BKA Präsident Münch: Crime-Fighting as a Service

BKA-Präsident Holger Münch auf der BKA-Herbsttagung. Bild: BKA

Schöne neue Welt von BKA Präsident Münch auf der BKA-Herbsttagung

BKA Präsident Münch hat auf der BKA-Herbsttagung eine Eröffnungsrede gehalten, die jedem Vorstandsvorsitzenden bei seiner letzten Bilanzpressekonferenz zur Ehre gereichen würde. Ein wahres Feuerwerk an Erfolgsmeldungen und Zukunftsplänen! Dumm ist nur: Er beschrieb Visionen, für die das BKA gar keinen gesetzlichen Auftrag hat. Und ging geflissentlich über den eher mäßigen Erfolg des BKA bei der Wahrnehmung seiner tatsächlichen gesetzlichen Aufgaben hinweg.

Die Bilanz des BKA Präsidenten Münch

Münchs Auftritt erinnerte mich ein bisschen an meinen Cousin. Von dem jeder in unserer Familie inzwischen weiß, dass er zum Narzissmus neigt. Das fiel schon in seinen jungen Jahren auf, als er seine Eltern über das sehr mäßige Abiturzeugnis trösten wollte damit, dass er ja „supergut in World of Warcraft“ (WoW) sei. Und dass man damit angeblich ein sehr auskömmliches Einkommen erzielen könne …

Mit der gleichen Taktik ging auch BKA Präsident Münch gestern auf der BKA-Herbsttagung zum Podium: Der Titel seines Referats – „Digitalisierung, Diversität, Stabilität – Anforderungen an die Polizei in einer polarisierten Gesellschaft“ hatte mit dem folgenden Vortrag nichts zu tun. Aber irgendeinen halbwegs sinnigen Titel muss man ja selbst über einen Werbevortrag schreiben. Mit Gesellschaft und Polarisierung hatte Münch auch nichts mehr am Hut, ganz im Gegenteil zu seiner Kernbotschaft: Wie toll sich doch das BKA in den letzten Jahren unter Münchscher Führung entwickelt hat.

Die Vorteile des BKA-Gesetzes von 2017 für das Bundeskriminalamt

Was unbestreitbar richtig ist, in dem einen Punkt: Dass das Bundeskriminalamt mit dem neuen BKA-Gesetz von 2017 wesentlich aufgewertet wurde. Bis dahin galt die föderale Struktur und waren die Bundesländer zuständig für Gefahrenabwehr und Strafverfolgung in ihrem jeweiligen regionalen Verantwortungsbereich. Das neue BKA-Gesetz, in Kraft getreten im Mai 2018, hat die Informationsordnung der Polizei demgegenüber auf den Kopf gestellt und das BKA zum Steuermann und Primus inter pares gemacht.

In einem Gespräch mit unserer Redaktion [A] hatte der Bayerische Landesdatenschutzbeauftragte Petri im Frühjahr 2017 kritisiert,

„dass das neue BKA-Gesetz zur Begründung für eine umfassende Umstrukturierung der polizeilichen Datenverarbeitung in Bund und Ländern herangezogen wird. … Die neue IT-Architektur wolle die Bundesregierung nun aber allein nach den Anforderungen des BKA vereinheitlichen. … Das angekündigte neue System werde wohl die funktionalen Anforderungen des BKA, nicht die der Länderpolizeien abbilden. Die der Länder sind aber wesentlich umfassender, weil diese auch die operative Polizeiarbeit in allen (!) Deliktsbereichen zu leisten haben, während das BKA ja operativ nur für einige wenige Deliktsbereiche wie etwa den internationalen Terrorismus zuständig ist. “

Genau genommen, sind diese Verbesserungen für das BKA nicht das Verdienst von Präsident Herr Münch, sondern waren ersonnen worden von einigen Führungskräften im Bundesministerium des Innern.
Der damalige Hausherr im BMI, De Maizière hatte deren Strategie ganz besonders motiviert und effektiv vertreten: Kaum vierzehn Tage nach dem Anschlag am Berliner Breitscheidplatz am 19.12.2016 veröffentlichte die FAZ seine „Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten“, in denen der Minister forderte:

