Die Prophetie und die Romantik versus Ratio

Polnischer Soldat.
Bild: Pixabay License, FAL, bearbeitet

Der russische Krieg gegen die Ukraine ist nicht vom Himmel gefallen ‒ er ist prophezeit worden.

Aber nicht von den sogenannten Sehern, sondern von „Normalsterblichen“, die der osteuropäischen Kulturgeschichte kundig sind, und zwar als Spezialisten oder „Einheimische“, die den Stalinismus, das Tauwetter und den Kalten Krieg in Mittelosteuropa, ihrem Zuhause, erlebt haben.

Messianismus und Prophetie

Der Messianismus ist sehr verlockend, vor allem für politische, totalitär-autoritär ausgerichtete Systeme, aber nicht nur. Welcher Dichter, der sich für einen großen Dichter hält, „für einen sehr großen Dichter“, um im Gombrowicz-Jargon der Ironie an dieser Stelle zu huldigen, möchte oder wollte nicht ein Prophet sein? Ein Adam Mickiewicz, ein Friedrich Hölderlin oder ein William Blake sind solche prophetischen poetischen Geister, die die Menschheit auf der Reise zu den „Hesperiden“ sahen und damit zurück zu unserem Ursprung vor dem Sündenfall, zurück zum glücklichen und unvergänglichen Dasein, in dem der Dualismus der Materie endlich aufgehoben wird.

Und Hand aufs Herz: praktisch bei allen europäischen Dichtern seit Dante finden sich irgendwelche Spuren, die zur Prophetie und zum Daimonion führen ‒ zur Imagination und zu Visionen, die uns plötzlich in poetischer Erhebung und Erleuchtung ergreifen. Das ist die Stärke der Dichtung per se.

Alan Ginsbergs Poem „Howl“ hatte schon in den Fünfzigern des vergangenen Jahrhunderts herausgeschrien, praktisch im New-Romantic-Style, war doch Blakes Poesie ein Wegweiser für die Beatniks, was geschieht, wenn es zur Überbetonung des kalten Verstandes, der Ratio, kommt und zur Vernichtung des Sakralen ‒ in den amerikanischen kalten Beton- und Glaswüsten im Neonlicht, wo der Mensch selbst zum Konsumgut geworden ist (wie es Zygmunt Bauman treffend diagnostizierte).

Okay, man kann sich hinstellen und behaupten, dass man ein drittes Auge besitze und gelegentlich prophetische Visionen nicht von dieser Welt, aber über diese unsere irdische Welt erhalte. Sicherlich geschah es so oder ähnlich im Fall von Nostradamus, der zugleich hochgebildet und dichterisch talentiert gewesen war, oder bei dem bayerischen Brunnenbauer Alois Irlmaier (1894 – 1959), einem einfachen und gottesfürchtigen Mann, dessen Leben und Visionen ziemlich gut dokumentiert sind. Unter anderem sah er einen Überfall Russlands auf Westeuropa voraus, und nun spekulieren die (meist selbsternannten) Kenner der prophetischen Materie darüber, ob dieser Angriff schon in naher Zukunft bevorstehe ‒ und ob der russische Krieg gegen die Ukraine als eine Art Präludium betrachtet werden könne.

Die Esoteriker, die sich mit einem theosophischen Impetus dem Studium der Weltgeschichte widmen, lieben solche apokalyptischen Prophezeiungen, und die Skeptiker, die vor allem der Ratio folgen, gehen dann auf die Barrikaden ‒ grob gesagt. Aber beide Gruppen sind von einer holistischen Sicht, wie sie vielleicht Henri Bergson propagiert hatte, weit entfernt, und das Werk Leszek Kołakowskis, des intimen Kenners des Marxismus und seines messianischen Anspruchs, ist ihnen nicht geläufig.

Außerdem ist immer Vorsicht geboten, hat man sich auf eine Seite geschlagen und verteidigt sie vehement. Wir wissen wenig und die Welt ist größer, als wir sie uns vorstellen. Shakespeare hat recht, wenn er sich manchmal bei seiner Kritik unserer Eitelkeit und Engstirnigkeit weit aus dem Fenster lehnt: „Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, Horatio, von denen sich eure Schulweisheit nichts träumen lässt“, sagt sein Hamlet.

Komplexe und Prophetie

Wie dem auch sei ‒ es gibt natürlich andere „Propheten“, zum Glück: Einem Tony Judt, Timothy Snyder oder einer Anne Applebaum braucht man nichts vorzumachen, was die osteuropäische Kulturgeschichte angeht; sie haben alle über Ost- und Mittelosteuropa zahlreiche analytische Werke vorgelegt, die in Deutschland anständig rezipiert werden und sich gewisser Erfolge erfreuen, aber volle Anerkennung bekommen sie vor allem im englischsprachigen Raum und in Polen.

Natürlich, das hängt vor allem damit zusammen, dass die politisch-historischen Relationen zwischen Amerika, England, Polen und dem russischen Imperium ‒ denn darum geht es Putin: das Imperium weiterhin am Leben zu erhalten ‒ stets ganz andere waren und sind als die zwischen Deutschland und Russland, deren gemeinsame Geschichte selbstverständlich nicht nur im Kontext des 17. Septembers 1939 und des Molotow-Ribbentrop-Paktes oder der Nord-Stream-1-und-2-Zusammenarbeit kritisch angesehen werden soll.

Deutschlands Komplexe gegenüber Russland haben ihren Ursprung nicht nur im Zweiten Weltkrieg ‒ man spuckt nicht auf die Hand, aus der man isst, denn schließlich hat die Sowjetunion einen hohen Preis für die Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus bezahlt.

