Aussichten auf ein Friedensabkommen zwischen Russland und der Ukraine

Der türkische Präsident Erdogan will als Vermittler zwischen der Ukraine und Russland auftreten und einen Waffenstillstand ermöglichen. Bild: www.tccb.gov.tr

 

Russland und die Ukraine versuchen, den Krieg zu beenden. Die USA scheinen hingegen auf eine Fortsetzung des Kriegs und weitere Sanktionen zu setzen.

 

In Istanbul scheinen sich die ukrainischen und die russischen Delegationen unter türkischer Vermittlung auf einem Weg gekommen zu sein, der zu einem Waffenstillstand und zu einem Ende des Kriegs führen könnte. Besonders schwierig ist die Position der ukrainischen Regierung, die unter dem Druck der Nationalisten steht, keine Kompromisse einzugehen, und dem Druck des Westens, der immer noch nicht auf eine Verhandlungslösung aus ist, sondern die Ukraine und die nationalistischen Ukrainer als Mittel nutzt, Russland (geo)politisch, wirtschaftlich und militärisch einzudämmen und klein zu machen bzw. einen Regime Change zu bewirken, was kürzlich der US-Präsident – versehentlich oder absichtlich? – auch laut gesagt hat.

Zu dem Zweck ist ein längerer Krieg, auch wenn er die Ukraine zerstört, das Ziel, weswegen fortgesetzte Waffenlieferungen den Widerstand stärken sollen, aber keine Initiativen für eine Friedenslösung von den USA oder der Nato ausgehen. Mit einem weiter schwelenden Krieg lassen sich die Sanktionen, die Waffen im Wirtschaftskrieg, fortsetzen oder noch weiter hochfahren. Dazu gehört jetzt auch das Spiel, der Forderung von Russland nicht nachzugeben, Öl- und Gasimporte in Rubel zu bezahlen, nachdem der Westen russische Vermögenswerteeingefroren hat. Es wird wahrscheinlich, dass Russland bei einer Weigerung des Westens, in Verletzung der eigenen Sanktionen, Rubel von der russischen Zentralbank zu kaufen, den Gas- und Ölhahn zudrehen könnte. Und das könnte schon am Donnerstag erfolgen – mit erwartbaren Folgen, nämlich höheren Energiepreisen und fehlendem Ersatz in einigen europäischen Ländern. Dann würde auch die Ukraine die Durchleitungsgelder durch die Pipeline verlieren – und ebenfalls kein Gas mehr beziehen, das das Land zwar aus Deutschland kauft, das aber russisches Gas ist: ein Taschenspielertrick.

Boris Johnson hat angesichts einer möglichen Aussicht auf ein russisch-ukrainisches Abkommen deutlich herausgestellt, dass man den Druck aufrechterhalten will. Sein Sprecher sagte Journalisten: „Der Premierminister sagte, ein Waffenstillstand alleine sei kein Grund, die britischen Sanktionen gegen Russland aufzuheben.“ Es müsse der Druck auf Putin „durch ökonomische Maßnahmen und militärische Hilfe“ weiter erhöht werden, „damit Russland den Kurs vollständig ändert“.

Und der amerikanische Außenminister Antony Blinken hat auch demonstriert, dass Washington nicht auf eine schnelle Friedenslösung setzt und sich hinter die Ukraine stellt, mit Kompromissen eine Einigung mit Moskau zu erzielen. Blinken sieht, so erklärte er, keine wirklichen Fortschritte bei den Gesprächen, Russland würde überdies nicht ernsthaft verhandeln. Aber man werde sich der Position der Ukraine bei der Bewertung der Gespräche anschließen. Selenskij sagte nach dem Gespräch, die Ergebnisse seien positiv. Explizit sagte er nur, dass die USA auch in Zukunft die Ukraine bei der Verteidigung und Sicherheit unterstützen werde. Zum Thema Neutralität sagte er bezeichnenderweise nichts.

Aus dem Weißen Haus hieß es auch nur, man habe mit Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien beschlossen, den Druck auf Russland zu erhöhen und weiter Waffen zu liefern. Das bestätigte auch Kate Bedingfield vom Weißen Haus. Sie verwies auf Biden, der von einem langen Krieg in Warschau sprach. Man müsse weiter Druck auf Russland ausüben und die Ukraine militärisch und bei Verhandlungen verstärken. Biden verlangt für den nächsten Haushalt weitere 6,9 Milliarden US-Dollar für die militärische Unterstützung der Ukraine und die Verstärkung der Nato-Kapazitäten gegen Russland.