„Der Föderalismus stärkt den Staat und schafft die erforderliche Nähe für regionale Angelegenheiten. Die Sicherheit im Bund muss aber auch vom Bund zu steuern sein. Die örtliche Polizeiverantwortung kann in der Fläche sachgerecht nur bei den Ländern liegen. Aber dort, wo Bund und Länder in Angelegenheiten der Sicherheit des Bundes zusammenarbeiten, braucht der Bund eine Steuerungskompetenz über alle Sicherheitsbehörden. Die bisherigen Befugnisse für das Bundes­kriminal­amt sind zu eng gefasst. Wir brauchen einheitliche Regeln und eine bessere Koordinierung …“

Damals, noch dazu kurz vor der Bundestagswahl 2017, war die „fundamentale Neuordnung“ weder in den Medien noch in der Öffentlichkeit sonderlich aufgefallen. Selbst heute noch findet man im gerade neu herausgekommenen „Standardkommentar“ zum Polizeirecht (Handbuch des Polizeirechts, Lisken/Denninger/Bäcker, 7. Auflage, Beck-Verlag) kaum eine Anmerkung zur „fundamental neuen Informationsordnung“ im neuen Gesetz.

Die Neuerungen des BKA-Gesetzes von 2017

Das Neue ist dort auch gut versteckt: Früher war das BKA verpflichtet, ein polizeiliches Informations­system zu unterhalten. Das ist das relativ gut bekannte und bewährte INPOL mit seinen Trabanten, wie z.B. den kriminalpolizeilichen Meldediensten. INPOL ist, allen Visionen von Herrn Münch zum Trotz, auch heute noch das in der Praxis eingesetzte polizeiliche Verbundsystem!

Polizeilicher Informationsverbund

Dieses „polizeiliche Informationssystem“ wurde im Gesetzestext ersetzt durch einen „einheitlichen polizeilichen Informationsverbund“.

Verpflichtung zum Informationen-Teilen für alle Teilnehmerbehörden

Der dann wesentlich weiter hinten (in §29 des neuen BKA-Gesetzes) definiert ist und alle „teilnehmenden Behörden“ dazu verpflichtet (sic!), einander im polizeilichen Informationsverbund „verbundrelevante“ Daten zum Abruf und zur Verarbeitung zur Verfügung zu stellen. Das betrifft die Bundespolizei und die Polizei beim Bundestag, sämtliche Landeskriminalämter, das Zollkriminalamt, die Zollfahndungsämter und sonstige mit polizeilichen Aufgaben betraute Behörden der Zollverwaltung.

Verbundrelevante Informationen

Der §30 fordert, dass nur personenbezogene Daten gespeichert werden, sofern ihre Verarbeitung für die Verhütung und Verfolgung von Straftaten mit länderübergreifender, internationaler oder erheblicher Bedeutung erforderlich ist, sowie außerdem solche Informationen, die zu erkennungs­dienstlichen Zwecken oder zur Fahndung nach Personen und Sachen benötigt werden. Das alles zusammen wird in der BKA-Gesetz Terminologie als „Verbundrelevanz“ bezeichnet.

Aber schon im nächsten Absatz wird das ganz erheblich dadurch aufgeweicht, dass es den teilnehmenden Behörden selbst überlassen bleibt (sic!), welche Straftaten (und damit zusammenhängende personenbezogene Informationen sie „nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung“ für „verbundrelevant“ erklären: Was zur Folge hat, dass deren „Teilen“ im polizeilichen Informationsverbund obligatorisch wird.

Die Länderpolizeien werden faktisch zu Erfüllungsgehilfen des BKA

Diese gesetzlichen Regelungen auf Bundesebene machen die Länderpolizeien zu Erfüllungsgehilfen unter der Steuerung des Bundeskriminalamts.

BKA Präsident Münch im Marketing-Modus

Herr Münch ist taktisch geschickt genug, sich diesen schon vor Jahren errungenen Triumph für seine Behörde nicht allzu deutlich anmerken zu lassen.

Gemeinsames Datenhaus und Plattformstrategie

Die Innenminister der Bundesländer hatten 2016 bei ihrer Herbsttagung – zermürbt nach jahrelangen Verzögerungen im Projekt des Polizeilichen Informations- und Analyseverbunds (PIAV) – nach einem funktionierenden Informationsaustausch verlangt. Immerhin schon Anfang 2018 – und nachdem das neue BKA-Gesetz im Bundestag verabschiedet war – bot das BMI an, sie bei der Umsetzung mit dem Programm Polizei2020 zu unterstützen.