Aber die russische Idee des „Moskaus als Dritten Roms“ und damit eine auserwählte Nation zu sein, die unter den Christennationen führend und unfehlbar sein würde, faszinierte auch die Preußen ‒ wir sprechen hier von einem messianisch-nationalen Konzept des Pskower Mönchs Philotheus aus dem 16. Jahrhundert, dessen messianische Idee sich insbesondere im Zarenreich des 19. Jahrhunderts entfalten konnte.

Doch zurück zu den „Einheimischen“, den anderen Osteuropaspezialisten, die den Realsozialismus auf eigener Haut erlebt haben. Jedenfalls sind solche Mittelosteuropäer wie Milan Kundera, Vaclav Havel oder Gustaw Herling-Grudzinski „Propheten“ ihres Fachs, und die Warnung vor dem Paktieren mit der Sowjetunion und später mit Russland hat selbstverständlich keinen Ursprung in den Visionen „des dritten Auges“, den apokalyptischen Bildern einer Wahrsagerkugel oder in der poetisch-romantischen Affirmation eines Dichters mit messianischen Aspirationen.

Die Erfahrung des Realsozialismus und der Geschichte des 20. Jahrhunderts in Mittelosteuropa, wo man durch solche Länder wie Polen, die Ukraine oder Tschechien und die Slowakei immer nur durchmarschiert ist, um große europäische Kriege zu führen, ist eben eine andere als die eines Intellektuellen aus Frankfurt am Main, Paris oder Rom.

Zumindest waren Polen oder Tschechien immer Spielbälle zwischen den großen Imperien, und insbesondere Polen musste ständig darauf achten, was Preußen und Russland wieder einmal ausbrüten könnten. Polnische Komplexe sind genauso kompliziert wie die deutschen, aber sie haben ihren Ursprung in den drei Teilungen und auch in dem ständigen Scheitern im Kampf um die Souveränität zwischen 1795 und 1918. Hätten deutsche Demokraten 1848 in der Paulskirche Polen unterstützt ‒ wie 1832 beim Hambacher Fest ‒, wer weiß, wie sich dann das Gesicht Europas gewandelt hätte.

Fakten und Prophetie

Ich muss an dieser Stelle an einige allgemeinbekannte Fakten erinnern. Vaclav Havel warnte schon 2007*, Deutschland müsse bei dem Nord-Stream-Projekt aufpassen und dürfe das empfindliche Polen nicht übergehen, und Milan Kundera schrieb bereits 1983 seinen Essay „Un occident kidnappé oder die Tragödie Zentraleuropas“, in dem er Mittelosteuropas Komplexe und die komplizierte Beziehung des Westens zu seinen östlichen Brüdern und Schwestern mit einer Ernüchterung analysiert, die unter die Haut geht: Die stiefmütterliche Behandlung durch den Westen konnte ja den Mittelosteuropäern nicht gefallen, und gegen den Status Quo, eine Geisel der Sowjetunion zu sein, protestierten sie immer wieder seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ‒ in Poznań (1953), in Budapest (1956), in Prag (1968), in Warschau (1968) und in Gdynia und Danzig (1970, 1980).

Kunderas Essay sei „prophetisch“ in dem Sinne, so Philipp Ther in seinem Text „Milan Kundera und die Renaissance Zentraleuropas“ von 2007*, dass es für Mittelosteuropa langfristig nur eine einzige Lösung habe geben können: den Weg zur Demokratie, den „EU-Beitritt“, sprich ‒ die Befreiung aus den Klauen des sowjetischen Regimes. Kundera war, wie gesagt, nicht der Einzige, der Mittelosteuropa als ein in Jalta um des Weltfriedens willen geopfertes Lamm ansah.

Jerzy Giedroyc, der Herausgeber der Exilzeitschrift Kultura in Paris, und sein Freund Juliusz Mieroszewski, der Publizist aus London, hatten schon Mitte der Siebzigerjahre die „Doktrin“ erarbeitet, dass die Souveränität Polens von den politischen Geschehnissen in der Ukraine, Weißrussland und Litauen abhängig sei. Damals klang ihre These umstürzlerisch und apokalyptisch bzw. naiv, ging man doch davon aus, dass die Sowjetunion zu ihren Lebzeiten niemals zusammenbrechen würde. Man prophezeite im Allgemeinen dem sowjetischen Imperium und dem Ostblock noch ein langes Leben, in hundert Jahren würde man mit Bestimmtheit immer noch auf der Stelle treten und zum x-ten Mal den Sieg des Kommunismus verkünden. Aber heute sieht man, wie richtig die beiden Kultura-Publizisten mit ihrer Einschätzung lagen.

Erst die Aufnahme Polens, Tschechiens, der Slowakei und Ungarns in die Europäische Union half, den Mittelosteuropäern ihre Komplexe gegenüber dem Westen endlich langsam abzubauen. Sie wurden ja ein Teil der europäischen Familie nicht nur auf dem Papier, sondern auch als ernstzunehmende und gleichwertige Partner auf der parlamentarischen Ebene. Doch der Krieg Russlands gegen die Ukraine verschob noch einmal sämtliche Gleichgewichte: Polen als Nachbar der Ukraine steht nun im Mittelpunkt ‒ wie einst, nach 1945, Rammstein, Frankfurt am Main, Friedberg und Heidelberg für die Amerikaner. In der Region um Rzeszów herum im Südosten Polens sind nun amerikanische Militärstützpunkte entstanden, die das Gesicht dieser Gegend vollkommen verändern ‒ und auch die Geopolitik, was Paris-Berlin nachdenklich machen sollte. Giedryoc und Mieroszewski würden heute jedenfalls nicht aus dem Stauen kommen und zugleich mit einer für sie typischen Leichtigkeit und Ironie feststellen, dass Russland seine imperialen Träume niemals aufgeben werde, nach dem Motto: „… als hätten wir das nicht geahnt … Seht nur, es geht wieder los …“