Was zur Verhandlung steht

Der russische Vize-Verteidigungsminister Alexander Fomin bezeichnete hingegen die Gespräche als konstruktiv und erklärte, Russland werde wegen der gut verlaufenden Gespräche die militärische Aktivität im Norden in Richtung von Kiew und Tschernihiw zurückfahren. Russlands Chefunterhändler Vladimir Medinsky meinte allerdings, dies bedeute keinen Waffenstillstand und es sei noch weiter Weg bis zu einem Abkommen zu gehen. Das dürfte tatsächlich nicht viel zu bedeuten haben. Ob man wirklich Kiew einnehmen wollte oder die Offensive im Norden nur zur Bindung von ukrainischen Streitkräften diente, um im Osten und Süden vorrücken zu können, ist nicht bekannt, aber wahrscheinlich. Aller Wahrscheinlichkeit nach soll die militärische Intervention das Territorium der „Volksrepubliken“ vergrößern und über Mariupol eine Landverbindung mit der Krim schaffen.

Der Einsatz liegt auf der Hand: die Anerkennung der Krim als Teil der Russischen Föderation, die Anerkennung der „Volksrepubliken“, wie immer deren Territorium definiert werden wird, und die Neutralität der Ukraine. Wenn die Ukraine bereit gewesen wäre, auf die Krim zu verzichten und den Sonderstatus für Donezk und Lugansk umzusetzen, hätte wahrscheinlich ein Krieg vermieden werden können. Selenskij hatte 2019 die Wahl gegen Poroschenko vor allem deswegen gewonnen, weil er eine Beendigung des Kriegs in der Ostukraine versprochen hatte. Er geriet aber schnell unter Druck der Nationalisten und der hinter ihnen stehenden Milizen und setzte dann, bestärkt durch die USA, die die Ukraine weiter aufrüsteten und die Truppen ausbildeten, auf die Nato- und EU-Mitgliedschaft.

Jetzt also mit der Pistole am Kopf, wie Blinken richtig sagte, ist ein Einlenken höchste Zeit, um weiteres Blutvergießen und eine massive Zerstörung der Städte und der Infrastruktur zu verhindern. Russland leidet zwar unter den Sanktionen, die Ukraine aber geht auch wirtschaftlich zugrunde, wenn sie fortfährt, das Instrument der westlichen Geopolitik zu sein und den Westen – die Demokratie und die Freiheit gegen die Diktatur und die Dunkelheit, wie Biden sagte – zu verteidigen.

Nach dem russischen Chefunterhändler Medinski habe Russland schriftliche Vorschläge der ukrainischen Delegation erhalten. Moskau sind schriftliche Zusagen und Vereinbarungen extrem wichtig, weil man Russland vom Westen ausgebootet sieht, da die Osterweiterung der Nato über Deutschland hinaus nur mündlich, aber nicht schriftlich vereinbart wurde. Allerdings sind Abkommen nur etwas wert, wenn sich die Vertragsparteien danach richten. Russland hatte sich im Budapester Memorandum 1994 verpflichtet, im Gegenzug zum Verzicht der Ukraine auf Atomwaffen die Souveränität und die bestehenden Grenzen zu achten und auf Gewalt zu verzichten.

Bei der Krim kann Russland allerdings darauf verweisen, dass ein Referendum durchgeführt wurde und sich die Bevölkerung zunächst für die Unabhängigkeit und dann für den Eintritt in die Russische Föderation entschieden hat. Diesen Schritt kündigten die „Volksrepubliken“ nun auch an, was bedeuten würde, dass Russland Teile der Ost- und Südukraine annektieren würde, Kiew also die Kröte schlucken müsste, endgültig auf das Territorium zu verzichten. DNR-Chef Dennis Pushilin erklärte, dass man den Beitritt zur Russischen Föderation anstrebe, wenn das gesamte Gebiet von Donezk und Lugansk erobert wurde.

