
Diskussionsverweigernde Aktivisten, ein den Populismus entdeckender brüllender Finanzminister und dazu spöttischer Journalismus: Szenen aus dem heutigen Deutschland. Was dabei untergeht: Der Libertarismus, der mit der dabeisitzt.
Neulich war Bundesfinanzminister Christian Lindner in Leipzig zu Gast. Er war zu einer Podiumsdiskussion eingeladen – organisiert von der Liberalen Hochschulgruppe Leipzig und der Friedrich-Naumann-Stiftung. Thema: »Liberale Finanzpolitik zwischen Auftrag, Anspruch und Realität«. Dass aus der Veranstaltung eine solch lebhafte Diskussion werden würde, hat zunächst wohl keiner geahnt. Außer vielleicht der anwesende Spiegel-Mann, wie Christian Lindner vermutete.
Denn plötzlich standen zahlreiche junge Leute auf und bombardierten den Minister mit Fragen. Antworten schienen sie indes nicht entgegennehmen zu wollen. Die Letzte Generation war also auch zu Gast, sie hat sich ins Publikum eingeschlichen.
Eine gefilmte Parabel auf das heutige Deutschland
Die folgenden Szenen spiegeln den Zustand dieses Landes wider. Die jungen Leute riefen wild durch den Saal, sie schienen nicht an Dialog interessiert zu sein. Christian Linder indes blühte auf, er brüllte ebenso, ließ sich vom Applaus der Zuschauer regelrecht aufpeitschen. Mittendrin ein Spiegel-Reporter, der mit seinem Smartphone draufhält. Das Videodokument zeigt einen Minister, der plötzlich entdeckt, dass Populismus in genau diesem Moment gut ankommt und ihn gut aussehen lässt. Sein Grinsen verrät, dass er glaubt, durch sein lautes Dagegenhalten einen grandiosen Coup gelandet zu haben. Die jungen Leute machten es ihm aber auch nicht schwer.
»Ihr könnt protestieren, aber die Demokratie, der Rechtsstaat und die Marktwirtschaft, die Werte dieser Gesellschaft sind stärker als ihr«, rief er unter Beifall. Und es sei besser, dass sie hier störten und sich nicht auf die Straße klebten. Wieder Beifall. Man muss nun wirklich keine Sympathie für die Letzte Generation aufbringen: Aber Lindners Auftreten wirkte unangenehm. So billige Opfer konnte, ja wollte er sich wohl nicht entgehen lassen.
Der Spiegel unterlegte das Video mit spöttischem Ton. Auch weil der Minister monierte, das Magazin habe die Letzte Generation gewissermaßen ermutigt – die hätten wohl den Medienleuten Bescheid gegeben, damit sie auch gefilmt würden. Früher hat man besorgten Bürgern, Querdenkern und Demonstranten unterstellt, sie würden paranoid Verschwörungstheorien nachhängen. Man hat dieser Tage immer häufiger den Eindruck, dass es diese Bundesregierung ist, die paranoide Anwandlungen pflegt. Andererseits: Kann man es ausschließen? Es gab in den letzten Jahren etliche Verschwörungstheorien, die sich letztlich bestätigt haben. Das kurze Spiegel-Video frotzelt jedenfalls so vor sich hin, man spürt, das Magazin fühlt sich angegriffen und setzt etwas dagegen.
In jenem Leipziger Saal komprimierte sich ein klein wenig die vertrackte Lage dieser Republik. Statt eines Dialoges, gab es Gebrüll und Parallelgesellschaften im Konfrontationsmodus. Ein Minister, der die Contenance verliert und Worthülsen drechselt. Dazu ein Publikum, dass die leeren Sprachblasen beklatscht. Keiner hört zu, aber alle scheinen die Wahrheit zu haben – und obendrauf kommt ein Journalismus, der aus seiner Rolle fällt. Man könnte sagen: Die Lage in Deutschland auf 250 Quadratmeter. Und noch einer war im Raum. Und der fiel fast nicht auf …
Nur über den Libertarismus spricht keiner
Und zwar der Gesprächspartner von Christian Lindner. Prof. Gunther Schnabl, Inhaber des Lehrstuhles für Wirtschaftspolitik und Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Leipzig – und viele Jahre lang Publizist für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM). Der Ökonom vertritt libertäre Wirtschaftsansichten. Der Staat kommt bei ihm gerne als Störfaktor vor: Er behindere nämlich den freien Markt.