Für manchen westlichen linken oder linksliberalen Intellektuellen sowie für viele Rechte mit einem Hang zum Postneofaschismus, der salonfähig werden will, sind solche Überlegungen, wie wir sie von Kundera, Havel und dem polnischen Kultura-Kreis in Paris kennen, fremd, und sie attestieren dem amerikanischen Imperialismus die Fähigkeit zum Gehen über Leichen, während Europa nur einen Weg wählen sollte: den des Dialogs mit Russland; das russische Imperium erscheint ihnen aus diversen Gründen friedvoller, und sie scheinen zu fühlen, was sie nicht verbalisieren können und was ihnen das Urteil trüben muss, na ja, und wir könnten ja unser schönes Leben in Frankfurt am Main und in Paris dann nicht mehr fortsetzen, sollten die Ukrainer so weiter machen und unsere EU-Regierungen auch ‒ dann könnte es auch uns an den Kragen gehen … und das wollen wir doch nicht … ‒ Die Geschichte darf sich jedoch nicht wiederholen, einen zweiten 1. September 1939 oder ein zweites Jalta darf es nicht mehr geben.

Man machts sich lächerlich und lässt sich belächeln, aber nicht, weil man etwas glaubt, sondern weiß

Aber das ist ein anderes Thema, das, worüber ich heute ein wenig schmunzeln kann, im westeuropäischen Feuilleton den ihm zustehenden Platz endlich bekommen hat, natürlich erst seit dem russischen Überfall auf die Ukraine (und natürlich im engeren Sinne seit der russischen Übernahme der Krim).

Dass ich allerdings in den letzten 20 Jahren immer wieder skeptisch und belehrend belächelt wurde, wenn ich Politiker oder Intellektuelle in Westeuropa und insbesondere in der BRD zum kritischeren Umgang mit dem Regime von Putin verführen wollte, ist eben auch dem Umstand geschuldet, wie tief die mittelosteuropäische Kulturgeschichte in mir verankert ist, bin ich doch schließlich in Polen geboren und habe dort die wichtigsten Jahre und die Jahre meines Debüts als Lyriker verbracht.

Man attestierte mir oft, „gestrig“ zu denken und unter Russophobie zu leiden, klischeehaft natürlich, müsse doch so gut wie jeder Pole in diese Schublade gesteckt werden, was mich besonders amüsierte, da doch die russische Philosophie und Literatur vor 1989 zu unserer intellektuellen Pflichtlektüre gehörte, auch dank des poetisch-essayistischen Austausches zwischen Czesław Miłosz und Joseph Brodsky (wobei Brodsky natürlich ein schwieriger Fall ist, nicht wegen seiner Eitelkeit, die er täglich gepflegt hatte ‒ vor allem gegenüber anderen Dichtern ‒, sondern wegen seiner widersprüchlichen Liebe zum russischen Imperium, obgleich er im amerikanischen Exil stets ironisch betont hatte, er habe das russische Imperium gegen das amerikanische getauscht; auch Brodskys beleidigendes Gedicht „Auf die Unabhängigkeit der Ukraine“, das er wohl 1992 verfasste, verrät viel über seine Megalomanie bezügliche der russischen Kultur und Dichtung, die doch größer und besser seien als die ukrainische – Puschkin versus  Taras Schewtschenko –, und zugleich beschimpft er in diesem provozierenden Gedicht die Ukrainer als „Dreckspack“, weil sie doch … so undankbar seien, wie die Polacken.)

Mein Roman „Drang nach Osten“ und Prophetie

Und neulich, als ich in dem schönen und im Vergleich zu meinem Frankfurt am Main wie ein Kurort erscheinenden Wittlich in der Eifel las, nämlich aus meinem 2019 bei weissbooks.w erschienenen Roman „Drang nach Osten“, wurde mir noch einmal bewusst, dass ich zwar einerseits Westeuropäer und Kosmopole durch und durch geworden bin, zugleich jedoch das Heu aus der ehemaligen Volksrepublik Polen und aus Mittelosteuropa in meinen Schuhen stecken habe, das mir wunderbar aus meinen Schuhen hervorragt, und das ist gut so. Ich bin eben auch ein Provinzler.

Die Leiterin der Stadtbibliothek in Wittlich machte eine kurze Einführung zu meinem Roman, der in unserer Zeit wie auch kurz nach 1945, nach dem unmittelbaren Ende des Zweiten Weltkriegs, in Deutschland und Polen (im ehemaligen Ostpreußen) spielt und vor allem die Geschichte meiner beiden Großmütter autofiktional erzählt. Ich musste über die Einführung stauen, Elke, die eloquente Leiterin der Stadtbibliothek, zitierte einige Sätze aus meinem Roman, die sich heute als „prophetisch“ erweisen. Aber ich wusste sofort ‒ mein drittes Auge ist geschlossen (zum Glück), ich bin kein Nostradamus-Fan (und auch nicht der Apokalypse und des Katastrophismus) und meine „Weitsicht“ verdanke ich lediglich der Tatsache, dass ich ein Kind des Kalten Krieges, Mittelosteuropas, Polens, Ermlands und Masurens und meiner Jugend am „Berghang“ bin, wo es nicht mehr weit zu der Grenze zu Russland ist, wobei Russland diese Grenze gerne verschoben hatte, wie es ihm gerade passte, wie so oft schon in seiner imperialen Geschichte. Die Angst aber, mit der ich im Sozialismus aufwuchs, hatte viele Antlitze, die man teilweise auch im Westen kannte: die Angst vor einem Atomkrieg war auch in meiner Generation ein tägliches Brot.

