Ein Nachdenker feiert Geburtstag

Albrecht Müller
Sir James, CC BY 3.0, via Wikimedia Commons

Die NachDenkSeiten werden dieses Jahr 22 Jahre alt – ihr Gründer aber hat heute Geburtstag. 87 Jahre alt wird er. Alles erdenklich Gute, lieber Albrecht Müller!

Ein Glückwunsch von Roberto De Lapuente im Namen der Redaktion.

Vor anderthalb Jahren bedankten sich die Kollegen von Manova – auch ich war dabei – bei den NachDenkSeiten. 20 Jahre war diese kritische Plattform damals geworden. Diesen Dezember werden es dann 22 Jahre sein – ihr Mitbegründer und Herausgeber wird heute 87 Jahre alt.

Mit Telepolis zusammen kann man die NachDenkSeiten heute als Urprojekt alternativmedialer Information betrachten – und in diesem Kontext ist Albrecht Müller einer der Vorreiter auf diesem Feld gewesen. Dafür gebührt ihm Dank. Verbunden mit herzlichen Geburtstagsglückwünschen.

Zeitenwenden

Als die NachDenkSeiten damals an den Start gingen, kam ich – wie so viele – gewissermaßen aus der Spaßgesellschaft. Als in den Neunzigern sozialisierter Mensch hielt das neue Jahrtausend recht schnell nicht das, was man uns jungen Leuten versprochen hatte: Aufstiegschancen, Wohlstand und die Welt als offenstehende Erlebniswiese. Aber die Welt wurde zunehmend enger – man rückte zusammen, auch in den Denkvorgaben. Die Welt, die ich kannte, war noch geprägt von Love Parade und Party. Nicht, dass ich was von Techno hielt. Aber irgendwie fühlte sich für uns Jungen alles nach Aufbruch an, die Geschichte war schließlich an ein Ende geraten, auch wenn die wenigsten von uns, ich eingeschlossen, Fukuyamas Thesen gar nicht kannten. Dann schlug die Realität ein. Und zwar in die Zwillingstürme, die dann aus ihre Stahlruinen den Überwachungsstaat gebaren. In jenen Jahren schlug die Realität auch in meinem Leben ein. Es war eine Zeitenwende – die Welt, so wurde mir plötzlich bewusst, war so ganz anders als die Erzählung von ihr, die man mir in jungen Jahren aufgetischt hatte.

Dann kamen Krisenjahre, ich lernte die Arbeitslosigkeit kennen: Damit hatte ich es plötzlich zu tun. Parallel dazu formierten sich Arbeitsmarktreformen. Hartz IV ließ noch auf sich warten, stand aber in den Startlöchern: Wie man künftig als arbeitender Mensch zu sein habe, erklärten die Medien jeden Tag – mobil, flexibel, allzeit erreichbar: Nur so könne der Standort Deutschland gerettet werden. Ich war jung, fühlte mich überfordert – werde ich bald meine bayerische Provinzheimatstadt verlassen müssen, um in Zinnowitz, Merzig oder Aurich Geld verdienen zu können? Der Superminister Clement saß im TV und nuschelte etwas von faulen Arbeitslosen – in seinem Ministerium gab es damals eine Broschüre, in der Arbeitslose als Schmarotzer tituliert wurden. Ekelhafte Jahre waren das. Anders ekelhaft als heute. Man spürte damals schon, dass das alles in eine besorgniserregende Richtung abgleitet.

Die Reformlüge

In jenen Tagen, in denen das Land sich im Umbruch zu befinden schien, die Sozialdemokraten ihren Niedergang einleiteten, Deutschland am Hindukusch Landesverteidigung betrieb, die alte Bundesrepublik endgültig beerdigt wurde, da wies mich ein lieber, nicht mehr unter uns weilender Mensch auf einen Bestseller hin: Albrecht Müllers »Die Reformlüge«. Im Zuge dieser Lektüre entdeckte ich die damals noch recht jungen NachDenkSeiten. Beides – Buch wie Website – waren Offenbarungen, ordneten mein junges Gemüt neu. Ich war unerfahren, mein Kopf voller Gedanken, die ich aus Mangel an Lebenserfahrung als mir exklusiv betrachtete. Denkt denn keiner wie ich? Dergleichen fragte ich mich. Hier gab es die Antwort: Doch, viele sogar. Und nachzulesen war das unter: www.nachdenkseiten.de

