Der große Satan

WTC, Feuerwehr
Autor/-in unbekanntUnknown author, Public domain, via Wikimedia Commons

Ein geistiger Kleingärtner als US-Präsident, dessen Frau es mit dem Außenminister treibt, der nicht zufällig Colin Powell ähnelt, ein Haufen selbstgerechter Politschranzen, durchgeknallter Geheimdienstleute, und ein tapferes Trio, das die Verschwörung aufdecken will: Jason, der Journalist, Manuel, der Freigeist, und eine geheimnisvolle Spionin – kurz: ein abgedrehtes Szenario voller spektakulärer Ereignisse und wild wuchernder Spekulationen über die Wahrheit hinter den Anschlägen des 11. September 2001.

Ein Buchauszug.

Manuel Goldstein erwachte, als kräftige Männerfäuste gegen die Tür seines Trailers trommelten. „Aufmachen!“, brüllte eine tiefe Stimme. „Wir wissen, dass du da bist!“ Es war kurz vor halb zwei Nachmittags und die Sonne schien durch eines der Fenster auf seine Hängematte. Die grau-schwarze Katze schlief, in seine Halsbeuge gerollt, die Füße gegen sein Schulterblatt gestemmt. Er öffnete die Augen. Gleichzeitig schrak die Katze auf. Wieder donnerte es an die Tür. Dieses Mal klang es nach einem metallenen Pistolenknauf, der auf Blech schlug. „Los, aufmachen!“

Manuel rollte sich von der Hängematte, zog ein T-Shirt über, das irgendwann einmal hellgrau gewesen sein musste, stieg in seine halb zerfetzten Jeans, schlurfte zur Tür und öffnete. Zwei Schränke von Männern standen davor. Tony und Tim aus Rachel, die Natchez-Brüder. „Wie lange schläfst du eigentlich?“, fragte Tony kopfschüttelnd. „Weißt du, wie viel Uhr es ist?“

Er steckte seine Knarre wieder ein. Außen an der Tür war eine Delle.

Er ließ die beiden herein. Der Versuch, sie loszuwerden, wäre ohnehin aussichtslos. „Ich habe euch doch schon mindestens fünfmal gesagt, dass ich Astronom bin. Ich beobachte den Sternenhimmel. Ich arbeite nachts und schlafe tagsüber“, sagte er leicht gereizt. Er folgte den Brüdern in die Küche und setzte einen Kaffee auf. Den ersten des Tages.

„Ja, ja“, sagte Tim. „Hast du ein Bier? Oder besser gleich zwei?“

Angesichts der spärlichen Auswahl, die sich in und um Rachel bot, waren die Natchez-Brüder noch am ehesten das, was Manuel als Freunde bezeichnen würde. Tony behauptete, früher in der Area 51 beschäftigt gewesen zu sein, aber die Beweislage war dünn. Dass Tim jemals richtig gearbeitet hatte, war noch unwahrscheinlicher. Die beiden betrieben einen Laden für Touristenbedarf am „Extraterrestrial Highway“. Bier, Cola, Chips, Zigaretten, Feuerzeuge, die aussahen wie UFOs, Kugelschreiber, geformt wie kleine grüne Männchen, Schokoriegel, Vitamintabletten, Nachtsicht-Ferngläser, Kompasse, Hakenkrallen, Nylonseile, Gasmasken, Zielfernrohre, Turnschuhe, Handschellen, Handtücher, Desinfektionspillen, garantiert echte Steine vom Mond, Wünschelruten, schwarze Sonnenbrillen, täuschend echte FBI-Ausweise, Landkarten, auf denen die Area 51 im Detail verzeichnet war und die nicht einmal das Pentagon kannte, Landkarten vom Mars, Landkarten von Alpha Centauri, Pillen gegen Schwerelosigkeit, Pillen, die einem ermöglichten, in einer Methan-Atmosphäre zu überleben, T-Shirts mit dem Aufdruck. „I Survived An Abduction by Aliens“ und „Kill The Feds“, Silberkettchen mit Sternendesign aus garantiert echtem Silber und garantiert echtem Sternenstaub, Schneekugeln mit kleinen grünen Männchen im Mondsteingestöber und raubkopierte Star Trek-Folgen auf Video, DVD und Laserdisc. Nicht, dass die Natchez-Brüder an Aliens geglaubt hätten. Aber der Laden lief gut.