Vom ursprünglichen Ziel, dem funktionierenden Informationsaustausch, ist seither immer weniger die Rede. Dafür schiebt das BKA immer mehr seine Idee von einem gemeinsamen Datenhaus in den Vordergrund. Das pries Herr Münch auch gestern erneut an: Es gehe darum, ein gemeinsames Datenhaus beim BKA aufzubauen. Dort sollen sämtliche Informationen aus den Polizeien aller Länder und Bundespolizeibehörden gespeichert werden. Damit verbundrelevante Informationen dann untereinander geteilt, d.h. ausgetauscht werden können. Und nicht verbundrelevante Informationen „mandantenweise“ nur dem berechtigten Besitzer zur Verfügung stehen.

Jahre nach der ersten Ankündigung dieses gemeinsamen Datenhauses ist davon allerdings noch nicht viel zu sehen: Im Februar erhielt die AfD-Fraktion auf ihre Anfrage im Bundestag noch die Antwort, dass „die Konzeptionierung des Datenhauses in 2021 abgeschlossen“ werde [DBT-Drs, 19/27083, Frage 37].
Im Oktober 2021 erfuhr Konstantin von Notz von den Grünen dann vom Staatssekretär Teichmann aus dem BMI, dass im nächsten Jahr ein IT-Generalunternehmer gesucht werden soll, der „u.a. die Konzeptionierung des Datenhausökosystems vornimmt …“ [19/32679). Offensichtlich läuft nicht alles so glatt mit der Realisierung dieses gemeinsamen Datenhauses [a].

Informationsaustausch in der Zukunft und in der Praxis

„Einfach, schnell und ohne Medienbrüche …“ so Münch gestern, sollen die relevanten Informationen im polizeilichen Informationsverbund zur Verfügung gestellt werden. Das klingt gut, vor allem für denjenigen der die Praxis in den Polizeibehörden NICHT kennt.

Alle anderen sagen sich, dass das BKA an die zwanzig Jahre Zeit hatte, um auf diesem Gebiet Erfahrungen zu sammeln. Sie wissen auch, dass leider wenig herausgekommen ist, das rasche Umsetzbarkeit dieser jüngsten Anpreisungen erwarten ließe: Es fallen einem Stichworte ein, wie INPOL-Neu oder INPOL-Fall oder KPMD – die kriminalpolizeilichen Meldedienste. Man denkt an Varianten von ein und demselben Fallbearbeitungssystem bei den diversen Polizeibehörden, einschließlich des BKA und der Bundespolizei, die nicht einmal untereinander Informationen über diese Systeme austauschen können, obwohl sie alle vom gleichen Hersteller stammen.

Oder an den polizeilichen Informations- und Analyseverbund (PIAV), der 2007 mit den gleichen Anforderungen von „einfach, schnell und ohne Medienbrüche“ gestartet worden war und nach neun Jahren “ Konzeptionierung“ bis 2016 gerade einmal vier funktional banale Ausbaustufen in den Wirkbetrieb gebracht hat. Während von den seit Jahren angekündigten, weiteren drei PIAV-Ausbaustufen, darunter für organisierte Kriminalität (OK) und Staatsschutz, das BKA und BMI inzwischen nicht einmal mehr mitteilen, wann die überhaupt noch kommen, wenn überhaupt.

Informationen abrufbar von jedem Ort

Etwas lebensfremd erscheint auch die Vision von Herrn Münch, dass Informationen „abrufbar von dort sein sollen, wo Informationen zur Aufgabenerledigung gerade benötigt werden, so zum Beispiel auch für den Streifenbeamten einer Verkehrskontrolle auf der Straße“.

Selbst der noch geschäftsführende Bundeswirtschaftsminister Altmaier soll ja für sich beschlossen haben, besser nicht mehr bei Autofahrten zu telefonieren. Die ständigen Gesprächsabbrüche waren auf Dauer einfach zu peinlich … Das kennen auch die vielen Streifenpolizisten, die seit Jahren schon ausreichend Gelegenheit hatten, sich mit dem Eignung des BDBOS (Digitalfunk der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) in der Praxis herumzuschlagen: Der digitale Behördenfunk nährt inzwischen eine eigene Bundesanstalt; der flächendeckende Ausbau dieses Kommunikations­netzes weist allerdings, zum Beispiel in Berlin, einerseits große Lücken auf (es fehlt an der Dichte mit Funkmasten, was das Projekt billig gerechnet wurde). Weniger erquicklich ist auch der Versuch einer Nutzung in stark mit Beton armierten Gebäuden, wie zum Beispiel dem Berliner Hauptbahnhof. Solche Liegenschaften müssen innen mit Verstärkern ausgerüstet sein, was Sache der Betreiber dieser Gebäude ist, Geld kostet und daher mitunter nicht in Angriff genommen wird.