In seinem in Kürze erscheinenden Buch erklärt er, was schief läuft in Deutschland. Eine These ist, dass Deutschland sich angeblich von marktwirtschaftlichen Prinzipien verabschiedet habe. Unter anderem sehe man das am »unkontrollierten Ausbau des Sozialstaates«. Dieser Gunther Schnabl bedient das, was in Zeiten, da noch rege von Wirtschaftspolitik gesprochen wurde – als wir folglich weniger andere Sorgen hatten –, als marktradikale Schockstrategien bezeichneten. Um seine Positionen nachzuvollziehen, lohnt sich ein Blick in die Podiumsdiskussion zu werfen, die er letztes Jahr mit Heiner Flassbeck führte.
Während also der Saal tobte, saß dieser Herr ruhig auf seinem Stuhl. Unscheinbar. Er sollte mit Lindner ins Gespräch kommen. Plaudern über Finanzpolitik. Die Unscheinbarkeit, so könnte man nun – um innerhalb der Parabel zu bleiben – als Deutung der Realitäten sehen: Während sich die Gesellschaft gegenseitig in Spaltungsarbeit übt, sitzt fast unmerklich im Hintergrund der Libertarismus. Auf seine Gelegenheit wartend – oder auf noch mehr Gelegenheiten wartend.
Und die ergeben sich zwangsläufig. Der Staat geht jedenfalls geschwächt aus dem Abenteuer, das sich Ampel nennt – und mit dem richtigen Nachfolger im Kanzleramt, vielleicht jenem Herrn, der vom BlackRock hinabstieg in die Tiefen politischer Täler, wird er auch weiterhin seine Chance bekommen. Aber wir kriegen kaum etwas mit, weil das Gebrüll alles überschallt. Und weil der Medienbetrieb seinen Fokus auf die Streithähne legt.
Ähnliche Beiträge:
- Ampelausfall
- Letzte Generation – ein Lehrstück zum Umgang mit Kritikern
- Ein schändlicher Kanzler bis zum Schluss
- Gleich und gleich gesellt sich gern – Warum Lifestyle-Linke die Letzte Generation mögen
- Gestrandet in Leipzig
So groß ist der Unterschied zwischen Libertarismus und Liberalismus nicht. Betrachten die Liberalen den Staat noch als notwendiges Übel, so wollen die Libertären den Staat loswerden (denn Politiker sind ja eh nur korrupt und ineffizient) und die politische Macht direkt an das Kapital übergeben, das mit den kapitalistischen Sachzwängen am effektivsten umgehen kann. Es wird dabei lediglich die demokratische Hülle fallen gelassen – statt Freiheit des Individuums nun Freiheit des Kapitals, die ja faktisch im liberalen Kapitalismus eh schon gegeben war.
Für den Schein von Demokratie muss allerdings eine Anpassung erfolgen, was nicht leicht sein wird, weshalb ich vermute, dass erst einmal die liberale Scheindemokratie erhalten bleibt aber im tatsächlichen Handeln Zug um Zug die politische Macht an das Kapital abgegeben wird. In den USA scheint dieser Prozess schon weiter fortgeschritten, da wirken die beiden Parteien nur noch als bloße Hüllen, die von den Mächten des großen Geldes gefüllt werden (gestritten wird nur über Themen, die die Macht des Kapitals nicht infrage stellen).
Deshalb: Der Fortschritt ist wohl libertär, jedenfalls im Westen. Und unsere Ampel gibt sich große Mühe am Fortschritt mitzuhalten. Und auch Maaßen hat die Zeichen der Zeit erkannt, er gibt sich libertär mit seiner neuen Partei.
“So groß ist der Unterschied zwischen Libertarismus und Liberalismus nicht.”
Nun ja. Liberalismus steht nicht nur dafür, dass der Staat nicht “reinpfuscht”, wie das Libertäre gerne ausdrücken, sondern auch dafür, dass der Staat darüber wacht, dass der Wirtschaft und den Individuen die erwünschten Freiheitsgrade erhalten bleiben.
Antiliberal ist zum Beispiel, wenn heute Professoren ihre Lehrstühle verlieren, weil sie zur falschen Zeit im falschen Teil der Ukraine waren, und die Uni, die auf Drittmittel angewiesen ist dann fürchtet – oder von potentieller Geberseite eindeutig darauf hingewiesen wird -, dass die Geldmittel erst wieder kommen, wenn der an falscher Stelle Ukraine-interessierte Lehrer weg ist.