„Was sagst du zu dem Video, Manuel?“ fragte Tony und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Manuel schielte an ihm vorbei. Drei Biere waren noch im Kühlschrank und es war jetzt viertel vor zwei. Das hieß, um halb drei brauchte er neues Bier.

„Video?“, fragte er und schenkte sich eine Tasse Kaffee ein. So schwarz wie die Seele von Lucius Prince, was er aber natürlich nicht wusste. Noch nicht.

„Das Video von diesem arabischen Terroristen“, half Tim nach und schnappte sich selbst ebenfalls ein Bier. „Das läuft gerade im Fernsehen in Endlosschleife.“

Manuel schlurfte zur anderen Seite des Trailers, wobei er fast über die Katze stolperte, die, ein flatterndes Rotkehlchen im Maul, unter den Schreibtisch kroch. Er schaltete CNN ein. Auf dem Bildschirm erschien ein bärtiger, grauhaariger Mann mit eindrucksvollen, dunklen Augen und einem schmutzig-weißen Kaftan. Der Mann saß im Schneidersitz inmitten einer kargen, grauen Höhlenlandschaft. Im Hintergrund waren sehr hohe Berge mit weißen Gletschern zu sehen. Eine Ziege meckerte. Der Mann sprach Arabisch. Dazu liefen Untertitel auf Englisch. Denen zufolge, thematisierte der Mann die Attacke auf das World Trade Center, die er grundsätzlich richtig zu finden schien, denn er beklagte die andauernde Aggression des „Großen Satans“ USA gegen die islamische Welt. Manuel staunte.

„Das ist Osama Bin Laden“, erläuterte Tony. „Der soll hinter dem Anschlag stecken.“

Manuel verstand kein Arabisch, hatte aber das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Die Augen dieses Mannes und die martialischen Untertitel passten einfach nicht zusammen. Und die Höhlenlandschaft sah aus wie aus Pappmaché.

„Irgendwie ist das verrückt, oder?“, sagte Tim.

Tony grunzte. „Ich wette, dass in Wirklichkeit die Juden in Washington dahinter stecken.“ Er öffnete das nächste Bier.

„Genau“, sagte Tim. „Die kontrollieren doch sowieso die Regierung.“

Es war nur eine Frage der Zeit, bis einer der beiden herausfinden würde, dass er Goldstein hieß, dachte Manuel. Allerdings war das der wohl einzige Nervenkitzel, den er in Rachel, Nevada, erwarten konnte. Jedenfalls bis vor kurzem. „Glaubt ihr etwa nicht, dass das Araber waren?“, fragte er. „Wisst ihr mehr darüber?“

Tony zuckte mit den Schultern. „Wir wissen gar nichts, Mann. Wir haben doch noch nicht mal die High School zu Ende gemacht. Du bist doch hier der Professor.“

Als die beiden gegangen waren, warf er seinen Computer an. Mehr als dreißig Mails waren seit gestern Nacht eingetrudelt, darunter eine von JEdgarH, eine von Kahless75 und sieben von Roswell666. Dieser Niitaka hatte sich leider nicht mehr gemeldet. Manuel war es allerdings gelungen, herauszufinden, wo dessen IP-Server sich befand: In Manila, was bedeutete, dass Niitaka Anonymität sehr, sehr wichtig war.

Roswell666 wusste auch nicht wesentlich mehr als Manuel, was ihn nicht davon abhielt, eine vermeintlich schlüssige Theorie zu entwerfen. Er wies Manuel darauf hin, dass die Quersumme aus den Flugnummern der Maschinen eine Jahreszahl ergab, für die ein französischer Wahrsager namens Nosferatu – oder war es Van Nostrum? – um 1650 den Weltuntergang vorausgesagt hatte.

Die Mail von Kahless75 war substantieller. „Hi, LeiaOrgia“, schrieb er. „Zwischen dem 26. August und dem 11. September hat eine kleine Gruppe von Investoren an verschiedenen Börsen einige Millionen Aktien von 38 Firmen abgestoßen, und zwar allesamt solche, die nach dem Anschlag immens an Wert verloren haben – Fluggesellschaften, Reiseunternehmen oder Banken, die im World Trade Center ihren Sitz hatten. Die müssen Zillionen von Dollars verdient haben. Das FBI ermittelt zwar, aber die wissen offenbar nicht, wer dahinter steckt. Ist Top Secret.“

In den Wochen seit dem 11. September war Manuel von Verschwörungstheorien aller Art überschwemmt worden. Diesen Theorien zufolge steckte hinter dem Anschlag die CIA, das Pentagon, der Mossad, Außerirdische, oder eine weltumspannende Verschwörung, die sowohl die CIA, das Pentagon, den Mossad, das FBI, die NYPD, NORAD; das State Department, Männer mit schwarzen Hubschraubern und ultrageheimen Auftraggebern, die Exilkubaner, die Freimaurer und den Bruder des Präsidenten umfasste, der angeblich selbst ein Außerirdischer war.

