Putin ist eigentlich Hitler und möchte bis nach Lissabon vordringen. Seine Geliebte bekommt währenddessen offenbar ein Kind von ihm. Und synchron dazu liest man, dass er sterbenskrank sei und unter Umständen nicht mehr viel Zeit habe. Selten war Dämonisierung so facettenreich und lächerlich zugleich.
Hitler war er irgendwie schon seit langer Zeit: Bereits 2014 gingen Leute auf die Straße, die wenig originell Plakate in die Luft reckten, auf denen vor Putler gewarnt wurde. Daneben ein Bild vom russischen Präsidenten mit aufgemaltem Fliegenschissbärtchen. Pussy Riot stellte damals klar, dass Putin wie Hitler sei – und 20 Minuten, ein Magazin aus der Schweiz, ging analytisch vor: »Putin wie Hitler? Was an dem Vergleich dran ist«. So hitleristisch wie in diesen Tagen jetzt, war dieser in Hitlerdingen so erprobte Präsident bislang allerdings auch noch nicht.
Überhaupt wurde mit Putin schon über Jahre allerlei in Verbindung gebracht: Nackte Oberkörper, Proll-Gehabe, Russendisko – dass der Mann nebenher noch das Amt des Präsidenten einer der größten Nationen der Welt bekleidete, konnte man darüber schon mal leicht vergessen.
Todkrank aber fruchtbar
Gleitet man unkontrolliert durchs Internet, kommen einem allerlei Hintergrundberichte zum russischen Präsidenten in die Quere. So erfährt man zum Beispiel, dass seine Geliebte erneut von ihm schwanger ist. Vor einigen Wochen war sie wohl von der Bildfläche verschwunden, nun sei sie schwanger zurück. Diese investigative Meisterleistung internationalen Journalismus‘ überrascht dann doch, denn zu lesen ist auch, dass es sich bei diesem Wladimir Wladimirowitsch Putin um einen Mann am Ende seiner Lebenszeit handelte. Er sei nämlich ernstlich erkrankt, müsse bald seine letzte Reise antreten. Man munkelt: Krebs. Der Boulevard verbindet damit freilich die Hoffnung, dass der Spuk dann vorbei sei, denn bekanntlich glaubt die breite Öffentlichkeit ja, es handle sich um einen personalisierten Krieg – um Putins Krieg, um den Namen nochmal zu nennen. Wenn der Mann erstmal ausfällt, fahren alle halbwegs unverrichteter Dinge wieder heim.
Die Inflation des Hitler-Vergleichs, mit der man Putin jetzt traktiert, passt dabei gar nicht so richtig ins Bild. Denn der beliebte Vergleichsdiktator von einst hat nie jemanden geschwängert, es gab sogar Gerüchte, dass er dazu nicht mal in der Lage gewesen wäre, als er noch gesund und kraftmeierisch genug war, um so eine Meisterleistung zu stemmen. Putin hingegen schafft das sogar während seiner Erkrankung. Eigentlich ist es daher völlig deplatziert, dass sich diese Vergleiche jetzt massiv häufen.
Und das tun sie wirklich. Etliche Journalisten gehen momentan eifrig der Frage nach, ob der Vergleich hinkt und falls ja, ob man nicht auch hinkend Geschichtsbelehrung praktizieren darf. Auch Politiker lassen sich dazu herab, den finalsten aller finalen Vergleiche anzubringen. Ohne Hitler, man kann das 77 Jahre nach dessen Freitod unumwunden sagen, geht in dieser Republik gar nichts mehr – im Ausland vergisst man ihn auch nicht so gut. Putin als Hitler einzuordnen: Gerade auch in Osteuropa vernimmt man solche Gegenüberstellungen häufig.
Grundsätzlich gilt aber, fast jeder war schon mal Hitler. Der zweite Bush wurde damals auch von deutschen Politikern mit dem Braunauer verglichen. Merkel galt den Griechen als Hitler. Schäuble rollte hintendrein: Ebenfalls als Hitler. Die Stilfigur des Dämonen aller Dämonen konnte also auch doppelt auftreten. Geschichtlich besonders interessant war die Stilisierung Obamas, als der Obamacare installieren wollte. Man sah das Konterfei des Afroamerikaners mit Hitlerbärtchen ausgestattet und neben den Seitenansichten von Marx, Engels und Lenin arrangiert. Von der Hitlerzeit bleibt uns vermutlich nicht viel – außer die Erkenntnis, dass es da einen sehr sehr bösen Mann gab, der mit dem Teufel in Konkurrenz stand. Dass man überhaupt von der Hitlerzeit spricht, wirft ein kritisches Licht auf das, was uns bleibt: Nämlich eine rein personalisierte Simplifizierung.
