
Ein Film aus dem Jahr 2012 nimmt die westliche Demokratie und ihre Werte trefflich auf die Schippe – und dies Jahre bevor das Gewese darum so richtig inhaltsentleert wurde.
Der Zeitpunkt, zu dem Der Diktator erschien, war einer jener vergangenen Momente, in denen der Westen sich selbst noch für eine moralische Instanz hielt. Demokratie galt als Exportgut, Menschenrechte als universelles Versprechen. Wer sich darüber lustig machte, musste sich zumindest den Vorwurf gefallen lassen, zynisch zu sein. Dass Sacha Baron Cohens Film dennoch auf breite Zustimmung stieß, lag daran, dass er sich scheinbar auf ein unstrittiges Ziel einschoss: den despotischen Herrscher, der alles verkörpert, was wir nicht sind. Doch schon damals war zu spüren, dass der Film mehr beabsichtigt, als nur einen Diktator vorzuführen. Er legt unbeabsichtigt, aber vielleicht doch kalkuliert, eine Spur, die weniger an den fiktiven Ort Wadiya als nach Washington führt. Die Tyrannei hat viele Gesichter. Eines davon nennt sich westliche Demokratie. Als der Film 2012 in die Kinos kam, zogen viele die Augenbrauen hoch. Heute träfe er einen Zeitgeist, würde aber vermutlich so nicht mehr dem Publikum vorgesetzt werden.
Ein infantiler Wüstensohn
Der Diktator erzählt von Admiral General Aladeen, dem allmächtigen Herrscher des fiktiven nordafrikanischen Staates Wadiya. Aladeen ist grausam, narzisstisch und ein infantiler Sexist. Er ist eine Karikatur aus allem, was westliche Medien über Diktatoren zu wissen glauben. Er liebt seinen Personenkult, lässt Gegner verschwinden und pflegt ein erotisches Verhältnis zur Machtausübung. Seine Gewaltfreude ist in den Film zu einer Groteske überspitzt. Aladeen weiß nichts von der Welt außerhalb seines Wüstensstaates. Selbst seine Heimat kennt er nicht. Für alles hat er Bedienstete. Immer wieder wird ein Doppelgänger von ihm bei einem Attentat erschossen. Ihn bekümmert das nicht, denn er hat noch Doppelgänger auf Lager.
Die Handlung setzt ein, als Aladeen gezwungen wird, in die USA zu reisen, um vor den Vereinten Nationen zu erscheinen. Sein Land steht unter internationalem Druck, die eigenen Bodenschätze sollen demokratisiert werden. Was so viel heißt wie: für westliche Investoren geöffnet. Bereits hier zeigen Regisseur Larry Charles und Drehbuchautor Sacha Baron Cohen, der auch den Diktator spielt, ihren Sinn für Doppelstandards. Die Demokratisierung lassen sie als plumpe Ausbeutung auf die Bühne treten. Der Diktator tritt in New York in eine Kette von Demütigungen gegen seine Person los. Er verliert die Macht, seinen Status und sogar seinen Bart, das haarige Symbol seiner Herrschaft, das im Film zugleich Männlichkeit, Autorität und Lächerlichkeit verkörpert.
Kritiker reagierten 2012 entsprechend gespalten. Einige feierten den Film als mutige Satire, andere warfen ihm Geschmacklosigkeit, billige Provokation oder schlicht Albernheit vor. Getroffene Hunde des Westens! Denn Cohen persifliert nicht die Allüren eines Tyrannen, sondern die arrogante Überheblichkeit des demokratischen Westens.
Der Film ist dort besonders treffend, wo er aufhört, sich für Wadiya zu interessieren. Die Vereinigten Staaten erscheinen nicht als Heimstaat der Freiheit und der universellen Moral, sondern als offene Bühne, auf der sich Macht hinterlistig und mit Geschäftssinn organisieren lässt. Aladeen muss kein besserer Mensch werden, um akzeptiert zu werden. Es reicht, wenn er das Diktatorische der westlichen Demokratie verinnerlicht.
Bitte versucht Diktatur!