Dass der Bruder des Präsidenten in Wirklichkeit ein Außerirdischer war, schien ihm noch das wahrscheinlichste zu sein. Doch obwohl Manuel alles abstrus fand, spürte er, wie ihn das Rätsel um den 11. September auf eine unheimliche Weise anzog.

Natürlich war der Anschlag auf das World Trade Center zunächst ein Schock für ihn gewesen. Aber je mehr er darüber las – und er las alles, was er in die Finger bekommen konnte – desto mehr Details fielen ihm auf, die ihn misstrauisch machten. Wie etwa die Air Force One. Er war sich hundertprozentig sicher, dass die Präsidentenmaschine am Tag des Anschlags in der Area 51 gelandet war. Er hatte das Foto, das seine Digitalkamera gemacht hatte, gleich an Kahless75 geschickt, der seine Theorie bestätigt hatte. Kahless75 hatte ihm sogar noch ein paar Details über die neuartigen Höhenleitwerke der Air Force One geliefert. Die seien modifiziert worden, um die Maschine im Notfall per Fernsteuerung auf den Boden holen zu können. Er hatte die Maschine allerdings zu einem Zeitpunkt gesehen, als der Präsident, CNN zufolge, irgendwo zwischen Florida und Nebraska unterwegs gewesen war. Allerdings gab es CNN zufolge auch keine Area 51. Oder NORAD – wie konnte das oberste Kommando für Luftabwehr nach dem ersten Einschlag in das World Trade Center mehr als eine Stunde lang nichts tun? Und verfügte das Pentagon wirklich über keinerlei Flugabwehrraketen? Und warum wussten die so schnell, wer hinter dem Anschlag steckte und hatten sogar schon die Namen der Hintermänner? Und am Tag zuvor wussten die noch nichts? Ganz und gar nichts?

Er öffnete die E-Mail von JEdgarH. „Hi, LeiaOrgia“, schrieb er. „Du hast doch das Bin Laden-Video gesehen, oder? Hier ist ein interessantes Detail: Osama Bin Laden arbeitete in den achtziger Jahren für die CIA.– Genau zu der Zeit, als der Vater unseres Präsidenten Direktor der CIA war. Gleichzeitig war Bin Laden Agent für den ISI, den pakistanischen Geheimdienst. Der Attentäter, der das erste Flugzeug ins World Trade Center gesteuert hat, wurde ebenfalls vom ISI bezahlt. Und es gibt eine Untergruppe des ISI – die Ummah Tameer-e-Nau –, die Al-Quaida gerne mit Atomwaffen versorgen würde. Die Spur führt also nach Pakistan.“

Die Spur führt also nach Pakistan? War JEdgarH nicht ganz dicht? Er konnte wohl kaum nach Pakistan fahren, um dort Ermittlungen aufzunehmen. Außerdem war er sich gar nicht sicher, ob die Spur tatsächlich nach Pakistan führte. „Ich glaube“, schrieb Manuel, „die Spur führt auf die Area 51. Ich weiß jedenfalls, dass die Air Force hier in den letzten Wochen Testmanöver mit Abfangjägern geflogen ist. Die gleichen Jäger, die sich am 11. September nicht haben blicken lassen.“

 

Jason Gilligan starrte auf das ausgefranste Blatt Papier wie Kenneth Starr auf Monica Lewinskys Brüste. Das war er. Der Beweis. Schwarz auf weiß. Frisch ausgegraben im Handelsregister von Dallas, 1977. Dem gleichen Jahr übrigens, in dem die gleichnamige Fernsehserie anlief, aber das war wohl eher Zufall. Obwohl, um Öl ging es hier auch. Um Öl und um Grundbesitz. Ein freier Journalist aus Texas hatte es ihm zugefaxt. Der konnte wohl den Präsidenten nicht leiden.

