
Ben Stiller besuchte vor einiger Zeit den ukrainischen Präsidenten. Kevin Spacey wird wegen nicht verhandelter Vorwürfe seit Jahren nicht mehr engagiert. Tom Hanks würde heute keine schwule Rolle mehr annehmen. Die Political Correctness ist am Walk of Fame angekommen. Hollywood braucht keinen Hayes-Code mehr.
Vor einigen Wochen hat endlich mal ein Prozess gegen den zweifachen Oscar-Preisträger Kevin Spacey begonnen. Schon vor Jahren kam der erste Vorwurf auf, wonach Spacey übergriffig geworden sei. Der Schauspieler Anthony Rapp, mittlerweile einem breiten Publikum durch seine Rolle in der Serie »Star Trek: Discovery« bekannt, erklärte der Presse im Oktober 2017 – nur einen Monat nach Beginn der genannten Serie – in den Achtzigerjahren von Spacey sexuell belästigt worden zu sein. Nach Rapps Bericht meldeten sich weitere Männer, die ähnliches berichteten.
Weiterhin stehen nur Vorwürfe im Raum. Ob die sich während des Prozesses erhärten, muss man abwarten. In diesem Gerichtsverfahren tritt übrigens nicht Rapp als Geschädigter auf, sondern drei Männer, die Spacey ebenfalls sexuelle Übergriffigkeit unterstellt haben. Der Schauspieler selbst erklärt allerdings, unschuldig zu sein. Spacey verlor nach den ersten Vorwürfen umgehend sein Engagement in der Erfolgsserie »House of Cards« und wurde so gut wie gar nicht mehr für Filmaufnahmen verpflichtet. Die Branche verabredete gewissermaßen ein Berufsverbot, das sie alleine auf Vorwürfe gründete. Gleichzeitig feiert sie sich als Vertreterin des Anstandes, guter Sitten und Rechtsstaatlichkeit – und die vorauseilende Moral behandelt sie nicht als Vorurteil, sondern als gerechte Haltung.
Der Oscar für die beste Moral geht an …
Neulich hat die Filmindustrie jemanden an die Front geschickt: Ben Stiller nämlich. Er kam nach Kiew und schüttelte dem ukrainischen Präsidenten die Hand, seine Begegnung mit Selenskyj nannte er »sehr inspirierend«. Der Besuch eines Hollywood-Schauspielers war bitter nötig, denn eigentlich sollte der Ukrainer ja bei der diesjährigen Oscar-Verleihung per Schalte eine Rede halten. Das wäre einem Bruch der Regularien der Akademie, die den Filmpreis vergibt, gleichgekommen. Politische Statements sind nämlich nicht vorgesehen, man erinnere sich, wie man vor vielen Jahren Michael Moore abwürgte, weil er in seiner Dankesrede mit US-Präsident Bush abrechnen wollte.
Letztlich gelang es dann nicht, Selenskyj in die Show zu holen – oder sagen wir lieber: Es wurde den Produzenten zu heiß. Der Schauspieler Sean Penn war so erbost über diese Entscheidung, dass er zu einem Boykott der Show aufrief. Natürlich kamen sie dann doch, die Kleider waren schließlich schon bestellt, der Smoking bereits aufgebügelt. Viele Stars zierten sich mit den ukrainischen Farben: Hollywood zeigte mal wieder eindrücklich, dass es zu denen gehört, die sich selbst als »die Guten« definieren.
Diese Haltung durchzieht die Branche mittlerweile fast lückenlos. Produktionen achten penibel darauf, dass sie eine »Wirklichkeit« abbilden, in der allerlei Quoten erfüllt sind. Man hakt gewissermaßen einen virtuellen Fragekatalog ab: Gibt es eine starke Frau in der Produktion? Schwule Nebenrollen? Sind Schwarze, Asiaten und Latinos in einem Maße zu sehen, dass sie prozentual mit der Gesellschaftsstruktur korrelieren? Hat mindestens ein transsexueller Charakter eine tragende Rolle?
Man kann das freilich alles mit einbauen, gar keine Frage. Ab immer öfter hat man als Rezipient den Eindruck, dass in Filmen oder Serien Handlungsstränge eingebaut werden, die für die Geschichte an sich gar keine Bedeutung haben, die man aber aus Gründen politischer Korrektheit dennoch einfügt – auch weil sie Grundvoraussetzung dafür sind, preislich berücksichtigt zu werden. So führte die Academy of Motion Picture Arts and Sciences vor zwei Jahren sogenannte »Diversitätsregeln« ein, die es zur Grundvoraussetzung in der Kategorie »Bester Film« machten, die Rollenverteilung nach oben genannten Schema zu besetzen. Vorteile bei der Auszeichnung hätten indes Produktionen, die Themen aufgreifen, die sich um Frauen, Minderheiten, Menschen mit Behinderungen oder LGBT-Inhalte drehen. Der britische Filmpreis BAFTA hat eine solche Regelung schon 2018 verabschiedet; weitere Filmpreise sind seither nachgezogen.