Wie gesagt: Eben war mein Dasein noch von der Lebensfreude der Neunziger geprägt; mein Leben lag vor mir, Chancen hat man mir versprochen – und plötzlich verbiesterte die Gesellschaft. Als Arbeiter, der ich war – ich war gelernter Schlosser –, sollte ich mich nun anbiedern, stets verfügbar sein, länger arbeiten, weniger verdienen, ständig mit Arbeitslosigkeit konfrontiert sein. Neoliberalismus nannte sich dieses verdammte Konzept. Ich wusste das nur noch nicht. Bis ich Albrecht Müllers Buch las, über die Tricks und Kniffe erfuhr, wie unliebsame Politik durchexerziert wird, wie man Stimmung erzeugt. Wie naiv ich doch war – bis ich Müller las.

In diesem Sinne: Nochmals herzlichen Glückwunsch, lieber Albrecht Müller. Und danke!

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21 Kommentare

  1. Das einzige alternative Medienportal, das die „Grünen“ einer Feindanalyse unterzogen haben ( finanziert aus Steuergeldern) waren die „Nachdenkseiten“. Nicht nur in meinen Augen eine Auszeichnung! Wesentlich dazu beigetragen hat der Gründer, Albrecht Müller. Danke dafür. Und natürlich herzliche Glückwünsche zum Geburtstag!💐

    1. Danke auch für diese Erinnerung.
      Zudem waren die Nachdenkseiten auch wichtig genug denen vom zuständigen Finanzamt die Gemeinnützigkeit entziehen zu lassen.

      1. Mit m. W. hanebüchener Begründung: Journalismus kann nicht gemeinnützig sein.
        Wenn ich mir da „Correctiv“ ansehe… Die behaupten zumindest, „investigativen Journalismus“ zu betreiben.
        „All animals are equal, but…“

        1. Zitat:
          „Mit m. W. hanebüchener Begründung: Journalismus kann nicht gemeinnützig sein.“

          Diese Einschätzung wundert mich heute überhaupt nicht mehr. Ein Journalismus, wie ihn damals ein Hajo Friedrichs beschrieb, wäre in der Tat gemeinnützig.
          Der heute übliche Haltungs-„Journalismus“ hingegen könnte davon nicht weiter entfernt sein. Damit stimmt dann auch wieder der zitierte Satz – sofern man das mediale Geschreibsel heute mit Journalismus verwechselt.

    2. Richtig, aber die Schande ist nicht in Gänze bei der grünen Partei, vielmehr bei den Nazis vom „Zentrum Liberale Moderne“, fanatische Parteigänger der ukrainischen Banderafaschisten. Nicht, dass der Unterschied gross wäre, wenn man Baerbock etc. bedenkt, aber der Genauigkeit halber.

      Und ja, herzlichen Glückwunsch und alles Gute, Herr Müller.

  2. Ich hoffe Herr Müller, Sie finden ebenso die Kraft ( wie so mancher US Amerikanische Rentner) und werden ebenfalls 250 Jahre alt.

  3. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag
    Schön dass es Sie gibt, Herr Albrecht Müller
    Viel Gesundheit und möglichst lange Schaffensfreude
    Wir brauchen Leute wie Sie

  4. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag Herr Müller,
    ich wünsche Ihnen alles Gute,, Gesundheot, weiterhin viel Schaffenskraft und vor allem Frieden.