Der Präsident war damals noch kein peinlicher, erfolgloser Präsident gewesen, sondern ein peinlicher, erfolgloser Geschäftsmann. Bis zu jenem Tag im Jahr 1977, an dem ein Multimillionär aus Saudi-Arabien, der weitläufig mit dem Vater des Präsidenten bekannt war – und dessen Familie die größte Hoch- und Tiefbaufirma im Mittleren Osten gehörte – ein paar Millionen Dollar springen ließ. Der saudische Multimillionär steckte seine Millionen in die bis dato vollkommen erfolglose Ölfirma des späteren Präsidenten, was nicht nur den Grundstein zu dessen sagenhaftem Reichtum, sondern auch der Beginn einer freundschaftlichen Geschäftsbeziehung war, die offenbar noch immer anhielt.

Dies allein wäre noch nicht weiter bemerkenswert gewesen. Was daraus eine Story machte, war der Name des Millionärs: Abdul Al Bandar. Der Cousin von Mohammed Al-Bandar und der Onkel zweiten Grades von Osama Bin Laden, dem meistgesuchten Terroristen in der Geschichte der USA. Aus dieser Geschäftsbeziehung war ein Konzern erwachsen, der alles unter einem Dach vereinte. Er förderte Öl, spürte Gasvorkommen auf, verarbeitete Rohöl zu Benzin oder Kunststoff, produzierte Strom, baute Brücken, Flughäfen und Pipelines und entwickelte Waffen. Die neueste Entwicklung war eine plutoniumbetriebene, hypersonare Superdrohne, die die Fernsteuerungstechnologie des Predator IV mit den Tarnfähigkeiten des Golfbombers verband, und die auf einem Radarschirm jedes beliebige Flugobjekt simulieren konnte. Sie konnte sogar selbsttätig Ziele anhand ihres genetischen Codes ermitteln und eliminieren. Allein die Entwicklung des Prototypen kostete bereits elf Milliarden Dollar. Der Konzern versuchte gerade, die neue Wunderwaffe an das Pentagon zu verkaufen. Jetzt, nach dem Anschlag auf das World Trade Center, könne die U.S. Army sie doch wirklich gut gebrauchen.

Und das war noch längst nicht alles. Der Präsident und Abdul Al-Bandar verbrachten ihre Sommer regelmäßig gemeinsam auf der Ranch des Präsidenten in der Nähe von Dallas. Beim Barbecue und Pferderennen.

Es war eine wunderbare Geschichte, aber Gilligan fürchtete, dass der Chefredakteur sie abblocken und ihm eine belanglose Story aufs Auge drücken würde.

Jason seufzte. Dann packte er seine Unterlagen zusammen und brach auf. Er war schon fast an der Tür, als Elisabeth den Kopf aus der Küche steckte.

Du gehst aber heute spät in die Redaktion, Schatz“, sagte sie. „Gerade jetzt solltest du dich wirklich mehr bemühen. Du weißt doch, dass die Büroleiterstelle in Los Angeles nächstes Jahr frei wird. Und du willst doch einen guten Eindruck machen, oder?“

Als Jason im Büro ankam, lag auf seinem Schreibtisch die aktuelle Ausgabe des Wall Street Journal, auf deren Titelseite ein Artikel gelb angestrichen war. Kein gutes Zeichen. Außerdem hatte der Chefredakteur angerufen, wie das rot blinkende Lämpchen an seiner Telefonanlage verriet. Ein geradezu böses Omen. Er griff nach dem Journal und las die angestrichene Geschichte:

„Mohammed Al-Bandar, Bin Laden und die Familie des Präsidenten in gemeinsamer Öl- und Baufirma / Superdrohne für Kabul soll elf Milliarden kosten“

Der Tag war gelaufen. D konnte er sich auch gleich beim Chefredakteur melden. Der war in keiner guten Stimmung. „Jason, Jason“, sagte er, und der Gilligan konnte sein Kopfschütteln durch das Telefon förmlich hören. „Jason, warum haben wir die Geschichte mit den Bin Ladens und der Superdrohne nicht? Ich dachte, Sie seien Spezialist für Landesverteidigung? Warum muss ich die bei der Konkurrenz lesen?“

