Deutschlands Industrie 5.0

Industrieanlagen bei Dormagen.
Niklas Bildhauer (User gerolsteiner91), CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Deutschland schneidet laut ZEW-Studie als Wirtschaftsstandort schlecht ab. Das mag stimmen, dürfte aber der Politik egal sein: Denn Deutschland ist weiterhin Exportnation – und exportiert Moral.

Laut einer Studie und einem Ranking des Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW hat Deutschland abermals Standortvorteile eingebüßt. Nur noch Ungarn, Spanien und Italien liegen laut ZEW hinter Deutschland – insgesamt wurden 21 Wirtschaftsstandorte beleuchtet. Die Vereinigten Staaten führen das Ranking vor Kanada an.

Zwar sei auch die Energiekrise verantwortlich für diese Entwicklung, urteilt das ZEW, aber da gleichermaßen alle Länder davon betroffen seien, könne man das nicht als Erklärung heranziehen. In den Bereichen Steuerlast, Arbeitskosten und Regulierung liege Deutschland auf den hinteren Rängen. Mit einem besseren Abschneiden in diesen Bereichen hätte man die Folgen der Energiekrise auffangen können, heißt es in der Studie.

Energiekrise trifft alle oder Schockstrategie zur weiteren Deregulierung

Dass die Energiekrise alle trifft, stimmt ja so schon mal nicht. Spitzenreiter USA und das zweitplatzierte Kanada sind jedenfalls nicht von der Energiekrise betroffen. Für die USA gilt eher: Sie haben in dieser Krise gewonnen, machen nun überteuerte Geschäfte mit Europa. Dass erste LNG-Lieferungen recht bald nach der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines in Deutschland ankamen, ist freilich nur ein dummer Zufall …

Die Studie des ZEW liest sich überhaupt wie ein Stück datenbasierte Schockstrategie, ganz nach dem Motto: Nun wirke die Energiekrise überall, Deutschland habe es aber verpasst, mit Reformen seine Standortvorteile auf andere Weise auszubauen. Zum Beispiel indem man die Steuerlast der Unternehmen reduziert, Arbeitskosten minimiert und Regulierung liberalisiert oder aufhebt. Wäre das geschehen, würden die durch die Energiekrise verursachten Folgen nicht so sehr ins Gewicht fallen. Aber leider habe Deutschland auf diesem Sektor nichts getan.

Man fühlt sich etwas an jene Zeiten erinnert, als Deutschland als der »kranke Mann Europas« inszeniert wurde. Diese Kampagne lief um die Jahrtausendwende an und hatte zur Folge, dass der Sozialstaat und der Arbeitsmarkt neu aufgestellt wurden. Der »Reformstau«, wie man damals die Verschleppung neoliberaler Reformen nannte, müsse endlich aufgelöst werden. Dafür fand sich dann auch jemand: SPD und Grüne. Die Agenda 2010 war eine Reaktion auf die Schockstrategie, die darauf abzielte, den Eindruck zu erwecken, dass Deutschland demnächst den wirtschaftlichen Anschluss verlieren würde.

Aber auch wenn man die ZEW-Studie mit Vorsicht genießen sollte: Leugnen lässt sich nicht – anders als in den 2000er Jahren –, dass Deutschland als Standort an Attraktivität verliert. Denn Deutschland tritt aus einer jahrelangen Verschleppungs- und Weiter-so-Wirtschaft in eine Situation ein, in der ökonomische Basics überhaupt keine Rolle mehr zu spielen scheinen: Denn Deutschland befindet sich wieder mal in einer Ausnahmesituation. Und baut seine Wirtschaft um.

Moralin-Exportweltmeister Deutschland

Deutschland ist weiterhin blendend im Geschäft. Man wechselt nur gerade die Ware, die man ausliefert. Ob nun Maschinen, Autos oder Windräder: All das kommt natürlich jetzt schlechter weg, die Produktionsbedingungen werden durch eine Bundesregierung verschlechtert, die auf einen ganz neuen Markt baut: Einen, der gar keine großen Investitionen braucht, der keine Ressourcen abbaut.

Denn Moralin ist recht günstig zu haben. Und lässt sich teuer in der Welt verkaufen. Oder besser gesagt: Der Welt verkaufen. Und die bezahlt dafür teuer.