Ähnlich frustrierend sieht es beim flächendeckenden Mobilfunkausbau mit moderner 5G-Technologie aus. Auch der wird noch eine Weile auf sich warten lassen.

Je größer die Komplexität, desto sicherer wird das Projekt …

Herr Münch hatte zu seiner Plattformstrategie allerdings noch weitere gute Nachrichten: Denn Polizei2020, das Programm des Bundes zur Umsetzung und Realisierung des polizeilichen Informationsverbundes, sei auf bestem Wege. Es würden da jetzt einunddreißig (!) Teilprojekte zeitgleich bearbeitet. Federführend sei das BKA bei fünfzehn davon und an acht aktiv beteiligt.

Seine Euphorie könnte daher rühren, dass sich damit ein seit vielen Jahren bewährtes Erfolgsrezept des BKA wiederholen lässt: Es besteht darin, eine an sich überschaubare und realisierbare Aufgabe – hier einen funktionierenden Informationsaustausch für wirklich verbundrelevante Informationen zwischen allen Polizeibehörden – soweit mit Anforderungen und Projektteilnehmern zu überfrachten, bis daraus ein Mega-Projekt geworden ist, das unabsehbar lange läuft, während absehbar wenig dabei herauskommt.

Erfolgreich ist ein solches Vorgehen für die Projektteilnehmer, auch und gerade aus Polizeibehörden. Denn es ist deutlich angenehmer, einem geregelten Bürojob in einem der zahlreichen Projektteams (beim BKA, der Bundespolizei und den jeweils beteiligten Länderpolizeibehörden) nachzugehen, regelmäßig unterbrochen von Videokonferenzen oder Geschäftsreisen, statt als Polizeibeamter im operativen Dienst Schichtdienst oder gar auf Streife gehen zu müssen.

Großartige „erste Erfolge“ oder doch eher alte Hüte?!

Etwas über die Stränge geschlagen hatte Münch auch mit seinen Bemerkungen zu den bisherigen Erfolgen von Polizei2020: Da zählte er doch glatt das einheitliche Fallbearbeitungssystem(eFBS) als eines der ersten, erfolgreich zumindest bei sechs Teilnehmern umgesetzten Teilprojekte auf. PIAV operativ Zentral, das wir oben schon erwähnt hatten, traute sich angesichts der jahrelangen Verzögerung anscheinend selbst Herr Münch nicht mehr, als Erfolg zu verkaufen.
Aber auch das eFBS ist eigentlich starker Tobak: Denn es ist nichts anderes als das frühere B-CASE, also das Fallbearbeitungssystem von BKA und Bundespolizei. Das für vier Länder (Bbg, BW, HE, HH) ab 2016 als Rettungsschirm aufgespannt wurde, weil die sich mit ihrer Eigenentwicklung CRIME selbst ins Knie geschossen hatten und ihr bisheriges System dringend durch etwas technisch Belastbareres ersetzen mussten. Wobei ihnen das großzügige Angebot des Bundes zur Überlassung des eFBS wie gerufen kam. Der weitere Erfolg des eFBS bleibt abzuwarten.
Bisher jedenfalls machen die anderen Bundesländer keine Anstalten, sich von ihren eigenführten Fallbearbeitungssystemen – alles Varianten von RS-CASE von Rola – zu trennen und auf das eFBS umzusteigen. Das soll – erstens – doch stark bundesbehördenlastig sein. Und die Frage der Migration, also des Umzugs vorhandener Daten aus dem eingeführten Fallbearbeitungssystem in das eFBS (und wer dafür bezahlt) scheint auch noch nicht geklärt.

BKA Präsident Münch macht auf Kundenorientierheit

Vordergründig triefte sein Referat von aufgesetzter, mitunter haarscharf an Servilität vorbeischrammender Kundenorientiertheit. Schließlich sitzen genug Kollegen von ihm aus den Länderpolizeien im Raum. Die meisten dieser LKDs (leitende Kriminaldirektoren) oder LPDs (leitende Polizeidirektoren) sind weit weg von den Niederungen solcher Projekte und lassen sich, das zeigt auch der jährliche Europäische Polizeikongress, gerne beeindrucken von schmissig modernen Floskeln, die Herr Münch so gut beherrscht.