Weil du Depp lieber ein Lobhudel-Portrait über Benito Giovanni lesen wolltest, dachte Jason, schluckte es aber lieber herunter. „Wir hatten…. äh, ich hatte… gleich nach dem 11. September… ich hatte doch vorgeschlagen, und Sie hatten, äh, Sie hatten gesagt, wegen Patriotismus und so…“

„Jason, das ist genau das, was ich meine“, sagte der Chefredakteur. „Wir müssen ganz vorne dabei sein mit unseren Geschichten. Die Ersten. Kritisch und unerschrocken. Sonst lesen uns die jungen Leute nicht. Sie sind doch noch am Puls der Zeit, oder?“

„Ja äh, ja… natürlich“. Innerlich fluchte Jason. Dieser Vollidiot. „Wissen Sie, ich bin an der Geschichte schon ganz nah dran. Heute Nachmittag habe ich einen Termin mit einem Informanten aus dem Sicherheitsapparat, der uns garantiert mehr sagen kann als das Wall Street Journal weiß.“

Er legte auf. Das war knapp. Aber er hatte noch ein As im Ärmel. Vor ein paar Jahren hatte er schon einmal versucht, eine Story über Waffengeschäfte zu schreiben. Zu der Zeit, als Bin Laden verdächtigt wurde, hinter mehreren Anschlägen auf US-Botschaften zu stecken. Daher kannte er einen FBI-Mann, der in Saudi-Arabien ermittelt hatte und mehr wusste, als jeder andere. Der hatte ihm schon damals angeboten, ihn mit Material zu versorgen. Er hätte das Angebot auch angenommen, wenn er nicht zu beschäftigt gewesen wäre mit Monica Lewinskys Zigarre.

O’Hara hieß der Mann. Und er war nicht mehr beim FBI. Da hatte es kürzlich, nach irgendwelchen Ermittlungen in Saudi-Arabien, Ärger gegeben, was wiederum für Ärger in Washington gesorgt hatte. Aber Gilligan hatte noch O’Haras Privatnummer. Genauer gesagt die Nummer von einer seiner Freundinnen in New York.

Er ließ es sechs Mal klingeln. Als er schon hatte auflegen wollen, hob jemand ab. „Hallo“, sagte eine weibliche Stimme.

„Jason Gilligan“, sagte er. „Kann ich bitte Ihren … kann ich Mr. O’Hara sprechen?“

„Wie bitte?“, flüsterte die Stimme. Sie klang nach zu viel Whiskey und Zigaretten. Und zu vielen Tränen. „Das ist kein guter Scherz.“

Gilligan begann zu schwitzen. „Es tut mir wirklich sehr leid, dass ich Sie störe“, antwortete er. „Es ist beruflich. Wenn er nicht mehr bei Ihnen wohnt, könnten Sie mir vielleicht seine neue Nummer geben?“

Einige Sekunden herrschte Schweigen. Dann ein Räuspern. „Er ist tot“, sagte die Stimme. „Er ist im World Trade Center umgekommen. Wussten Sie das nicht?”

 

„Eigentlich gibt es nur zwei Sorten von Menschen“, erklärte Harry Burton. „Menschen, die Geld anziehen, und Menschen, die Geld abstoßen.“ Der Vizepräsident verzichtete darauf, auszuführen, zu welcher Sorte er gehörte. Das verstand sich von selbst. „Mehr muss niemand über die Welt wissen.“

„Yes, Sir“, sagte Luella und strich ihre glänzenden schwarzen Haare zurück. Der feiste, kahle Burton war einer ihrer anspruchsvolleren Kunden. Am Anfang hatte sie es mit den üblichen Methoden versucht. Ätherische Öle. Champagner, Massagen. Sogar Body-to-Body-Massagen in der ovalen Badewanne. Nichts. Er kam einfach nicht zum Höhepunkt.

„Drillson zum Beispiel  lernt es nie“, sagte Burton. Er zog die Augen zu Schlitzen zusammen, und höhnte: „Zack, zack! Rührt euch. Jawoll! Achtung! Bin ich denn hier nur von Weicheiern umgeben? Das kann ja nicht klappen. Los, alles hört auf mein Kommando!“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber er ist ein nützlicher Idiot. Man braucht Leute wie ihn, um Krieg zu führen.“

„No, Sir“, sagte Luella. Sie hatte es auch auf die harte Tour versucht. Da standen viele drauf. Vor allem solche, die in höheren Positionen für die Regierung arbeiteten. Hand- und Fußfesseln aus schwarzem Leder, Seidenpeitschen und eine etwas solidere Peitsche aus geflochtenem Aluminium (der neueste Schrei aus Amsterdam). Handschellen aus Plastik, aus Silber und aus Titan. Ein Dildo. Ein Polizeiknüppel, in Schweineblut getaucht, mit dem sie auf seine gefesselten Beine schlug. Dann zog sie ihm eine Plastiktüte über den Kopf und tauchte seinen Kopf für volle fünf Minuten unter Wasser. Dazu schlug sie mit einer neunschwänzigen Lederpeitsche auf seinen Hintern. Nichts half.