Das ist Wirtschaft 5.0 made in Germany: Aus nichts alles schaffen. Ein bisschen so, wie man es vom Replikator aus dem Star-Trek-Universum kennt, der aus dem Nichts Materie erschafft. In Deutschland hat man sich dieses Projektes angenommen, diese Zukunfts- und Science-Fiction-Technologie aufgegriffen: Hier schafft man eine Wirtschaft, die etwas exportiert, was keiner Energie, keines Abbaus oder keiner Montage bedarf.

Denn Deutschland exportiert Moral. Eine triefende, zähflüssige Moral, an der die Welt genesen soll. Früher haben wir das Erdenrund mit Ingenieurskunst beglückt. Aber nach dem Berliner Flughafen und Volkswagen-Modellen, die nur umweltverträglich fuhren, weil eine Software das imaginierte, war offenbar klar, dass wir uns wirtschaftlich neu orientieren müssen: Jetzt liefern wir den Rohstoff des Spießertums aus; die bittere Moral derer, die es immer besser wissen. Wir schenken der Welt das Zelotische.

Und wer wenn nicht Leute, die ganz offensichtlich keine Ahnung haben, wie Wirtschaft in ihren Grundzügen funktioniert, wären dafür prädestiniert, diese neue Ökonomie aufzubauen? Im Moralismus-Business gibt es keine Insolvenzen. Jedenfalls glauben das die Jünger dieses neuen Exportismus mit Inbrunst. Unerschütterlicher Glaube: Auch so ein Exportgut dieser Tage. Eine etwaige Pleite baden sie ja auch nicht aus. Sie werden am Rande der Deindustrialisierung stehen und moralisieren: Moralin ist eben ein Import-Export-Schlager.

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5 Kommentare

  1. Schaut man sich die Zinspolitik an, könnte ich den Eindruck gewinnen, das gewisse Banken über den Steuermichel ihre fatalen Spekulationen finanzieren dürfen, ohne das der Staat ein bailout finanzieren muss. Viele Staaten haben ein Problem mit der Finanzierung ihrer Systeme. Die Unternehmen fordern immer weitere Zugeständnisse, aber dem Staat fehlen zusätzliche Einnahmen. Auch die unkontrollierte Zuwanderung spitzt den ‚Markt‘ zu, bei zeitgleicher Vermehrung von Arbeitslosigkeit.
    Jedoch hat D seit ihrer „30 jährigen Geschichte“ von extremer Neoliberalität eines verursacht, das Land muss neu aufgestellt werden, wegen nicht vorhandener Massnahmen zu investieren. D muss steuerlich auf dem Standard der Steueroasen agieren, um ihre Unternehmen dort zu belassen wo sich ein Standort auch mit auszeichnet. Entweder sie gehen gegen die Steueroasen an, oder werden als ‚Staat’aktiv um diesen Wettbewerb zu verdrängen. Die Gretchenfrage hierbei ist:Wo bleibt der Mensch?

  2. Es gibt ja dieses Sprichwort der Briten: „Schreibe niemals der Bosheit zu, was sich durch Dummheit erklären lässt.“ Da ist was dran, aber man sollte diese sprichwörtliche Aussage nun auch nicht auf alles und jeden anwenden.

    Herr De Lapuente irrt meiner Meinung nach, wenn er vermutet, dass wir bloß noch von Minderbemittelten regiert würden, die mit den sich verändernden Umständen nicht umgehen könnten und stattdessen nur noch heiße moralinsaure Luft ausstoßen würden. Das mag auf die grünen Truppenteile in der Regierung zutreffen (die ja nun empirisch bewiesen haben, dass sie von ihren Aufgabenfeldern ganz und gar nichts verstehen), auf die gelben historisch sowieso, aber er unterschätzt da den schlumpfig grinsenden kleinen Mann auf dem Kanzlerthron.

    In seiner Rede am 7. November 2022 vor der 27. UN-Klimakonferenz (COP 27) hat unser Herr Bundeskanzler sehr schön klargemacht, wo der bundesdeutsche Hase langläuft.

    → Er hat den Wirtschaftskrieg gegen Russland klar als solchen benannt und sich hinter dessen Ziele gestellt. Der beschleunigte Umstieg auf erneuerbare Energien ist deshalb für ihn notwendig.

    → Die „vorübergehende“ Erhöhung der CO₂-Emissionen wird in Kauf genommen, damit Deutschland bei diesem Umstieg möglichst nach vorne kommt in der internationalen Konkurrenz.