Alte Vorurteile, neu aufgebauscht
Die Person des Wladimir Putin wird in den Medien von jeher mit allerlei Attributen ausgestattet. Fleischhauer nannte ihn mal den »obersten Goldkettchenträger« und zielte auf das Klischeebild von dessen russischen Landsleuten ab, die wiederum der andere, der vermeintliche brave Waldimir, Kaminer mit Nachnamen, in seinem Buch »Russendisko« skizzierte. Kaminer hat übrigens jenen offenen Brief der Liberalen Moderne unterschrieben, der sich für Waffenlieferungen aussprach. Oben ohne ritt Putin einst durch die Taiga. Das Bild ging um die Welt und in die Köpfe. So ein Goldkettchen war tatsächlich zu sehen. Den Berichterstattern des Westens fiel nichts anderes ein, als den Präsidenten als Luden einzuordnen, als grobschlächtigen Haudrauf, wie er vor jeder Disko – ob mit oder ohne russische Gäste – stehen und prügeln könnte.
Putin wurde schon immer als Stereotyp vermittelt, als Allegorie auf einen Fiesling. Anstelle der wirklichen Person, präsentiert man ein virtuelles Wesen, das nur die Bühne der Öffentlichkeit betrat, wenn man es mit adäquaten Geschichten füttern konnte, die dem stereotypischen Charakter entsprachen. Diese Klischeekollagen leistet der westliche Qualitätsjournalismus mit einiger Meisterschaft. Er entwarf immer wieder mal Meldungen, die der Idee hinter dieser Rolle gerecht wurden. In denen ging es um Gier, Wahn, Großmannssucht und all so kleine Anekdötchen und Randnotizen zur Person, die ein pathologisches Bild von der geistigen Konstitution entwerfen sollten. Besonders um etwaige Machtversessenheit rankten sich die Geschichten. Als ob es so eine Versessenheit in den paradiesischen Sphären westlicher Demokratien gar nicht gäbe.
Seine Motive wurden stets als krank betrachtet, rein vom Ego geleitet, vom pathologischen Pathos getrieben. Anderes schien es für den Putin, den man uns illustrierte, gar nicht erst zu geben. Jede seiner Entscheidungen galt als durchtrieben, zeigte nur sein derangiertes Super-Ego. Kurz und gut, man übertrug von Anfang an dieser Person des Zeitgeschehens alle Eigenschaften, die einen Teufel so reiten. Und sie ritten ihn in dieser Darstellung niemals, weil er gute oder auch nur schlechte Gründe hatte, sondern schlicht weil er eben der Teufel war und rein aus dieser Tatsache heraus dem Bösen verpflichtet zu sein schien.
In der Berichterstattung zu Putin schwang leise mit, was man diesem großen Land im Osten Europas immer wieder unterstellte: Es sei die Steppe, wild und verwegen – und freilich nicht zivilisiert. Zwar liege es geographisch auf europäischen Boden, aber im Kern sei es asiatisch. Zaren waren auch dann despotisch, wenn sie beflügelt waren vom aufklärerischen Zelotismus; in jedem Regenten wirkte der Keim jenes Iwan, den sie den Schrecklichen nannten. Das Paranoide gilt seit allen Zeiten als besondere Eigenschaft jenes Lebensraumes, der im Osten liegt und den (hier denke man mal ausnahmsweise an den historischen Hitler zurück und nicht an die Vergleiche mit dieser Person) man ohne schlechtes Gewissen jenen rauben durfte, die als so verkorkst und zivilisationsfremd galten, dass man sie entmenschlichen durfte – ja musste.