„Ich hingegen“, sagte Burton und lächelte selbstzufrieden, „weiß, wofür es sich zu leben lohnt. Staaten, nationale Grenzen, das ist heutzutage vollkommen unwichtig. Echtes Business ist international. Global. Unsere Geschäftspartner leben überall: Irak, Iran, Pakistan, Indien, China. Der saudische Kronprinz kennt meine Kontonummer genauso wie dieser pakistanische Möchtegern-Präsident. Öl ist schließlich auch überall das gleiche Schmiermittel. Und es geht nicht bloß ums Öl. Wo Öl gefördert wird, wird gebaut. Häuser, Infrastruktur, Überlandleitungen, Datentransfernetze. Ölpumpen, Ölförderanlagen, Öllager, Öltanks. Öltanker. Pipelines, Autobahnen von Izmir bis Shanghai, Flughäfen, Containerhäfen, Brücken, Fabriken, Büros, Hotels, Wohnblöcke, Paläste, Shopping Malls. Wir reden hier von Milliarden und Abermilliarden von Dollars. Sobald unsere Truppen erst dort stehen, rollt der Rubel, das steht fest.“

„Yes, Sir“, sagte Luella. Bei einer ähnlichen Tirade vor ein paar Monaten war sie auf eine geniale Idee gekommen. Wenn Burton vorbeikam – und er das tat er inzwischen mindestens einmal pro Woche – packte sie ihn in die ovale Badewanne. Die Badewanne war gefüllt mit Scheinchen. Tausenden von grünen Scheinchen. Dollars. Greenbucks. Zaster. Kohle. Penunzen. Pinkepinke. Burton kam, sobald sich die ersten Dollarscheine um seine Eier wickelten.

Am Erstaunlichsten fand Luella, die allerlei gewohnt war, dass Burtons Penis die Dollarscheine offenbar unterscheiden konnte. War die Badewanne mit Einern gefüllt, blieb er unentschlossen in der Waagerechten. Bei Zwanzigern wurde er hart. Und Hunderter erregten ihn so sehr, dass er Luellas Berührungen nicht mehr bedurfte. Einmal hatte sie, um die Spesenrechnung niedriger zu halten (die Revision des Weißen Hauses hatte sich bei ihrem Chef beschwert), mit falschen Hundert-Dollar-Scheinen experimentiert. Burtons Erektion war in sich zusammengefallen wie die Laune der Wall-Street-Analysten nach dem Absturz von AOL.

„Den ersten Auftrag haben wir übrigens schon“, sagte Burton. „Unsere Firma räumt die Ruine des World Trade Centers ab. Muss ganz schnell gehen, wegen der Umwelt und so. Den Stahl haben wir schon weiterverkauft.“ Er sah noch selbstzufriedener aus, als es Luella für möglich gehalten hätte. „Und wohin, das rätst du nie.”

 

Als er gegangen war, holte sie das Geld aus der Wanne, stopfte es in einen Plastiksack und gab den Sack der Putzfrau. Zum Waschen und Trocknen. So sensibel war Burtons Schwanz dann doch wieder nicht, dass er gebrauchtes Geld ablehnte.

Endlich allein in ihrer Garderobe, sank sie erschöpft auf ihr rotes Sofa und steckte sich eine Zigarette an. Den Rauchmelder an der Decke hatte sie gleich am ersten Tag abmontiert und eine Sprinkleranlage gab es in diesem Schuppen sowieso nicht. Dazu schenkte sie sich einen Martini ein. Bitter, mit einer einzelnen grünen Olive. Sie ließ sich die Oliven aus der Heimat kommen. Das Zeug hier schmeckte nach Plastik.