    → Deutschland sagt einigen Ländern, die an der CO₂-Emission wenig Schuld haben, aber besonders darunter leiden, eine gewisse Hilfe zu. Schadt/Weis (*) schreiben dazu:

    Das ist eine globale Zuständigkeitserklärung: Deutschland nimmt sich vor, anderen Staaten Anweisungen zu geben, sowohl bei der Reduktion der Emissionen als auch beim Umgang mit den Schäden, die bereits angerichtet sind und weiter angerichtet werden. Weiterhin wird sich nicht nur die deutsche Regierung dies (ein bisschen) was kosten lassen. Sie will auch private Investoren motivieren, hat also vor, internationale Geschäftsfelder für das – nicht zuletzt deutsche – Kapital zu schaffen.

    → Scholz betont „ohne wenn und aber“ das Ziel, das Deutschland bis 2045 und die ganze EU bis 2050 klimaneutral werden. Der Hintergrund dabei ist weniger, dass der Herr inzwischen die Notwendigkeit der Klimarettung kapiert hätte, sondern dass er Deutschland hier als Führungsnation aufstellen will: Wir schaffen derzeit fossile Brennstoffe aus allen Ecken der Welt um jeden Preis herbei, um den raschen Umbau zu ermöglichen, damit wir demnächst in einem Weltenergiemarkt, der voll auf erneuerbare Energien setzt, führend sein können. Kurz geschrieben: CO₂-Reduktion als imperialistische Zielsetzung.

    Schadt/Weis führen das im erwähnten Zeitschriftenartikel noch sehr viel weiter aus, als Forenbeitrag würde das jetzt zu weit führen. Mir ging es gerade nur darum, unseren Herrn Bundeskanzler gegen den Vorwurf zu verteidigen, er sei bloß ein Moralexporteur. Es ist viel schlimmer.

    (*) konkret 1/23, S. 12-15

  3. Mir ist auch aufgefallen, dass Moral als neuer Exportartikel ein etwas schwieriges Produkt für den Weltmarkt sein dürfte. Einmal gibt es in vielen Gesellschaften unterschiedlich gewürzte Moralsoßen zuhauf und auch die traditionelle Moralproduktion ist keineswegs ein rares Gut, das einen kostenpflichtigen Bezug aus dem Ausland begründen würde oder in abgeschirmten Habitaten exklusiv und in wenigen Händen monopolisiert nur gegen Entrichtung des Kaufpreises zugänglich gemacht wird. Staaten brauchen schon etwas handfestes, sagen wir Kraftwerke oder Maschinen, Rohstoffe oder Transportwege, um sich überhaupt als Staatswesen behaupten zu können. Wer das nicht hat oder nur in bescheidenem Umfang sein eigen nennt muss zukaufen, das dafür erforderliche Geld ist ebenfalls kein moralinhaltiger Gegenstand, den es kostenlos und ohne Insolvenzgefahr an der nächsten Straßenecke gibt. Kurz: In den internationalen Beziehungen dreht sich alles ums Geld und die damit verbundenen Geschäfte als Voraussetzung fürs eigene Vorwärtskommen. Das soll ein bis dato erfolgreich gemanagter Standort wie D über Nacht aus dem Gedächtnis gelöscht haben und eine Papst-gesteuerte Wirtschaft 5.0 ansteuern? Die Antwort hat mE umbhaki treffend zusammengetragen. Und daran wird unerbittlich weitergearbeitet.

  4. Es ist der übliche Kapitalismus, kapierts mal!
    Ihn mit Moral zu messen (also unterstellen, daß er eine hätt) und ihm vorhalten, daß seine Praxis die verkündeten Legitimationsideale blamiert (also selber glauben daß die gälten, aber nicht wirkten, dh die andere Seite des praktischen Unglaubens bezichtigen) ist Verblödung die wir längst hinter uns gebracht haben sollten.

    Es wird keine moralischen Kapitalismus geben. Hats nie, wirds nie, so sehr man auch glauben mag.
    Konsequenz ist nicht jammern.

    Hach, was reg ich mich wieder uff!

    In der tagesschau verkünden Politiker mit 3 verschiedenen Panzertüpen mit 3 inkommensurablen Logistiken, viel zu wenige davon, auch zu wenig Muni, könnt ma den Krieg gewinnen. Und das Publikum glaubts statt zu lachen.
    Am schüfsten ist die weiße Pompadour von Rheinmetall.
    Abwarten bis die Realität Fantasialand kaputt macht.

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