Kino vom stereotypen Reißbrett
Vor einigen Tagen meldete sich dann auch Tom Hanks zu Wort, der in den vielen Jahren seiner Karriere als eher unverdächtig galt, sich zu politisch oder zu gesellschaftskritisch zu äußern. Als er vor einigen Jahren nach seinem Besuch der Sendung »Wetten, dass …?« über das langatmige Sendekonzept frotzelte und Markus Lanz, den Moderator der Spielshow, einen »schmierigen Banker« nannte, war man leicht irritiert: Der nette Mister Hanks soll so das gesagt haben? Echt? Nun also hat er verlautbaren lassen, dass er heute keine schwule Rolle mehr annehmen würde. Nicht weil er homophob sei, sondern weil nur ein Schwuler einen Schwulen spielen sollte.
Ob Tom Hanks nun seinen ersten Oscar, den er für seine Leistung im Film »Philadelphia« erhielt, zurückgeben wird, ist noch nicht bekannt. Konsequent wäre es, denn seinerzeit spielte er Andrew Beckett, einen schwulen Rechtsanwalt, der von homophoben Kanzleipartnern entlassen wird, als durch seine AIDS-Erkrankung dessen Sexualität publik wird. Überhaupt muss man doch mal freundlich nachhaken: Wer spielt denn künftig einen Kannibalen? Gibt es einen Schauspieler irgendwo zwischen Cielo Drive und Hollywood Boulevard, der sich zum lukullischen Genuss von Menschensteaks bekennt? Und wäre es nicht geradezu traumatisch, wenn Szenen sexueller Gewalt nur noch mit Darstellern verfilmt werden sollten, die das aus ihrem eigenen Leben kennen?
Ganz neu ist diese Vorstellung einer moralisch integren Schauspielerei nicht. Indigene Schauspieler beklagten sich schon vor Jahrzehnten, dass mit roter Farbe bepinselte weiße Darsteller ihnen die Rollen klauen. In ganz frühen Tagen wurden auch Schwarze von blackgefacten Weißen gespielt, Al Johnson, der »Jazz Singer« im ersten Tonfilm der Geschichte, war vielleicht der bekannteste Eingepinselte überhaupt. Nachvollziehbar, dass man diese Praxis für überholt hielt. Aber sie jetzt auf alle Bereiche ausweiten zu wollen, widerspricht ja dem eigentlichen Konzept der Schauspielerei, bei der es darum geht, etwas zu mimen, also so zu tun als ob.
Filme wie »Der Pate«, »Das Schweigen der Lämmer« oder »Die Faust im Nacken« würden unter den oben genannten Regelungen keinen Oscar für die beste Produktion mehr erhalten. Aus Gründen einer überbordenden Moral werden neue Stereotypen verinnerlicht – und das nur, weil man Stereotype künftig verhindern will. Man engt die Kreativität ein, macht historischen Stoff zu einem Ladenhüter – was einige Produzenten kontrafaktisch damit ausbügeln, britische Herrschaftshäuser von 1880 mit schwarzen Herrschaften zu füllen – und etabliert Denkverbote.
Mister Hayes wäre heute stolz auf die Branche
Angefangen hat die Filmindustrie in Hollywood ganz sicher nicht bieder. Die neu wachsende Branche war zwar abhängig von potenten Finanziers, von den Produzenten großer Studios – aber eine staatliche Kontrolle gab es zunächst nicht. Daher war das neue Medium Film, trotz konservativer Hierarchie und steter betriebswirtschaftlicher Herangehensweise, durchaus offen für Darstellungen, die nicht in die Zeit passten. Für erstmalige Nacktheit etwa, die man einem Millionenpublikum vorführte. Für Küsse. Angedeuteten Sex. Gewalt und die Darstellung »liederlicher Gestalten«. Es gab sadomasochistische Szenen, homosexuelle Charaktere und die Sprache war zuweilen vulgär, mindestens aber klar doppeldeutig.
