Deutschland und die Zivilisiertheit

Gazakrieg, 2024
United States Air Forces Central – Staff Sgt. Jasmonet Holmes, Public domain, via Wikimedia Commons

Einen Völkermord anzuklagen, das sei ein Bruch der Zivilisiertheit, liest man gar bei der FAZ – was dokumentiert: Die Zivilisiertheit in Deutschland hat es zunehmend schwerer.

Nicaraguas Eilantrag vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Deutschland ist gescheitert. Deutschland darf Israel zunächst mal weiterhin Waffen schicken – der IGH stellt aber klar, dass diese Waffen nicht verwendet werden dürfen, um Verbrechen zu begehen, die als Völkermord ausgelegt werden könnten. Indes hat der IGH auch den Antrag der Bundesrepublik abgewiesen, wonach Nicaraguas Antrag eingestellt werden sollte.

Nicaragua strebte ein umgehendes Embargo gegen Israel an, das während der Bearbeitung der Klage greifen sollte. Die Bundesrepublik konnte vor Gericht belegen, dass die Waffenlieferungen an Israel ohnehin stark zurückgegangen seien. Das Gericht kam damit wohl zu der Erkenntnis, dass ein Verbot ins Leere liefe. Das Verfahren laufe aber weiter – es kann allerdings Jahre in Anspruch nehmen.

Ist es zivilisierter zu schweigen?

Für die deutschen Meinungsmacher war die Abweisung des Eilantrages allerdings ein Grund der Freude. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Michael Roth (SPD), dass »das russland­freundliche autoritäre Regime in Nicaragua ist mit seinem Versuch vorerst gescheitert [sei], internationales Recht für seine verbrecherischen Zwecke zu instrumentalisieren«. Der Verweis auf Russland: Es ist nicht nur so sicher wie das Amen in der Kirche – es ist geradezu das Amen einer Religion, die sich Ukrainismus nennt.

Johann Wadephul (CDU) erklärt indes, dass gerade Waffenlieferungen nach Israel dazu führen würden, dass Deutschland Einfluss auf Israel ausüben könnte. Das wirft die Frage auf, ob es etwa nicht der Einflussnahme Deutschland geschuldet sein könnte, über 30.000 Menschen, die Mehrzahl darunter Zivilisten und Kinder, einem Vergeltungskreuzzug zu opfern. Grundsätzlich zeigt diese Logik aber das ganze Dilemma deutscher Rüstungsexportpolitik: Man redet sich als Waffenkrämerseele ein, man habe noch einen Einfluss auf jene, die Tötungsinstrumente erstehen. Vermutlich kennt man das von manchem Dealer mit Gewissensbissen – wenn er seine Konsumenten nicht im Blick behalte, so glaubt der, würde jener abstürzen und sein Schicksal wäre noch viel dramatischer.

Für Reinhard Müller von der FAZ sieht die Sache eindeutig aus: »Wer den Vorwurf des Völkermords oder der Beihilfe dazu leichtfertig oder nur selektiv erhebt, auch der vergeht sich am Konsens der zivilisierten Völker.« Zweierlei wird dabei augenfällig. Erstens: Es scheint argumentativ mittlerweile völlig lauter zu sein, den Vorwurf eines Menschheitsverbrechens als Bruch der Zivilisation einzuordnen. Weiß Müller, was er da eigentlich von sich gibt? Ist es beispielsweise unzivilisiert, eine Vergewaltigung zur Anzeige zu bringen, auch wenn der Beweis einer solchen Tat schwer vor Gericht erbringbar ist? Jedenfalls galt bis neulich noch: Den Rechtsweg suchen zu dürfen, auch in Fällen, die unter Umständen wenig Aussichten auf einen Richterspruch aufzeigen, sei ein eindeutiges Zeichen zivilisierten Gesellschaften und Gemeinwesen.