Dämonisierung ist keine Politik – Dämonisierung ist auch kein Journalismus
Über den Umweg Hitlers wird Wladimir Putin als Stilfigur ausgebreitet. Was wissen wir eigentlich wirklich über diesen Mann? Das ist gar nicht mal so einfach zu sagen, denn das öffentliche Bild von ihm ist hierzulande seit so vielen Jahren überlagert von Klischees, Übertreibungen und Gruselwonnen, so dass es geradezu unmöglich geworden ist, zwischen der wirklichen Person und dem veröffentlichten Bild eines Dämonen zu unterscheiden. Putin wird als Abziehbild aufbereitet, als Folie für Assoziationen, die man gemeinhin Bösewichtern unterstellt, wie man sie sonst nur aus schlechtesten James-Bond-Produktionen kennt: Als blasse, motivlose, doch rastlose Bosheit – als jemand der böse ist, weil er böse ist, weil er böse ist, weil er böse ist.
Bereits 2014 schrieb Henry Kissinger, dass »die Dämonisierung Putins keine Politik, sondern Alibi für das Fehlen einer solchen« sei. Nun ist zugegebenermaßen Kissinger kein Ausbund an Menschenliebe und Fürsorge gewesen in seiner aktiven Zeit als Präsidentenflüsterer, ein nicht ganz zufriedenstellender Leumund also. Deshalb muss diese Einschätzung aber doch noch lange nicht falsch sein. Was hier allerdings für eine dämonisierende Politik gilt, muss gleichbedeutend für den Journalismus sein: Die Dämonisierung Putins ist kein Journalismus, sondern Alibi für das Fehlen eines solchen. Denn sie widerspricht der Chronistenpflicht, vermittelt uns und der Nachwelt ein rundum manipuliertes Bild von dieser Person des Zeitgeschehens.
Exakt dasselbe gilt übrigens für die Demokratie: Die Dämonisierung Putins ist keine wehrhafte Demokratie, sondern Alibi für das Fehlen einer solchen. Nehmen wir nur mal das Bild, mit dem dieser Artikel hier flankiert wurde: Vor einigen Wochen hätte es vermutlich Probleme gegeben, dieses Bild in den sozialen Netzwerken hochzuladen. Jetzt sieht es anders aus, Facebook hat seine Agenda verändert, die Beleidigung Putins ist nun explizit erlaubt. Man darf sogar Todeswünsche trommeln. Die sonst so strenge und prüde Etikette wurde gelockert, weil es hier um Freiheitswerte gegen einen Mann geht, der das absolut Böse, den Teufel darstellt.
Journalisten sind nicht unwesentlich an der Geschichtsschreibung beteiligt. Ihre Texte gelten als Quellen, Historiker rekurrieren ihre Artikel und Zeitdokumente. Dabei übernehmen sie gewollt oder ungewollt auch manche Position, die das Zeitgeschehen bestimmten. Geschichtsschreibung war immer auch ein Stück weit Erzählung, war allweil von Vorurteilen oder Gegenwartstendenzen geprägt. Aber zum blanken Märchen ist sie selten verkommen. Diese Gefahr besteht allerdings im Falle Putins: Seine Person könnte als Märchenerzählung überdauern.
Ich glaube, es spielen furchtbar viele Wünsche mit, einmal selbst ein großer Diktator zu sein, nach dessen Pfeife jeder tanzt. Das wird auf Putin projiziert und dafür muss er bestraft werden. Das ist fies, aber letztlich ist es doch eine Achtung.
Wenn man Putin zuschaut und seine Reden liest, weiß man eine ganze Menge über ihn. Man muss ihn nur neutral sehen.
Wer Andere mit Hitler vergleicht, will prinzipiell selbst ein Hitler sein.
Wie schon anderweitig geschrieben: Ich kann auch hitlern.
Adolena Schicklbock wollte Russland in einem schnellen Sanktionsfeldzug ruinieren, Plan Barbaverde. Und schon wieder nix.
Curtis Mayfield soll auf folgendes Paradoxon hingewiesen haben: Everybody wants to go to heaven, but no one wants to die!
Bei der Dämonisierung Putins haben wir es gleichfalls mit einem Paradoxon zu tun, denn während jeder, der die Politik Russland ernsthaft analysiert empört als “Putin-Versteher” gebrandmarkt wird, finden die gleichen Leute, die dies tun, nichts dabei, uns genau über Putins wirkliche Pläne, Absichten oder Hintergedanken aufzuklären, so als gehörten sie zum Küchenkabinett des russischen Präsidenten oder sässen bei ihm auf der Couch.
Danke, guter Artikel. Ich musste schmunzeln. “Vergleichsdiktator”, genial!
Ich danke!