Schutzräume und Denkverbote

Symbolbild Denkverbot
Quelle: Pixabay

Ein Gefühl der Sicherheit steht jedem zu. Diese Einschätzung stimmt sicherlich physisch. Aber ob man das auf mentaler Ebene so betrachten kann, scheint fraglich – und gefährdet die Demokratie. Über Schutzräume und Denkverbote.

Gefühl der Sicherheit: Mit dieser Floskel konfrontierte man mich kürzlich. Es wurde irgendwo etwas Unliebsames geschrieben und jemand fühlte sich damit angegriffen und forderte eben jenes Gefühl für sich ein. Nun steckt die Antwort schon in der Formulierung. Gefühl nämlich. Der Brockhaus definiert Gefühl wie folgt: »subjektiver, seel. Zustand des Ichs; die sich unmittelbarer Erfassung entziehende Befindlichkeit der erlebenden Person«. Diese häufig gebrauchte Floskel vom Gefühl der Sicherheit ist kurz und knapp gesagt: Privatsache. Und kann eben nicht als Handlungsaufforderung an eine andere Person gelten.

Denn Gefühle hat man eben, man kann sie steuern, hinterfragen und neu ausrichten. Manchmal übermannen sie einen auch. Sie ändern sich aber nicht, wenn man andere dazu auffordert, etwas zu unterlassen, was Gefühle erzeugt. Es ist auch nicht die Aufgabe des demokratischen Diskurses mit seinem Meinungspluralismus, nur wegen subjektiver Gefühle etwas nicht sagen zu sollen. Diese stete Forderung nach Safe Spaces: Sie könnte undemokratischer nicht sein.

Nicht mit Frauenhäusern verwechseln

Mancher wird nun sagen, dass es Safe Spaces immer gab. Und sie waren von demokratischem Geist beseelt. Als Homosexualität noch verpönt war, gab es Establissements, in denen die Sexualität sicher vor äußeren Blicken ausgelebt werden konnte. Obdachlose kehren in Unterkünften ein. Und flüchten oft recht schnell wieder, weil Gewalt und Diebstahl dort an der Tagesordnung sind. Und dann gab es noch Frauenhäuser: Der Safe Space schlechthin.

Sie waren der sichere Platz für Frauen, die im Regelfall mit männlicher Gewalt konfrontiert waren. Im Frauenhaus gab es keinen Häscher: Ein Safe Space eben. Aber man sollte sich nicht täuschen lassen, diese aufgeführten sicheren Plätze sind materielle Orte, die man betreten kann. Es sind Plätze im wahrsten Wortsinne. Dort ging man hin, wenn man Angst vor Verfolgung oder Gewalt hatte. Mit einem Safe Space, von dem heute dauernd die Rede ist, hat so ein Ort gar nichts zu tun. Denn dort versammeln sich Opfer körperlicher Angriffe und keine, die nur das Gefühl haben, dass sie vielleicht nicht voll akzeptiert werden.

Natürlich kann psychische Gewalt belastend sein. Aber darum geht es die Safe Spacern in den seltensten Fällen. Sie fordern solche Plätze allerorten – und meinen damit kein Zimmer oder Gebäude, sondern eine mentale Brandmauer. Sie streben an, dass die gesamte Gesellschaft ein solcher sicherer Rückzugsort für Menschen gewisser Gesellschaftsgruppen sein soll. Und sie flüchten sich also nicht an einen sicheren Topos, sondern sprechen sich für Gedankenkontrolle aus. Es soll nirgends mehr etwas gesagt werden dürfen, was jemanden ein schlechtes Gefühl bereiten könnte. Diese Denkweise ist die Grundlage für jene Passagen des Selbstbestimmungsrechtes, die unter Strafe stellen, die Geschlechtlichkeit des Gegenüber auch nur zu hinterfragen.

Um körperliche Übergriffe geht es denen, die nach solchen »Schutzräumen« rufen in den seltensten Fällen. Sie legen gegenteilige Meinungen als Gewalt aus – und machen die freie Rede zu einem zu unterlassenden Akt.