Das BKA als „Solution Provider“

Die Plattformstrategie (also das gemeinsame Datenhaus) habe den Vorteil, dass das BKA selbst sich finanziell bei Entwicklungen engagiere und technisch anspruchsvolle Services, Methoden und Tools entwickle und diese zentral zur Verfügung stelle. Das wäre natürlich super.

Noch mehr Glaubwürdigkeit würde diese Ankündigung allerdings einheimsen, wenn es aus der Vergangenheit wenigstens EIN gewichtiges Beispiel für eine solche „Solution“ geben würde. Denn RADAR-ITE, das einzige Beispiel, das Herr Münch dazu erwähnte, ist nicht ganz geeignet, das große Wort von der „Solution“ glaubhaft auszufüllen. Es ist doch ein rechtes Leichtgewicht und bisher eine Eintagsfliege auf diesem Gebiet.

Zentrale Bereitstellung von polizeilichen Anwendungen und Services

Wir wissen ja nicht, ob der Polizeibeamte in Castrop-Rauxel oder am Müritzsee diese nächste Ankündigung des BKA-Präsidenten eher als Drohung oder als Versprechen ansieht. Das Bild jedenfalls, das die üblichen Krimisendungen im Fernsehen von den operativen Fähigkeiten eines BKA-Beamten zeichnen, lässt eher auf „Drohung“ schließen.

Wenn Herr Münch also ankündigte, dass man in Zukunft auch zentrale polizeiliche Anwendungen und Services bereitstellen wolle, unterlegte er dies wohlweislich mit Argumenten über Vorzüge, die die Entscheiderebene im jeweiligen Innenministerium ansprechen sollten:

  • Wie arbeitsteilige und ressourcenschonende Entwicklung,
  • auf einer gemeinsamen Plattform,
  • für alle,
  • sodass benötigte Fähigkeiten und Instrumente nicht mehr durch jeden selbst entwickelt werden müssten.

Was ja – bitte verstehen Sie mich nicht falsch – auch generell wichtig wäre. Aber noch viel glaubhafter wäre, wenn sich das BKA in der Vergangenheit schon einmal auf diesem Gebiet hervorgetan hätte.

Auswertungsunterstützung zum Erkennen von Zusammenhängen

Man wolle auch Daten und Informationen zusammenführen, auswerten und maßgeschneidert bereitstellen: Um damit Zusammenhänge zu erkennen, mögliche Netzwerke frühzeitig zu identifizieren und Doppelarbeiten und blinde Flecken zu vermeiden.

Eine solche Behauptung macht (leider) deutlich, dass der Redenschreiber das Publikum des Herrn Münch für ziemlich dumm und vergesslich hält. Denn genau dieses Ziel, das Erkennen von Zusammenhängen zwischen Straftaten und Straftätern, wird schon seit mehr als zwanzig Jahren vom BKA verkauft, zuletzt bei der Werbung für den PIAV vom Vorgänger des Herrn Münch als BKA-Präsidenten, dem allseits geschätzten Jörg Ziercke.

Crime-Fighting as a Service und das (vergiftete) Angebot des BKA Präsidenten Münch zur „Lastenteilung“

Mit der Wortschöpfung „Crime-Fighting as a Service“ war Herr Münch dann endgültig von seinen Visionen ergriffen: Er muss allerdings darauf gesetzt haben, dass allein dieser super-schicke Begriff schon den Zuhörer von den Socken holt. In der Hoffnung, dass der daraufhin nicht merkt, dass der Begriff vornehmlich heiße Luft enthielt.

Nimmt man das Ganze wörtlich und übersetzt es als „Kriminalitätsbekämpfung als Dienstleistung“ oder „… im Auftrag“, so stellen sich einem Praktiker zwei Fragen:

  1. Hat das BKA nicht ohnehin schon genug zu tun und vor allen Dingen vieles besser zu tun als bisher? Und wäre es da nicht besser, sich erst einmal auf diese Aufgaben zu konzentrieren und die zur Zufriedenheit aller Beteiligter zu erledigen?
  2. Ist nur mir allein DAS BKA-Gesetz entgangen, in dem „Kriminalitätsbekämpfung im Auftrag“ als neue Rechtsgrundlage für das Tätigwerden des BKA definiert ist? Oder soll das erst noch geschaffen werden?