Eine Weile ließ man es so laufen, bis die Politik in der Filmindustrie eine Gefahr witterte. Sie untergrabe nämlich die gute amerikanische Moral, müsse daher kontrolliert werden. Mit Will H. Hays betrat ein Puritaner und ehemaliger Minister – Postminister unter Präsident Harding – die Szenerie, etablierte den sogenannten Hays Code, der zunächst als freiwillige Selbstkontrolle fungierte und dann zu einem verpflichteten Reglement wurde. (Filme aus der Zeit vorher nennt man daher auch Pre-Code-Filme.) Ab diesen Zeitpunkt wurden neue Produktionen geprüft, mussten angepasst oder ganz neu gedreht werden, um eine Freigabe zu erhalten. Regisseure wurden nun eingeengt, die Schauspielerei auf ein vorgegebenes Breitenspektrum reduziert. Bestimmte Sujets worden per se als ungeeignet für einen Unterhaltungsfilm eingestuft.
Natürlich umgingen finde Filmschaffende den Hays Code ziemlich trickreich. Am bekanntesten ist wohl jene Schlussszene aus »Der unsichtbare Dritte«, in der Cary Grant und Eva Marie Saint im Schlafwagenabteil eines Zuges intim werden: Regisseur Hitchcock blendet nach einem Kuss ab und man sieht, wie der Zug in einen Tunnel eindringt. Die Zensoren haben die Anspielung nicht bemerkt – mit der Schere im Kopf geht einem Zensoren vermutlich jede Kreativität abhanden. Der Charme von Billy Wilders »Manche mögen’s heiß« mit all seinen blendenden Andeutungen ist beispielsweise kein gewolltes Produkt, sondern eine Form des Notbehelfs, um die Zensur zu umschiffen.
Staatsdienerische Moralapostel hatten Hollywood für einige Jahre im Griff, 1967 war der Code nicht mehr haltbar, das New Cinema drängte auf die Leinwand; junge, unverbrauchte Filmschaffende zeigten ihre Wahrnehmung der Realität, nackte Haut, viel Blut – der Western »The Wild Bunch« (1969) mit seinen exzessiven Gewaltdarstellungen, wäre noch zwei Jahre zuvor nicht vorstellbar gewesen. Das Kino gab sich innovativ, kritisierte Krieg und die Vorstadtbiederkeit, nahm in den Nixon-Jahren das wachsende Misstrauen der Bevölkerung mit ins Kalkül und schuf Werke, die mit der amerikanischen Lebensart der Nachkriegsjahre brach.
Wo bitte geht’s nach Holy Wood?
So einen Sittlichkeitswächter benötigt das zeitgenössische Hollywood nun wirklich nicht mehr. Es muss gar nicht auf staatliche Bahnen gelenkt werden, ist längstens so ausgerichtet, dass es außen-, innen- und gesellschaftspolitisch nicht mehr anecken kann. Die Branche hat die Wokeness adaptiert – und steht auch jetzt, wo es gegen Russland geht, an der Seite einer US-Regierung, die innenpolitisch keine Akzente mehr zu setzen vermag, während sie außenpolitisch einen globalen Kollaps herbeizündelt.
Natürlich war Hollywood auch früher kein subversives Element innerhalb der US-Gesellschaft. Jedenfalls nicht durchgehend und grundsätzlich. Aber kritische Filmemacher gab es – und das waren beileibe keine kleinen Independent-Filmer, sondern große Namen. Den Wahnsinn eines von den Vereinigten Staaten geführten Krieges sieht man in nur wenigen Produktionen so drastisch und so pittoresk zugleich, wie in »Apocalypse Now« – immerhin von einem der Granden Hollywoods verfilmt: Von Francis Ford Coppola. Wo sind solche zugträchtigen Namen heute?
Sie sitzen im saturierten Oscar-Publikum und berauschen sich an der eigenen Rolle, die man glaubt einzunehmen: Als Instanz des Anstandes, die der Welt Haltung bringen soll. Dabei geht die Kunstfreiheit Schritt für Schritt flöten, immer öfter werden Produktionen auf politische Korrektheit gecheckt, gewisse Filmelemente werden politisch überfrachtet oder verpönt.
Währenddessen leidet das Kino nicht nur an Zuschauerschwund, auch die Oscar-Verleihung selbst, früher das Hochamt der Cineasten, erlebt einen drastischen Niedergang. 2021 sahen 10,4 Millionen zu. 2022 stiegen die Zahlen wieder: 15,4 Millionen waren es da. 2014 waren es noch 43 Millionen Zuseher. Offenbar trifft die Academy nicht mehr den Zeitgeist, Hollywood präsentiert sich seit Jahren an diesen Abenden ideologisch, als moralisch überhöht. Auf dem Wald der Stechpalmen, so Hollywood zu Deutsch, scheint ein heiliger Wald, ein Holy Wood errichtet worden zu sein: Ein Plätzchen, in dem sich eine Branche zu einer falschen Heiligkeit verabredet hat, die man allen und jeden, immer und überall unter die Nase reiben muss.
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