Gellendes Schweigen

User:Wmeinhart – Wolfgang Meinhart, Hamburg, GFDL 1.2, via Wikimedia Commons

Wir befinden uns im Jahre 2022 nach Christus. Ganz Deutschland berichtet über 200.000 Euro in einem Schließfach. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Seeheimern besetztes Magazin schweigt beharrlich.

Bereits im vergangenen Herbst wurden bei einer Razzia 200.000 Euro in bar in einem Bankschließfach sichergestellt, das man eindeutig Johannes Kahrs zuordnen konnte. Kahrs ist Mitglied der Hamburger SPD, war jahrelang Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Hamburg-Mitte. Das Geld steht im Zusammenhang mit dem Cum-Ex-Skandal – Kahrs wiederum steht Kanzler Scholz nahe. Wobei man konkretisieren muss: Als das Geld sichergestellt wurde, war Scholz noch gar nicht Bundeskanzler. Zwei Tage nach der Bundestagswahl räumte man das Fach leer: Damals war noch nicht mal klar, ob Koalitionswillige mit diesem Olaf Scholz sprechen wollen oder nicht.

Er wäre vermutlich auch nicht Hosenanzugsnachfolger geworden, wenn dieses Detail schon bekannt gewesen wäre. Aber so eine Information kurz bevor dieser Olaf Scholz am Ziel seiner Träume stand: Das war wahrscheinlich die eine rote Linie zu viel, die er nicht gewillt war zu überschreiten. Sicher, das mit den roten Linien, die er und seine künftige Regierung nicht mehr kennen wollten, hat man Scholz nun schon tausendfach aufs Brot geschmiert, originell ist das ja nicht mehr gerade. Aber man kann diese Maßlosigkeit eigentlich nicht oft genug wiederholen.

Sonderbare Zurückhaltung

Die Öffentlichkeit hat viel zu spät von der Geschichte Notiz erhalten. Am Samstag brachten fast alle Leitmedien dazu einen Bericht. Sie zitierten dabei vorzugsweise die Aussage des Linken-Politikers Fabio de Masi, der vom »Sprengstoff für den Bundeskanzler« sprach. Eine Einschätzung, die man teilen kann, so man noch eine Resthoffnung auf die Publikative zu setzen gewillt ist. Nur ein nicht ganz so kleines Blättchen aus dem Herzen Hamburgs schwieg sich aus – und tat es noch viele Stunden nach Bekanntgabe.

Kein Bericht zu Kahrs, Scholz, Hunderttausende und Cum-Ex von Spiegel Online! Dabei weiß man doch, dass noch nie zuvor Zeit so viel Geld war wie heute. Es ist ja begrüßenswert, wenn ein Medium entschleunigt und nicht sofort mit einem Artikel zur Sache kokettiert. Das täte vielen Debatten im Lande gut. Aber warum man ausgerechnet jetzt, ausgerechnet bei diesem dem Spiegel doch so nahen Fall, alle Zeit der Welt zu haben scheint, während die Konkurrenz über einen Vorfall schreibt, der dazu geeignet ist, den Bundeskanzler und mit ihm seine gesamte Regierung in eine tiefe Krise zu stürzen, bleibt schon schleierhaft.

Normalerweise hat sich Spiegel Online stets als recht eilfertig erwiesen. Aus jeder Ministerpräsidentenkonferenz berichtete man quasi live. Und wusste man auch noch nicht ganz genau, was dieses »Herzstück gelebter Demokratie« ausbaldowerte: Der Spiegel berichtete schon mal vorneweg. Böse Zungen attestierten dem Magazin eine perverse Lust an der Hysterie. Aber die Zeitungsmacher fühlten sich nur ihrer Aufgabe verpflichtet, möglichst schnell Informationen zu liefern – auch wenn die noch gar nicht spruchreif waren. Selbst wenn man nur spekulieren konnte.

Kahrs: Mann der Mitte

Nun aber hat das Magazin offenbar Tranquilizer geschluckt. Es scheint keine Eile geboten zu sein. Bis Sonntagabend hätten Menschen, die ihre Informationen rein aus dem Nachrichtenmagazin beziehen, gar nichts von der Geschichte mit dem Schließfach erfahren. Es schien, als habe man in der Redaktion beschlossen: Sollen die Leserinnen und Leser halt bei der Konkurrenz lesen! Im Grunde ist das die Umwertung aller Werte, die man aus dem Hochfrequenzjournalismus kennt.