Luella strich sich die Haare zurück, die unangenehm an ihrer Kopfhaut klebten und stöhnte. An Tagen wie diesen hatte sie das Gefühl, sie müsse sich stundenlang duschen. Meist tat sie es dann auch. Sie warf einen Blick in den Spiegel. Noch sah sie wie Mitte Zwanzig aus. Na gut, Ende Zwanzig. Sie würde noch einige Zeit auf diesem Posten arbeiten können. Allerdings hatte sie heute weniger erfahren, als sie erhofft hatte. Aber Burton würde wiederkommen. Und die anderen auch.

Ihre Methode war die richtige, da war sie sich sicher. Hundertprozentig. Natürlich hätte sie auch antworten können. „Das ist ja interessant, Herr Vizepräsident, welcher saudische Kronprinz denn? Abdullah Aziz oder Mehmout Moufaz? Und war das nicht der, der in den libanesischen Bankenskandal verwickelt war? Da gibt’s doch noch einen internationalen Haftbefehl.“ Je dümmer sie tat, desto mehr erzählten sie.

Sie warf einen Blick auf die Uhr. Mitternacht. Gleich musste der Anruf kommen. Manchmal fragte sie sich, ob die Leitung wirklich abhörsicher war. Doch die Kollegen, die sie installiert hatten, waren Profis. Wie sie.

Als das Telefon endlich klingelte, war sie schon beim dritten Martini. „Hallo“, sagte sie in dem rauchigen Akzent, den sie bei ihren Kunden ablegte. „Hier Sharona Eins“.

„Bikini Vier“, antwortete eine männliche Stimme. Manchmal würde sie gerne wissen, wer sich diese albernen Codenamen ausdachte.

„Haben Sie mehr über den Schaden am Pentagon herausgefunden?“, fragte Luella.

„Leider nein“, sagte Bikini Vier. „Es gibt nur einige, wenige vom FBI freigegebene Standbilder, und die Zeitangaben darauf sind offensichtlich manipuliert.“

„Und diese Überwachungskamera an der Tankstelle gegenüber? Sind Sie an die Bilder herangekommen?“

„Nein, leider auch nicht“, erklärte Bikini Vier. „Der Besitzer hat mir erzählt, das FBI habe sie beschlagnahmt. Schon eine Stunde nach dem Einschlag. Dazu sämtliche Kopien. Hat denn irgendwer sonst aus unserer Gruppe Fotos von der unmittelbaren Einschlagstelle auftreiben können?“

„Nicht mal gegen Geld“, sagte Luella alias Sharona Eins. „Die scheinen völlig vom Markt verschwunden zu sein. Haben Sie eine Liste der Opfer?“

„Das ja“, sagte Bikini Vier. „Aber die meisten der Toten sind Handwerker. Der betroffene Flügel wurde gerade renoviert. Drillson sitzt genau am anderen Ende des Pentagon. Lovestetter normalerweise auch. Er und Burton waren allerdings zum Zeitpunkt des Anschlags auf einem Empfang, und zwar zusammen mit ein paar Arabern, darunter Mohammed Al-Bandar und Achmed Abul Abbas Al Gossarah.“

Luella stieß einen überraschten Pfiff aus. „Das haben sie bisher unter der Decke gehalten“, sagte sie. „Haben wir herausgefunden, wie sie das mit der Flugbahn hinbekommen haben? Die müssen mit achthundert Sachen anderthalb Meter über dem Asphalt gebrettert sein“. Luella hoffte, dass Bikini Vier wenigstens das wusste.

„Nee. Das ist auch unseren Navigationsspezialisten ein völliges Rätsel“, gab Bikini Vier ein wenig kleinlaut zu. „Schade, dass die Piloten tot sind – die würden wir sofort einstellen. Was hat denn Burton heute erzählt?“

„Redete nur vom Geld, wie immer. Aufträge und so. Eine seiner Firmen soll den Schutt vom World Trade Center fortschaffen. Er hat mir aber nicht gesagt, wohin. Ich vermute mal die Philippinen oder Indonesien. Vielleicht bekommen wir da doch noch die Hand drauf. Welcher unserer Agenten sitzt denn in Manila?“

„Jesus Sieben“, sagte Bikini Vier, und, als er ihr Kichern hörte: „Früher hieß er Robespierre Fünf, aber seit er sich mal beschwert hatte, dass die Sekretärin des Chefs zu viel Parfüm trägt, haben sie ihm den Namen angehängt.“