Demokratie kann kein Safe Space sein

Meinung als gewalttätigen Angriff zu bewerten, hat nichts, aber auch wirklich gar nichts mit demokratischer Debattenkultur zu tun. Man muss gar vom Gegenteil ausgehen. Wer auf diese Weise versucht, andere Meinung zu unterbinden, will Debatte abwürgen und benutzt an sich demokratische Ideen, um seine strikte Haltung als etwas vermeintlich Positives und Progressives darzustellen.

Dabei geht es denen nicht nur um Meinungsäußerungen. Jede Regung wird bewertet und skandalisiert. Mikroaggressionen nennen diese Leute es, wenn sie glauben, irgendetwas an einem gefunden zu haben, was sie im Sinne ihrer Agenda als kritikwürdig einstufen können. Mikroaggression wird als gewalttätiger Angriff gewertet – jedes als kränkend zu bewertende Verhalten kann so als Attacke betrachtet werden und wird erst emotionalisiert und dann politisiert. An dieser Stelle ruft man dann wieder nach einem Safe Space, gerade so, als sei ein solcher Ort die letzte Rückzugsmöglichkeit für geschlagene Hunde. Aber geschlagen wird ja keiner, wirklichen Schaden erleidet niemand. Es sind verletzte Gefühle – und Gefühle können mit und ohne Grund verletzt werden.

Gemeinhin rät man sensiblen Gemütern, sich nicht stets alles so sehr zu Herzen zu nehmen. Den vulnerablen Gruppen, für die man vorgibt einzustehen und denen man Safe Spaces einräumen möchte, erklärt man das nicht. Sie sollen sich alles zu Herzen nehmen. Jede Meinung, die ihrer Weltsicht widerspricht sowieso – aber eben auch jeden schiefen Blick, jede Regung, die vielleicht darauf schließen könnte, dass da jemand was gegen diese oder jene vulnerable Gruppe hat. Ein Augenzwinkern im Umgang mit einem Schwulen? Da gilt es sofort den Skandal aufzurollen, auch wenn kaum ein Schwuler ein Problem damit hat und den flapsigen Umgang schätzt.

Das Problem ist, dass die Jünger der Safe Spaces der Demokratie, dem offenen Umgang miteinander, keinen solchen Schutzraum erteilen wollen. Während man fordert, dass bestimmte Denkweisen nicht mehr verbalisiert werden sollten, um gewissen Menschen ein »Gefühl der Sicherheit« zu ermöglichen, setzt man die Debatten- und Streitkultur der Unsicherheit aus, schon bald als kriminellen Handlung betrachtet zu werden.

Gefühl von Sicherheit: Ein Denkverbot

Streitkultur ist ohnehin eine Begrifflichkeit, die wir heute kaum noch mit dem demokratischen Usus in Zusammenhang bringen. Dem Streit wird etwas Kontraproduktives, etwas Destruktives nachgesagt. Sich nicht streiten wollen: In unseren biederen Zeiten, die nur so tun, als seien sie innovativ, erhebt man das zur höchsten Güte zivilisatorischen Umganges miteinander. Aber die Gesellschaft besteht nun mal aus vielen Einzelinteressen, es gibt etliche Antriebe, die von diametral entgegengesetzter Natur sind. Schaltet man die aus, unterdrückt man deren Ringen um Deutungshoheit und Kompromisse, unterminiert man also den Streit, erzeugt man einen Burgfrieden: Eine Haltung, die in Kriegen präsent ist und für nicht gerade demokratieförderlich erachtet wird.

Vulnerable Gruppen haben natürlich ein Recht auf Unversehrtheit. Niemand sollte körperlich angegriffen werden, weil er etwa transsexuell ist. Und er sollte auch nicht psychisch unter Druck gesetzt werden. Wenn er allerdings mit Menschen konfrontiert wird, die für sich nur zwei Geschlechter sehen, hat der Transsexuelle einfach keinen Anspruch darauf, dass deren Betrachtung verschwiegen werden soll.

