
Es menschelt nicht schlecht dieser Tage. Weil man uns überall Unmenschen vermuten lässt, kommt der Mensch erst zur Geltung. Dabei weiß man doch: »Wer Menschheit sagt, will betrügen.«
Wer dieser Tage mit offenen Augen durch das beste Deutschland aller Zeiten streift, hat sie sicher schon gesehen: die beeindruckende Plakatkampagne des katholischen Hilfswerks Misereor. Deutlich stechen die großformatigen Portraitaufnahmen in der quietschbunten Welt der E-Zigaretten, Softdrinks und Billigflieger hervor.
Wir sehen vor pechschwarzem Hintergrund riesengroß Gesichter, die trotz all der Spuren, die die Übel der Welt in ihrer Haut hinterlassen haben, irgendwie zuversichtlich dreinschauen. Vielleicht, weil sie eines der penetrantesten Schlagworte der Moderne auf ihrer Seite wissen: »Mensch«.
Die Menschlichkeit und das Böse
Vor der schwarzen Fläche prangen nämlich nicht nur Gesichter, sondern auch verschiedene Zeilen Text. Zum Beispiel, diese hier: »Mit Verachtung oder mit Menschen?« Oder die: »Mit Gewalt oder mit Menschen?« Oder: »Mit Vertreibung oder mit Menschen?« Das Muster ist klar.
Die Botschaft auch. Hinter der aufdringlich rhetorischen Frage steht jeweils ein Missstand, dessen Verurteilung unter den Passanten einigermaßen unkontrovers sein dürfte: Mal geht es um Opfer von fahrlässigem Bergbau in Brasilien, mal um die Folgen der Kriege im Nahen Osten oder um Indigene in Ecuador, denen Ölfirmen zu Leibe (und zu Lande) rücken. Wer das liest, findet es schlimm.
Auch nicht kontrovers ist nun aber leider die selbstverständliche Geste, mit der hier den Übeln der Welt kurzerhand die Menschlichkeit gegenübergestellt wird. Was soll das? Sind das denn keine Menschen, die für Krieg, Ausbeutung und Vertreibung verantwortlich sind? Und wäre das nicht im Gegenteil eine Katastrophe, wenn es keine wären?
Vulkane sind auch schrecklich, aber mit denen kann man schlecht reden. Außer Frühwarnsystemen ist hier nicht viel zu machen. Wer aber gegen Ausbeutung und Verachtung angeht, will doch was ändern und er hat es überall und ausschließlich mit Menschen zu tun. Oder vielleicht doch nicht?
Mensch vs. Unmensch
Ein Blick in den Feindbildkatalog unserer Tage weckt tatsächlich Zweifel, ob das Böse von Menschen kommt. Neben ostdeutschem »Pack«, »widerlichen Weißen« und allerhand »Schweinen« gibt es da aktuell russische »Kakerlaken«, angeführt vom dämonischen Putin, und wer geübte Augen hat, sieht sowieso überall »Unmenschen« und heillose »Menschenverachtung« durch Hassredner, Impfgegner und Trolle, Trolle, Trolle. Meinungsverachtung träfe es oft besser, aber wie viel sicherer kann man seinen Blödsinn und seine eigene Agenda hinter dem Schutzschild »Mensch« lagern.
Und wie viel praktischer ist es, immer gleich den Menschen raushängen zu lassen, als mal ganz untermenschlich zu fragen, was da jetzt genau vor sich geht, in Brasilien zum Beispiel. Wo es, ja, Menschen sind, die leiden und Menschen, die tun. Aber letztere sind vor allem sehr mächtige Menschen in schicken Anzügen (unwichtig) und sehr großen Firmen (wichtig), die ganz viel Geld damit verdienen, dass man die Erde ohne Rücksicht auf Verluste ausbeutet und die nicht selten sogar aus Europa kommen, wo Misereor seine Plakate raushängt und wo es Leute sehen, die ein Auto haben, das mit Eisen aus solchen und vielleicht sogar genau dieser Mine gebaut wurde. – Aber dann schließt sich der Kreis und das macht Kopfweh. Also lieber wieder: Mit Menschen! Die Verachtung läuft ja vorerst ganz von alleine.
Wieso ausgerechnet ein kirchliches Hilfswerk sich in die diffuse Anonymität scheinbar täterlosen Übels flüchtet, dazu mag sich ein jeder seine eigenen Gedanken machen. Wer es bis zur Website der Organisation geschafft hat, erfährt übrigens durchaus ein paar Hintergründe, allerdings immer noch keine Namen. (Hier sind sie: »Vale«, brasilianisch, Jahresumsatz 40 Mrd. $ – und »BHP«, britisch-australisch; Jahresumsatz: 60,8 Mrd. $.)
Menschheit: Ein Betrug
Dabei schützen gerade diese Namen und die Interessen, für die sie stehen, uns davor, die eigene Position für die einzig denkbare zu halten und dem Gegner nichts mehr übrigzulassen als eine vage Unmenschlichkeit, der man dann wahlweise Waffen oder große Augen entgegenstellt. Die Hölle, das sind nicht nur die anderen.
Ausgerechnet die Kirche könnte doch mal in der dogmatischen Mottenkiste kramen und dort Anregungen finden für die (Wieder-)Vermenschlichung des Bösen: die Erbsünde zum Beispiel. Ein Theorem, das letztlich nichts anderes behauptet, als dass der Mensch auf ziemlich basalem Level ziemlich kaputt ist und sich also nicht zu sehr auf sich selbst verlassen sollte.
Man kann das für sich vorläufig in eine gewisse Bescheidenheit übersetzen. Gerade in politischen Dingen, wo Totalbegriffe fast ausnahmslos in die Katastrophe führen. »Wer Menschheit sagt, will betrügen«, wusste schon Carl Schmitt (auch katholisch).
Gerade im Streit also weniger menscheln und lieber mal um Strukturen kümmern, die können nämlich auch aus dem kaputten Adam noch einen halbwegs brauchbaren Kerl machen. Amen!
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Egal ob katholisch oder evangelisch, ich lernte diese Mischpoke lieben als ich als Lehrling auf dem Bau arbeitete. Ich stieg winters, morgens um halb sieben, in einer schlecht geheizten Baubude in meine dreckigen, eiskalten Bauarbeiterklamotten. Während diese Herrschaften zur gleichen Zeit sich nochmal in ihren wohlig warmen Bettchen umgedreht und gefickt haben.
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»Wer Menschheit sagt, will betrügen«, wusste schon Carl Schmitt. Der bei diesem Satz seinerseits auf Proudhon zurück griff.