Doch es gab und gibt einen feinen Unterschied zwischen Polen und Westeuropa ‒ die Hauptfrage lautet(e) bei uns: Wann wird Russland in Polen wieder einmarschieren? Ein Pariser kennt solche Angst nicht, und ein Berliner denkt sofort an das Ende des Zweiten Weltkriegs. Polnische Sorgen sind diesbezüglich schon archaisch und gehören zum nationalen kollektiven Gedächtnis, auch wenn Polen manchmal selbst Kriege gegen Russland geführt hatte, so auch 1664 am Dnepr oder unter Piłsudski gegen den jungen Sowjetstaat (1919 – 1921). Aber Polen war nie ein Imperium, und für die Russen, die einen Michail Nikolajewitsch Murawjow-Wilenski, der sich bei der Niederschlagung der polnischen Aufstände von 1830/1831 als besonders brutal erwies, wie einen Nationalhelden verehren oder durch Dostojewskis messianischen Nationalismus beeinflusst wurden ‒ später dann durch die sowjetisch-imperiale Ideologie ‒, ist dieses Polen immer nur eine undankbare und rebellische Provinz gewesen. Im Sinne des Putinismus müsste man sagen: Das Land müsse entnazifiziert (ein schreckliches Wort in dem Zusammenhang) werden, was auch gelegentlich in der russischen Propaganda tatsächlich so behauptet wird.

Die Unbelehrbaren

Kein europäisches Land muss von Russland entnazifiziert werden und schon gar nicht die Ukraine: 2012 nahm ich am internationalen Lyrikfestival Meridian in Czernowitz, der Paul-Celan-Stadt, teil und die jungen Ukrainer, meist Studentinnen und Studenten, die die Gäste des Festivals betreuten, faszinierten mich ‒ sie unterschieden sich durch nichts von ihren jungen Brüdern und Schwestern im Westen, in Polen oder in Deutschland, wobei Polen für sie schon den Westen symbolisierte. Sie erzählten mir zwar von ihren prekären Lebensverhältnissen und den konservativen, postsowjetisch denkenden Großeltern oder Eltern, aber ihr kollektives Bewusstsein war ukrainisch ‒ und nicht russisch, selbst dann nicht russisch, wenn sie mehr Russisch sprachen als Ukrainisch.

Die unbelehrbaren, im Westen und in Ostdeutschland in der Öffentlichkeit wirkenden Kritiker, die den russischen Überfall auf die Ukraine für einen Ost-West-Konflikt und einen USA-NATO-Krieg gegen Putin im Verborgenen halten, sei gesagt, dass sie nicht begreifen, wie kostbar die Souveränität für die Ukrainer ist. Sie sind eine junge Nation, aber nach 1989 – 1991 gibt es kein Zurück mehr: Das Volk, das sich mit der schwierigen Vergangenheit der Sowjetzeit und den blutigen Konflikten mit Polen vor 1945 und heute mit der Korruption und nun mit der jetzigen Tragödie der russischen Aggression auseinandersetzen muss, will souverän sein, aus dem russisch-imperialen Gefängnis ausbrechen, wie Polen nach 1989 aus dem Jalta-Gefängnis. Nur darum geht es ‒ eben um die souveräne Entscheidung des ukrainischen Volkes. Denn nicht alles lässt sich ständig mit den Turbulenzen der Weltgeschichte, mit der Politik „des amerikanischen Imperialismus“, der Verschwörung oder den bösen Absichten eines Diktators und so weiter erklären. Es gibt noch das zerbrechliche und empfindliche Individuum, den Menschen also, und seine Affirmation der Freiheit und Schönheit, die er sich beide für sein souveränes Land wünscht.

Zitate aus „Drang nach Osten“

Zum Schluss möchte ich die Zitate aus der Stadtbibliothek in Wittlich dem Silva-rerum-Leser nicht vorenthalten, und, wie gesagt, sie stammen alle aus meinem Roman „Drang nach Osten“ und sind zum Glück nur „erleuchtend“ und nicht „prophetisch erleuchtet“.

Manche Zitate haben mit dem Thema der „Prophetie“ nichts am Hut, wurden aber für diesen Text so übernommen, wie sie die Moderatorin in der Wittlicher Stadtbibliothek vorgetragen hat.

„Die These, Russland werde eines Tages die Welt vor dem übertriebenen Materialismus und Rationalismus des Westens retten, indem es einen für alle europäischen Länder vernichtenden Krieg anfangen werde (…)“ (S.111)

„(…) aber meine beiden Freunde Bernhard und Joseph sind als Linke nicht davon zu überzeugen, dass die Russen die wahren Aggressoren in dem Ukrainekonflikt sind.“ (S. 110)

„(…) weil der als uralter Einheimischer glaubte, er sei im Prinzip ein Gutsbesitzer, er besitze sein Geburtsland, Deutschland gehöre nur ihm, und alle Zugereisten seien bloß Gäste, die man lediglich freundlich dulden müsse. (…) Denn dass Deutschland mittlerweile auch Arthur und anderen Zugereisten gehörte, begriff der Komponist nicht.“ (S. 132 – 133)

„Und was haben eigentlich die Deutschen im Osten gesucht, wenn sie es so schön am Main und an der Mosel hatten?“ (S. 172)

„Und war Deutschland wirklich der richtige Ort? Aber gab es überhaupt noch einen »richtigen« Ort in Europa, wo man sicher, wo man keinem sozialen Niedergang ausgeliefert war? Keinem Bürgerkrieg? Keinem Börsencrash? Keiner Umwelt- oder Naturkatastrophe? Keinem Terror? Überall standen die Zeichen auf Sturm, überall wartete man auf den Zusammenbruch der europäischen Währung, auf einen terroristischen Anschlag, auf eine Überschwemmung oder auf einen großen Krieg unter den Völkern. Und in jedem Land gab es Erleuchtete und Propheten, die den Teufel an die Wand malten und die dazu rieten, auszuwandern, alles Geld von der Bank abzuheben oder Wasserfilter und genügend Nahrungsvorräte zu besorgen. Die Polen fürchteten sich vor dem Einmarsch der Russen, und die Russen fürchteten sich vor der Expansion des Westens und der Europäischen Union – sogar mehr als vor China.“ (S. 186 – 187)

