Angst vor Rechtsruck bescherte Sozialisten in Portugal die absolute Mehrheit

Parlament in LIssabon. Bild: R. Streck

Dass der Regierungschef António Costa über einen gewieften Schachzug seine bisherigen linksradikale Unterstützer ausbooten konnte, stößt auch in seiner Partei auf starke Kritik. Die gemäßigte Rechte befindet sich in einer schweren Krise, von der die rechtsextreme „Chega“ profitiert, die drittstärkste Kraft wurde.

Es war eine schwere Entscheidung für Marta, als sie am sonnigen Wahlsonntag vor einer Woche in der portugiesischen Hauptstadt auf den Stimmzettel schaute. „Die Wahl fällt mir schwer“, sagte sie gegenüber Krass & Konkret. Doch am Nachmittag entschied sie sich bei frühlingshaften Temperaturen in Lissabon für die Partei, die ganz oben auf dem Stimmzettel steht. „Ich wähle die linksgrüne Livre (Frei).“ Denn sie fühlte sich von Rui Tavares vertreten, Listenführer in Lissabon und Partei-Mitbegründer. Für ihn und für Marta wurde es eine Zitterpartie, doch schließlich kann Livre den Sitz und ihre 1,3 Prozent von den Wahlen 2019 verteidigen. Tavares zieht ins Parlament ein, Martas Stimme geht nicht verloren, die aber auf ein viel besseres Ergebnis für Livre gehofft hatte.

Sie steht für viele Zweifler in den Schlangen, die sich wegen Corona-Sicherheitsmaßnahmen am Sonntag vor Wahllokalen gebildet haben. Viele zweifelten, vor allem im linken Lager, wem sie ihre Stimme geben sollten. Marta, die noch bei den Kommunalwahlen im Herbst den marxistischen „Linksblock“ (BE) gewählt hatte, fand die Linie des „Bloco de Esquerda“ zuletzt falsch. Sie wählt die Abspaltung, Tavares saß einst für den BE im Europaparlament.

Da die grün-kommunistische Koalition „Coligação Democrática Unitária“ (CDU) und der BE dem Haushalt von Ministerpräsident António Costa abgelehnt haben, kam es in der fünften Coronavirus-Welle zu Neuwahlen.  Da Portugal eine Impfquote von 90 Prozent hat, ist die Lage nun deutlich entspannter als vor einem Jahr, als der Präsident gewählt wurde. Damals kollabierte das Gesundheitssystem, täglich starben 300 Menschen, heute sind es 30. Das schwache Gesundheitssystem, das im Wahlkampf eine wichtige Rolle gespielt hat, ist zwar belastet, aber nicht überlastet.

Dass sich lange Schlangen vor Wahllokalen bildeten, lag auch an der relativ hohen Wahlbeteiligung. 2019 hatten sich bei einer Rekordenthaltung mehr als die Hälfte der Wähler nicht beteiligt: ein Negativrekord. Am Sonntag stieg die Beteiligung um zehn Punkte auf 58 Prozent, obwohl fast 800.000 Menschen, die in Quarantäne waren, nur in der letzten Stunde am Abend vor dem Schließen der Lokale wählen durften.

Die massive Beteiligung führte dazu, dass Ministerpräsident António Costa alle Ziele erreicht hat. Gegen die Umfragen haben seine Sozialisten (PS) eine absolute Sitzmehrheit erreicht. Für die hatte er zwar lange gewoben, doch zuletzt glaubte er selbst nicht mehr daran. Das bestätigte gegenüber Krass & Konkret die ehemalige PS-Europaparlamentarierin Ana Gomes. „Deshalb hat er noch kurz vor den Wahlen die Strategie geändert“, erklärte die streitbare Frau, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Er bot plötzlich allen Parteien – mit Ausnahme der ultrarechten „Chega“ (Es reicht) – Gespräche zur Regierungsbildung an. Die sind nun unnötig, da die PS um fünf Punkte auf knapp 42 Prozent zulegen konnte und nun über 117 Sitze der 230 Sitze im Parlament verfügt.