Lastenausgleich – die schlecht verbrämte Forderung nach weiteren Befugnissen für das BKA

Zumal die schwammigen Aussagen zur „Kriminalitätsbekämpfung als Dienstleistung“ direkt kombiniert wurden mit einem – meiner Ansicht nach vergifteten – Angebot zur „Lastenteilung“ gegenüber den Landespolizeibehörden: Dahinter steckt schon seit Jahren aus dem BMI und BKA die Forderung nach noch mehr Befugnissen für das Bundeskriminalamt.

Bei Münch hört sich das bombastisch an: Angestrebt werde der weitere Aufbau der operativen Fähigkeiten des BKA insbesondere dort, wo „Wucht und Komplexität des Kriminalitätsaufkommens und die enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schäden ressourcenbasierte Ansätze erforderlich“ machten. Konkret erwähnte er die Rauschgiftkriminalität, die Wirtschafts- und Finanzkriminalität, sowie Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen. Und forderte eine Erweiterung des „Lastenausgleichs“ (den das BKA für die Länder erbringen soll),

  • auch auf den Bereich der Organisierten Kriminalität,
  • zur „noch effektiveren Bekämpfung“,
  • zum „besseren Ausgleich von Belastungsspitzen“
  • und generell zur „Stärkung des gesamten polizeilichen Verbunds“

Fehlende Rechtsgrundlagen

Sehen wir einmal für einen Moment davon ab, dass es keine gesetzliche Grundlage für diese Befugnis-Erweiterung gibt.

Rückzug des BKA aus diesen Deliktsbereichen seit 20 Jahren

Und schauen dafür umso genauer hin, was denn das Bundeskriminalamt und seine politische Führung in BMI bisher auf diesen Gebieten zuwege gebracht haben:

Der BKA Präsident Münch zur Kinderpornographie

Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen führt gerade Herr Münch gerne ins Feld, aber leider nicht, um auf diesem schmutzigen Felde aufzuräumen. Sondern dann, wenn er (wieder mal) sein altes Mantra wiederholt, dass man bei der Bekämpfung der Kinderpornographie ohne die (mehrfach verfassungsrechtlich als unzulässig eingestufte) Vorratsdatenspeicherung nicht weiterkäme. Dass seine Behauptungen dazu schon mal weit entfernt sind von den Fakten, ist bekannt, wenn auch nicht akzeptabel [B]. Belegt aber ein weiteres Mal, dass das Hauptinteresse von Herrn Münch der Mehrung der Befugnisse für seine Behörde gilt.

Zum Bereich organisierte Kriminalität

Die Unterstützung der länderübergreifenden Auswertung von OK-relevanten Informationen (das ist tatsächlich schon heute Aufgabe des BKA!), wurde seit den Anschlägen vom 11.09.2001 personell und technisch massiv zurückgefahren.

Ein Meldedienst – er hieß OK/Rocker – für diesen Aufgabenbereich war das erste Pilotprojekt im Jahr 2011 für den Polizeilichen Informations- und Analyseverbundes PIAV [ba]. Das wurde sang- und klanglos eingestampft (woran auch die Innenminister der Länder nicht unschuldig waren), nachdem in Eisenach ein Wohnmobil in Flammen aufgegangen und darin zwei tote Männer gefunden worden waren: Die heute nach offizieller Lesart die beiden Hauptbeteiligten an den zehn Morden des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gewesen sein sollen.

Seitdem gibt es keine großen Ermittlungs- oder Aufklärungserfolge mehr im OK-Bereich, da Personal und andere Ressourcen umgewidmet wurden auf Staatsschutz und Bekämpfung von (vor allem islamistischem) Terrorismus und Extremismus [C].

Staatsanwälte in Italien raufen sich seit Jahren die Haare darüber und halten auch öffentlich nicht damit zurück, dass Deutschland so gut wie nichts unternimmt gegen organisierte Kriminalität, die hier aus diesem Grund eine probate Rückzugsbasis gefunden hat.

Zur Geldwäsche

Und geradezu ein Paradies darstellt für die Geldwäsche aus organisierter Kriminalität. Ganze Straßenzüge, vor allem auch in ostdeutschen Städten, sollen auf diese Weise finanziert und das Investment weiß gewaschen worden sein.