Hotel Lindley, Frankfurt am Main, 09.-12.03.2023

 

Anmerkungen

* dpa, Wolfgang Jung: „Wir wurden demoralisiert“, Interview mit Vaclav Havel,
https://www.mzv.cz/berlin/de/informationen_uber_tschechien/reden_interviews_texte/dpa_wir_wurden_demoralisiert.html?fbclid=IwAR1eYGA21SWTSyX7vxdzn83Ykoo95h4V-VGgOMXhhGk4WLB2d5gRHtCkma0

* Auf der Webseite: Themenportal Europäische Geschichte,
https://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1362

Bibliografie

Artur Becker, „Drang nach Osten“, Roman, weissbooks.w, Frankfurt am Main 2019.

Milan Kundera, „Un occident kidnappé oder die Tragödie Zentraleuropas“, 1983, Dt.: Kommune. Forum für Politik und Ökonomie 2 (1984), Nr. 7, S. 43-52. Übers. Aus dem Franz. von Cornelia Falter.

Leszek Kołakowski, „Der Mensch ohne Alternative. Von der Möglichkeit und Unmöglichkeit Marxist zu sein“, Essays, Piper, München 1984

Leszek Kołakowski, „Henri Bergson: ein Dichterphilosoph“, Essay, Piper, München 1985

Ähnliche Beiträge:

33 Kommentare

  1. Die tödlichste Seuche ist Nationalismus.
    Nicht alle sind davon befallen; die Yachten der ukrainischen Oligarchen ankern unweit der russischen.
    ——————–
    US-Generalleutnant a.D. Keith Kellogg, ehemaliger Berater von Vizepräsident Mike Pence, räumte vor dem Streitkräfteausschuss des Senats offen ein, dass die Ukraine nur benutzt werde, um Russland ohne Verluste für die USA zu besiegen und bezeichnete das als den Gipfel der Professionalität
    ———————

    Dass die EU am Nasenring geführt, zur größten und gefährlichsten Blockbildung eifrig selbstbeschädigend beigetragen hat, nebenbei erwähnt

    1. “Die tödlichste Seuche ist Nationalismus.”
      Nein, das sehe ich keinesfalls so.
      Allein ein Blick auf Deutschland, welches jeglichem Nationalismus abgeschworen und dafür nun die Schlachtente der EU geworden ist, zeigt, dass solch eine pauschale Aussage falsch ist.
      Nationalismus, gemäss Wiki und kurz gesagt, ist die Bevorzugung des eigenen Landes gegenüber anderen Ländern. Es gibt noch andere aber letztlich ähnliche Definitionen.
      Nun, wir erleben ja gerade am Niedergang der Länder in der EU, was das Fehlen bez. der Kampf gegen Natinalismus anrichtet: alle werden gleich, und zwar vor allem gleich ärmer.
      Auch erlaubt erst die Verteufelung des Nationalen die selbstzerstörerische und selbstmörderische Immigration bei gleichzeitiger Überdehnung der eigenen Substanz.
      Solchen platten Aussagen (“Die tödlichste Seuche ist Nationalismus.”) ist gemein, dass sie alles und jedes in der Welt in schwarz / weiss einteilen.
      Das Leben ist aber alles andere als dies, und die Erkenntnis dessen nennen wir üblicherweise Vernunft und Pragmatismus.
      Und daran fehlts bei solchen Aussagen, und zwar – ganz in deren Tradition des schwarz-weiss: und zwar fehlts da komplett.

      1. Das schlimmste sind Ideologien und Religionen, sie schalten das Denken aus. Wir haben Klimaideologie, Transatlantiszimus, gepaart mit Russophobie, Hypermoralität uvm.. Wer denkt schon noch wirklich nach und zieht daraus vernünftige Schlüsse? Nein, der der das tut, wird in die gegnerische Ecke gestellt. Der Menschheit ist nicht zu helfen, sie wird sich in ihrem ideologischen Gegeifer selbst vernichten.

      2. Ich würde sogar so weit gehen, dass zum Überleben einer Gesellschaft oder eines Staates Nationalbewusstsein unabdingbar ist. Selbst in hochgradig multikulturellen Staaten (USA!) ist das der Klebstoff, der das Ganze zusammenhält. Solange es nicht vergleichbar zugkräftige, auch emotional aufladbare Alternativen gibt – und die sehe ich nicht -, bleibt das der oft einzige gemeinsame Identifikationspunkt. Gemeinsame Genderregeln, vorgeschriebene Regenbogenarmbinden oder ausufernde Klimasorgen werden niemals die Kraft entfalten, ein Land und seine Bürger in einem Notfall z.B. zu vereinen ( sie spalten eher weiter).

      3. Es kommt entscheidend darauf an wie man das Wort Nationalismus versteht. Vom Ursprung her ist Nationalismus nicht unbedingt intolerant oder arrogant anderen Nationen gegenüber. Aber heutzutage wird mit der Verwendung dieses Wortes in der politischen Umgangssprache (lt. Wikipedia) meistens “eine Ideologie der nationalen Intoleranz und der Aggressivität” bezeichnet, was, wie ich finde, eindeutig abzulehnen ist.

        Aber auch der Nationalismus im positiven Sinne ist mir eigentlich zu abstrakt, weil die meisten Länder einfach zu groß sind, all dass es nicht abstrakt wäre.
        Insofern denke ich nicht, dass es Nationalismus überhaupt braucht. Denn Nationalismus einerseits und die Sorge um das Wohlergehen der eigenen Heimat andererseits sind zwei durchaus verschiedene Dinge.