Die PS braucht zum zweiten Mal in ihrer Geschichte keine Rücksicht auf Partner zu nehmen. „Historisch“ wird der Costa-Sieg auch bezeichnet, da es seit der Nelkenrevolution 1974 keinem PS-Politiker gelungen ist, drei Mal in Folge gewählt zu werden. Wie für Marta, die auch mit der Idee gespielt hatte, die PS zu wählen, ist es aber wie für Gomes ein Drama, dass Costa nun ohne linke Partner durchregieren kann. „Wir Portugiesen haben schlechte Erfahrungen mit absoluten Mehrheiten gemacht, auch mit unserer“, sagt Gomes. Marta hatte allerdings gehofft, Livre und die Tierrechtspartei PAN könnten zum Zünglein an der Waage werden und mitbestimmen.

Isabel Pires

„Die PS wollte die linken Kräfte beseitigen und hat ihr Ziel erreicht“, meinte Isabel Pires im Gespräch mit Krass & Konkret, und so sieht das auch Gomes. Die bisherige Linksblock-Abgeordnete Pires wurde Opfer des polarisierten Wahlkampfs und vieler „nützlicher Stimmen“. Umfragen hätten „ein völlig falsches Bild einer Pattsituation“ zwischen der PS und der „Sozialdemokratischen Partei“ (PSD) gezeigt, die real eine rechtsliberale Partei ist. Über die Umfragen seien die Wahlen stark beeinflusst worden. „Viele linke Wähler bereuen schon, statt BE oder CDU die PS gewählt zu haben.“ Gomes verweist darauf, dass täglich neue Umfragen im Fernsehen kamen, die zum Teil nur eine dünne Basis hatten, auf der Befragung von zum Teil nur 150 Menschen beruhten, also nicht repräsentativ waren.

Umfragen hatten kurz vor dem Wahlsonntag sogar eine vor der PS liegende rechte PSD gezeigt. Die Angst davor, die Rechte könnte gewinnen und Rui Rio könnte eine Regierung mit Hilfe der aufstrebenden rechtsextremen Chega bilden, sorgte für eine starke Mobilisierung und ein ungewöhnliches Wahlverhalten. Im Spektrum links der Sozialisten haben deshalb aus Angst viele die PS gewählt, berichtete auch die Sozialistin Gomes aus ihrem Umfeld. CDU und PAN, aber besonders der Bloco bekamen das hart zu spüren. Die PAN verlor drei von vier Sitzen, die Kommunisten (PCP) erhielten sechs statt zwölf und deren grüner Partner PEV ist nicht mehr vertreten. Die CDU kam statt auf gut sechs nur noch auf gut vier Prozent. Der „Bloco”, der sich 2019 mit 9,5 Prozent behaupten konnte, stürzte auf 4,5 Prozent ab. Neben Pires verlieren deshalb weitere 13 BE-Abgeordneten ihren Sitz.

In Corona-Zeiten sei der Wahlkampf zudem stark auf die Medien zentriert, „zu denen kleinere Parteien weniger Zugang haben.“ Die Niederlage des Bloco basiert, wie der Costa-Sieg, aber auf den besonderen Bedingungen. Viele wollten für Portugal das verhindern, was in der Hauptstadt bei den Kommunalwahlen im letzten Herbst überraschend passierte. Die Rechte nahm der PS die Macht in Lissabon ab, in der Costa lange Bürgermeister war.

Diese Wahlergebnisse, vor allem den „gigantischen“ Absturz des Linksblocks hatte auch der Politologe José Santana „nicht erwartet.“ Auch der Professor an der ISCTE-Universität in Lissabon geht davon aus, dass Umfragen das Wahlverhalten beeinflussen, zu Bewegungen von „kleineren Parteien zur stärkeren Partei im gleichen ideologischen Raum führen“ können.

Wie die PS-Frau Gomes hielt es auch der Politologe für gewagt von Costa, diese Neuwahlen abzuhalten. „Er hat alles auf eine Karte gesetzt“, sagt Gomes. Es sei seine „letzte Gelegenheit“ gewesen, „eine Sitzmehrheit zu erlangen, um ohne ständige Verhandlungen im Parlament regieren zu können“, zu der er bisher gezwungen war, meint der Politologe Santana. Das war jetzt für Costa, wo es um die Verteilung der Milliarden aus dem sogenannten Coronavirus-Wiederaufbaufonds geht, von besonders großer Bedeutung, ist Pires überzeugt. „Er hat nun vier Jahre freie Hand“, erklärte sie.

