 11. September bekannt, mit der die Katalanen ihren Nationalfeiertag (Diada) begehen und für die Unabhängigkeit von Spanien eintreten. Noch immer ein wenig zaghaft kehrt die Bewegung nun am Samstag auf die Straßen der katalanischen Metropole Barcelona zurück, doch auch an anderen Orten in Europa, unter anderem in Bremen.

Die Covid Lage in Spanien und die Uneinigkeit der Parteien

Im Covid-Jahr 2020 gab es nur kleinere und dezentrale Versammlungen, um massive Zusammenballungen von Menschen zu verhindern. Allerdings hatte das Vorgehen im vergangenen Jahr auch mit den steigenden Spannungen und der Tatsache zu tun, dass sich die drei Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, zunehmend gespalten gezeigt hatten. Das beförderte letztlich auch die Neuwahlen im vergangenen Frühjahr, aus der die Bewegung insgesamt aber gestärkt hervorgegangen ist, denn die Unabhängigkeitsparteien gewannen erstmals mit 52 Prozent mehr als die Hälfte der Stimmen. Der Trend, der sich in allen Wahlen zuvor für eine Stärkung der Bewegung gezeigt hatte, wurde auch in diesem Wahlprozess erneut bestätigt, worüber Krass & Konkret berichtet hatte.

Die Uneinigkeit unter den Parteien darüber, wie man die Ziele erreichen soll, ist mit den erfolgreichen Wahlen aber nicht verschwunden. Sie haben auch die zähe Regierungsbildung bestimmt, zu der sich die zwei großen Unabhängigkeitsparteien unter dem Druck der Basis und ausgerechnet unter der Vermittlung der antikapitalistischen CUP zusammenraufen mussten. Trotz der Widersprüche, ob man auf einseitige Schritte zur Umsetzung der Republik Katalonien setzen müsse, wie es „Junts per Catalunya“ (Gemeinsam für Katalonien (JxCat), die Partei von Exil-Präsident Carles Puigdemont anstrebt, oder auf Verhandlungen mit der sozialdemokratischen Regierung in Madrid setzen soll, auf welche die „Republikanische Linke“ (ERC) setzt, konnte schließlich doch eine Regierung gebildet werden.

Angesichts der Widersprüche im politischen Lager und der Tatsache, dass die Covid-Lage im Frühjahr in Katalonien erneut fast völlig aus dem Ruder gelaufen ist, wollen die großen zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der Katalanischen Nationalkongresses (ANC) oder die Kulturorganisation Òmnium Cultural in diesem Jahr wieder massive Proteste zu organisieren. Wegen der noch immer bedrohlichen Covid-Lage strebt man aus Sicherheitsgründen noch nicht an, zu den Massenmobilsierungen vor dem Covid-Jahr zurückzukehren.

Die ANC-Präsidentin Elisenda Paluzie deutlich gemacht, dass man sich in einer Phase der „Neubelebung“ befinde. Angestrebt wird eine Demonstration von mehr als 100.000 Teilnehmern. Mindestens so viele Menschen will die Bewegung ab 17 Uhr 14 auf der Straße haben, um erneut dem Fall Barcelonas 1714 unter die spanische Bourbonenherrschaft zu gedenken und für die Unabhängigkeit einzutreten.) Wegen dieser Zahl wurde derweil auch der Ort der Abschlusskundgebung verändert, da der zunächst geplante Park am Parlament für diese Masse zu klein ist. Sie wird nun am Bahnhof „Estació de França“ durchgeführt werden.

Die Bewegung will sich wieder massiv auf der Straße zeigen, um vor allem auf die Parteien Druck zu machen, sie will aber trotz allem die nötigen Sicherheitsauflagen und Mindestabstände einhalten. Die Großdemonstration, praktisch kann nach Aufrufen verschiedenster Organisationen am ganzen Tag irgendwo in Barcelona demonstriert werden, soll sich in verschiedenen Zonen aufstellen, um keine Zusammenballung von Menschen zu Beginn zu erzeugen. Sicherheitsabstände einzuhalten wäre bei Riesen-Demonstrationen wie in den Jahren vor der Covid-Pandemie unmöglich, wo oft mehr als eine Million Menschen auf Kilometern nur eng gedrängt stehen konnten.

Vor dem „Dialog“ zwischen der spanischen und der katalanischen Regierung

Die Bewegung will auch deswegen wieder Stärke zeigen, weil in der kommenden Woche ein „Dialog“ zwischen der spanischen und der katalanischen Regierung beginnen soll. Den hat die sozialdemokratische spanische Regierung der ERC für deren Unterstützung in Madrid vor mehr als eineinhalb Jahren versprochen, er wurde aber bisher niemals umgesetzt. Nun soll er nach der Sommerpause nächste Woche beginnen, wobei die Vorzeichen erneut sehr schlecht sind. Bisher steht weder eine Tagesordnung, noch ist der Termin festgelegt und zudem ist unbekannt, ob Regierungschef Pedro Sánchez daran teilnehmen wird. Zudem wird das erste Treffen von weiteren Streitpunkten – wie der Flughafenfrage – überlagert, wie weiter unten ausgeführt werden wird.