  2. Manchmal wechselt man einfach nur die Abhängigkeiten. Von Russland zu den Superreichen der USA. Und man macht sich zum Spielball von deren Interessen, während der gewählte Präsident einem das Land unter dem Hintern verkauft. Warum hat sich die Ukraine nicht für die Neutralität entschieden? Waren es nicht doch die europäischen Fleischtöpfe, die gelockt haben?

  3. Mmmh …. grundlegend habe ich nie verstanden, warum sich die emanzipierenden Ostblockstaaten sofort ins nächste Imperiumsnest legten (sogar 3fach: USANATOEU)
    Die eine Abhängigkeit gg eine sofortige neue Abhängigkeit zu tauschen???
    Polen mit dem EU Beitrit mit fast gleichzeitigem USANATO Abwehrschirm incl der vielen joint venture mit USAnern ganz zu schweigen ….
    Und auch die Ukraine: ist die doch spätestens seit 2014 (ich denke aber viel früher) vollgestopft mit USA… (wäre mal spannend ein USA -RU Vergleich aufzubauen! )
    Die vielen Labore, Bidens Verstrickungen und die guteBoden-Kaufen Politik der USAnischen Oligarchen zeugen doch längst -nicht- unabhängig.

    Ukraine: offiziell war sie unabhängig, offiziell sollte sie -nach Putin- unabhängig bleiben … auch die jetzt umkämpften Gebiete …
    Also ist für mich der Vorwurf RU will das nicht schwer zu verdauen… also bitte mehr Fakten dazu!

    Als Deutsche frag ich mich allerdings schon lange ob es überhaupt noch souveräne, unabhängige Länder gibt!
    Deutschland ist es nicht!

    1. Ich hab das gut verstanden. Diese Länder sind vor dem immer noch starken Einfluss der UdSSR bzw dann Russlands geflohen und haben den Schutz der NATO regelrecht erbeten.

  4. Aber hallo?
    Das ist ja ein unterträgliches und zugleich lässliches Pamphlet. Realitätsbezug unter jeder Kanone – da hilft auch keine literarische Verbrämung.
    Damit tut sich dieses Magazin aber ganz und gar keinen gefallen.

  5. Vielleicht sollte der Autor seine eigenen Worte einmal ernst nehmen.
    »Man attestierte mir oft, „gestrig“ zu denken und unter Russophobie zu leiden,«, schreibt er zwar, wischt es aber sofort wieder vom Tisch. Es ist mit den Vergleichen und dem Hinken eben ein seltsames Ding. Man kann alles miteinander vergleichen, aber es liegt in der Verantwortung des Autoren, sicherzustellen, dass das Ergebnis auch Sinn ergibt und der Vergleich nicht deshalb angestellt wurde, weil das Ergebnis schon vorher feststand. Das Gleiche gilt für Zitate, die als absolute Wahrheit dargestellt werden und ihr prophetischer Charakter hervorgehoben wird. Was weiß der Autor oder wir darüber, wie viele Zitate herangezogen werden könnte, um zu beweisen, dass der Urheber falsch lag. Hat der Autor danach gesucht? Wohl kaum, denn sonst hätte er es uns mitgeteilt.
    Ich kann das Jahr 2029 kaum erwarten, denn dann wird der Kommunismus Osteuropas genauso lange tot sein, wie er gelebt hat. Schon heute kann man von fast zwei Generationen ausgehen, die ihn nicht erlebt haben. Es gibt Intellektuelle außerhalb der Blase Frankfurt am Main, Paris oder Rom, die eine aktuellere Sicht auf die EU im Osten Europas haben. Ivan Krastev aus Bulgarien ist einer von ihnen. Sein Buch “Das Licht, das erlosch” wäre ein Einstieg, um ein realeres Bild zu erhalten. Beim Perlentaucher findet man folgende Rezensionsnotiz:
    »Brillant findet Rezensent Adam Soboczynski dieses Buch der beiden Politikwissenschaftler Ivan Krastev und Stephen Holmes, die immer wieder ausgetretene Pfade verlassen, um den Niedergang des Liberalismus in Ost- oder Mitteleuropa zu erklären. Wie Soboczynski darstellt, erklären die beiden Autoren die Abkehr vom Liberalismus aus der enttäuschten Nachahmung heraus: Osteuropa wollte Demokratie, Reisefreiheit und Kapital, bekam aber dazu noch Säkularismus, Multikulti und die Homo-Ehe. Nicht ganz klar wird aus Soboczynskis Darstellung, wie viel den Autoren zufolge aufs Konto gesellschaftspsychologischer Prozesse geht (Scham, Minderwertigkeitsgefühle, Verlust) und wie viel auf politische Unterschiede, wenn sich etwa die Polen vom deutschen Konzept einer postnationalen Identität eindeutig abgrenzen. Auf jeden Fall verdankt der Rezensent dem Buch profunde Einblicke, neue Perspektive und “glänzende Analysen”.«
    Wer das Handeln Polens allein aus der dreimaligen Teilung des Landes heraus erklären will, muss schon sehr selektiv mit geschichtlichen Tatsachen umgehen. Man könnte ja auch die vergangene Größe der polnisch-litauischen Union heranziehen oder die übergroße Sehnsucht nach dem großen Bruder in Amerika bzw. Großbritannien. Der Katholizismus darf natürlich nicht unerwähnt bleiben. Insbesondere sollte sein Hass auf die östliche Orthodoxie einen Blick wert sein.

  6. Danke an den Autor für dieses Zeitdokument! Spätere Generationen, die dann in Asien leben, können dann nach vollziehen wie man einst im „alten Europa“, das so alt gar nicht ist, gedacht hat.
    Dankenswerterweise zeigt der Autor, daß Europäer die Welt nur aus ihrer engen europäischen Sicht und Kultur erklären können. Auch hierzulande wird diese Sichtweise mittlerweile als Eurozentrismus bezeichnet.
    Damit ist alles gesagt.
    Ich wünsche den Autor Mut zur Selbstreflektion, damit er seine Sichtweise erweitern kann, was ihn sicher hilft, die Welt besser zu verstehen.