Denn es tut ihm nicht körperlich weh – und auch psychisch ist die freie Meinungsbekundung eines anderen kein Angriff auf seine Person. Aber hier greift die Masche, immer alles gleich persönlich nehmen zu müssen. Ist man persönlich Betroffener, hat man gleich einen anderen Leumund und viele ziehen aus falscher Rücksichtnahme den Schwanz ein. Sie richten also einen Safe Space ein, der auf Prämissen gründet, die falscher nicht sein könnten. Einen, der aus Bequemlichkeit oder auch aus Angst vor Cancel Culture genehmigt wird – dann wird gezielt geschwiegen und manchmal sogar einschwenkt in den Chor der Aktivisten.

Das Frauenhaus war und ist eine demokratische Safe-Space-Einrichtung. Dort wird Unversehrtheit ermöglicht. Es ist ein räumlicher Rückzugsort. Ein mentaler sicherer Platz, wie er gefordert wird, ist allerdings das Gegenteil dessen. Es ist ein Verbot. Und zwar das Verbot eines fundamentalen Rechtswertes: Der Freiheit, seine Meinung zu artikulieren. Die Demokratie hat keinen Schutzraum. Sie ist diesen Häschern der Gleichschaltung schutzlos ausgeliefert. Dagegen gilt es sich zu wehren, wo immer es geht.

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10 Kommentare

  1. Danke für die griffige Erörterung! Es scheint mir in der Tat so, und das auch von jenseits des mainstreams, dass alternative Meinungen stigmatisiert werden und die Toleranz gegenüber konträren Positionsbestimmungen asymthotisch gegen Null geht! Diese unerträgliche Egokitzelei mag für die Einen funktional der ‚richtige‘ Weg sein, die Schäfchen zu disziplinieren und auf Linie zu trimmen, den Anderen sollte klar sein, dass sie mit ihrer elitären Haltung der Ausgrenzung einen geradezu kontraproduktiven Beitrag zur sicherlich gewünschten Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenstruktur leisten!

  2. Am 17.02.24 tritt der DSA endgültig in Kraft, nur meine freie Meinung wird durch den DSA bestimmt nicht geschützt!

    16.02 werde Ich meine gesamten Accounts löschen selbst meine E-Mail Adresse muß mit dran Glauben.

    Die Gedanken sind Frei
    Ich denke, was ich will,
    und was mich beglückt,
    doch alles in der Still,
    und wie es sich schickt.
    Meine Wunsche und Begehren
    kann niemand verwehren,
    es bleibt dabei, die Gedanken sind frei.

    1. Das Verbergen von Gedanken mag als Schutz angesehen werden. Dann können diese aber auch nichts verändern. Mitsprache und Mitgestaltung verlangen die offene Rede. Geheimdienste gibt es seit langer Zeit auf unterschiedlichen rechtlichen, technischen, personellen Grundlagen. Es ist ja möglich vielerlei Informationen zu sammeln und auszuwerten. Das nützt aber nichts. Die Mächtigen begehen den Fehler, diese unbändige Sammelwut als Schutz zu betrachten. Das ist sie nicht. Sonst hätten bisher alle absoluten Herrscher, Einparteiensysteme, Diktaturen… überlebt. Ist das so?

      1. Denke mal das Julian Assange und Edward Snowden da genaueres Wissen haben/hatten. Freiheit im Internet war gestern, heute ist es daß Internet der Dinge. Daß Menschsein wird verdinglicht, https://de.m.wikipedia.org/wiki/Verdinglichung es ist nur noch eine weitere Quelle die Ausgebeutet wird.
        Demnächst müssen wir auch noch für den eigenen Schlaf und die Träume darin bezahlen.