Natürlich könnte man an dieser Stelle spekulieren: Denn dieser Johannes Kahrs aus der Hamburger SPD war lange Zeit Bundestagsabgeordneter für jenen Landstrich – Hamburg Mitte eben -, in dem auch das Magazin seine Redaktionsräume hat. Man kennt sich vermutlich.

Erst um 19:29 Uhr, mehr als einen Tag nachdem andere Medien lang und breit von dieser Geschichte berichteten, zog Spiegel Online nach – allerdings hinter der Bezahlschranke. »Bunkerte Johannes Kahrs 200.000 Euro im Bankschließfach?«, titelte man mit generöser Verzögerung – gerade so, als ob es da noch offene Fragen gäbe. Glaubt man den Berichterstattungen der Anderen, den offiziellen Stellungnahmen, so ist in der Angelegenheit eine Sache wohl recht sicher: Kahrs ist da nicht reingestolpert. Er steckt mittendrin. Aber der Spiegel suggerierte, dass es so schlimm vielleicht gar nicht ist. Einen Bundeskanzler aus dem Amt zu schreiben: Das könnte die schöne Zusammenarbeit zwischen Politik und Medienbetrieb wirklich nachhaltig stören – da hält man sich lieber zurück.

Schröderianer ohne Schröder

Wie? Das ist Querdenke? Vor drei Jahren konnte man mit der Kritik an dieser Schmuserei zwischen Medien und Politik noch wen erreichen. Als zum Beispiel die oberste Sozialdemokratin vor Faeser und Esken die große Bühne verließ, da bedankte sie sich bei den Presseleuten für die gute Zusammenarbeit – so als ob das normal ist, wenn sich diese beiden Pole ergänzen. Damals war man nicht gleich Verschwörungstheoretiker, wenn man auf die gegenseitige Zuneigung hinwies. Heute läuft man Gefahr in eine falsche Ecke gestellt zu werden, wenn man offen und ehrlich äußert, dass mit dem hiesigen Journalismus etwas nicht ganz stimmt.

Im Falle von Johannes Kahrs und dem Spiegel ist es besonders augenfällig. Kahrs ist Seeheimer – im Grunde so, wie es der Spiegel ist, seitdem Gerhard Schröder seine Partei in Einzelteile zerlegte. Wenn man in der Redaktion überhaupt sozialdemokratisch tickt, dann nur so wie jener rechte Kreis, der einst an der hessischen Bergstraße gegründet wurde. Da kommen Kahrs, Scholz und Spiegel zusammen: Als Schröderianer. Sie haben dabei geholfen, die Partei neu auszurichten, was da heißt: In Grund und Boden zu richten. Scholz ist ja, anders als die Legende dieser Tage erzählt, nicht der Retter der Sozis, sondern nur ein Zufälligkeitskanzler.

Die gemeinsame Haltung – das Stichwort unserer Zeit – verbindet Magazin und sozialdemokratische Cum-Ex-Genossen. Während sie dem Ahnherrn dieser »neuen Sozialdemokratie« den Kampf angesagt haben, ist es eben dieser alte Grande der Partei, der sie vereint: Bizarrer und wunderlicher können »Allianzen« gar nicht geschmiedet sein. Aber in so einer Zeitenwende ist vermutlich alles möglich. Sogar ein Leitmedium, das einfach mal schweigt, wo es ermitteln, hinterfragen, aufdecken müsste.

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11 Kommentare

  1. Wir leben in den Zeiten der Zombiepolitik: Wohin man sieht nur Untote, die den Schlag noch nicht gehört haben. CDU,SPD,FDP,Linke – alle tot. Die GRÜNEN zucken noch in Agonie. Nur die AfD lebt noch und deshalb wird sie gerade tot gemacht.

    1. Die AfD hat ihre Anpassungsfähigkeit in einer Regierungskoalition zum Bedauern vieler AfD-Politiker und damit auch ihre Fähigkeit umzufallen wie die Linke noch nicht in der Realität beweisen dürfen.

      Nur deshalb können Sie, liebe(r) Die Partei hat immer recht, dies noch behaupten.