  7. Vielen Dank für diesen, sich positiv aus der üblichen Blase abhebenden, Artikel.
    Da werden einige am liebsten wieder die Zensur einführen.

  8. Kriegsverherrlichung von einem Krypto-Bellizisten,

    die Ganzen Osteuropäischen Staaten haben sich vom Westen über den Tisch ziehen lassen und jetzt ist Russland dafür der größte Feind ihrer neuen Pseudo-Konflikte oder Pseudo-Freiheiten.

    Kleines Beispiel : wieviele Ostdeutsche Superreiche gibt’s denn nach Dreißig Jahren in der Bundesrepublik Deutschland ??

    Genau weniger als Null!

  9. Herrlich.

    George Friedman STRATFOR: “Wir benutzen die Ukraine fur unseren Kampf um die Hegemonie in Europa.”

    Artur Becker: “Nein, die Amerikaner irren. Das ist ein Kampf der ukrainischen Eloys gegen die russischen Morloks.”

  10. Soll die Publikation dieses Geseieres ein Akt der Ausgewogenheit sein? Ein Gemisch aus bildungsbürgerlich-enzyklopädierender Selbstdarstellung und existentialistischer Ressentiments gegen Russland. Man muss den Herrn Becker daran erinnern, dass die imperialistischen Eroberungsversuche historisch immer wieder vom Westen ausgingen. Und auch dieses Mal ist es nicht anders, trotz krampfhafter Versuche es anders darzustellen. Kissinger, Kennan und weitere sind Kronzeugen. Und auch das Endresultat wird nicht anders ausfallen.

      1. Vom ‘ewigen Drang (der Germanen) nach Westen’, der umgekehrt werden müsse, sprachen einst die Nazi-Ideologen. Aber das war nicht nur damals falsch, denn einen Ost-Zug der (germanischen) Goten gab’s durchaus, doch trafen sie dabei auf die westwärts ziehenden Hunnen, was die Ostgoten zu ihren verbündeten Vasallen machte, während die Westgoten gegen Rom zogen. Und für einen kleinen Teil endete die Ostreise auf der Krim.
        Dass das alles Quatsch ist, erkennt man schon an der Genetik. Die Vorfahren der meisten Europäer stammen aus Mittelasien, denn da kamen schon die Neandertaler her. Ein Teil der Alteuropäer (H.antecessor) mag aus N-Afrika gekommen sein, aber das waren nicht die, deren Gene bis heute erhalten blieben. Auch haben sich viele Völker, vor allem die der Steppe, in alle (zugänglichen) Richtungen ausgebreitet, indoeuropäische Steppennomaden bspw in mehreren Wellen nach Westen (Kontinentaleuropa), Osten (bis SW-Sibirien/NO-China), Norden (Baltikum/Skandinavien) und Süden (Anatolien/Syrien, Iran, N-Indien/Sri Lanka). Letztlich haben also nahezu alle Europäer Wurzeln im Osten. Selbst die Mongolen haben sich so ausgebreitet, stets bis ans (vermeintlich) letzte Meer (Batu Khan bis an die Adria, Kublai Khan ans Gelbe und die Ilkhane ans Arabische Meer. Und Russland hat sich ebenso ausgebreitet, wobei im Osten (Sibirien) viel Platz war. Im Westen traf es dann auf andere Ost- bzw Südausbreiter.
        Und ja, die nationalistischen Polen trauern wohl heute noch ihren alten einheimischen Wahlkönigen, speziell Johann III Sobieski als Retter Wiens vor den Türken, und dem Großlitauischen Reich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer nach, das aber hauptsächlich aus Weißrussen und Ukrainern bestand, woran auch das spätere Hinzukommen Polens nicht allzuviel geändert haben dürfte.
        Polen ist auch heute noch das Land mit dem höchsten %-Satz von Adligen weltweit. Zu deren, der Szlachta, Tradition gehört auch das sog. Sarmatenkleid, was darauf schließen lässt, dass einige polnisch-slawische Stämme einst auch zum (berittenen) Stammesbund der Sarmaten gehörten (wie die Jagzyten und germanischen Gepiden), der überwiegend aus iranischen Stämmen bestand und die Nachfolge der Skythen angetreten hatte. Diese hatten einst Mittelasien und die pontische Steppe beherrscht, die deshalb heute noch russisch als Skuf bezeichnet wird (th, gr theta, russ fita wurde bei russ Orthografiereform durch gleichgesprochenes ph=f ersetzt, y blieb in der altgr Bedeutung u – wie auch im Engl für gr y üblich – erhalten und nicht ionisch-attisch als ü gesprochen, weshalb es so auch mit gr Namen ins lat Alfabet übernommen wurde).
        Der Nationalismus ist wie die Nation eine Kategorie bürgerlichen Denkens, mit der nicht der eigentlichen Nation Zugehörige als Konkurrenten ausgegrenzt werden sollten. Welche das dann waren, hat das Bürgertum definiert. Genau deshalb fielen dann auch Nationalismus und Antisemitismus im 19.Jhdt oft zusammen. Im Feudalismus war es dem Adel noch egal, wer die Abgaben leistete und der Antisemitismus diente nur als religiös begründbarer Blitzableiter gelegentlichen Volkszorns und als Begründung der Beraubung reicher Juden., ähnlich wie es bei der späten staatlichen Hexenverfolgung (gerade auch in protestantischen Ländern) um die Beraubung reicher Witwen ging, nachdem sie zuvor ebenfalls als Blitzableiter gedient hatte.
        Ein derart definierter und (bürgerlich) begründeter Nationalismus, wovon man in den Staaten Mittel-O-Europas ausgehen kann, ist tatsächlich eine Geißel, letztlich auch die ideologische Begründung des Faschismus. Damit hat echter Patriotismus wenig zu tun, denn der hat das Ziel des Widerstands der Gesamtbevölkerung gegen einen äußeren Aggressor oder einen inneren Feind, meist in Form der eigenen Obrigkeit.