        1. @ Tanz der Teufel
          Das „Verdinglichen“ ist für mich ein ungewohnter Sprachgebrauch. Ausgebeutet werden Menschen seit mehreren Tausend Jahren durch mächtige Mitmenschen und sie machen es über kürzere oder längere Zeitspannen mit, weil es das Überleben vereinfacht. Ansonsten sind sie Teil der Stoffkreisläufe auf der Erde und ich ordne sie dem Lebendigen zu.
          „Demnächst müssen wir auch noch für den eigenen Schlaf und die Träume darin bezahlen.“ Ich verwende deshalb lieber das Wort `Vermarktlichung´. Jeder, der sich der fortschreitenden Vermarktlichung nicht verweigert, wird in mehr oder weniger hohem Maß Knecht und Teil dieser Maschinerie. Wenn man die aktuelle Fernsehwerbung und die Flut von Fantasy-Filmen, vorwiegend aus dem Hause Disney, genau betrachtet, sind Schlaf und Träume schon länger marktgängige Güter. Früher gab es die Träume Heftform. Mit Bezug auf die Gesundheitsindustrie kann man – nicht erst seit Corona – davon sprechen , dass die Fremdbestimmung über menschliche Körper ziemlich weit gediehen ist. Demnächst wird ihre organische Verwertung sogar in Recht gegossen.
          Dieser Vermarktlichung und Fremdbestimmung kann sich Mensch nur durch Selbsttätigkeit IN TEILEN entziehen, weil er ein soziales Wesen ist. Seit ich nicht mehr unmittelbar zum Kreis der ausgebeuteten und abgeschöpften Menschen gehöre, versuche ich deshalb selbst zu tun, was ich kann und wenig zu brauchen. Es ist nicht viel, was ich dem Markt entreißen kann, weil ich – leider – nichts Handwerkliches gelernt habe, aber ich stopfe meine Strümpfe, bereite unser Essen selbst zu…, repariere was ich kann …, ernte was jahreszeitlich möglich ist im Garten oder im Wald… . Einen Teil meiner wachen Zeit sitze ich am Bildschirm. Persönliches schreibe ich nach wie vor mit (Füll-)Federhalter und Tinte… . Entscheiden muss das jeder für sich selbst.
          Es ist in meinen Augen ein Fehler, die Redeweisen der Verdinglicher zu übernehmen, die ständig davon reden, dass irgendein Sachzusammenhang zu etwas `zwinge´. Nur wenig ist sachlich wirklich not-wendig: Wasser, Salz, Eiweiß, Fett und Kohlehydrate gehören dazu … und in unsren Breiten ein Dach über dem Kopf und etwas zum Anziehen. Wer anderes behauptet, hat zwar möglicherweise Marx gelesen, ist aber kein Materialist.

            1. @ Tanz der Teufel
              Danke für die Rückantwort. Es geht also doch: Unter kritischen Menschen einen Denkansatz nicht zu teilen, ohne anderen Idiotie vorzuwerfen. Vielleicht wird´s ja doch irgendwann mal etwas mit „links“, statt mit I – XX Internationalen.

  3. Gute Gedanken, lieber Roberto.
    Aber es ist noch viel schlimmer.
    Böse Meinungen waren gestern.
    Heute ist sogar die nackte Wirklichkeit eine Bedrohung für Gefühle.
    Dass etwas so ist, wie es ist, und jemand sagt, was ist, gilt schon als Beleidigung.
    Maßgebend für das Gefühl der Sicherheit ist das Intaktbleiben der eigenen Fantasiewelt.
    Wir leben im Zeitalter der „Virtual Reality“, die zunehmend eine „Virtue Reality“, eine Tugendwirklichkeit, ist.
    Man gebe mir Seelenfrieden – die Realität kann mir gestohlen bleiben!

  4. Ich wurde mal aus einem Kreis „richtiger“ Feministinnen ausgeschlossen, weil ich mich weigerte für ein Frauentaxi zu unterschreiben mit der nachvollziehbaren Begründung, dass mehr Frauen „zuhause“ durch ihre(Ehe)Männer zu Schaden kommen, als im öffentlichen Raum. Man wird Menschen als Risiken nicht beseitigen können. Auch jenseits des Kapitalismus nicht. Nur im „Jenseits“. Leben ist immer risikobehaftet. Übergriffig können auch Gleichartige werden.
    Die Risiken einzuschätzen und sich zu entscheiden, das muss von den Individuen geleistet werden. Wer das nicht tun will, macht sich selbst unmündig.

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