Apropos Geldwäsche: Auf Betreiben des früheren Bundesinnen- und späteren Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble wurde eine leidlich funktionierende Financial Intelligence Unit (FIU) beim Bundeskriminalamt dicht gemacht und beim Zollkriminalamt neu aufgebaut. Die Fachleute aus Wiesbaden blieben natürlich wo sie waren, sodass es beim ZKA an Erfahrung und Kompetenz mangelte. Banken, Notare und andere Verpflichteten nach dem Transparenzgesetz reichen dort pflichtgemäß ihre Verdachtsanzeigen auf Geldwäsche ein. Mit dem Erfolg, dass das meiste davon viel zu lange liegenbleibt. So schaffte der Federstrich eines Ministers beste Bedingungen für Geldwäscher in Deutschland!

Nennenswerte Korruptionsermittlungen in deutschen Behörden finden nicht statt

Und da Herr Münch schon so auf die Tränendrüse drückte mit der „Wucht und Komplexität des Kriminalitätsaufkommens“, und den „enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Schäden“, auch „durch die Wirtschafts- und Finanzkriminalität“: Wie wäre es denn generell einmal damit, funktionierende und ausreichend personell ausgestattete Ermittlungsdienststellen aufzubauen für die Untersuchung von Verdachtsfällen auf Korruption. Gerade auch im Bereich von Behörden …

Sie könnten sich, um ein konkretes Beispiel zu nennen, mit der Frage befassen, warum eigentlich im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums pro Jahr Beträge in mindestens dreistelliger Millionenhöhe für externe Berater und so genannte Dienstleister [E] ausgegeben werden. Ein Sachverhalt, den der Bundesrechnungshof seit Jahren auf das Schärfste kritisiert [F], weil weder eine Erfolgskontrolle, noch eine Ausgabenkontrolle erfolgt.

Fußnoten

[a]   Es ist eine ziemlich verwegene Idee, auf diesem gemeinsamen Datenhaus, sowohl die Vorgangsbearbeitungssysteme aller Länderpolizeien zu speichern, die i.d.R. sehr viele Informationen enthalten, von denen nur ein kleiner Teil verbundrelevant ist; als auch die personenbezogenen Informationen aus Fallbearbeitungssystemen, Asservatenmanagementsystemen usw.
Noch verwegener ist die Vorstellung, das alles könne man ‚logisch‘ kennzeichnen und dann beim Zugriff filtern, ob der Suchende auch berechtigt ist, diese Informationen zu sehen.
Der Gipfel der Verwegenheit aber ist es, wenn man auch noch die Kennzeichnungspflichten aus dem §14 des neuen BKA-Gesetzes berücksichtigt. Die verdankt der Gesetzestext dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum (alten) BKA-Gesetz.
Es wäre also auf diesem gemeinsamen Datenhaus so viel zu kennzeichnen und zu filtern, dass die Datenbanktechnik, die man beim BKA beherrscht, in die Knie geht. Das hat man nach mehreren Jahren anscheinend selbst begriffen.
Jeder Bewerber um den Auftrag als IT-Generalunternehmer für Polizei2020 im nächsten Jahr hat also zwei Möglichkeiten: Die Finger von einer Bewerbung zu lassen und dafür ein glückliches Leben in der Zukunft zu führen. Oder sich der Erfolgsstrategie des BKA anzuschließen: Von einem Projekt, das nie fertig wird, kann man auch ganz gut leben …

[b]   Annette Brückner, die Autorin dieses Artikels, war zwischen 1993 und 2013 Projektleiterin der Firma Polygon Visual Content Management GmbH für das polizeiliche Informationssystem POLYGON und in dieser Eigenschaft auch am erwähnten PIAV-Pilotprojekt „OK/Rocker“ beteiligt.

Der Artikel von Annette Brückners ist zuerst auf Police-IT erschienen.

Verwandte Beiträge

[A]   Will das BMI mit dem neuen BKA-Gesetz eigene Fehler der Vergangenheit kaschieren?!, 26.04.2017, CIVES

[B]   Fake News vom BKA-Präsidenten und der Welt Online, 08.08.2018

[C]   OK-Bundeslagebild 2018, 11.10.2019

[D]   Geldwäsche-„Bekämpfung“ auf bundesrepublikanische Art, 07.02.2020

[E]   Bundesinnenministerium kauft 250 externe Berater für vier Jahre ein, 28.01.2019

[F]   Kritik des Bundesrechnungshofs an IT-Projekten des BMI, diverse nach Jahren

 

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