        1. Nun Sie wollen ja nur dem „Westen“ Eroberungen ankreiden. Und die genannten Beispiele zeigen, daß dies als allgemeine Aussage nicht stimmt. Übrigens wurde der amerikanische Kontinent vor 500 Jahren ja auch von Osten her erobert. Russland selber hatte auch zu dieser Zeit große Teile von Asien von Westen her erobert.

  11. “Die unbelehrbaren, im Westen und in Ostdeutschland in der Öffentlichkeit wirkenden Kritiker, die den russischen Überfall auf die Ukraine für einen Ost-West-Konflikt und einen USA-NATO-Krieg gegen Putin im Verborgenen halten, sei gesagt, dass sie nicht begreifen, wie kostbar die Souveränität für die Ukrainer ist.”

    Was darf ich mir hier unter der kostbaren Souveränität für die Ukrainer vorstellen? Soll ich an den Videoclip eines US-Vizepräsidenten denken, der seinen Landsleuten hohntriefend die Geschichte erzählte, wie er den ukrainischen Präsidenten Poroschenko zwang, einen ihm nicht genehmen Generalstaatsanwalt zu entlassen?
    Oder soll ich an das Interview mit Evo Morales denken, der nach seiner Rückkehr ins eigene Land einem Journalisten erzählt, wie ein südamerikanischer Präsident vom Statthalter der Imperiums über die Grenzen seiner möglichen Politik gebrieft wird? Es geht hier nicht um russische Umgangsformen!
    Oder geht es vielleicht um das Telefonat, in dem eine amerikanischen Strippenzieherin und ein amerikanischer Botschafter, vereinbaren, wer zukünftiger Übergangspräsident in Kiew werden soll?
    Oder soll ich an einen britischen Premierminister denken, der eiligst nach Kiew reist, um Waffenstillstandsverhandlungen, die vor einem Abschluss stehen, zu torpedieren?
    Oder soll ich an die Souveränität eines Soldaten der Territorialstreitkräfte denken, den man versprochen hat vor Ort zu bleiben und der nun plötzlich in der vordersten Linie an der Front sitzt?

    Welche Souveränität ist hier gemeint? Selenskij ist mit einem Friedensprogramm gewählt worden, hat diesen Plan aber nach Drohungen aufgegeben und fährt das nationalistische Programm. Ist Selenskij souverän?

    PS . In diesem Krieg geht es nicht um Putin, dies hat ein US-Botschafter allen, die lesen können, schon lange vorher klar gemacht.

  12. Es wäre schön, wenn die Polen mal erwachsen werden würden. Nein, stattdessen gefallen sie sich wie immer in der Rolle der heroischen Rebellen und hoffen mit der NATO im Rücken den Russen endlich eine in die Fresse zu hauen. Vielleicht meint es der Poppo ja gut mit ihnen und sie können Warschau erneut aufbauen. Dann wären sie endlich diesen grässlichen Kulturpalast los.

    1. Das hört sich bei Ihnen an, als hätte Polen seinen Nachbarn überfallen und erobert es mittels enormer militärischer Ressourcen und der A-Bombe als Absicherung.

  13. Interessanter Einblick in die Psyche der „Hyäne Europas“ (Zitat von Churchill), ein von Minderwertigkeitskomplexen und Geltungssucht getriebenes Völkchen. Für den Frieden in Europa wären wir wohl ohne sie besser dran.

  14. Nun Sie wollen ja nur dem “Westen” Eroberungen ankreiden. Und die genannten Beispiele zeigen, daß dies als allgemeine Aussage nicht stimmt. Übrigens wurde der amerikanische Kontinent vor 500 Jahren ja auch von Osten her erobert. Russland selber hatte auch zu dieser Zeit große Teile von Asien von Westen her erobert.

  15. Das arme Polen hat den Angriff Hitlers provoziert und England und Frankreich haben tags darauf den Weltkrieg begonnen. Zuvor hatten sie (die) Polen in ihren Umtrieben gegen die Deutschen bestärkt.
    Analog dazu die Ukraine. Das selbe Spiel.

  16. Das ist ein interessanter Artikel. Allerdings möchte ich anmerken, daß Tschechien bis 1918 Teil des “Heiligen Römischen Reichs” und danach Teil von Österreich-Ungarn war.

    Osteuropäer sehen daher Russland schon als “bedrohlich” an. Denn wie im Falle der im Artikel genannten “Panzerausflüge” hatte die UDSSR wohl was gegen allzu eigenständige Politik.

    1. “Denn wie im Falle der im Artikel genannten „Panzerausflüge“ hatte die UDSSR wohl was gegen allzu eigenständige Politik.”

      Und gleiches gilt noch in viel höherem Maße für das aktuelle Imperium, das um seinen Machterhalt kämpft.

  17. Das Buch „The Age of the Totborn“ von Gleb Bobrov wurde 2007 geschrieben. Es beschreibt den Bürgerkrieg in der Ukraine, gefolgt von der russischen Intervention. Diejenigen, die es sofort nach dem Schreiben gelesen haben, sagten, dass der Autor etwas Ernstes geraucht hat 🙂
    Niemand konnte das glauben.

  18. Die Ukraine ist eben nicht überall ukrainisch und außerdem “hätte” man sich um gute Nachbarschaft bemühen können, dazu zählt die NATO Mitgliedschaft nicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert