Bundesregierung mauert im Fall Nawalny

Nawalny kündigt in Instagram-Video Rückkehr nach Russland an.

Selbst auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken zu den russischen Rechtshilfeersuchen wird mit höchster Geheimhaltungsstufe zum Schutz des Staatswahls reagiert. Derweil wird Moskau mit der angekündigten Einreise von Nawalny getestet

Es ist schon erstaunlich und auch Misstrauen erregend oder verstärkend, wie sehr die Bundesregierung beim Fall Nawalny, der am 20. August auf dem Flug nach Moskau aufgrund einer Vergiftung in ein Koma fiel, mauert und ihn zu einem hohen Staatsgeheimnis macht. Schon bei einer Kleinen Anfrage der AfD gab sich die Bundesregierung in weiten Teilen unwissend, neu war lediglich, dass sie sagte, Nowitschok-Spuren seien nicht nur in den Körperproben von Nawalny gefunden worden, sondern auch auf weiteren Gegenständen, ohne dies zu konkretisieren. Es könnte also doch die ominöse Wasserflasche aus dem Hotel sein (Fall Nawalny: „Der Bundesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor“).

Nun gibt es eine weitere Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Linken. Die Linke hat sich äußerst zurückgehalten, keine Fragen zum Ablauf des angeblichen Nowitschok-Anschlags gestellt, des Transports von Nawalny nach Deutschland, seiner Behandlung und den Nachweisen, warum es sich „zweifelsfrei“ um einen chemischen Kampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe handelte.

Gefragt wurde lediglich nach den von der russischen Regierung gestellten Rechtshilfeabkommen, die inhaltlich noch nicht beantwortet seien, weswegen Russland der Bundesregierung vorwirft, Ermittlungen zu behindern. Um strafrechtliche Ermittlungen einleiten zu können, so beteuert Moskau, müssten Hinweise auf ein Verbrechen vorliegen. Nach russischer Sicht gibt es solche Belege nicht, da bei Nawalny keine Vergiftung festgestellt werden konnte.

Die Bundesregierung wiederum verlangt von Moskau Aufklärung, da das Nowitschok, das nicht auf der OPCW-Liste der verbotenen Substanzen steht, angeblich nur in Russland von staatlichen Instituten hergestellt worden sein könne. In Deutschland wird kein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil es sich „bei dem Angriff zum Nachteil von Alexej Nawalny … um eine mutmaßlich in Russland begangene Tat gegen einen russischen Staatsangehörigen“ handelt. So wird also weder in Deutschland noch in Russland ermittelt, was auch heißt, beide Seiten müssen keine Einzelheiten aufdecken. Moskau kann so die angeblich ungerechtfertigte Behandlung durch Deutschland und den Westen gegenüber dem eigenen Volk anführen, Berlin kann auf Russland als Bedrohung zeigen, das auch vor dem Einsatz von Chemiewaffen nicht zurückschreckt.

„Schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen“

Nun muss man wissen, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn Rechtshilfeanfragen nur schleppend oder auch gar nicht beantwortet werden. Die Bundesregierung bestätigt den Eingang von vier Rechtshilfeersuchen, die an die zuständigen Behörden weitergeleitet worden seien. Eine ebenfalls geforderte Vernehmung von Nawalny durch die Staatsanwaltschaft sei am 17. Dezember erfolgt. Man habe die russische Generalstaatsanwaltschaft über den Stand der Verfahren informiert und um eine ergänzende Stellungnahme gebeten, die auch gegeben wurde.

Damit wäre gesagt, was die Bundesregierung gewillt ist, dem Parlament und den Bürgern mitzuteilen. Um die Geheimniskrämerei zu begründen, wurde der praktisch umgangenen Antwort eine Erläuterung vorangesetzt. Im Kern soll bedeutet werden, dass man über die Ersuchen nichts sage, um diese nicht zu gefährden., was aber dann doch mit „berechtigten Geheimhaltungsinteressen“ unterfüttert wird.  Es wird auf die von der Verfassung garantierten Informationsrechte des Parlaments und der Allgemeinheit hingewiesen. Das wird dann aber beiseite gewischt und ohne weitere Begründung verordnet:

„Vorliegend berühren die erbetenen Informationen derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl und das Interesse der Allgemeinheit an der Gewährleistung einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht wesentlich überwiegen. Insofern muss ausnahmsweise das Fragerecht der Abgeordneten gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen.“

Was soll gedeckt werden?

Und alles ist so geheim – und damit angeblich so sensibel -, dass nicht einmal eine Information „in eingestufter Form in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages erfolgen“ könne, weil dies das „Staatswohl“ gefährden würde. Es könnten „Einzelheiten bekannt werden, die im Rahmen der Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern besonders schutzwürdig sind“.  Mit welchen „Partnern“, mit westlichen oder mit Russland? Und warum hängt das Staatswohl und die Strafrechtspflege daran? Was soll gedeckt, was darf nicht öffentlich werden, was Staatswohl und Strafrechtspflege gefährden könnte?

Ohne jede inhaltliche Begründung sollen die Allgemeinheit und der Deutsche Bundestag die Geheimhaltung akzeptieren, weil einzig die Bundesregierung weiß, was dem Staatswohl dienlich ist. Das sollten weder die Wähler, durch deren mehrheitliche Wahlentscheidung  die Bundesregierung einzig legitimiert ist, noch die Abgeordneten des Deutschen Bundestags einfach und gutgläubig dulden. Die AfD will nachhaken, zu hoffen ist auch, dass die Linke sich damit nicht zufrieden gibt.

Nawalny will – für welche Interessen? – Moskau testen

Deutlich wird daran aber auch, dass der Fall Nawalny sich auf höchster politischer Ebene abspielt. Jetzt hat Nawalny angekündigt, dass er nach Russland am 17. Januar zurückfliegen wird. Einen Tag vor Ablauf der Bewährungsfrist am 30. Dezember hat die russische Gerichtsbarkeit diese aufgehoben, weil Nawalny, obwohl von der Charité als genesen bezeichnet, nach Aufforderung sich nicht bei der russischen Strafvollzugsbehörde gemeldet hatte. Nawalny droht nun, wenn er in Russland einreist, eine Gefängnisstrafe.

 

Nachdem er durch seine Vergiftung zum wichtigsten russischen Oppositionspolitiker und Gegner von Putin hochgespielt wurde, wird man sich in Russland zweimal überlegen, wie man mit ihm umgeht. Er ist mittlerweile auch in Russland bekannt, große Sympathie schlägt ihm dort nach Umfragen jedoch nicht entgegen. Die Einreise von Nawalny ist jedenfalls ein provokativer Akt, hinter dem interessierte Kreise im Westen, auch von russischen Oligarchen, stehen dürften. Ist Nawalny auf einem Kamikaze-Kurs? Es ist auf jeden Fall ein Test des russischen politischen Systems.

Nawalny stellt dies so dar:

„Ich habe überlebt. Und jetzt schreit Putin, der den Befehl gab, mich zu töten, in seinem Bunker herum und sagt seinen Dienern, sie sollen dafür sorgen, dass ich nicht zurückkomme. Die Bediensteten tun das Übliche: Sie fabrizieren neue Kriminalfälle gegen mich. Aber was sie dort machen, interessiert mich nicht wirklich. Russland ist mein Land, Moskau ist meine Stadt, ich vermisse sie. Also ging ich heute Morgen auf die Pobeda-Website und kaufte Tickets.“

 

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