Wenn es freie Forschung und Lehre geben soll, muss die Finanzierung der Universitäten gesichert sein und darf nicht auf milde Gaben von Gönnern oder – noch schlimmer – Geldmitteln von besonders Interessierten angewiesen sein.
Die Libertären arbeiten darauf hin, dass das Große Geld schrankenlos walten kann und verstecken sich meist hinter Phrasen, die den Wirtschaftsliberalismus loben, die aber im Kern das Monopol wollen.
Ich gehe nicht non den Ideal-Vorstellungen von “Liberalismus” aus sondern vom Grundsätzlichen. Und da ist der Liberalismus die Ideologie des großen Geldes, die für den Kapitalismus passende Ideologie mit der der Schein von Demokratie ermöglicht wird und der damit den Fortbestand des liberalen Kapitalismus garantiert. Der Libertarismus verzichtet auf (den Anschein von) Demokratie, für die ja ein Staat oder ein staatsähnliches Gebilde notwendig ist.
Die individuelle Freiheit ist Grundbestandteil des Liberalismus auf der alles weitere aufbaut. Im Gegensatz dazu stellt der Sozialismus das Kollektiv in den Vordergrund (und das Individuum hintenan). Beide Ideologien sind Kinder der Aufklärung und berufen sich auf menschliche Bedürfnisse. Womit sie ja nicht falsch liegen. Allerdings repräsentieren beide jeweils nur die halbe Wahrheit, denn die Menschen benötigen beides: Individuelle Freiheit in sozialen Gemeinschaften.
Die letzten Reste von Letzterem gehen im Libertarismus vollständig verloren, weshalb mit ihm ein gesellschaftliches Zusammenleben kaum möglich ist.
Bei Telepolis ist gerade ein Artikel erschienen, der sehr gut als Hintergrundwissen hier zum Thema passt:
https://www.telepolis.de/features/Hacking-Europas-Aussenpolitik-wurde-von-den-USA-gekapert-die-Folgen-sind-fatal-9631313.html?seite=all
Aktivisten im Einsatz, liest sich für mich wie bestellt und der Artikel bringt den deutschen Nihilismus voll zur Geltung.
Wie kommt man zu einem gesetzten Ziel, man verweigert den Diskurs und betreibt dann die postmoderne Politik, bloss nicht auf Inhalte eingehen.
Vieles erscheint belanglos, aber alles was im In-Ausland geschieht verfolgt strikt seine Ziele. Das Nachsehen werden die meisten spüren, weil das meiste illegal geschieht!
Lasst einfach die letzten 10-20Jahre Revue passieren, was ist alles geschehen und welche Konsequenzen sind dadurch entstanden?
Wenn jemand etwas verkaufen will, und ein anderer es kaufen will, dann gibt es vielleicht unterschiedliche Vorstellungen über den Preis, die durch Verhandlungen beseitigt werden müssen, im übergeordneten Interesse beider Parteien am Abschluss des Handels. Der Interessenkonflikt zwischen den Globokonzernen und ihren Helfern und nützlichen Idioten auf der einen Seite, und den Anhängern von Konkurrenzkapitalismus = Soziale Marktwirtschaft und Demokratie auf der anderen Seite, kann aber nicht durch Verhandlungen gelöst werden, sondern es geht darum, in der Bevölkerung die Mehrheit der Anhänger zu gewinnen. Die Globalisten können das nur durch Agitation erreichen, weil ihnen keine guten Argumente zur Verfügung stehen. Die Populisten verfügen über Argumente, können sie aber nicht leicht anbringen, nicht nur weil sie daran gehindert werden, sondern auch weil viele Menschen nicht verständig genug sind, und sind deshalb auch auf Agitation angewiesen. Deshalb artet jede politische Diskussion entweder in Agitation und Geschrei aus, oder in seichtes Gelaber über Streit in der Ampel, wie man täglich im TV beobachten kann. In den Mainstreammedien ist der Streit in der Ampel ein viel größeres Problem als der Stellvertreterkrieg gegen Russland, an dem sich die BRD beteiligt.
– von marktwirtschaftlichen Prinzipien verabschiedet habe. Unter anderem sehe man das am »unkontrollierten Ausbau des Sozialstaates«. –
Den ersten Teil dieser Aussage halte ich für richtig. Den zweiten für Propaganda.
Der unkontrollierte Ausbau von Subventionen trifft die Ursache deutlich mehr.
Prima Artikel: trifft es sehr gut!