Nach Medinski will die Ukraine keinen Militärbündnissen beitreten, keine Militärbasen und Truppen des Auslands aufnehmen, und  keine Militärübungen auf dem Territorium der Ukraine ohne die Zustimmung der Garantiestaaten, einschließlich Russlands, durchführen. Als Kompromiss will die ukrainische Regierung, um ein Abkommen innenpolitisch durchzukriegen, nicht die Krim als Teil Russlands anerkennen, sondern nur darauf verzichten, sie und auch die „Volksrepubliken“ militärisch wieder in die Ukraine zurückzuholen. Das könne nur durch Verhandlungen geschehen. Dabei bleibt noch offen, wie es genauer um die „Volksrepubliken“, die separaten Gebiete, steht. Eine neutrale Ukraine soll auch der EU beitreten können. Die Staaten, die für die Sicherheit garantieren, sollen den EU-Beitritt unterstützen.

Sicherheitsgarantien sind für die Ukraine entscheidend. Verlangt wird, dass sie anders ausfallen als die des Budapester Memorandums. Sie sollen so sein wie der Nato-Artikel 5 über die Beistandspflicht. Russland dürfe hier kein Veto-Recht haben. Allerdings sagte Selenskij: „Kompromisse bei Souveränität und territorialer Integrität sind unmöglich.“ Man müsse vorsichtig gegenüber Zusagen Russlands sein, weiter kämpfen und die Sanktionen müssten verstärkt werden. Weiter deutete er an, dass ein Abkommen nicht von der Regierung allein beschlossen werden könne. Damit hält er an der Idee eines Referendums fest. Wie und wo ein Referendum in Kriegszeiten überhaupt und schnell durchgeführt werden könnte, ist allerdings schleierhaft.

Das Festhalten an der territorialen Integrität passt nicht zu den angestrebten Kompromissformeln und macht klar, unter welchem Druck der Präsident steht, der wie der Rest der Regierung immer den heroischen Kampf und die Aussicht auf einen Sieg propagiert hat und bei einem Abkommen aber Zugeständnisse machen müsste. Michail Podoljak, Berater von Selenskij, macht sogar Hoffnungen auf einen schnellen Frieden, was allerdings kaum zu erwarten ist. Offenbar will man heraushandeln, dass die Garantie, die Krim nicht militärisch wieder in die Ukraine zurückzuholen, für 15 Jahre gelten soll. Das dürfte Russland aber nicht gefallen.

Nicht  nur in der Ukraine, auch in Russland gibt es jetzt schon Kritik an dem geplanten Abkommen. So erklärte Kadyrow, Russland müsse erst die Kriegsziele beenden, die Denazifizierung und Entmilitarisierung, und dürfe erst dann verhandeln. Wie auch immer die Verhandlungen enden werden, so wird ein mögliches Abkommen nur ein fragiles Zwischenergebnis sein, das von allen Seiten zerrieben wird. Auch wenn die regulären Streitkräfte den Kampf einstellen und die russischen Truppen sich aus der Ukraine zurückziehen, wird es weiter Kämpfe, Terroraktionen oder Sabotage geben. Viele der geflüchteten Ukrainer könnten es vorziehen, im Ausland zu bleiben und nicht in den failed state zurückzukehren.

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2 Kommentare

  1. „Er geriet aber schnell unter Druck der Nationalisten und der hinter ihnen stehenden Milizen und setzte dann, bestärkt durch die USA, die die Ukraine weiter aufrüsteten und die Truppen ausbildeten“ aus meiner Sicht die Hauptakteure.

    Aber die einen spielen in westlichen Medien nur eine Nebenrolle und die anderen gibt es gar nicht.

  2. Selbst wenn es jetzt zum Frieden kommen sollte, hat unsere Politik so viel Porzellan zerschlagen, das die Beziehungen für Generationen zerrüttet sind. Und das alles nur, weil die USA das so wollen. Wir haben keine Politiker, wir haben Befehlsempfänger! Die Folgen werden wir also noch sehr lange spüren und das Vertrauen von 75% der Weltbevölkerung wurde verspielt. Unser Ranking hängt vom Vertrauen ab, denn das bestimmt unsere Kreditwürdigkeit und da wir davon abhängig sind, versetzt das unser System langfristig den Todesstoß. Aber das ist nur ein Sargnagel, denn schließlich wollen wir etwas von Russland und geben dafür Papier mit einem Versprechen, das dieses Papier etwas von Wert ist. Aber für ein Versprechen braucht es Vertrauen in die Zuverlässigkeit. In dem nun russisches Vermögen „eingefroren“ wurde, russische Geschäfte verhindert werden und russisches Leben im Westen gefährdet ist, ist das Vertrauen verspielt.

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