    LG
    Otto0815

  5. Da will ich doch keinesfalls der ‚Grussadresse‘ von Roberto de Lapuente an den geschätzten Jubilar in die Quere kommen oder gar den advocatus diaboli mimen wollen. Ja, gewiß doch! Seine kleine rote Fibel – immer penibel aktuell gehalten – steht nicht nur in meinem Bücherschrank sondern liegt griffbereit für dunkle Stunden bereit. Seiner dortigen Aufforderung bzgl. ‚Glaube‘, ‚Hinterfrage‘ und ‚Denke‘ und zwar in der richtigen Reihenfolge und Ergänzung um ‚wenig‘, ‚alles‘ und ’selbst‘ zu folgen, wurde von Jahr zu wichtiger. Und muß heuer geradezu – wenn wir schon mit dem ‚Glauben‘ vorsichtig sein sollen – der ‚Katechismus‘ dafür sein, um den ganzen Irrsinn, den Lug, Trug und die Niedertracht, denen wir von Tag zu Tag zwischenzeitlich immer stärker ausgesetzt sind, widerstehen zu können, es zumindest versuchen zu können. Mit dem Ratschlag ‚Denke selbst‘ allerdings, na ja, da sollte man – wie ich gelegentlich erfahren ‚durfte‘ – besser mal innehalten. Widerspruch ist nicht so ’sein Ding‘, mit einem Bruder in ähnlichem Alter bin ich jedoch auf so etwas eingerichtet. Eigene ‚Schlüsse‘ sollte man tunlichst unterlassen, ihm zur Kenntnis zu geben, wenn. man es sich nicht für eine Weile verderben will. Das wird bestimmt auch das ein oder andere Redaktionsmitglied beim Elefanten im Raum so sehen, vermutlich. Mit seiner dringenden Empfehlung cora publico bspw., an die BSW-Frischlinge in Thüringen und wohl auch anderswo Koalitionen einzugehen, war er – mit Verlaub – total auf dem Holzweg. Wie wohl er selbst zwischenzeitlich nicht zu leugnen vermag. Obwohl, mit der Beiholung von Unterstützung hat er sich und Selim D. kaum mit Ruhm bekleckert. Wie heißt es von ihr so schön: „Das Bündnis Sahra Wagenknecht kann stolz und selbstbewusst auf die Verhandlungsergebnisse in Brandenburg und Thüringen zeigen. Das Ergebnis ist historisch.“ Besser kann man einen ‚Griff ins Klo‘ kaum hochloben. Zumal Frau Dagdelen im Unterschied zu Albrecht Müller da schon. wußte, dass Neuwahlen bevorstanden. Übrigens: Ganz so dilettantisch scheint auch die ‚Gegneranalyse‘ nicht gewesen zu sein, nur zum Schenkelklopfen war sie wohl nicht gewesen, wie wir jetzt zu ahnen beginnen. Vorbereitung, so habe ich mal gelernt, ist 80% des Erfolgs. Und was für den einen der Erfolg, ist für den anderen der Gau. Also bitte: bei den nächsten Ratschlägen – wenn überhaupt erforderlich – etwas mehr Vorsicht walten lassen und jene hinter bzw. vor der Brandmauer keinesfalls unterschätzen. Und – wenn möglich – hin und wieder auch auf die Sicht der ‚Kollegen‘ vertrauen.

    Aber sicher doch, den Geburtstagswünschen von Roberto schließt sich der ‚Besserwisser‘ gerne an. Ehrentitel von Albrecht Müller verliehen halte ich in Ehren. Wie gesagt, ich kenne meine Pappenheimer.

  6. Ja, Glückwunsch, tatsächlich ein wichtiges alternatives Portal.

    Aber ich muss zugeben, dass ich schon lange nicht mehr regelmässig dort lese, allenfalls mal einem Link auf einen guten Artikel folge. So ungefähr 2015 habe ich damit aufgehört… was wird wohl der Grund gewesen sein? Die linke Einseitigkeit, das Ausblenden unangenehmer Wahrheiten, Sprach- und Denkverbote? Ja, irgendwie sowas, zudem fehlt mir ein Forum, in dem ich meinen Widerspruch artikulieren kann, wenn mal wieder ein besonders wilder Beitrag kommt. Aber vielleicht ist ja mittlerweile alles besser geworden, ist schließlich schon wieder 10 Jahre her…

    Nichtdestotrotz sehe ich die Wichtigkeit alternativer Berichterstattung, auch und gerade von links, gegen den linksliberalen Mainstream.