  2. ‚2000‘ Klagen gegen die letzte Bundestagswahl, mit gravierenden Mängel und Ungereimtheiten. Steht Cumexolaf hier mit im Zusammenhang?
    Man könnte zig andere ehrenhaften Persönlichkeiten F ahre D och P orsche, oder uvdl,spahn,etcppff hinzufügen…

  3. Linke Politik im Zusammenhang mit der SPD ist seit vielen Jahren ein Widerspruch in sich!
    Vor drei Tagen hat ein Forist hier einen sehr langen aber expliziet richtigen und sehr lesenwerten Kommentar, ein anderer bezeichnete dies als Kolumne, geschrieben.
    oskarwagenrecht sagt:
    5. August 2022 um 20:24 Uhr
    https://overton-magazin.de/kommentar/politik-kommentar/gellendes-schweigen-spiegel/#comment-5001

    So fängt sein Beitrag an:
    „Ein großes Framing ist den Mainstream Medien gelungen, in den Köpfen der deutschen Bevölkerung zu installieren, die deutschen Parteien wären nach „LINKS“ gerutscht, vor allem die die CDU/ CSU und FDP wogegen die SPD und OlivGrünen auf ihren linken Positionen verharrten.“
    und so endet er:
    “ Eigentlich muss man bei genauer Analyse feststellen, dass OlivGrüne (siehe Juguslavien- & Ukrainekrieg), die SPD (Hartz4 und Riesterrente) und Die Linke (Anbiederung an SPD & OlvGrüne für eine Regierungsbeteidigung) viele linke Ideen verraten haben, eine bürgerliche Politik in der Zeit ihrer Regierungsbeteidigung betrieben, dass das politische Parteienspektrum sich nach „RECHTS“ verschoben hat und es z.Z. in Deutschland keine ernsthafte LINKE-Kraft mehr gibt.“

    Die SPD und seine Kreise sind genauso „bürgerlich“, so korrupt wie die CSU in besten Joseph Strauß Zeiten. Das diese Korruption gewaltige systemische Verschiebungen in der BRD zu Gunsten der Herrschaftoligarchie ist nicht mehr zu übersehen. Defraimt wird diese Korruption als Lobbyismus und ist damit bei uns absolut Gesellschaftsfähig.

    Man muss sich mal vorstellen, wie deutsche MSM berichten würde, wenn Putin sich von Gazprom, Rosneft und Co seine Gesetzestexte ließe schreiben. In der BRD kein Einzelfall.

  4. Denkt die SPD an ein Parteiordnungsverfahren gegen Kahrs? Im Gegensatz zu Schröder besteht hier zumindest der dringende Tatverdacht von Bestechlichkeit, Vorteilsannahme etc.. Schröder vertritt nur eine moralische Haltung – der hat nämlich im Gegensatz zur SPD die Moral, zu dem zu stehen, was war und zu seinen Freunden. Kahrs dagegen …. und was ist mit Scholz? Er kann sich nicht erinnern?
    Leider besteht im Falle eines Falles wenig Hoffnung, dass etwas Besseres nachkommt.

    1. Hi lieber Skeptiker!

      Mit Moral hat das wenig zu tun. Eher mit einer/ seiner ökonomischen Überzeugung, dass die deutsche Wirtschaft um international wettbewerbsfähig sein zu können, weiterhin den „Exportweltmeister“ stellen zu dürfen, auf billige Energie, Rohstoffe und Vorprodukte zu unschlagbaren logistischen Bedingungen und gleichbleibender Qualität angewiesen ist.

  5. Was kann man von einer weisungsgebundenen (!) Justiz erwarten?
    Antwort: Nichts!
    Dennoch bin ich natürlich sehr stolz, Teil der westlichen Wertegemeinschaft zu sein.
    Amen!

  6. Lieber Gauckler!

    Ich hoffe, Sie haben pünktlich ihre (Kirchen)Steuer überwiesen.

    Damit auch weiterhin genügend Geld im Klingelbeutel ist und somit auch in der für die Oligarchie glücklichen Zukunft das Frühstück von Kanzler(in) mit dem obersten Bundesverfassungsrichter standesgemäß üppig ausfallen kann.

  7. Guten Tag!
    In der letzten Wochenendausgabe des Hamburger Abendblatts (früher Springer, heute Funke-Mediengruppe) gab es einen ganzseitigen Artikel zu Max M. Warburg, einem jüdischen Hamburger Bankier und Großvater eines der jetzigen Teilhaber an der Warburg Bank.
    Im Mittelpunkt standen die unbestrittenen Verdienste von Max Warburg bei der Unterstützung der Emigration von Juden und seine eigene Emigration.
    Kann es sein, dass hier an dem einem Narrativ gestrickt wird, die Aufklärung des Tschentscher-Scholz-Steuerskandals sei antisemitisch?

    Mit freundlichem Gruß

    1. Hi tomtose,

      So ein Naarativ kann nicht schaden. Und der Cum-Ex-, der Cum-Cum-Ex- und die nächsten Skandale perlen doch an Politik und Wirtschaft ab, wie Regen am Teflon. Wann in der Bundesrepublik hat sowas in letzter Zeit zu irgend welchen Konsequenzen geführt?

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