Unzivilisiertes Auftreten

Zweitens, und das teilt sich Müller mit all den anderen erfreuten Gemütern des Augenblickes und den Medienleuten: Um den Völkermord ging es bei der Abweisung des Eilantrages Nicaraguas nur bedingt. Das Verfahren bleibt ja offen – es wird nur nicht als dringlich betrachtet. Darüber kann man freilich streiten, aber grundsätzlich hat der IGH nicht behauptet, dass Deutschland sich nichts zu Schulden kommen lasse. Er wird prüfen, ob da ein Völkermord unterstützt wurde oder nicht. Die Frage ist nur: Wann wird das sein?

Vom abgewiesenen Antrag der Bundesrepublik, die wollte, dass das Verfahren eingestellt wird, liest man dann auch folgerichtig wenig bis gar nichts bei den Claqueuren dieser israelischen Spezialoperation. Das wäre auch eine Information, die den Rezipienten verwirren könnte – oder schlimmer: Recherchieren. Eine solche Information brächte das schöne Gleichgewicht in Schieflage, wonach das aktuelle Deutschland wirklich eine ziemlich dufte und moralisch einwandfreie Außenpolitik betreibe.

Man missinterpretiert das Urteil des IGH dreist und willentlich – und erklärt sich damit selbst: Kein Völkermord in Gaza! Dann lehnt man sich zurück und zeigt mit den Fingern auf jene, die Deutschlands Rolle in der Welt auch nur in Frage stellen wollen. Um das von Reinhard Müller aufgegriffene Bild von der Zivilisiertheit aufzugreifen: Selbige scheint in Deutschland immer mehr in die Ecke getrieben zu werden. Zur Verbrämung deutscher Außenpolitik sind auch Mittel recht, die man als unzivilisiert bezeichnen könnte: Man hebt sich selbst auf die Stufe höchster Zivilisiertheit und spricht den anderen, speziell wenn sie nicht aus dem westlichen Lager stammen, ebendiese ab. Diese unipolare Arroganz ist nichts anderes als unzivilisiertes Auftreten.

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20 Kommentare

  1. Na, wer ist denn dieser Tage NICHT stolz, sogenannt “zivilisiert” zu sein?
    Aus dem ohnehin sehr dünnen Mäntelchen der Zivilisation wird nun die Andeutung von Bekleidung mittels Körperbemalung.
    Das wärmt und schützt dann nur noch bedingt.

    Zivilisation entsteht aus der Einsicht ihrer Notwendigkeit als kollektive Grundeinstellung der Beteiligten. Offenbar ist diese Einsicht in den Führungsetagen des Westens inzwischen verloren gegangen, was sie dazu verdammt, Zustände zu erschaffen, die diese Einsicht über kurz oder lang wieder fördern werden….

    Die Inkonsistenz und Heuchelei der zitierten Aussagen ist atemberaubend. Entweder haben wir ein Intellekt-Problem, wenn diese erst gemeint sind, oder ein Moral-Problem falls wider besseres Wissen geäußert.
    Da wir die Lektion noch nicht gelernt haben, wird sie eben wiederholt, bis sie verstanden wurde.

    1. “Da wir die Lektion noch nicht gelernt haben, wird sie eben wiederholt, bis sie verstanden wurde.”
      Auch theoretischer Optimismus ändert nichts an einer praktischen Konstante!😉

      “Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.”
      Zumindest die Geschichte beweist, dass es eine fortwährende (Achtung: in diesem Kontext ist die Aussage korrekt) “menschengemachte” Kontinuität gibt.

      1. Wo ist dieser Satz her? Der ist doch dumm.
        Es kann immer etwas anderes passieren. Und wenn der Zufall ‘Mensch’ beteiligt ist, erst recht.

      2. Die Geschichte ist zu jung und zu klein, um nennenswerte Lernerfolge zu erwarten.
        Daher SCHEINT es, als mache die Menschheit immer dieselben Fehler. Dem ist aber gar nicht so: es sind immer neue Fehler mit ähnlichen Konsequenzen.
        Heute ist mit keiner früheren Epoche vergleichbar. Die Dynamik ist ganz anders, wie zu jeder Zeit. 😉
        Sich auf eine Ausweglosigkeit einzulassen, ist vielleicht tröstlich, aber es ist auch Rechtfertigung für Aufgeben und eine Art universelle Selbst Absolution, mit der jedes Handeln und auch Nicht-Handeln begründet werden kann.
        Wir könnten Weltfrieden haben. Wir müssten es nur tun. Sobald es uns einmal gelungen ist, werden wir uns fragen, wieso das so lange gedauert hat…

        1. “Wir könnten Weltfrieden haben. Wir müssten es nur tun. Sobald es uns einmal gelungen ist, werden wir uns fragen, wieso das so lange gedauert hat…”

          Was wäre das schön! Dieser Satz wird sich wohl nie an der Wriklichkeit reiben müssen. Leider.