Gomes macht schon jetzt Druck vom linken Parteiflügel, denn „Costa hat ein klares Mandat für eine Linksregierung erhalten“. Dass er linke Politik machen wird, daran glaubt Gomez allerdings nicht. Das zeige sich schon daran, dass er im vergangenen Jahr nicht ihre Präsidentschaftskandidatur unterstützt hat, sondern die des rechtsliberalen Rebelo de Sousa (PSD), wie Krass & Konkret berichtet hatte.  Dass eine „loyale“ Costa-Anhängerin vom rechten Flügel nun Parlamentspräsidentin werden soll, weise ebenfalls in diese Richtung.

Wahlsieger waren auch die Rechtsextremen

Die Strategie der rechten PSD ging jedenfalls nicht auf, meint der Politologe Santana. Statt zu gewinnen konnte Rio nur das PSD-Ergebnis von 2019 mit knapp 28 Prozent verteidigen, verlor aber acht Sitze. „Und er hatte er Costa vor den Wahlen aufgefordert, mit Würde zu verlieren“, merkt Gomes amüsiert an. Rio stellt nun seinen Posten zur Verfügung. Der habe im Wahlkampf versucht, „die gemäßigten Wähler der Mitte nicht zu vergraulen“, meint Santana. Deshalb habe er beschworen, nicht mit Hilfe von Chega an die Macht zu wollen. Es sei aber unklar gewesen, ober dass er „nach der Wahl daran festhalten würde“. Diese Zweifel teilten viele der knapp 11 Millionen Portugiesen, die zur Wahl aufgerufen waren. Sie hatten Vorgänge auf den Azoren vor Augen, als die PSD im Tabubruch nach den Regionalwahlen mit Chega-Hilfe im Herbst 2020 die Macht auf den Inseln im Atlantik übernahm.

Twitter-Screenshot von VOX

Chega ist auch ein Wahlsieger. Statt 1,3 kamen die Rechtsextremen auf gut sieben Prozent. Die Ultras von André Ventura, der aus der PSD kommt, löste den Linksblock als drittstärkste Kraft ab. Statt Ventura allein können nun 12 Chega-Parlamentarier rassistische Sprüche klopfen. Chega, in der auch gewalttätige Neonazis und Hammerskins eine Rolle spielen, ist es zudem gelungen, mit der CDS-PP die traditionelle Rechte zu eliminieren, die nicht wieder ins Parlament einzieht. Sie kam 2019 noch auf etwa 4,2 Prozent, 2011 waren es sogar 11,7. Gomes macht dafür die Medien mitverantwortlich, die die Ultras gepuscht hätten und deren „rassistischen Diskurs normalisiert haben“, erklärt die aufrechte Sozialistin empört.

Im Laufe des Wahlabends schoben sich, zum Schrecken des Bloco und der Kommunisten auch noch die Liberalen (IL) auf den vierten Rang vor sie. IL trauen Gomes und Pires mittelfristig mehr Potential zu, „da sie ein Programm haben und nicht wie Chega heute das eine sagen und morgen das Gegenteil“, sagt Pires. Statt 1,3 Prozent stieg die modern auftretende neoliberale IL auf fünf Prozent auf. Sie wird nun mit acht statt mit einem Abgeordneten im Parlament sein. Sie habe bei gut ausgebildeten jungen Leuten mit schlechten Perspektiven punkten können.

Gomes hofft, dass Chega nun den Höhepunkt erreicht hat. Sie ist sich aber wahrlich nicht sicher, da sich die Ultras gut in Netzwerken organisieren, wie Krass & Konkret schon aufgezeigt hatte.  Es bestehen deshalb auch enge Kontakte von Chega zu den VOX-Ultras im Nachbarland Spanien, die wiederum in militante ultrakatholische „Intoleranz-Netzwerke“ verstrickt sind.   Chega werde jetzt auch massiv vom fundamentalistischen Opus Dei unterstützt, der viel Geld habe, sagt die Sozialistin.

„Linksblock und Kommunisten sind in die Falle getappt“

Letztlich ging vor allem die Rechnung des gewieften Costa ohne Abstriche auf. Er hatte schon nach den Wahlen 2019, aus denen er leicht gestärkt hervorging, den Einfluss der Linksradikalen beschnitten.   Wenn er im Wahlkampf aber seine „Erfolge“ aufzählte, benannte er aber stets praktisch nur das, was BE oder CDU ihm abringen konnten, wie einen höheren Mindestlohn, eine Bankensteuer und Verbesserungen im Sozialsystem. In den Haushaltsverhandlungen machte Costa dem Bloco und der CDU zuletzt gegenüber keinerlei Zugeständnisse. Er manövrierte sie damit in ein Dilemma. Setzen sie im zweiten Jahr in Folge wenig durch, verlieren sie Boden bei radikaleren Anhängern. Kommt es zu Neuwahlen, gehen gemäßigtere Wähler wie Marta verloren. Dabei hätten beide nur „nachvollziehbare Forderungen, wie Verbesserungen im Gesundheitssystem“ gefordert. Das seien auch ureigene PS-Forderungen meint Gomes: „Ein Kompromiss war möglich, diese Wahlen unnötig.“

Der Haushalt sei gescheitert, weil Costa das so wollte. „Linksblock und Kommunisten sind in die Falle getappt“, meint die Sozialistin Gomes. Sie hat zwar viel Respekt vor den linken Partnern, nur meint sie nun, dass sich BE und PCP zu „nützlichen Idioten“ der Costa-Strategie gemacht. Dass Präsident „Marcelo“ schon vor der Verabschiedung des Budgets bei einer Ablehnung sofort mit einer Parlamentsauflösung drohte, ist „skandalös“ für Gomes. Als „Erpressung“ hat den Vorgang der PCP-Chef Jeronimo de Sousa in einer Pressekonferenz das Verhalten des Präsidenten und der PS bezeichnet. Er und Costa hätten die „Forderungen der großen Wirtschafts- und Finanzinteressen” erfüllt, um linke Einflüsse zu beseitigen.

De Sousa setzte seine Drohung im Pakt mit Costa dann um. Es ist bekannt, dass dem christdemokratischen Präsidenten die linken Unterstützer ein Dorn im Auge waren. De Sousa habe dabei auf einen Wahlsieg seiner PSD spekuliert, meint Pires, während Gomes glaubt, dass der Präsident eher eine große Koalition im Sinn hatte. Dass der nun alleine regieren kann, sei auch nicht im Sinne des Präsidenten gewesen, dessen PSD nun in einer tiefen Krise steckt.

Costa will nun angeblich seine Mehrheit aber nicht missbrauchen. „Eine absolute Mehrheit bedeutet nicht absolute Macht“, sagt er. Er weiß, dass er nur mit vielen „Leihstimmen“ gewonnen hat. „Viele Portugiesen mit anderen Vorstellungen haben sich der PS angeschlossen“, da das Land Stabilität brauche. Es sei ein Sieg der Bescheidenheit, des Vertrauens und für die Stabilität“, sagte der 60‑Jährige Costa in der Wahlnacht vor jubelnden Anhängern in seiner Siegesrede. Er wolle für „alle Portugiesen regieren“ und bot deshalb allen bis auf Chega einen Dialog an. Doch die Bereitschaft zu Zugeständnissen schränkte er sofort ein, denn er wolle nun loyal zum PS-Programm und dem Haushalt regieren, der abgelehnt worden war.

Ohne den Druck der Straße, darin sind sich Marta, Pires, Gomes und die Kommunisten einig. Die PCP, die stark in den Gewerkschaften verankert ist, will nun auf „„Massenkämpfe und Arbeitskämpfe“ zur Verteidigung der Rechte der Bevölkerung setzen. Die gesamte Linke in Portugal ist sich einig, dass Costa ohne Druck von linken Partnern und von der Straße auch keine linke Politik machen werde. In den vier Jahren, als Kommunisten und Linksblock die Costa-Regierung in der „unbegreiflichen“ Regierung der „geringonça“ regiert haben, „hatte Costa weitgehend Ruhe und Stabilität“, erklärt die Sozialistin Gomes. „Jetzt bleibt nur noch die Straße“, fügt auch Pires an. „Dort werdet ihr mich finden, wie immer“, sagte die junge Kämpferin. Anders als es Costa beschwört, sind Ruhe und Stabilität im Land nun zu Ende. Es darf nun auch mit verstärkten Streiks gerechnet werden, da alles dafür spricht, dass sich Costa mit seinem Freund im Präsidentenamt in Richtung Mitte bewege, er noch weniger fortschrittliche Politik machen werde. In diese Richtung würden auch starke Lobbygruppen und Arbeitgeberverbände machen, ist dessen Parteifreundin überzeugt.

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