Alle Seiten treten völlig unpolitisch auf, aber Löhne und Daseinsvorsorge, Frieden und Wohlstand gehen vor die Hunde.
Die Letzte Generation hatte noch nie eine Strategie, wie sie Leute auf ihre Seite bringen kann. Sie ist ein Kind der Postmoderne, so wie die Woken, die Antideutschen usw. – Und die Neoliberalen der Herrschenden Klasse lachen sich ins Fäustchen.
Schade, dass der Spiegel nicht berichtet, was die Letzte Generation dort wollte. Der Spiegel recherchiert nicht, sondern ist nur Handyhalter: Sein “Journalist” hält ein Handy hoch, weil er “zufällig da ist”.
Als es noch Medien gab, die ihrem Auftrag als 4. Gewalt in der Demokratie erfüllten, gehörte Folgendes zum kleinen Einmaleins: Die Akteure selber ruhig und sachlich zu Wort kommen lassen (auch um die Schreierei zu vermeiden).
Es gibt auch niemand, der als Veranstalter moderiert, das Hausrecht hat: völlig unpolitisch wie gesagt. Die “spätrömische Dekadenz” der FDP verhindert minimale zivilisatorische oder bürgerliche Gepflogenheiten. Stattdessen Spektakel als Selbstzweck.
An sich ist gar nix journalistisch Berichtenswertes passiert: Lindner schreit ununterbrochen ins Mikro, während im Saal Tumult herrscht und Saalordner versuchen, “die Störer” rauszuschleppen. -> https://www.spiegel.de/politik/christian-lindner-vs-die-letzte-generation-ihr-macht-klimaschutz-in-eurer-geschuetzten-deutschen-wohlstandsblase-spiegel-tv-a-ae883a94-dd71-4b3e-bcd2-a36f7ccd71c5
Moderator nicht vorgesehen. Aber einige Saalordner stehen parat, die Zwischenfälle als “Störungen” behandeln sollen. Das Wort Demokratisch kann die FDP aus ihrem Namen streichen.
Ich bin beileibe kein Freund der FDP oder von Lindner, aber wer die Äußerungen der “Aktivisten” in den sozialen Kanälen zu ihm liest, erkennt mehr. Es gibt dort eine Blase die auf jede Meinung die von ihrer eigenen abweicht einen Hass entwickelt hat, der wohl durch die Klimapanik angetrieben wird.
Egal was er Vorschlägt, es ist vermeintlich eine böse Finte um dem Klima zu schaden und der Wirtschaft ungerechtfertigte Vorteile zu gönnen. Ein ähnliches Muster gab es vorher schon gegen den ehemaligen Verkehrsminister Scheuer. Es wird dabei statt mit Kritik und Dialog, bei dem versucht würde politische Entscheidungen zu verstehen und vor allem auch, wenn man sie denn nicht teilt, zu erkennen wo man was verändern müsste, ein Klima der Hetze geschaffen, die jegliche demokratische Entscheidungen zu einem Spießrutenlauf macht.
Ich kannte diese Art der “Kommunikation” vorher nur aus Rechtsradikalen Kreisen. Bin aber nicht erstaunt, dass diese von den bürgerlichen der “letzten Generation” übernommen wurden. Der Furor ist das Argument des Spießbürgers und was wir hier erleben ist ein Verteilungskampf der Ressourcen, die dem Staat zu Verfügung stehen.
Das Bild das hier gezeichnet wird gibt das tatsächlich deutlich wieder. Vor allem der im Hintergrund sitzende (lachende) Libertäre, dem es wichtig ist Staatsgelder in die richtigen Taschen zu lenken. Er freut sich, dass nur noch die beiden Gruppen von den Medien wahrgenommen werden, die genau seine Ziele verfolgen. Weniger Staat durch das völlige ausbluten der Finanzen für Projekte bei denen für “Wohltätigkeit” nichts mehr übrig bleibt. Wohltätigkeit heißt: Wohnungsbau, Schulen und Universitäten, Krankenhäuser, Kindergärten, Renten, Energieversorgung und Infrastruktur. Nichts davon ist ein Programmteil der Klimaaktivisten und mit allen kann Rendite erzielt werden. Die Politik muss es nur wollen und dazu muss sie von den Medien dahin getrieben werden. So wie einst die SPD zum Finanzkapital getrieben wurde, auch immer begleitet durch mediale Berichterstattung von Bertelsmann und co. (Der Spiegel hielt damals noch in Spuren dagegen, war aber nicht erfolgreich, wie wir Wissen)