          1. Nein, der Weltfrieden ist unausweichliche Folge der Evolution. Für uns ist allerdings relevant, ob wir Teil davon sind, oder nicht. Und natürlich was alles geschehen wird, bis es soweit ist. Und da sieht es leider so aus, als würden das, wenn überhaupt, nur wenige Exemplare der Spezies erreichen können.
            ;o(

            1. Der Weltfrieden ist erst in einer widerpruchsfreien (Welt)Gesellschaft möglich. Widersprüche z.B. Arm Reich oben unten aber auch wirtschaftlicher und kultureller Art führen immer wieder zu Kriegen. Anderereseits benötigt unser gegenwärtges Wirtschaftssystem geradezu die Widersprüche denn ohne sie könnte es nicht existieren.

              Es bleibt also viel zu tun, Unterschiede einzuebnen (ganz werden sie nie verschwinden und das ist auch gut so) und ein System zu entwickeln das eben nicht von billigen Rohstoffen aus dem Süden lebt damit der Norden günstig konsümieren kann. Es muß ein System entwickelt werden das alle inzwischen 9 Milliarden Menschen am technischen und zivilisatorischen Fortschritt teilhaben läßt. Nur dann – wenn es praktisch keine Gründe mehr gibt Krieg zu führen- besteht die Chance auf dauerhaften Weltfrieden.

              Eine Aufgabe nicht für die nächsten Jahrzehnte eher für die nächsten Jahrhunderte oder länger, je nachdem wann damit begonnen wird.

  2. Wer ständig vorbehaltlos und unreflektiert den Falschen aufs Untertänigste in den Arsch kriecht, muß sich den Vorwurf gefallen lassen über keinen inneren Wertekompass zu verfügen.

    1. http://www.philolex.de/wert.htm
      “In der Philosophie wird wie im Alltagsverständnis mehrheitlich unter Wert etwas verstanden, das akzeptiert, verinnerlicht, gewünscht, erstrebt, verehrt wird. Wert ist ein Orientierungsmaßstab, er ist Sinn und Norm für die Bevorzugung eines Dinges oder einer Handlung.”

      Diese Gestalten haben einen Wertekompass. Der zeigt nur in eine deutlich andere Richtung als meiner.

    1. Nur um ganz sicher zu gehen, das ich Sie da nicht falsch verstanden habe: Könnten Sie Ihre Aussagen ein wenig präzisieren?

  3. Die Deutsche Politik hilft Israel bei einem Völkermord, um den historischen Völkermord an Juden zu tilgen. Daneben helfen sie der rechtsnazionalen Regierung der Ukraine durch Waffenlieferungen möglichst viele Russen zu töten. Ein Volk von denen sie 22 Millionen als sogenannte Untermenschen ermordet haben. Fehlt nur noch ein erneuter deutscher Genocid-Versuch an den Romas durch die Ampel. Wie widerlich verrückt ist denn dass?

  4. Der deutsche zivilisierte ‘Konsens’, wird durch die liberale Formel : Geldverdienen auf Teufel komm raus.
    Israel wird mit Waffen beliefert, obwohl diese die neuen super high tech Drohnen an die Ukraine liefern, dabei könnten diese Drohnen doch zielsicher gegen Hamas eingesetzt werden. Tun sie aber nicht, sie ballern alles in Schutt und Asche.
    Diese Art der Zivilisation ist Profitnachhaltig.

  5. Es ist nur noch eine Frage von Tagen, dann laufen die restlichen Kunden der ÖffRechtl. auch noch zu Overton über…
    :-)))

    Wie können “Journalisten” nur so dämlich-verschwurbelt sein, wie zB ein “Reinhard Müller”?

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