Der eigentliche Witz des Films liegt nicht in der Überzeichnung des Diktators, sondern in der beiläufigen Entlarvung westlicher Selbstverständlichkeiten. Die UNO wirkt darin wie ein Theater, in dem moralische Reden gehalten werden, während im Hintergrund bereits die Verträge vorbereitet wurden. Auch der Aktivismus bekommt sein Fett weg. Er erscheint als Lifestyle, nicht als Widerstand. Und die amerikanische Öffentlichkeit ist empfänglich für jede Form von Inszenierung, solange sie gut erzählt ist. Besonders deutlich wird dies in der berühmten Rede Aladeens, in der er den Amerikanern erklärt, wie eine Diktatur aussehen würde. Es lohnt sich, diese Stelle zu zitieren:
Was habt ihr gegen eine Diktatur? Stellt euch vor, Amerika wäre eine. Ihr verteilt den ganzen Reichtum auf ein Prozent der Bevölkerung. Ihr macht die Reichen noch reicher, weil ihr ihre Steuern senkt. Und ihnen ihre Spielschulden erlasst. Ihr ignoriert das Bedürfnis der Armen nach Krankenversicherung und Bildung. Eure Medien wären scheinbar frei, würden aber nur von einer Familie gelenkt. Ihr könnt Telefonate abhören. Ausländische Gefangene foltern. Wahlen manipulieren. Lügen erfinden, um Kriege zu beginnen. Eure Gefängnisse mit einer bestimmten Volksgruppe füllen, und keine beschwert sich. Ihr könnt die Menschen so sehr verängstigen, dass sie Politiker wählen, die keine ihrer Interessen vertreten. Ich weiß, euch Amerikanern fällt diese Vorstellung schwer. Aber, bitte, versucht es.
Hier spricht der Tyrann die Wahrheit aus, während die Demokratie schweigt. Sie schweigt auch noch, nachdem Aladeen verstummt ist. Der Diktator ist wenig subversiv, er benennt die Doppelstandards nicht zwischen den Zeilen, sondern wagt sie offen auszusprechen. Ist diese Demokratie wirklich das System, das Menschen Glück und Segen bringt?
Der Diktator als Demokrat
Da der Film nebenher auch gezielt politisch inkorrekt ist, fände er heute kein Studio mehr. Seit 2012 hat sich einiges verändert. Was damals noch als überspitzte Satire durchging, wirkt heute so unsagbar wie dokumentarisch. Denn die Trennlinie zwischen Diktatur und Demokratie wird nach und nach aufgelöst. Überwachung ist im Westen noch mehr Normalität als damals. Die soziale Spaltung ist mittlerweile ein gezielt eingesetztes politisches Werkzeug. Kriege werden wieder offen legitimiert, Medienkonzentration kaum noch kaschiert. Empörung ist nur noch Routine, wenn sie denn stattfindet. Proteste sind plumpe Rituale.
Der Diktator ist so aktuell wie nie zuvor. Die westliche Doppelmoral, die der Film karikiert, hat sich nicht aufgelöst oder auch nur etwas verbessert, sondern ist zum Lebensgefühl mutiert. Sie ist das Thema der Stunde an vielen Orten dieser Welt. In den Schützengräben der Ukraine. Wenn man von China und Taiwan spricht. Oder über Venezuela. Überall dort forcieren nicht Aladeens den Kurs, sondern die westliche Wir-kommen-in-Frieden-Interventionspolitik.
Cohens Film ist blendend gealtert. Und seine Darstellung des Aladeen zeigt uns Zuschauern nicht den Diktator, sondern die andere Seite, die Anti-Diktatoren. Die sind nicht so viel anders als der kindliche Schwachkopf mit zu groß geratenen Hofstaat. Der Diktator dieses Films ist ein Aufklärer. Er eignet sich gut, um das lahme Weihnachtsprogramm mit Humor und grotesk inszenierter Tiefe aufzumotzen. Bei Netflix ist dieser Diktator, der ein Demokrat ist, im Moment im Angebot zu finden.
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Die klassische Definition der Demokratie kennt keine Wahlen, weil dabei immer nur die Leute mit dem meisten Geld und Einfluss gewinnen. Am Ende bricht dann alles zusammen und es gibt die Übernahme durch einen Tyrannen.
Aristoteles nennt Wahlen als eindeutiges Merkmal von Aristokratie und Oligarchie. Demokratie dagegen basiert auf zufälliger Auswahl per Losverfahren von streng limitierten Räten die ihre Arbeit der Gesamtversammlung vorlegen. Nur so kann der Einfluss der Oligarchie begrenzt und ein Gemeinwesen geschaffen werden.
Die „westliche Demokratie“ ist eine Mogelpackung, im Lauf einer Geschichte entstanden die sicher noch weiter gehen wird.
Danke für diesen wirklich hervorragenden Tip!
Frohe Feste…