    1. Ein Forum zu moderieren wäre vermute ich zu viel Aufwand und heutzutage dann wohl auch von Trollen besetzt. Man kann ja Leserbriefe an die NachDenkSeiten schreiben. Ist dann natürlich nicht zwingend, daß diese veröffentlicht werden.

  7. Ein alter Sozi, aus der Brandt-Ära übrig geblieben. Daran erinnert er einen immer.
    Ein Mann des Systems, aber eines besseren Systems. Er steht dazu und mahnt uns laut.
    Er bleibe uns noch lange!

  8. auch von mir:
    Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag
    Herr Müller, vor allem bleiben Sie gesund, Sie werden hier gebraucht….
    in Dunkeldeutschland.

  9. Herzlichen Glückwunsch Albrecht Müller,
    alles Gute und ganz viel Zufriedenheit und Gesundheit!

    Meine Hochachtung für umtriebiges „Tun und Handeln“, ihr unermüdliches Engagement…

    Die Nachdenkseiten gehören seit Jahren zu meiner täglichen Pflichtlektüre!👍

    Beste Grüße
    Frank Meyer

  10. Lange Zeit gab es auch für mich nur Telepolis und die Nachdenkenseiten. Die Nachdenkenseiten sind sich treu geblieben. Vielleicht ist Albrecht Müller noch einer der letzten SPD Genossen die sich treu geblieben sind. Wenn man so sieht was aus den anderen SPD Führungskräften geworden ist oder welche Führungskräfte heute die SPD hat, dann ist das ein riesen Verdienst.

    Tja und denen die sich so durchschlängelten in den Jahren und alles mitgemacht haben hat ja Franz Josef Degenhardt das Lied vom Wildledermantelmann gewidmet.
    “ und wie ist das Gefühl, wenn man so langsam, langsam driftet nach Rechts? Der der war doch mal einer von uns wirf wir sind unter Wasserwerfern zusammen gegangen. Schmeiss ihm einen Hinkelstein auf seinen Fuß damit mal anhalten muss“
    Franz Josef Degenhardt fehlt auch heute. Die SPD der „Pistolius und Esken“ da stellt man sich die Frage was ist aus der Partei geworden? Kriegstüchtigkeit statt Friedensfähigkeit man möchte diese Leute daran erinnern wo Deutschland 1945 lag und zurufen wollt ihr das wieder? Aber es ist ja nicht nur die SPD, der Blick auf die Partei die Linke gibt auch keinen Anlass für Zufriedenheit.

    1. Böse Zungen sagen die SPD ist zu ihren Kriegskredite und Noske Bluthund Traditionen zurückgekehrt. Brandt war die Ausnahme.

  11. Glückwunsch Herr Müller! Andere Leute gingen in dem Alter damals in die Rente, als Sie die Nachdenkseiten gründeten. Sie betreuen fleißig ihr oppositionelles Projekt seit zwei Jahrzehnten statt im Schaukelstuhl zu sitzen.

  12. Weil es sich um eines der Hauptthemen der NDS handelt:

    Deutsche Lokalzeitungsverleger sind von der neuen »schwarz-roten« Bundesregierung enttäuscht. »Im Koalitionsvertrag wurde bekanntlich die Senkung der Mehrwertsteuer auf Presseprodukte nicht berücksichtigt. Statt dessen heißt es lapidar, man wolle ›die Herausforderungen der Zustellung der Zeitungen‹ mit den Verlagen erläutern. Das ist, mit Verlaub, zu wenig«, sagte der Vorstandsvorsitzende des Verbands Deutscher Lokalzeitungen und Lokalmedien (VDL), Kai Röhrbein, am Mittwoch in Berlin. In der Bundespolitik wird seit Jahren eine staatliche Förderung von Pressehäusern diskutiert. Es gab mehrere Anläufe und Modelle – bislang wurde nichts umgesetzt. (dpa/jW)

    https://www.jungewelt.de/artikel/500166.lokalzeitungsverleger-von-regierung-entt%C3%A4uscht.html

    Und dabei haben sie sich doch solche Mühe gegeben, zu zeigen, wie nützlich sie sind! Das ist zumindest mein Eindruck von den beiden erbärmlichen lokalen Käseblättern hier.

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