Zivilgesellschaftlichen Organisationen – wie der große ANC – wollen daher im Vorfeld wieder stärkeren Druck aufbauen. Sie drängen darauf, das Votum des Unabhängigkeitsreferendums 2017  mit dem Votum bei den letzten Wahlen im Februar umzusetzen. „Die Unabhängigkeit wird nicht ohne Kampf errungen werden“, erklärte die ANC-Präsidentin Elisenda Paluzie. Dieser Kampf müsse „von der organisierten Bevölkerung und über die Institutionen mit der klaren Stimmenmehrheit geführt werden.“

Der ANC setzt zwar auf den Weg der einseitigen Schritte, will aber, wie auch in den Absprachen zwischen ERC, JxCat und CUP vereinbart, dem Dialog zumindest etwas Zeit und eine Chance einräumen. Allerdings glaubt auch der ANC nicht daran, dass Spanien zu wirklichen Zugeständnissen bereit ist. Die große Organisation glaubt auch nicht, dass Spanien endlich auf Repression verzichtet, die Strafverfolgung gegen mehr als 3000 Menschen im Rahmen des Referendums und der Auseinandersetzungen danach aussetzt und die Katalanen in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts über die Unabhängigkeit abstimmen lässt. Das fordern nach Umfragen weiterhin mehr als 70 Prozent der Bevölkerung in Katalonien. Spanien könnte sich an Großbritannien ein Beispiel nehmen, dass auch ein zweites Referendum in Schottland nicht ablehnt.

Aber auch im ANC geht man davon aus, dass der Dialog „scheitern wird“, wie die Puigdemont-Partei ebenfalls meint. Deshalb stellte Paluzie fest: „Die Bewegung muss auf den Moment vorbereitet sein, wenn der Dialogweg scheitert.“

Zweifel am Dialog

Der ANC und viele andere Organisation gehen davon aus, dass es nicht zu einem „vereinbarten Referendum“ nach Vorbild Schottlands kommen wird. Man diskutiere über eine Sache, „die wenige Erfolgsaussichten hat, statt das zu tun, was nötig ist“, meint die ANC-Präsidentin. Das wirke eher demobilisierend in der Bevölkerung. Paluzie kommt inzwischen zum Ergebnis, dass der Dialog die Bewegung eher schwächt. Die ERC dagegen meint weiter, dass allein die Tatsache, dass es einen Dialog geben soll, schon ein „Erfolg“ sei. Der ERC-Chef Oriol Junqueras sagt, damit werde das „Vertrauen in der internationalen Gemeinschaft“ gestärkt. Die werde vom Verhalten der Sozialdemokraten „Notiz nehmen“.

Das versucht die Partei nun allerdings schon seit eineinhalb Jahren zu verkaufen, die Erfolge sind allerdings mehr als bescheiden. Auch Klaus-Jürgen Nagel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Pompeu Fabra in Barcelona, streicht heraus, dass er wenig Hoffnung hat, dass über den Dialog der „eingefrorene Konflikt schnell abgetaut“ werden könne. „In Katalonien sind viele der Auffassung, dass die ERC wenig dafür bekommen hat, dass sie in Madrid Pedro Sánchez ins Regierungsamt gehievt und auch seinen Haushalt mitgetragen hat, wo er auf die ERC-Stimmen angewiesen ist.“

Eigentlich sollte der „Dialog“, Spanien spricht nicht einmal von Verhandlungen, schon längst in einer entscheidenden Phase sein, wie die ERC-Sprecherin Marta Vilalta dem Autor dieser Zeilen im Interview schon vor eineinhalb Jahren angekündigt hatte, da die ERC sonst die Unterstützung aufgeben werde. Real ist bisher bis auf ein erstes unverbindliches Treffen im Februar 2020 nichts passiert. So spricht auch Nagel wenig hoffnungsvoll an, dass es für den runden Tisch nun nicht einmal Vorabsprachen gab, also nicht einmal klar ist, worüber eigentlich geredet werden soll.

Er verweist darauf, dass es zwar sogar eine Amnestie für die Mörder der Franco-Diktatur gab, diese Geste der Entspannung vermisse man aber gegenüber den friedlichen Protestlern aus Katalonien für einen Konfliktbeilegung. Für die wegen eines erfundenen Aufruhrs verurteilten Politiker und Aktivisten gab es  nur eine „Begnadigung“, nachdem sie – anders als die Schergen der Diktatur – schon mehr als drei Jahre im Knast gesessen hatten. Diese Begnadigungen, so schränkt auch Nagel ein, seien real nur ein „individueller Erlass eines Teils der Reststrafe“, die nur zur Bewährung ausgesetzt ist, also wie ein Damoklesschwert weiter über den Betroffenen schwebt, die sich nicht einmal zu Wahlen aufstellen lassen können. Zudem laufen mehr als 3000 Verfahren weiter.