„ Wann fahren Sie denn nach Pennsylvania?“, fragte Luella alias Sharona Eins. „Sie wollten doch so bald wie möglich zur Absturzstelle.“

„Morgen“, antwortete er. „Es dauerte ewig, bis der Dienstreiseantrag durchging.“

„Seien Sie bloß vorsichtig“, sagte Luella. „In der Luft rund um die Absturzstelle wurde eine ungewöhnlich hohe Konzentration eines Nervengases gemessen. Wenn Sie davon zu viel einatmen, kommen Sie nie wieder raus aus dem Krankenhaus. Schon deshalb, weil Sie sonst reden könnten.“

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5 Kommentare

  1. Habe das zwar noch nicht zuende gelesen, aber >>Ein geistiger Kleingärtner als US-Präsident<< ist in vielfältiger Weise ein interessantes Stichwort, vom Rest des Artikels nicht zu reden. Schleichwerbung ist nicht mein Ding aber ist etwas in der Art von dem hier damit gemeint?

    https://weissblechcomics.com/onlineshop/horrorschocker_35

    Leider ausverkauft. Bitte nicht die anderen Hefte betrachten, weil darauf teilweise unverhüllte, sekundäre Geschlechtsmerkmale abgebildet sind, z.B. die von Kala, der Urweltamazone oder so weiter. Ich mag Kala zwar irgendwie, hätte im realen Leben aber wahrscheinlich Potenzprobleme, wenn ich ständig mit ihr und ihrem Kuscheltier (offenbar einem Carnivoren aus der Familie der Saurier) dass Ehebett teilen müsste.

    Als echter Schwanzträger profitiert Trump aber wahlkampftechnisch davon, dass er aus jedem direkten Penisvergleich mit Harris unzweifelhaft als glanzvoller Sieger hervorgehen wird. Das ist aber auch schon so ziemlich alles.

      1. “Echt oder mit KI bearbeitet.”
        Wenn ich ehrlich sein soll gehe ich mittlerweile davon aus das jede Meldung eine glatte Lüge und Fälschung sein kann. Und genau hier wird der Mensch langfristig verzweifeln, stellen Sie sich mal vor wenn der Mensch (in seinem “natürlichen” Habitat von 10-20 anderen Homosapiens, also eher ein soziales Wesen) seinen eigenen Augen und Ohren nicht mehr trauen kann?

        “Wir leben in interessanten Zeiten, auch wenn mir die uninteressanten lieber wären.”

        Dito. Es wird nicht mehr lange dauern da werden solche KI generierten Lügenmärchen (stellen Sie sich mal vor welche Schundtaten Geheimdienste damit treiben können und werden?) die erste Kriege auslösen werden. Wenn sie es nicht schon längt getan haben.

        “KI! Schlage Möglichkeiten vor die Menschheit wegen Ressourcen Mangel, Klima Desaster oder einfach nur so aus Spaß auf ein erträgliches Maß für diesen Planeten zu reduzieren. Du hast eine halbe Stunde Zeit”

        EIN EINZIGER ALPTRAUM.

  2. Kampf gegen die Sprache: Ukraine will russischsprachige Bürger überwachen

    Ukraine hat der Bürgermeister von Iwano-Frankowsk, Ruslan Marcinkiw, eine neue Form der Unterdrückung und Schikane eingeführt.

    Jetzt sollen spezielle Leute dafür sorgen, dass niemand mehr Russisch spricht !!

    Die lokalen Ukraine-Fans glauben, dass die Sprache eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellt (lächerlich) !!.

    Schon wieder beweisen die ukrainische Politiker, dass sie Krieg und nicht Frieden wollen.

    Der russische Außenminister Sergei Lawrow betonte, dass die wichtigste Voraussetzung für Friedensgespräche der Schutz der Rechte der russischsprachigen Bevölkerung sei.

    Eine Umfrage des soziologischen Instituts Gallup hat ergeben, dass fünf von sechs Menschen im Land im Alltag regelmäßig Russisch sprechen !!!

    Es scheint jedoch, dass in der Ukraine der lokale Nationalismus wichtiger als die Rechte der eigenen Bürger ist !!

    SIE WOLLEN ALSO DEN DONBAS NUR WEGEN DER ROHSTOFFE BEHALTEN, DIE MENSCHEN DORT SIN IHNEN WEITERHIN EGAL !!

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