Dass der Professor das als die „einzige ernsthafte Geste“ aus Madrid für eine Befriedung bezeichnet, sagt schon viel über die Politik der Sozialdemokraten (PSOE). Allerdings lässt Nagel dabei sogar noch außen vor, dass Sánchez dazu über den Europarat gezwungen wurde, der die Freilassung der politischen Gefangenen gefordert hatte. Der hat auch das Ende der Repression gefordert, wie Krass & Konkret berichtet hatte.  Davon ist aber keine Spur. Sofort nach der Freilassung ging die ökonomische Keule auch auf die nieder, die gerade „begnadigt“ worden waren. Millionen sollen sie für mögliche Schäden als Kaution hinterlegen, noch bevor ein Urteil gesprochen ist. Das zielt auf deren ökonomische Vernichtung ab. Entspannung vor einem Dialog sieht anders aus.

Streit um Flughafenausbau vertieft den Katalonien Konflikt

Waren also schon aus dieser Sicht die Vorzeichen für Dialog schlecht, hat man in Madrid in diesen Tagen sogar weiter Öl ins Feuer geschüttet. Eine Investition von 1,7 Milliarden Euro zur Erweiterung des Flughafens von Barcelona, die zwischen der katalanischen und spanischen Regierung vereinbart worden war, wurde einseitig ausgesetzt. Es ist zwar richtig, dass das Projekt innerhalb der katalanischen Regierungsparteien schwer umstritten ist und von der die unterstützenden CUP völlig abgelehnt wird. Diese Widersprüche aber als Begründung anzuführen, ist schon einigermaßen kurios.

Denn in der spanischen Regierungskoalition ist das Projekt ebenfalls schwer umstritten. Auch der linke Koalitionspartner „Unidas Podemos“ (Gemeinsam können wir es) lehnt diese Erweiterung ab, weil sie das Naturschutzgebiet „La Ricarda“ teilweise zerstören würde. Folglich feiert die UP-Ministerin und Vize-Regierungschefin Yolanda Díaz, dass das Natura 2000-Schutzgebiet nun mindestens fünf Jahre nicht angetastet wird. Das Projekt sei „nicht vereinbar mit dem Klimanotstand, den wir erleben”, erklärte Díaz. Sie bezweifelt auch, ob die EU das Vorhaben abnicken würde.

So muss man sich fragen, ob Sánchez vor allem mit seinem einseitigen Schachzug Widersprüche mit Brüssel und interne Widersprüche in seiner Regierung abwenden will, die bekanntlich groß sind und immer wieder zu Zerreißproben führen. So kann Sánchez zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: UP, die bisher praktisch nichts von den eigenen progressiven Vorstellungen umsetzen konnte, einen „Sieg“ bescheren und damit zugleich das Terrain für den Dialog abstecken. Er zeigt, dass er nicht einmal bereit ist, in eine solche Frage die Katalanen einzubeziehen und darüber ernsthaft zu verhandeln. Der katalanische Regierungschef Pere Aragonès spricht von „Erpressung“. Und die ERC-Sprecherin Vilalta sieht das auch so: „Sie sagen uns, dass das so gemacht wird, wie wir es wollen, oder es keine Investition gibt.“

Klar ist, dass damit wird der Dialog noch stärker belastet wird, bevor er überhaupt begonnen hat. Trotz allem verteidigen ihn Aragonès und seine ERC weiter. Er fordert weiter „Einheit“ von seinen Unterstützern und will vom Koalitionspartner JxCat wissen, welche Alternative es dafür gibt, ein „Referendum wie in Schottland so schnell wie möglich“ zu erreichen. Dass Sánchez – vermutlich sogar nur untergeordnete Chargen – überhaupt bereit ist, darüber auch nur zu sprechen, ist stark zu bezweifeln.

Denn nicht einmal in der Linkskoalition UP wird das Selbstbestimmungsrecht der Katalanen noch ernsthaft verteidigt, weshalb auch aus der Ecke kein Druck kommt. Angesichts der sozialdemokratischen Schachzüge und Verschleppungstaktik in Madrid werden dieser Dialog und die ERC immer stärker unter Druck kommen. Schließlich dürfte er dann tatsächlich scheitern. Danach geht es dann nur noch, wie im Fall der Flughafen-Debatte, um das Narrativ, wer für das Scheitern verantwortlich ist.

Dass Sánchez den Dialog jetzt beginnt, hat natürlich vor allem damit zu tun, dass er demnächst wieder einmal einen Haushalt beschließen will. Dafür braucht er erneut die ERC-Stimmen, da die CUP und JxCat sich dafür nicht hergeben. Die ERC wird ihre Zustimmung zu einem wenig sozialen und progressiven Haushalt mit aller Wahrscheinlichkeit aber erneut geben und dies mit den laufenden Verhandlungen begründen. Das dient Sánchez dann dazu, die Uneinigkeit in der Unabhängigkeitsbewegung Kataloniens weiter zu schüren.

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